Eisenbahnbrücke Wesel
Die historische Eisenbahnbrücke Wesel wurde in den Jahren 1872 bis 1874 von der Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft (CME) als Teil der Hamburg-Venloer Bahn erbaut und war zeit ihres Bestehens die nördlichste Rheinbrücke in Deutschland. Ab 1917 existierte in direkter Nähe der Eisenbahnbrücke eine zusätzliche Straßenbrücke, bis beide Brücken im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Nur die Straßenbrücke wurde daraufhin wiedererrichtet.
Baugeschichte
Anlass für die Überbrückung des unteren Niederrheins in Wesel war der Bau der Hamburg-Venloer Bahn von Venlo über Wesel, Haltern, Münster und Bremen nach Hamburg. Die ursprünglich von einem ausländischen Konsortium geplante Linienführung durch das dicht besiedelte Ruhrgebiet mit einer Rheinbrücke bei Duisburg verhinderte der preußische Staat, welcher eine Streckenführung über die damalige preußische Festung Wesel forderte und der CME die erforderliche Konzession für die gesamte Strecke bis Hamburg erteilte. Dadurch konnten die in der Festung Wesel stationierten Soldaten die Brücke im Kriegsfall gegen einen Rheinübergang verteidigen bzw. sie als eine Basis für einen Aufmarsch nach Westen nutzen. Schon in der Planung war dafür ein Belag der Gleiszone mit Bohlen vorgesehen worden, sodass die Brücke auch von anderen Fahrzeugen befahren werden konnte.
Auf beiden Seiten waren der eigentlichen Strombrücke aus hart gebrannten Ziegelsteinen gemauerte Vorlandbrücken vorgelagert, linksrheinisch 65 mit insgesamt 770 Metern Länge, rechtsrheinisch 32 ebenfalls gemauerte und 6 Stahlbrücken mit zusammen 766 Metern. Dazwischen wurde der Rhein bei Kilometer 815 mit einer Strombrücke, bestehend aus vier stählernen Einzelteilen von je 104 Metern Länge überspannt. Zur Bauzeit war damit das Bauwerk mit seinen 1950 Metern die längste errichtete Rheinbrücke. Die Ziegelsteine wurden während des Baus an Ort und Stelle aus dem bei den Ausschachtungen der Pfeiler gewonnenen Lehm gebrannt. Die außergewöhnliche Dimension des Bauwerks war nicht nur der häufigen Hochwassergefahr wegen gewählt worden, sondern auch, weil das Militär keinen Bahndamm duldete und freie Sicht für die Festung haben wollte.
Am Beginn und Ende der Strombrücke erhielt die Brücke, wie damals bei Rheinbrücken üblich, sogenannte Tambourwerke zur Verteidigung. Auch im Vorland wurden weitere Befestigungsanlagen errichtet. Linksrheinisch entstand hinter dem Deich neben den Gleisen auf Kosten der Cöln-Mindener Eisenbahn das Fort I. Es ist noch vollständig erhalten und befindet sich in Privatbesitz. Rechtsrheinisch lagen an den Weseler Bahnlinien weitere Forts, die die Festung Wesel schützen sollten. Von diesen Festungswerken sind keine Spuren erhalten.
Beiderseits des Rheins errichtete man im Ersten Weltkrieg zur Verteidigung des Brückenkopfes Wesel Betonbunker. Diese wurden 1921 auf Anordnung der Alliierten gesprengt.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 war die Brücke die letzte Rückzugslinie der zurückweichenden Wehrmacht während der Eroberung des linken Niederrheins durch englische, kanadische und amerikanische Truppen (von Norden Operation Varsity, von Süden Operation Grenade).
Am Morgen des 10. März 1945 sprengten deutsche Pioniere auf Befehl von General Alfred Schlemm die Weseler Eisenbahnbrücke[1] – damals die letzte Rheinbrücke unter deutscher Kontrolle – drei Tage nach Eroberung der Ludendorff-Brücke bei Remagen durch US-Truppen. Die Brücke wurde nach dem Krieg nicht wiederaufgebaut; sie war zuletzt nur noch von zwei Nebenbahnen befahren worden.
Erst 1968 wurden die Reste der beiden Strompfeiler, die die Rheinschifffahrt behinderten, beseitigt. Die Brücke ist ein Teil der Route der Industriekultur.
Eisenbahngeschichte
Am 1. März 1874 wurde die Teilstrecke Wesel – Haltern der Paris-Hamburger Bahn eröffnet; zu Silvester 1874 fuhr ohne größere Feierlichkeiten der erste Zug über die neue Brücke. Vom 1. Juli 1878 an wurde sie auch von der Boxteler Bahn mitbenutzt, die in Büderich in die Venloer Strecke mündete. Die Hoffnungen der Erbauer in die Nutzung der Bahnstrecke Haltern–Venlo erfüllten sich aber nicht und es blieb bei einem nebenbahnähnlichen Betrieb. Nur die internationalen Schnellzüge der Boxteler Bahn frequentierten die Brücke bis zum Ersten Weltkrieg stark. Wegen der hohen Baukosten und der geringen Streckennutzung berechnete die Cöln-Mindener Eisenbahn und nach deren Verstaatlichung auch die Preußische Staatseisenbahn für jeden Fahrschein der Brückennutzer einen Aufschlag in Höhe von 11,25 Kilometern. 1926 und 1927 wurde die Brücke auf den alten Strompfeilern erneuert und dabei den gestiegenen Zuggewichten angepasst.
Bildergalerie
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Linksrheinische Reste der Eisenbahnbrücke Wesel
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Aufgelassene Bögen mit Wasserabläufen
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Detailansicht
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Bunker kurz vor dem Rhein
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Eisenbahnbrücke Wesel, Postkarte 1916
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Im Vordergrund die Niederrheinbrücke
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Im Hintergrund die Niederrheinbrücke
Siehe auch
Quellen und Literatur
- Berkel, Alexander: Krieg vor der eigenen Haustür – Rheinübergang und Luftlandung am Niederrhein 1945, Wesel, 1994
- Dinkelaker, Ulrich: Brückenkopf Wesel, Lünen, 1993
- Ernst: Die Brückenbauten der Dt. Reichsbahn, in: Reichsbahn 4. Jg. Heft 22, Berlin 1928
- Freriks, Vincent: Die Bahnstrecke Venlo – Wesel – Haltern in: Eisenbahnen am Niederrhein, Hrsg. im Auftrag der Stadt Wesel, Wesel, 2005.
- Höpfner, Hans-P.: Eisenbahnen, Ihre Geschichte am Niederrhein, Duisburg, 1986
- Cöln-Mindener Eisenbahn: Geschäftsberichte 1865–1876 und Auszüge aus den Verhandlungen der General-Versammlungen der Aktionäre der Jahre 1869 bis 1879, Köln.
- Hans Schlieper, Vincent Freriks. Die Boxteler Bahn, Die Nord-Brabant-Deutsche Eisenbahn-Gesellschaft und die internationale Vlissinger Postroute. DGEG Werl 2014 ISBN 978-3-937189-79-6
- Krabbe: Die Erneuerung der eisernen Überbauten der Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Wesel. In: Die Bautechnik, 5. Jg. Berlin, 1927
- Prieur, Jutta: Geschichte der Stadt Wesel, Band 1, Düsseldorf 1991; Band 2, Düsseldorf 1992.
Weblinks
- Beschreibung dieser Sehenswürdigkeit auf der Route der Industriekultur (archivierte Version)
- Eisenbahnbrücke Wesel (KuLADig)
Einzelnachweise
- ↑ Blutiger Winter. Die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs in Kevelaer. In: blattus.de. Abgerufen am 17. April 2015.
Koordinaten: 51° 39′ 11″ N, 6° 35′ 27,9″ O
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