Gertrud Schröter

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Gertrud Schröter bei einer Vorstandssitzung am 25. Januar 1999 in Winsen (Aller)

Gertrud Schröter (* 23. Juli 1913 in Celle als Gertrud Elsner; † 26. Juni 1999 in Torgau) war eine deutsche Antifaschistin, langjährige niedersächsische Landesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Mitbegründerin der AG Bergen-Belsen und Trägerin des Niedersächsischen Verdienstordens und der Ehrenmedaille des deutschen Widerstandes.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gertrud Elsner machte nach der Schulzeit eine Lehre im Konsum. Mit 19 Jahren (1932) wurde sie Verkaufsstellenleiterin. Nach der Heirat mit Rudolf Schröter (1937) wurde 1939 ihre Tochter Edith geboren. Ihr Mann wurde 1940 zum Militär eingezogen und kam erst 1947 wieder nach Hause. Ihr Vater Otto Elsner[1] war Mitglied der KPD und in mehreren Gefängnissen und KZs von 1933 bis 1945 – am längsten im KZ Sachsenhausen interniert.[2][3]

Einsatz für Kinder und weiteres Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Ich habe mich für Kinder eingesetzt. Das hatte einen persönlichen Grund. Ich wollte so gern Lehrerin werden, aber dieser Wunsch hat sich leider nicht erfüllt, weil den Eltern das Geld für das Studium fehlte.“

Maria von Fransecky: Alles, was vergessen wird, geschieht. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 1988, ISBN 3-88132-074-1.

Ab 1954 organisierte Gertrud Schröter Ferienfreizeiten für Kinder aus sozial schwachen Familien – preiswerte Reisen in Ferienlager im Harz, der Lüneburger Heide und der DDR.[4] Sie arbeitete mit in der Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“.[5][6]

Nach dem Verbot der KPD (1956) wurde Gertrud Schröter "wegen landesverräterischer Beziehungen" angeklagt – gemeint waren die Kinderferienlager in der DDR. Sie erhielt am 7. Juni 1961 eine 502-seitige Anklageschrift[7]. Der Prozess begann am 21. September 1961 vor dem Landgericht Lüneburg. Die Verteidigung übernahm Diether Posser.[8][9] Am 4. November 1961 folgte die Urteilsverkündung: 1 Jahr Haft und 5 Jahre Ehrverlust. Die Haft trat sie am 3. März 1963 im Frauengefängnis Vechta an. Ihren 50. Geburtstag beging sie im Gefängnis – dabei durfte sie keine Blumen empfangen. Ein Antrag auf Verkürzung der Strafe wird abgelehnt, aber kurz vor Weihnachten wird sie entlassen.[10]

„Wir sind regelrecht rausgeschmissen worden, weil Dr. Posser bis zum Bundesjustizminister vorgedrungen war. Der hat gesagt, nur raus, raus mit den Frauen, ich kriege waschkörbeweise Solidaritätsschreiben, ständig Anrufe und Besuche. Es haben sich tatsächlich während unserer Inhaftierung wahnsinnig viele Leute für unsere Freilassung stark gemacht: Albert Schweitzer, etliche Schriftsteller, Professor Horkheimer, ich kann gar nicht jeden aufzählen.“

Gertrud Schröter: EIN JAHR HAFT UND EIN VERDIENSTKREUZ, in: Publikation der GRÜNEN-Landtagsfraktion zu 50 Jahre kritisches Niedersachsen, S. 33

1963 trat Gertrud Schröter in die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ein. 1995 erhielt sie den Niedersächsischen Verdienstorden für ihre ehrenamtlichen ca. 30-jährigen Gruppenführungen im ehemaligen KZ Bergen-Belsen mit Menschen aus vielenLändern der Welt. Sie starb am 26. Juni 1999 in Torgau bei ihrer Tochter Edith Jäger.[11][12]

Mitarbeit in der AG Bergen-Belsen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im März 1985 war Schröter Mitbegründerin der AG Bergen-Belsen. Bis zu ihrem Tod war sie im Vorstand tätig. Über lange Jahre hin führte sie Besucher über die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen und bot mit anderen Mitgliedern Informationen am Büchertisch der AG Bergen-Belsen in der Gedenkstätte an.

„Als ich 1978 mit meiner Konfirmandengruppe die Gedenkstätte des KZ Bergen-Belsen besuchen wollte, war ich froh, auf Gertrud Schröter aufmerksam geworden zu sein. Es gab sonst niemanden, der uns durch das Dokumentenhaus und über das Gelände hätte führen und über das dortige Geschehen aufklären können. Meines Wissens war sie zu der Zeit die einzige kompetente Person, die das seit 1963 tat.“

Eckard Bretzke: Gertrud Schröter – Kämpferin gegen das Vergessen. Beilage zum Rundbrief 37, Oktober 2020, S. 2

Wenn sie gefragt wurde, ob sie im KZ gewesen sei, antwortete sie: „Nein, ich nicht, aber mein Vater. und ich habe damals nicht einmal gewusst, wo er inhaftiert war.“[13][14]

Politische Arbeit und Nachleben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Celle wurde von Frauenrechtlerinnen am 8. März 2020 der Thaerplatz in Gertrud-Schröter-Platz umbenannt.[15][16] Das Mahnmal zum Massaker von Celle hat Gertrud Schröter in der Entstehungsphase stark kritisiert: ""Ein Hohn! Von den 250 eingereichten Entwürfen der weitaus schlechteste!" schimpft die Celler Bürgerin Gertrud Schröter, die noch heute, mit 82 Jahren, Führungen durch Bergen-Belsen leitet. "Im Kasten spielen die Kurdenkinder. Und wenn der Baum in der Mitte die Blätter abwirft, ist der Text zugedeckt. So soll es wohl auch sein"!"[17]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gertrud Schröter, Ein Jahr Haft und ein Verdienstkreuz, in: Publikation der GRÜNEN-Landtagsfraktion zu 50 Jahre kritisches Niedersachsen, 1997
  • Maria von Fransecky: Alles, was vergessen wird, geschieht. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 1988, ISBN 3-88132-074-1.
  • AG Bergen-Belsen: Gertrud Schröter – Kämpferin gegen das Vergessen. Beilage zum Rundbrief 37, Oktober 2020.
  • Rolf Gössner: Nachruf auf eine "Landesverräterin", Neues Deutschland vom 1. September 1999
  • Rolf Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung mit dem Osten? Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1998, akt. und erw. Neuaufl., ISBN 3-7466-8026-3.
  • Lutz Lehmann: legal & opportun. Politische Justiz in der Bundesrepublik. Voltaire-Verlag, 1966

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. DKP Celle (Herausgeber): Otto Elsner. Ein Celler Arbeiterfunktionär (1985)
  2. Gertrud Schröters Vater war kommunistischer Abgeordneter im Celler Stadtparlament. Nach dem Reichstagsbrand 1933 kam er ins Celler Zuchthaus und 1934 ins KZ Sonnenburg - heute in Polen: Słońsk.
  3. Mai 1945 ernannten die Engländer meinen Vater zum Dezernenten für Wohnungs- und Siedlungswesen. Mein Vater wurde als Abgeordneter in den Rat der Stadt Celle gewählt (von 1919 - 1933 und von 1949 - 1953) und genoß unter der Bevölkerung hohes Ansehen. (Quelle: Maria von Fransecky, S. 25).
  4. "Ich habe mich in dem demokratischen Frauenbund, dem ich angehörte, ganz besonders um Kinderprobleme gekümmert. Wir haben ... Ferienlager eingerichtet und mit den Kindern in den großen Ferien drei Wochen Ferienerholung gemacht. Das war eine wunderbare Sache. Aber das hatte sich schnell herumgesprochen und es haben sich so viele gemeldet, daß wir noch mehr Ferienlager hätten einrichten müssen. Das war unmöglich, es wurde eine Finanzfrage für uns. ... Dann bekamen wir 1954 ein Angebot aus der DDR, mit den Kindern in die dort schon lange bestehenden Betriebsferienlager zu kommen. Wir haben das mit großer Freude angenommen und sind sieben Jahre lang jedes Jahr mit einen[!] Sonderzug der Bundesbahn mit 1000 Kindern von Hannover in die DDR gefahren. ... Die Kinder haben drei Wochen fabelhafte Ferien verlebt. Allerdings in der DDR, und dann auch noch mit Kindern! Da ging die Hetze an den Schulen los, da wurden die Eltern davor gewarnt, ihre Kinder nicht mitzuschicken, denn die würden dort kommunistisch beeinflusst. Lächerlich, wir sollten in drei Wochen das schaffen, was der DDR in 40 Jahren nicht gelungen ist. ... Und dann bekamen wir ... wie ein Blitz aus heiterem Himmel im April 61 eine Anklageschrift, zusammengebastelt von Karl-Heinz Ottersbach, Staatsanwalt am Landgericht Lüneburg." aus: Gertrud Schröter, EIN JAHR HAFT UND EIN VERDIENSTKREUZ, in: Publikation der GRÜNEN-Landtagsfraktion zu 50 Jahre kritisches Niedersachsen, S. 30
  5. Burga Kalinowski, Kinderfreizeit vor Gericht Westdeutsche Kinder in DDR-Ferienlager. Verbot der Aktion »Frohe Ferien für alle Kinder«, in: Junge Welt, Dienstag, 13. April 2021, Nr. 85.
  6. Jens Niederhut, Frohe Ferien in der DDR/Kommunismus und Antikommunismus in den 1950er Jahren, 16. November 2011 im Deutschlandarchiv der Bundeszentrale für Politische Bildung.
  7. Thomas Gerlach beschreibt in einem Artikel der taz das Engagement von Gertrud Schröter und ihrer Freundin Elfriede Kautz. Thomas Gerlach: Anklägerin im leeren Raum, taz, 29. Juni 2000
  8. Diether Posser - Anwalt des Rechtsstaates in restaurativen Zeiten
  9. Diether Posser, Anwalt im kalten Krieg - Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968, C. Bertelsmann Verlag, Zweite Auflage 1991, S. 209–214
  10. Es hatte viele Proteste von Persönlichkeiten wie Gustav Heinemann, Heinrich Albertz, Martin Niemöller u. a. gegeben.(siehe Eckard Bretzke/AG Bergen-Belsen, Gertrud Schröter - Kämpferin gegen das Vergessen, (o. J.), S. 4)
  11. Rolf Gössner: Nachruf auf eine "Landesverräterin", Neues Deutschland, 1. September 1999
  12. Rolf Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung mit dem Osten? Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1998, akt. und erw. Neuaufl., ISBN 3-7466-8026-3, S. 116
  13. Eckard Bretzke: Gertrud Schröter – Kämpferin gegen das Vergessen. Beilage zum Rundbrief 37, Oktober 2020, S. 3.
  14. "Da werde ich oft gefragt, ob ich auch dort gesessen habe. 'Nein', sage ich dann, 'ich habe Glück gehabt. Ich bin nicht erwischt worden von der Gestapo damals, aber das hat die Adenauer-Regierung dann nachgeholt. ... ich habe niemanden umgebracht, keinem was geklaut, ich habe mich dafür eingesetzt, daß Kinder aus sozial schwachen Familien während der großen Ferien Urlaub machen konnten. Dann sehe ich sehr zweifelnde Gesichter, weil niemand glaubt, daß ich dafür im Gefängnis gewesen bin. Dieser Makel hängt mir bis heute an. ... auf der einen Seite ein Verdienstkreuz, auf der anderen Seite nicht rehabilitiert, keine Wiedergutmachung. Aber bis heute ist immer noch nichts geschehen, um dieses Unrechtsurteil von damals aufzuheben." (Gertrud Schröter, Ein Jahr Haft und ein Verdienstkreuz, in: Publikation der GRÜNEN-Landtagsfraktion zu 50 Jahre kritisches Niedersachsen, 1997, S. 34)
  15. Gertrud-Schröter-Platz in Celle eingeweiht
  16. Weltfrauentag: Aus Thaerplatz wird Gertrud-Schröter-Platz (Celle heute, 10. März 2020) (Memento des Originals vom 14. April 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/celleheute.de
  17. in: Peter Schneider, Was die Zwanzigjährigen der Holocaust angeht