Illyrer

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Die Illyrer (oder Illyrier) waren eine Gruppe von Stämmen, die in der Antike auf der nordwestlichen Balkanhalbinsel und im südöstlichen Italien, also an der Adriaküste und im zugehörigen Hinterland lebten. Der Wohnraum der Illyrer auf der Balkanhalbinsel wird in der antiken griechischen und römischen Geschichtsschreibung als Illyrien bezeichnet. Von den italischen Stämmen sind den griechischen Autoren nur die Messapier bekannt. Vergleicht man aber die messapischen Sprachdenkmäler mit den wenigen balkanillyrischen Fragmenten, zeigt sich die Richtigkeit dieser Zuordnung. Die illyrische Sprache ist durch ihre spärliche Überlieferungslage immer noch schwer einzuordnen, aber immerhin als indogermanisch erkennbar.

Die Zugehörigkeit der Illyrer zu mittel- und ostmitteleuropäischen Kulturen (wie der Lausitzer Kultur oder der Urnenfelderkultur) ist umstritten. Ein Grund für die Schwierigkeit der Einordnung ist, dass die Errungenschaften einer Kultur selten auf eine Ethnie beschränkt blieben und auch von Nachbarvölkern übernommen wurden. Auch stimmen die Verteilung von Sprachen und materieller Kultur nicht notwendigerweise überein.

Begriffsgeschichte

Schon in der Antike wurde der Name „Illyrer“ (lateinisch Illyrii und Illyri, griechisch Vorlage:Polytonisch) uneinheitlich gebraucht, und die Zahl der Stämme, die von antiken Geografen und Historikern zu ihnen gezählt wurden, wuchs im Zuge der Erkundungsfahrten der Griechen entlang der Adria. Erstmals tauchen sie bei Hekataios von Milet (5. Jahrhundert v. Chr.) auf, der (in den erhaltenen Fragmenten) die Japyger, Taulantier, Chelidonier, Sesarether und Abrer zu ihnen zählt. Sein weiteres Wissen über diese Stämme ist unklar, da nicht überliefert. Herodot nennt in seinen Historien (I 96) das Volk der Vorlage:Polytonisch (Illyriōn Enetoí) als Nachbarn der Triballer, Dardaner und Makedonen. Diese Lokalisierung macht eine Gleichsetzung mit den oberitalischen Venetern wenig glaubwürdig und hat zu der Annahme geführt, Herodots Vorlage:Polytonisch seien nur ein Stamm der Makedonen.

Der Periplus des Pseudo-Skylax (4. Jahrhundert v. Chr.) hat bereits nähere Kenntnis von den Illyrern und scheidet sie in Stämme an der Küste und solche im Hinterland. Zu den ersteren zählen dem Verfasser zufolge die Buliner, Hyller, Hierastammer, Nestäer, Manier, Encheleer, Taulantier, Oriker und Amantier, zu den letzteren die Autariaten, Atiutaner und Dexarer. Dass die Japyger in dieser Aufzählung fehlen, lässt sich mit deren Vertreibung durch die Liburner erklären. Diese Festlegung der Illyrer als Volk an der Adriaküste auf dem Balkan, deren Nachbarn im Norden die Liburner und im Süden die Chaonier waren, galt im griechischen Kulturraum bis zur Zeit der Eroberung durch die Römer, und noch das Geschichtswerk des Pseudo-Skymnos (2. Jahrhundert v. Chr.) hält es damit.

In der Römerzeit verwischte dieser Schärfe. Durch die Einbeziehung der Balkanhalbinsel in das Römische Reich und die Einrichtung der Provinz Illyricum beschleunigte sich die unterschiedlose Verwendung des Namens „Illyrer“. Der römische Historiker Florus zählt die Liburner bereits zu den Illyrern (I 21), Eustathios und Appian (Illyr. 8) die Histrier und Strabon neben diesen die Stämme der Breuni und Genauni in den Alpen (VII 314). Um der Verallgemeinerung entgegenzuwirken, empfehlen Pomponius Mela (II 56) und Plinius der Ältere (in seiner naturalis historia III 144), ihn nur noch im Zusammenhang mit den „Illyrii proprie dicti“ (Illyrer im engeren Sinne) zu verwenden. Damit bezogen sie sich auf die illyrischen Stämme, die an der mittleren italischen Adriaküste beheimatet waren. In den Berichten kaiserzeitlicher Autoren bewegen sich die Illyrer meist zwischen Donau und Save im Norden und Epirus (Nordalbanien) im Süden, von der Adria bis ins Hinterland gelten sie als Nachbarn der Thraker.

Zu den illyrischen Stämmen Italiens gehörten die Daunier, Peuketier, Kalabrer und Japyger sowie drei Stämme, die in Italien neue Namen angenommen hatten: Messapier, Sallentiner und Poediculi. Abgesehen von den etwa 260 messapischen Inschriften haben wir von diesem Zweig der Illyrer keine nennenswerten Sprachzeugnisse erhalten.

Geschichte der Illyrer

Je nach den landschaftlichen Gegebenheiten bildeten Viehzucht oder Ackerbau die ökonomische Basis der eisenzeitlichen Bewohner Illyriens. An der Wende vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend dominierten noch die Hirtenkulturen. In den Gebirgsregionen des westlichen Balkans änderte sich daran wenig, während sich in den Ebenen der Feldbau durchsetzte. Die eisenzeitliche illyrische Gesellschaft war in Sippen- und Familienverbänden gegliedert. Anhand der Grabfunde ist belegbar, dass die einzelnen Stammesgebiete von Fürsten beherrscht wurden, deren Familien sich sozial deutlich von der übrigen Bevölkerung abhoben.

Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. legten griechische Siedler Kolonien im illyrischen Siedlungsgebiet an. Durch den nicht immer friedlichen Kontakt der Illyrer zu den griechischen Städten kam es zur Übernahme griechischer Kulturelemente. Griechische Luxuswaren wurden Prestigegüter der illyrischen Eliten. In den großen und reich ausgestatteten Sippengrabhügeln im Mati-Tal (Nordalbanien) oder am Ohrid-See fanden sich zahlreiche griechische Importe.

Die verstärkten griechischen Einflüsse zeigen sich besonders in der Entstehung und im Ausbau der befestigten Höhensiedlungen zu städtischen Zentralorten (z. B. Byllis und Berat), was mit bedeutenden Veränderungen in der Wirtschaft und der Gesellschaftsstruktur verbunden war. Städtisches Handwerk und Handel gewannen an Bedeutung, und die Illyrer betrieben nun auch Seefahrt an den Küsten der Adria (Handel und Piraterie). Auf der Basis der Städte entstanden seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. kleinere Fürstentümer. Es kam auch zu meistens recht kurzlebigen Reichsbildungen.

Für das 4. Jahrhundert v. Chr. gibt es vermehrt schriftliche Nachrichten über die Illyrer von griechischen Historikern. Häufig war das Königreich Makedonien in jener Zeit in Kriege mit den Illyrern und den Molossern in Epirus verwickelt. Der makedonische König Perdikkas III. fiel im Jahr 359 v. Chr. im Kampf gegen die Illyrer unter deren König Bardyllis.

Sein Nachfolger, König Philipp II. (359–336 v. Chr.) konnte die Illyrer entscheidend schlagen. Von einer Einverleibung in das Reich Alexander des Großen (336–323 v. Chr.) blieben die Illyrer jedoch verschont, und im 3. Jahrhundert konnte mehrere illyrische Könige (etwa Glaukias, Agron) bedeutende regionale Herrschaften errichten.

Die Illyrer waren zu dieser Zeit auch als Seeräuber berüchtigt. Deshalb unterstellten sich im Jahr 230 v. Chr. einige griechische Kolonien im adriatischen Küstengebiet und auf den vorgelagerten dalmatinischen Inseln dem Schutz Roms. Im anschließenden Ersten Illyrischen Krieg 229–228 v. Chr. errichteten die Römer einen Brückenkopf an der dalmatinischen Küste. Im Zweiten Illyrischen Krieg (219 v. Chr.) gelangte die Region größtenteils unter römische Herrschaft. Der letzte illyrische König Genthios, der in Shkodra residierte, wurde von den Römern 168 v. Chr. besiegt und gefangen nach Rom geführt. Die illyrischen Gebiete wurden in von den Römern abhängige Klientelstaaten aufgeteilt.

Unter Caesar wurde das Gebiet der Illyrer schließlich als Provinz Illyricum in das Imperium eingegliedert. Im Anschluss an einen missglückten Aufstand kurz nach der Zeitenwende setzte eine intensive Romanisierung ein. Mit dem Erreichen der Donaugrenze unter Augustus wurden die Provinzen Dalmatia und Pannonia geschaffen. Die Truppen des spätrömischen Reiches in dieser Region bestanden zu großen Teilen aus romanisierten Illyrern. Mehrere römische Kaiser kamen aus Illyrien, z. B. Claudius Gothicus, Aurelian, Probus, Diokletian und Konstantin. Nach dem Einfall der Slawen ging die romanisierte illyrische Vorbevölkerung, wie auch die Thraker, im Laufe weniger Jahrhunderte zum großen Teil in den Südslawen auf.

Moderner Illyrismus

Durch ihren halb legendenhaften Charakter eigneten sich die Illyrer gut als Anknüpfungspunkt für nationale Identitätsstiftung. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es Bestrebungen im Raum der Balkanhalbinsel, die Herkunft des eigenen Volkes auf antike Völker zurückzuführen.

Südslawischer Illyrismus

Die Vorkämpfer des südslawischen Nationalismus im 19. Jahrhundert behaupteten, dass ihre Völker von den Illyrern abstammen. Besonders verbreitet war diese These bei den Kroaten. Der südslawische Illyrismus postulierte die ethnische Einheit aller Südslawen, die nur in eng verwandte Stämme untergliedert seien. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts spielte die Illyrerthese für die südslawischen Nationalismen keine Rolle mehr.

Illyrer und Albaner

Die Beziehung der antiken Illyrer zu den modernen Albanern ist umstritten. Vor allem albanische, aber auch nichtalbanische Forscher sind der Meinung, dass die albanische Sprache eine Nachfolgerin des Illyrischen sei. Da es nur sehr wenige Quellen, ausschließlich kurze Inschriften, für die illyrische Sprache gibt, ist eine Beweisführung sehr schwierig. Neben der direkten Abkunft der Albaner von den Illyrern wird auch eine spätere Einwanderung der Albaner in ihren heutigen Sprachraum erwogen, in dem sich noch Illyrer fanden. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die Illyrer zwar durchaus in einer Beziehung zu den heutigen Albanern stehen, aber dabei nur eines von mehreren Elementen der Ethnogenese darstellen. Der Artikel zur illyrischen Sprache gibt darüber nähere Auskunft.

Literatur

  • Neritan Ceka: Ilirët. Tiranë 2000. ISBN 99927-0-098-X
  • Hansjörg Frommer: Die Illyrer. 4000 Jahre europäischer Geschichte. Vom 3. Jahrtausend bis zum Beginn der Neuzeit. Karlsruhe 1988. ISBN 3-88190-100-0.
  • Gianpaolo Urso (Hrsg.): Dall'Adriatico al Danubio. l'Illirico nell'età greca e romana. Atti del Convegno internazionale, Cividale del Friuli, 25-27 settembre 2003. (=I convegni della Fondazione Niccolò Canussio. 3). Pisa 2004. ISBN 88-467-1069-X.
  • John Wilkes: The Illyrians. Oxford [u.a.] 1995. ISBN 0-631-19807-5
  • Albanien. Schätze aus dem Land der Skipetaren. (Ausstellungskatalog). Mainz 1988.
  • Staso Forenbaher und Timothy Kaiser: Spila Nakovana: Ilirsko svestiste na Peljescu / An Illyrian sanctuary on the Peljesac peninsula. Zagreb 2003 [1]
  • Andreas Lippert (Hrsg.): Die Illyrer. Katalog zu einer Ausstellung von archäologischen Funden der albanischen Eisenzeit (12. - 4. Jh. v. Chr.) aus den Sammlungen des Archäologischen Institutes der Albanischen Akademie der Wissenschaften in Tirana und des Archäologischen Museums in Durrës. Sonderausstellung im Museum für Urgeschichte des Landes Niederösterreich, Asparn an der Zaya vom 3. April bis 30. November 2004. (=Katalog des NÖ. Landesmuseums. N.F. 448). St. Pölten 2004. ISBN 3-85460-215-4.
  • Pierre Cabanes: Les Illyriens de Bardylis à Genthios (IVe - IIe siècles avant J.-C.). (= Regards sur l'histoire. 65). Paris 1988. ISBN 2-7181-3841-6
  • Pierre Cabanes (Hrsg.): L’ Illyrie méridionale et l’Epire dans l’antiquité. Actes du colloque international de Clermont-Ferrand (22 - 25 octobre 1984). Clermont-Ferrand 1987.
  • Pierre Cabanes (Hrsg.): Grecs et Illyriens dans les inscriptions en langue grecque d'Epidamne-Dyrrhachion et d'Apollonia d'Illyrie. Actes de la table ronde internationale. (Clermont-Ferrand, 19 - 21 octobre 1989). Paris 1993. ISBN 2-86538-241-9
  • Maria Adele Cavallaro: Da Teuta a Epulo. Interpretazione delle guerre illyriche e histriche tra 229 e 177 a. C. Bonn 2004. ISBN 3-7749-3150-X
  • Hans Krahe: Die Sprache der Illyrier. Wiesbaden 1955.
  • Anton Mayer: Die Sprache der alten Illyrier. In: Schriftender Balkankommission (Linguistische Abteilung). Wien 1957
  • Peter Siewert: Politische Organisationsformen im vorrömischen Südillyrien. In: G. Urso (Hrsg.), Dall’Adriatico al Danubio. L’Illirico nell’età greca e romana. Pisa 2004. S. 53-61. (PDF)
  • Janko Draskovic: Ein Wort an Iliriens hochherzige Töchter über die ältere Geschichte und neueste literarische Regeneration ihres Vaterlandes. Agram 1838. (Eine Quelle zum kroatischen Illyrismus.)