Henkelzerlegung

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In der Differentialtopologie, einem Teilgebiet der Mathematik, ist die Henkelzerlegung die Grundlage für die Klassifikation und Beschreibung von Mannigfaltigkeiten.

Definition: Ankleben eines Henkels[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese 3-dimensionale Mannigfaltigkeit entsteht durch Ankleben dreier 1-Henkel an einen 0-Henkel.

Notation: bezeichne die -dimensionale Vollkugel, die -dimensionale Sphäre.

Im Folgenden bezeichnen wir als -Henkel einer -dimensionalen Mannigfaltigkeit das Produkt

mit der durch die Produktstruktur gegebenen Zerlegung

.

wird als Kern und als Kokern des Henkels bezeichnet.

Nun sei eine -dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand. Das Ergebnis des Anklebens eines -Henkels ist die Mannigfaltigkeit

mit der Äquivalenzrelation erzeugt durch für alle ,

für eine Einbettung . Durch kanonisches Glätten der Ecken erhält man eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.[1] (Insbesondere ist das Ankleben eines -Henkels die disjunkte Vereinigung mit einem -Ball ).

Die so erhaltene Mannigfaltigkeit ist eindeutig bestimmt durch die Einbettung oder äquivalent durch eine gerahmte Einbettung .

Die Sphäre heißt die Anklebesphäre und die Sphäre heißt die Gürtelsphäre.

Henkelzerlegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jede kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit besitzt eine Henkelzerlegung.

Der Beweis dieses Satzes benutzt Morse-Theorie. Zu jeder differenzierteren Mannigfaltigkeit gibt es eine Morse-Funktion , deren kritische Punkte unterschiedlichen Funktionswerten entsprechen (und nicht auf dem Rand liegen). Der Satz folgt dann mittels vollständiger Induktion aus folgender lokalen Beschreibung der Umgebung eines kritischen Punktes.

Es sei eine -Funktion mit genau einem kritischen Punkt in und keinen weiteren kritischen Punkten in (für ein geeignetes ). Dann entsteht aus durch Ankleben eines -Henkels, wobei der Index des kritischen Punktes in ist.

Dieser Satz geht auf Stephen Smale zurück, der 1961 einen Beweis skizzierte und die Henkel-Zerlegung dann zum Beweis der Poincaré-Vermutung in Dimensionen benutzte.[2] John Milnor bewies in seinem Buch „Morse Theory“ eine schwächere Version, die besagt, dass homotopieäquivalent zu dem aus durch Ankleben einer k-Zelle entstehenden Raum ist.[3] Ein vollständiger Beweis wurde 1963 von Palais gegeben.[4] vereinfachte Fassungen finden sich bei Fukui[5] und Madsen-Tornehave.[6]

Niedrigdimensionale Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Klassifikation der Flächen: Jede geschlossene, orientierbare Fläche besitzt eine Henkelzerlegung aus einem 0-Henkel, 1-Henkeln und einem 2-Henkel. Die Zahl ist das Geschlecht der Fläche.
  • Heegaard-Zerlegung von 3-Mannigfaltigkeiten: Ein (3-dimensionaler) Henkelkörper vom Geschlecht entsteht durch Ankleben von 1-Henkeln an einen 0-Henkel. Als Heegaard-Zerlegung bezeichnet man die Zerlegung einer 3-Mannigfaltigkeit in zwei Henkelkörper. Jede geschlossene, orientierbare 3-Mannigfaltigkeit besitzt eine Heegaard-Zerlegung, das minimal mögliche wird als Heegaard-Geschlecht bezeichnet. Eine Heegaard-Zerlegung bestimmt eine Henkelzerlegung der 3-Mannigfaltigkeit in einen 0-Henkel, 1-Henkel, 2-Henkel und einen 3-Henkel.
  • Kirby-Kalkül: Henkelzerlegungen 4-dimensionaler Mannigfaltigkeiten werden durch Kirby-Diagramme beschrieben.

Relative Henkelzerlegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es sei eine kompakte, differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer Zerlegung des Randes in (möglicherweise leere) Teilmengen

.

Eine Henkelzerlegung von relativ zu ist eine Darstellung von als durch sukzessives Ankleben von Henkeln an konstruierte Mannigfaltigkeit. Mittels Morse-Theorie kann man zeigen, dass es zu jedem solchen Paar eine Henkelzerlegung von relativ zu gibt.[7]

Cerf-Theorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwei Henkelzerlegungen derselben Mannigfaltigkeit lassen sich durch Henkelgleiten (engl.: handle slide) und Hinzufūgen oder Weglassen zweier komplementärer Henkel (engl.: cancellation) ineinander überführen.

Henkelgleiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Mannigfaltigkeit entstehe aus durch Ankleben eines -Henkels mittels der Anklebe-Abbildung . Es sei eine Isotopie mit und . Dann ist die durch Ankleben eines -Henkels an mittels der Verklebeabbildung konstruierte Mannigfaltigkeit diffeomorph zu .

Insbesondere kann man einen -Henkel stets so ankleben, dass seine Anklebesphäre disjunkt von den Gürtelsphären aller -Henkel mit ist. Als Folgerung daraus kann man für jede kompakte, differenzierbare Mannigfaltigkeit eine Henkelzerlegung so konstruieren, dass Henkel in aufsteigender Folge ihrer Indizes an eine Menge von -Henkeln angeklebt werden, d. h. für werden die -Henkel nach den -Henkeln angeklebt.

Komplementäre Henkel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein -Henkel und ein -Henkel heißen komplementär, wenn die Anklebesphäre des -Henkels die Gürtelsphäre des -Henkels in genau einem Punkt transversal schneidet.

Wenn eine Mannigfaltigkeit aus einer Mannigfaltigkeit durch Ankleben eines -Henkels und anschließendes Ankleben eines zu diesem komplementären -Henkels entsteht, dann ist diffeomorph zu . Als Folgerung daraus kann man eine Henkel-Zerlegung stets so wählen, dass es genau einen 0-Henkel gibt und weiterhin, falls bzw. so dass es genau einen bzw. keinen -Henkel mit gibt.

Satz von Cerf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwei (relative) Henkelzerlegungen eines Paares (mit in aufsteigender Reihenfolge der Indizes angeklebten Henkeln) lassen sich durch eine Folge von Henkel-Gleiten, Hinzufügen/Entfernen eines komplementären Henkelpaares und Isotopien ineinander überführen.[8]

Chirurgien (Sphärische Modifikationen) und Zusammenhang zur Kobordismustheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2-Chirurgie der 2-Sphäre

Wenn eine Mannigfaltigkeit aus durch Ankleben eines -Henkels entsteht, dann entsteht die (m-1)-Mannigfaltigkeit aus durch eine -Chirurgie, d. h. durch Ausschneiden der eingebetteten und anschließendes Einkleben von mittels der kanonischen Identifikation

.

(Diese Chirurgien werden in der Literatur auch als sphärische Modifikationen bezeichnet.)

Sei ein Kobordismus zwischen geschlossenen Mannigfaltigkeiten und , also eine kompakte Mannigfaltigkeit mit . Dann erhält man mit dem Satz von Smale eine Henkelzerlegung von relativ zu und mithin eine Konstruktion von aus durch eine Abfolge von Chirurgien (sphärischen Modifikationen).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Robert E. Gompf, András I. Stipsicz: 4-manifolds and Kirby calculus (= Graduate Studies in Mathematics. 20). American Mathematical Society, Providence RI 1999, ISBN 0-8218-0994-6.
  • Yukio Matsumoto: An introduction to Morse theory (= Translations of Mathematical Monographs. 208 = Iwanami Series in Modern Mathematics.). Translated from the 1997 Japanese original by Kiki Hudson and Masahico Saito. American Mathematical Society, Providence RI 2002, ISBN 0-8218-1022-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stephen Smale: On the structure of 5-manifolds. In: Annals of Mathematics. Band 75, Nummer 1, 1962, S. 38–46, JSTOR:1970417.
  2. Stephen Smale: Generalized Poincaré’s conjecture in dimensions greater than four. In: Annals of Mathematics. Band 74, Nummer 2, 1961, S. 391–406, JSTOR:1970239.
  3. John Milnor: Morse theory. Based on lecture notes by M. Spivak and R. Wells (= Annals of Mathematics Studies. 51). Princeton University Press, Princeton NJ 1963.
  4. Richard S. Palais: Morse theory on Hilbert manifolds. In: Topology. Band 2, Nummer 4, 1963, S. 299–340, doi:10.1016/0040-9383(63)90013-2.
  5. Takehiro Fukui: On a proof of theorem in passing a critical level. In: Mathematical Seminar Notes. Kobe University. Band 3, 1975, S. 71–74.
  6. Ib Madsen, Jørgen Tornehave: From Calculus to Cohomology. De Rham cohomology and characteristic classes. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1997, ISBN 0-521-58059-5 (Appendix C).
  7. John Milnor: Lectures on the h-Cobordism Theorem. Notes by Laurent Siebenmann and Jonathan Sondow. Princeton University Press, Princeton NJ 1965.
  8. Jean Cerf: La stratification naturelle des espaces de fonctions différentiables réelles et le théorème de la pseudo-isotopie. In: Publications Mathématiques de l’IHÉS. Band 39, 1970, S. 5–173.