Jakob Philipp Fallmerayer

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Jakob Philipp Fallmerayer, ca. 1860
Jakob Philipp Fallmerayer, Ölgemälde aus der Bildergalerie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Jakob Philipp Fallmerayer (* 10. Dezember 1790 in Pairdorf bei Brixen; † 25. April 1861 in München) war ein Orientalist und Publizist. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Forschung als Professor an der Universität München zur Geschichte des Kaisertums Trapezunt. Hochumstritten war seine unabhängig davon später aufgestellte These, dass die antiken Griechen ausgestorben seien und durch Slawen und Albaner verdrängt wurden. Die These gilt als wissenschaftlich widerlegt und wurde in der NS-Propaganda als Rechtfertigung für die Verbrechen während der Griechenland-Besetzung instrumentalisiert.

Leben

Jakob Philipp Fallmerayer war der Sohn des Tagelöhners und Kleinbauern Johann Fallmerayer und dessen Ehefrau Maria Klammer. Durch ein Stipendium des Brixener Bischofs Karl Franz von Lodron gefördert, konnte Fallmerayer nicht nur seine Schulzeit erfolgreich abschließen, sondern anschließend auch an der Universität in Landshut studieren. Nach einem umfassend humanistisch ausgerichteten Studium wechselte Fallmerayer an die Universität nach Salzburg, um dort bei Albert Nagnzaun orientalische Sprachen zu studieren. Mit 23 Jahren beendete Fallmerayer sein Studium und trat 1813 in die bayerische Armee ein. Nach dem Krieg gegen Frankreich ließ er sich als Privatdozent in Lindau nieder. 1818 berief man ihn zum Primärlehrer an das Gymnasium bei St. Anna in Augsburg und drei Jahre später wechselte Fallmerayer in gleicher Position nach Landshut.

1826 betraute man Fallmerayer mit einem Lehrauftrag und ernannte ihn zum Professor für Philologie und Universalhistorie an der Universität München. Dieses Amt hatte er bis zu seiner Entlassung 1848 inne. Während dieser Jahre entstand seine viel diskutierte Schrift „Geschichte des Kaisertums in Trapezunt“ (1827), mit der er das Werk „Imperii Trapezuntini Historia“ von Pehr Afzelius fortführte und durch neue Quellen erweiterte. Für diese Veröffentlichung wurde Fallmerayer durch die Königlich Dänische Akademie der Wissenschaften gelobt und sein Werk preisgekrönt. Über den Altphilologen Georg Anton Friedrich Ast lernte Fallmerayer den russischen General Alexander Iwanowitsch Ostermann-Tolstoi kennen und begleitete diesen von 1831 bis 1834 auf dessen Forschungsreise durch Griechenland und den Vorderen Orient.

Inschrift von Jakob Philipp Fallmerayer im Großen Tempel von Ramses II, Abu Simbel, Ägypten

1834 kehrte Fallmerayer nach München zurück, doch der Staatsdienst blieb ihm ab sofort versperrt, da sich seine wissenschaftlichen Ansichten nicht mehr mit der allgemeinen Lehrmeinung vereinen ließen. Nach eigenen Aussagen war ihm die 1835 von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angebotene Mitgliedschaft ein großer Trost. Seinen Lebensunterhalt verdiente Fallmerayer nun als Privatdozent und als freier Mitarbeiter der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Unterstützt durch den Chefredakteur Gustav Kolb schrieb Fallmerayer Feuilletons und Essays zu meist politischen Themen, Griechenland und den Vorderen Orient betreffend. Auch stellte er in seinen Artikeln stets die russische Bedrohung dar, indem er den Zaren verdächtigte, die Weltherrschaft anzustreben. In den Jahren 1840/1842 und 1847/1848 bereiste Fallmerayer weitere Male den Vorderen Orient, die Reisen wurden hauptsächlich durch seine Arbeit bei der Augsburger Allgemeinen Zeitung finanziert.

Vom 18. Mai 1848 bis zum Ende des Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 war er Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung für den Wahlkreis München II. Obwohl Fallmerayer sich in diesem Amt nur passiv betätigte, wurde er aufgrund seiner politischen Tätigkeit als Geschichtsprofessor entlassen. Im Alter von 70 Jahren starb Jakob Philipp Fallmerayer am 25. April 1861 in München.

Im Jahr 1956 wurde in Wien Floridsdorf (21. Bezirk) der Fallmerayerweg nach ihm benannt. In München trägt eine Straße im Stadtbezirk 4 Schwabing-West seinen Namen, in Innsbruck eine Straße in der Innenstadt. In Brixen wurden eine Straße und das Oberschulzentrum nach Fallmerayer benannt.

Bedeutung

Bekannt wurde Fallmerayer hauptsächlich durch seine ethnogeografischen Arbeiten. Ab 1830 zog er sich vor allem mit seiner umstrittenen These, dass die antiken Griechen im Mittelalter ausgestorben und durch hellenisierte Slawen und Albaner verdrängt worden seien, den Hass von Philhellenen und griechischen Patrioten zu. Sein wichtigstes Werk ist hingegen seine Geschichte des Kaiserthums Trapezunt, welches vor seinen Forschungsarbeiten praktisch unbekannt war.

In Deutschland warf man ihm zeitweise panslawistische Propaganda vor. Seine volkskundlichen Werke wurden später aber auch für die balkanpolitische Propaganda der Nationalsozialisten verwendet. Fallmerayers ethnologische Thesen werden nicht nur deshalb heute nicht mehr vertreten. Nur seine rein geografischen Werke wurden publiziert.

Fallmerayers These zur Ethnogenese der heutigen Griechen

Das 1830 herausgegebene Werk Fallmerayers Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters (Peloponnes) löste kontroverse Reaktionen aus. Darin postulierte er eine einheitliche hellenische Ethnie im antiken Griechenland und stellte anhand slawischer bzw. albanischer Ortsnamen sowie der bereits früher umstrittenen Chronik von Monemvasia weiter die These auf, dass diese antiken Griechen im Mittelalter völlig ausgerottet worden seien. Wörtlich schrieb er:

„Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet […] Denn auch nicht ein Tropfen edlen und ungemischten Hellenenblutes fließt in den Adern der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlands.“

Mit der Folgerung, die Bewohner des griechischen Staates mit den Grenzen von 1830 seien lediglich hellenisierte Slawen und Albaner, hatte Fallmerayer die Philhellenen Westeuropas und griechische Patrioten gleichermaßen verärgert. Eine Übersetzung seiner heftigst umstrittenen Thesen ins Griechische kam nicht vor den 1980er Jahren zustande.

Griechische Gelehrte des 19. Jahrhunderts betonten die Kontinuität der griechischen Kultur, besonders Konstantinos Paparrigopoulos († 1891) und Konstantin Sathas. Im Gegensatz zu Fallmerayer vertrat Sathas die heute ebenfalls als widerlegt geltende Meinung, dass es auf dem Peloponnes im Mittelalter keine Slawen gegeben habe (Documents inédits relatifs à l’histoire de la Grèce au moyen âge, I, Paris 1880-88).

Die These, dass die antiken Griechen im Mittelalter völlig ausgerottet worden seien, relativierte er in seinem 1845 herausgegebenen Werk Fragmente aus dem Orient. Darin sprach Fallmerayer den kleinasiatischen Griechen des Schwarzen Meeres eine Kontinuität zum griechischen Mittelalter zu. Zwar äußerte er auch hier seine Enttäuschung, niemanden unter ihnen vorgefunden zu haben, der seinem Idealbild eines gebildeten griechischen Byzantiners entsprach, nannte sie aber „byzantinische Griechen“ und ihre Sprache „Matschuka-Griechisch“ (nach dem Ort Maçka, griech. Ματσούκα), wobei es sich vermutlich um eine Variante des pontischen Griechischen handelt. In einer für Fallmerayers Texte typischen, romanhaften Bezugnahme auf die hellenistische Zeit, bescheinigte er ihnen sogar die „schattige Miene der Kolchier“.

„Auf die Frage, was es zu essen gebe, kam die trostreiche Antwort: ἔχομεν ἀπ’ ὅλα ‚bei ihm finde man alles’. […] Man kann es nicht oft genug wiederholen, der byzantinische Grieche ist in allem das Gegenteil von uns, er ist hart gegen sich und gefühllos gegen den Nebenmenschen wie gegen das Thier. […] Sie grüßten auf Griechisch, waren Christen und dienten der Patronin ihres Thales, der Panagia von Sumelas.“

Im Großen und Ganzen gilt heute Fallmereyers These, auch in der von ihm selbst relativierten Form, als widerlegt – wenn sie auch auf einen historischen Kern verweist. A. Hohlweg hierzu:

„Seine Theorie ist ja nicht gänzlich falsch, d. h. sie enthält einen historischen Kern. Nur die Verallgemeinerung und Verabsolutierung, an welcher Fallmerayer so hartnäckig festgehalten hat, ist falsch. Zwar hat es Slaveneinfälle in Griechenland und auf der Peloponnes gegeben, aber nicht in dem Maße und auch nicht mit den Konsequenzen, wie Fallmerayer das behauptet hat.“ [1]

Historischer Kontext

Das antike Griechenland hatte für viele europäische Kulturen seit dem Römischen Reich eine idealisierende kulturelle und zivilisatorische Vorbildfunktion. Das christlich-orthodoxe, „slawische“ Russische Reich dagegen wirkte seit seinem Sieg über Napoléon Bonaparte für das liberalen Gedanken offenere Westeuropa eher unheimlich und bedrohlich. Was die Aufstände gegen das Osmanische Reich betraf, richtete sich die Aufmerksamkeit Westeuropas daher vor allem auf den einzigen nicht slawischen Brückenkopf im Reich der Türken, auf Griechenland. Gegen Fallmerayer erhob sich deshalb sofort Widerstand von Intellektuellen auch aus Deutschland (Karl Hopf) oder Österreich (Bartholomäus Kopitar). Auch der bayerische Philologe Friedrich Thiersch rechtfertigte die Griechische Revolution.

Die innige Beziehung vieler Deutscher zur altgriechischen Kultur illustriert die überschwängliche Bemerkung des deutschen Philhellenen Carl Icken: „Waren nicht ihre [der modernen Griechen] Urahnen auch unsere Väter in Gesinnung und in Ausübung der Tugend, in Worten und Werken, nicht auch unsere Ahnen in der Wissenschaft, nicht unsere Muster in der Poesie, unsere Lehrmeister in der Kunst; sind sie nicht noch jeden Augenblick Erzieher unserer Jugend, Bildner unseres Zartgefühls, Richtschnur für den Denker, Führer und Geleit dem Schriftsteller und dem Volkslehrer, Richtscheit für den Geschmack, Kompass und Leisten im Gebiet der Wahrheit, des Wissens und Empfindens?“

Einerseits wurde Fallmerayer als Panslawist betrachtet, andererseits wurde er später von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, die mit seinen Thesen zu begründen suchten, warum sie trotz ihrer offenkundigen Bewunderung für die alten Griechen die griechische Bevölkerung nach der Besetzung des Landes drangsalierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt seine als „slawische Überfremdung“ interpretierte These an den Universitäten der westlichen Welt als widerlegt.

Schriften (Auswahl)

Literatur

Siehe Michael Grünbart: Jakob Philipp Fallmerayer: Bibliographie der Sekundärliteratur, 1900–2011. Wien 2011, ISSN 1606-4216

  • Ludwig Steub: Fallmerayer, Jakob Philipp. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 6, Duncker & Humblot, Leipzig 1877, S. 558–566.
  • Herbert Seidler: Jakob Philipp Fallmerayers geistige Entwicklung. Ein Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1947. (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse N.F. 26)
  • Theodor Heuss: Jakob Philipp Fallmerayer, in: ders.: Schattenbeschwörung. Randfiguren der Geschichte. Wunderlich, Stuttgart/Tübingen 1947; Klöpfer und Meyer, Tübingen 1999, ISBN 3-931402-52-5
  • Arnulf Kollautz: Jakob Philipp Fallmerayer. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 5, Duncker & Humblot, Berlin 1961, ISBN 3-428-00186-9, S. 19 f. (Digitalisat).
  • Eugen Thurnherr (Hrsg.): Jakob Philipp Fallmerayer. Wissenschaftler – Politiker – Schriftsteller. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 1993 (Schlern-Schriften Bd. 292), ISBN 3-7030-0258-1
  • Thomas Leeb: Jakob Philipp Fallmerayer. Publizist und Politiker zwischen Revolution und Reaktion (1835–1861). Beck, München 1996. (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte Bd. 109)
  • Gustav Auernheimer: Fallmerayer, Huntington und die Diskussion um die neugriechische Identität. In: Südost-Europa 47 (1998), S. 1–17
  • Nikolas Wenturis: Kritische Bemerkungen zu der Diskussion um die neugriechische Identität am Beispiel Fallmerayer, Huntington und Auernheimer. In: Südost-Europa 49 (2000), S. 308–324
  • Michael Grünbart: Die Briefe von und an Jakob Philipp Fallmerayer. Wien 2001
  • Ellen Hastaba (Hrsg.): Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1861). Annäherungen an seine Biographie. Haymon Verlag, Innsbruck 2009. (Schriftenreihe historischer Quellen zur Kulturgeschichte Tirols Bd. 4)
  • Claudia Märtl (Hrsg.): Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1861), der Gelehrte und seine Aktualität im 21. Jahrhundert. Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 2013. ISBN 978-3-7696-0127-5

TV-Dokumentation

  • Peter Prestel, Rudolf Sporrer: Jakob Philipp Fallmerayer. Dreimal Orient und zurück; Bayerisches Fernsehen, Erstausstrahlung 2004.

Weblinks

Commons: Jakob Philipp Fallmerayer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Jakob Philipp Fallmerayer – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. A. Hohlweg: Jakob Philipp Fallmerayer und seine geistige Umwelt. In: E. Thurnher (Hrsg.): Fallmerayer. Seite 65.