Euthanasie-Prozesse

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Euthanasie-Prozesse umfassen Prozesse gegen die Hauptschuldigen und Mittäter der Euthanasiemorde zur Zeit des Nationalsozialismus.

Wiesbadener Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vernehmung der Oberschwester Irmgard Huber, Hadamar Mai 1945.

Im Wiesbadener Prozess vor einem amerikanischen Militärgericht wurde vom 8. bis 15. Oktober 1945 die Ermordung von 476 russischen und polnischen Zwangsarbeitern durch Leon Jaworski angeklagt. Alfons Klein und die Pfleger Heinrich Ruoff und Karl Willig wurden zum Tode verurteilt, der Arzt Adolf Wahlmann aufgrund seines hohen Alters zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Zwei Verwaltungsangestellte erhielten Freiheitsstrafen von 35 Jahren und 30 Jahren und die einzige weibliche Angeklagte Irmgard Huber 25 Jahre. Die Todesurteile wurden am 14. März 1946 vollstreckt. Eine Anklage wegen der Ermordung von etwa 15.000 weiteren Menschen war nach geltendem Kriegsrecht nicht möglich.[1][2]

Grafeneck-Prozesse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits 1947 begann vor dem Schwurgericht Freiburg der erste Grafeneck-Prozess. Angeklagt waren Ludwig Sprauer, der oberste Medizinalbeamte im Karlsruher Innenministerium, und Arthur Schreck, Direktor der Pflegeanstalten Rastatt, Illenau und Wiesloch, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Mord an Anstaltsinsassen. Am 16. November 1948 sprach das Gericht die beiden Angeklagten schuldig und verurteilte sie zu lebenslangem Zuchthaus.

Nach jahrelangen Vorbereitungen begann der Tübinger Grafeneck-Prozess im Sommer 1949 auf Schloss Hohentübingen. Acht Personen wurden angeklagt, da sie an der Ermordung von 10.654 Patienten in der Tötungsanstalt Schloss Grafeneck beteiligt waren.[3]

Die acht Angeklagten vor Gericht waren: Otto Mauthe, Max Eyrich (ehemaliger Landsjugendarzt), Alfons Stegmann (ehemaliger Arzt in der Heilanstalt Zwiefalten), Martha Fauser (damals leitende Ärztin in Zwiefalten), Jakob Wöger und Hermann Holzschuh (Beamte des Standesamtes), Heinrich Unverhau (ehemaliger Krankenpfleger) und Krankenschwester Maria Appinger.[4]

Nürnberger Ärzteprozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karl Brandt bei der Urteilsverkündigung im Nürnberger Ärzteprozess

→ Hauptartikel: Nürnberger Ärzteprozess

Vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 fand der Nürnberger Ärzteprozess im Nürnberger Justizpalast vor einem amerikanischen Militärgericht statt. Neben 20 KZ-Ärzten wurde unter anderem auch Euthanasiebevollmächtigter und Begleitarzt Hitlers, Karl Brandt, angeklagt. Er erhielt die Todesstrafe und wurde am 2. Juni 1948 hingerichtet.

Frankfurt-Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor dem Landgericht Frankfurt gab es zwischen 1946 und 1948 insgesamt vier Prozesse, die zur Verurteilung von Tatbeteiligten der NS-Euthanasie dienten. Unter den 44 Angeklagten waren Ärzte, Schwestern und Pfleger aus den Anstalten Hadamar, Eichberg und Kalmenhof, die an den Ermordungen von Patienten beteiligt waren. Sechs Todesurteile wurden gefällt und 19 Haftstrafen verhängt. Letztendlich wurden die Todesurteile nicht vollstreckt und nur zwei Verurteilte wurden nicht begnadigt.

Dresden-Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 16. Juni 1947 wurde der Prozess durch den Landgerichtspräsident Martin Fischer, den Landgerichtsdirektor Rudolf Fischer und die Amtsgerichtsrätin Elfriede Thaler gegen Paul Nitsche und andere eröffnet. Zwischen dem 16. Juni und dem 25. Juni wurden die Angeklagten und die Zeugen in öffentlichen Sitzungen vernommen.[5]

Durch die Medien fand der Prozess in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. Die Sächsische Zeitung berichtete täglich über den Verlauf des Prozesses.[6] Er endete mit mehreren Todes- bzw. Haftstrafen – einzelne Beschuldigte, darunter der Hauptangeklagte Alfred Schulz sowie der Leiter der Kinderfachabteilung Arthur Mittag, hatten sich zuvor suizidiert resp. Suizidversuche begangen, an deren Folgen sie verstarben.

Am 7. Juli 1947 wurde das Urteil verkündet. Die Staatsanwaltschaft hatte zwar elfmal die Todesstrafe beantragt, jedoch wurde sie nur viermal ausgesprochen. Besonders bei den Krankenschwestern fielen die Urteile meist geringer aus als gefordert wurde. Im März 1948 wurden die Todesurteile in Dresden vollstreckt. Die hohen Haftstrafen wurden im Jahr 1956 im Zuge einer Amnestie erlassen.[7]

Düsseldorfer Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einem Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf im Jahre 1948 wurde der Psychiater Hermann Wesse, Leiter der „KinderfachabteilungWaldniel, der 1947 vom Landgericht Frankfurt im Kalmenhof-Prozess wegen Mordes in 25 Fällen zum Tod verurteilt worden war, wegen Kindermorden zu lebenslanger Haft verurteilt.[8][9]

Hartheim-Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beschuldigte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Hartheim-Hauptprozess in Österreich wurde gegen 61 Personen ermittelt, zu denen auch die ärztlichen Leiter Georg Renno und Rudolf Lonauer gehörten. Die Tabelle zeigt die Beschuldigten Personen nach Funktion und Geschlecht:[10]

männlich weiblich gesamt
Ärzte 3 0 3
Pflegepersonal 15 8 23
Verwaltungspersonal 9 7 16
Kraftfahrer 4 0 4
„Heizer“ 6 0 6
Unbekannt 6 3 9
gesamt 43 18 61

Verfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Verfahren von 13 Beschuldigten wurde eingestellt, bei 22 Beschuldigten wurde es abgebrochen aufgrund der Nichtauffindbarkeit des Täters. Bei sieben schon gestorbenen Personen wurde das Verfahren eingestellt, zwei Angeklagte erhielten eine Haftstrafe. 13 Verfahren der Beschuldigten sind in ein anderes ausgeschieden worden und bei den restlichen drei ist der Ausgang des Verfahrens bis heute unbekannt.

Klagenfurter Prozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor dem Außensenat Klagenfurt des Volksgerichts Graz wurde der österreichische Psychiater und Primararzt Franz Niedermoser im Klagenfurter Euthanasie-Prozess angeklagt. Er wurde für schuldig erklärt, in mindestens 400 Fällen die Tötung von Patienten und Patientinnen angeordnet zu haben. Dazu kamen die veranlassten Misshandlungen von Patienten, die ohne jegliche Rücksicht der Menschenwürde verliefen und oft zum Tode der Opfer führten. Niedermoser wurde am 4. April 1946 zum Tode durch den Strang verurteilt und sein Besitz enteignet. Am 24. Oktober 1946 wurde im Landesgericht Klagenfurt das Urteil vollstreckt. Der Oberpfleger Eduard Brandstätter, die Oberschwester Antonie Pachner und die Oberpflegerin Ottilie Schellander, die als Mitangeklagte galten, wurden ebenfalls zum Tode durch den Strang verurteilt. Am Tag seiner Urteilsverkündung verübte Brandstätter Suizid. Pachner und Schellander wurden schließlich zu langjährigen Haftstrafen begnadigt. Am 8. April 1951 verstarb Antonie Pachner im Gefängnis, Schellander wurde im Rahmen einer neuerlichen Begnadigung am 1. April 1955 bedingt aus der Haft entlassen. Die Krankenschwestern Paula Tomasch, Julie Wolf, Ilse Printschler und Maria Cholawa sowie ein Oberpfleger, die alle nachweislich an den Foltern beteiligt waren, wurden zu langjährigen Haftstrafen, teilweise in Kombination mit Vermögensverfall, verurteilt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Boris Böhm, Gerald Hacke (Hgg.): Fundamentale Gebote der Sittlichkeit. Der "Euthanasie"-Prozess vor dem Landgericht Dresden 1947 (Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer Politischer Gewaltherrschaft, Bd. 14). Sandstein: Dresden 2008, ISBN 978-3-940319-55-5
  • Anika Burkhardt: Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz. Eine strafrechtliche Analyse (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 85). Mohr Siebeck: Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-153623-6
  • Verena Christ: Täter von Grafeneck. Vier Ärzte als Angeklagte im Tübinger „Euthanasie“-Prozess 1949 (Contubernium, Bd. 88). Franz Steiner: Stuttgart 2020, ISBN 978-3-515-12516-1 (Felix Weise: Rezension, Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 61/1 (2022)).
  • Andreas Jürgens, Jan Erik Schulte (Hgg.): Die Frankfurter "Euthanasie"-Prozesse 1946–1948. Geschichte – Gerichte – Gedenken (Studien und Dokumente der Gedenkstätte Hadamar, Bd. 1). LIT: Berlin, Münster 2018, ISBN 978-3-643-14007-4
  • Joachim S. Hohmann: Der „Euthanasie“-Prozeß Dresden 1947. Eine zeitgeschichtliche Dokumentation. Peter Lang: Frankfurt a. M. 1993, ISBN 978-3-631-45617-0
  • Antje Langer: Euthanasie-Prozesse und -Debatten. In: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Transcript: Bielefeld 2007, ISBN 978-3-89942-773-8, S. 206ff.
  • Hagen Markwardt: Der fehlende Tatkomplex. Ermittlungen zu Beteiligten der "Aktion Reinhardt" im Vorfeld des Dresdner "Euthanasie"-Prozesses. In: Jörg Osterloh / Jan Erik Schulte (Hrsg.): "Euthanasie" und Holocaust. Kontinuitäten, Kausalitäten, Parallelitäten. Brill Schöningh, Paderborn 2021 (Schriftenreihe der Gedenkstätte Hadamar; 1), ISBN 978-3-506-79188-7, S. 365–384.
  • Matthias Meusch: Die strafrechtliche Verfolgung der Hadamarer "Euthanasie"-Morde. In: Hadamar. Heilstätte – Tötungsanstalt – Therapiezentrum, Jonas-Verlag: Marburg 2006, ISBN 978-3-89445-378-7, S. 305 ff.
  • Dick de Mildt (Hg.): Tatkomplex: NS-Euthanasie. Die ost- und westdeutschen Strafurteile seit 1945. 2 Bde. Amsterdam University Press: Amsterdam 2009, ISBN 978-90-8964-072-7 (Andreas Eichmüller: Rezension, sehepunkte 12 (2012), Nr. 4).
  • Maike Rotzoll u. a. (Hgg.): Die nationalsozialistische "Euthanasie"-Aktion "T4" und ihre Opfer. Geschichte und ethische Konsequenzen für die Gegenwart. Schöningh: Paderborn 2010, ISBN 978-3-506-76543-7

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. The Hadamar Trial. In: encyclopedia.ushmm.org. Holocaust Encyclopadia, USHMM, abgerufen am 12. März 2019 (englisch).
  2. Soll nach Hadamar überführt werden. Katalog zur Gedenkausstellung in Hadamar, Mabuse-Verlag 1989, ISBN 3-925499-39-3, S. 108 ff.
  3. Ute Hoffmann: Normale Leute? Kollektivbiografische Anmerkungen zu den Tätern der NS-"Euthanasie. In: Maike Rotzoll u. a. (Hgg.): Die nationalsozialistische "Euthanasie"-Aktion "T4" und ihre Opfer. Paderborn, 2010, 252-258.
  4. Juristische Aufarbeitung nach 1945: Einblick in den „Grafeneck-Prozess“. Landesarchiv Baden-Württemberg, abgerufen am 28. August 2020.
  5. http://www.stsg.de/cms/sites/default/files/u5/Tafel%2005.pdf
  6. http://www.stsg.de/cms/sites/default/files/u5/Tafel%2012.pdf
  7. http://www.stsg.de/cms/sites/default/files/u5/Tafel%2013.pdf
  8. Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln: Tagungsbericht 21. März 2014: Nach '45: Entnazifizierung, Wiedergutmachung, Strafverfolgung. Abgerufen am 4. Mai 2015.
  9. LG Düsseldorf, 7. Februar 1953. In: Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Bd. X, bearbeitet von Adelheid L. Rüter-Ehlermann, H. H. Fuchs, C. F. Rüter. Amsterdam : University Press, 1973, Nr. 339 S. 337–346 Mitwirkung am 'Euthanasieprogramm' durch Tötung von Reichsausschusskindern durch Luminal (Memento vom 14. März 2016 im Internet Archive), Freispruch der Krankenpflegerin W.
  10. http://www.nachkriegsjustiz.at/service/archiv/Rb8.pdf