Johanneskirche (Worms)

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Die Johanneskirche um 1800 (Zeichnung im Stadtarchiv Worms)

Die Pfarr- und Taufkirche St. Johannes stand in direkter Nachbarschaft des Wormser Domes. Das Kirchengebäude mit spätromanischen und frühgotischen Elementen wird 1200 urkundlich erstmals erwähnt. Vergleichende Untersuchungen an Abbildungen und erhaltenen Fragmenten lassen auf eine zeitgleiche Entstehung mit dem Westchor des Wormser Domes im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts schließen. Im Zuge der Säkularisation wurde das Gotteshaus verkauft und nach 1807 abgerissen. Heute befindet sich am einstigen Standort eine Rasenfläche mit Bäumen, die den Vorplatz zum Dom bildet.

Standort

Die Kirche stand südlich des Domes annähernd in der Flucht des Querhauses und war nur durch einen schmalen Weg von diesem getrennt. Durch diese Tatsache wird in der Kunst- und Architekturwissenschaft diskutiert, ob zumindest vorübergehend ein Verbindungsgang zwischen Dom und Kirche bestanden hat. Westlich, durch den Domplatz geschieden, standen das Kapitelhaus und daran anschließend der Kreuzgang.

Bischofsfigur an der Nikolauskapelle des Domes, mit Modell der Johanneskirche

Vorgängerbauten und Geschichte

Bei Bauarbeiten zum neugeplanten Haus am Dom 2015 wurden verschiedene Fundamente und der Boden eines großen, begehbaren Taufbeckens an der Stelle des ehemaligen Kapitelhauses gefunden. Erste Vermutungen gehen von einer merowingischen Taufkirche mit einer frühmittelalterlichen Taufpiscina aus. Weitere Untersuchungen stehen noch aus. Der Fund soll in den Neubau integriert werden.[1] (Stand: August 2015)

Einige Quellen sprechen auch von einem Baptisterium, das Anfang des 11. Jahrhunderts parallel zum Neubau des Domes durch Bischof Burchard begonnen und 1110 unter Bischof Ebbo vollendet wurde. Ob sich darin St. Johannes wiederfindet ist unklar. Eine gotische Bischofsfigur an der Außenwand der Nikolauskapelle mit einem achteckigen Zentralbau bezieht sich augenscheinlich auf St. Johannis und könnte Burchard als vermeintlichen Stifter oder einen seiner Nachfolger darstellen.

St. Johannes selbst wurde vermutlich im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts erbaut. In einem ersten Bauabschnitt um 1170 wurde der äußere Umgang errichtet, nach einer etwa zehnjährigen Unterbrechung folgte der Mittelbau.

Bei dem Stadtbrand von 1689 scheint die Kirche nur wenig beschädigt worden zu sein. In Kriegszeiten diente sie immer wieder unterschiedlichen Truppen als Magazin und Pferdestall. Eine Zeichnung von 1800 zeigt den Turm mit einer Barockhaube, im Gegensatz zum ursprünglich romanischen Turmdach mit Giebeln. Nach der Säkularisation wurde die Kirche außer Gebrauch gestellt, schließlich 1807 auf Abriss versteigert und war bis 1812 nahezu vollständig verschwunden. Abbruchmaterial und Erlös aus der Versteigerung kamen anderen Kirchen und dem Dom zur Wiederherstellung zugute.

Aussehen

Modell der Johanneskirche von Süden aus gesehen
Modell der Johanneskirche von Osten aus gesehen

Eine genaue Rekonstruktion des Gebäudes gestaltet sich schwierig, da keine exakten Pläne existieren. Aus der Zeit vor dem Abriss wird sie auf einer Stadtansicht von Peter Hamman und dessen Sohn Johann Friedrich um 1690 gezeigt, außerdem haben sich verschiedene Skizzen mit Teilansichten erhalten. Die heute noch vorhandenen Grundrisszeichnungen stammen allesamt aus der Zeit nach dem Abriss. Alle Abbildungen enthalten Ungenauigkeiten, offensichtliche Fehler und variieren in der Darstellung. Dennoch lässt sich durch Vergleiche der einzelnen Zeichnungen und Überreste das Aussehen der Kirche rekonstruieren.

Das Gebäude war ein zehneckiger Zentralbau mit drei Eingängen; je einer im Norden zum Dom hin, einer im Westen zum Domplatz und einer im Süden. Östlich befanden sich drei unterschiedliche polygonale Chöre. Ob der sich südlich anschließende rechteckige Turm mit vier Geschossen angebaut, in den Bau integriert oder auf den südlichen Chor aufgesetzt war, ist unklar.

Die Kirche war über einen kleinen Treppenaufgang zu erreichen. Der zentrale, zehnseitige Raum der Oberkirche war ebenso wie der der Krypta von einem Umgang umschlossen. Die Krypta saß zu zwei Dritteln im Boden und wurde durch schachtartige Fenster belichtet.

Die Fensteranordnung der Oberkirche ist nicht eindeutig überliefert. Es gibt Zeichnungen ohne Fenster, zwei Rundbogenfenstern oder zwei Rundbogenfenstern mit mittig darüber sitzendem Oculus pro Seite. Außen schloss der Umgang mit einer umlaufenden Zwerggalerie und einem darauf sitzendem Satteldach ab.

Über dem Zentralraum erhob sich ein zweites Geschoss, welches an allen zehn Seiten ein spitzbogiges Fenster besaß und ebenfalls von einer Zwerggalerie, mit eigenem Satteldach, umschlossen war. Den Mittelbau deckte ein steinernes Zeltdach mit bekrönendem Kreuz.

Von außen mutete das Gebäude romanisch an: rundbogige Fenster, Wandgliederung mit Eck- und Mittellisenen, Bogenfries und Zwerggalerie. Im Inneren finden sich aber bereits gotische Formen: Spitzbögen, Obergadenfenster, gotische Rippen und Knospenkapitelle. Dies spricht zum einen für eine längere Bauzeit und zum anderen für mehrere Bauabschnitte.

Im südlichen Querhaus des Wormser Domes befindet sich ein Modell des Domes und seiner direkten Umgebung, das ein Bild vermittelt, wie sich die Anlage im Mittelalter präsentierte.

Ausstattung

Johanneskirche innen, um 1800

Über die Ausstattung lässt sich nicht mehr viel sagen. Es werden in einzelnen Listen und Kapitelaufzeichnungen bis zu acht Altäre genannt. Die in der Krypta werden als steinern, „uralt“ und mit Haken- und Schürlöchern[2] bezeichnet. Bei Bauarbeiten zu Beginn des 20. Jh. fanden sich Reste des steinernen Unterbaus eines Altares in der Krypta und mehrere farbige Bodenfliesen mit Ritzzeichnungen. Zumindest zeitweise befanden sich die Wormser Tafeln in der Kirche. Bekanntestes ehemaliges Ausstattungsstück ist der gotische Löwentaufstein, der sich heute in der Nikolauskapelle des Domes befindet. Er trägt auf der Schauseite das Bildnis des Kirchenpatrons Johannes der Täufer.

1701 bis 1705 amtierte Carl Desiderius de Royer († 1707) als Pfarrer von St. Johannes. 1705 bis 1711 wirkte Johann Anton Wallreuther (1673–1734), der spätere Wormser Weihbischof, hier als Pfarradministrator und wurde am 18. Januar 1734 dort beigesetzt. Sein kunstvolles Porträt-Epitaph versetzte man beim Abriss der Johanneskirche in die Liebfrauenkirche.[3] Die heute im Dom hängenden Barock-Epitaphien des Wormser Bürgers und Handelsmannes Franz Joseph Brentano († 1747) und der Anna Gertrud Litzler († 1740, Mutter des Andreasstifts-Dekans Florian Litzler) wurden ebenfalls beim Abbruch der Johanneskirche nach hier übertragen.[4][5]

Im Thesaurus Palatinus, Band 2, von Johann Franz Capellini von Wickenburg († 1752) sind zahlreiche, inzwischen verlorene Epitaphinschriften aus der Kirche festgehalten. Eine davon ist die des Domscholasters Johann Lothar von der Hauben (1655–1723).

Funktion

Als Taufkirche wurde die Kirche erst Anfang des 18. Jahrhunderts bezeichnet. Vorher nannten sie die Quellen als Pfarrkirche. Für ein Baptisterium sprechen die Ausführung als Polygon und das Patrozinium des Heiligen Johannes, jedoch besaßen Taufkirchen für gewöhnlich keine Krypta.

In späterer Zeit wurde die Krypta als Beinhaus für den vor der Kirche liegenden Johannes-Friedhof genutzt. Auch eine Nachbildung der Jerusalemer Grabeskirche ist denkbar.

Kunsthistorische Bedeutung

Aus kunsthistorischer Sicht stellt der Abriss der Johanneskirche einen großen Verlust dar. Das Gebäude stand in der Tradition romanischer Zentralbauten, wie der Aachener Palastkapelle (Oktogon) oder der Wimpfener Stiftskirche (Hexagon).[6]

Keine der angefertigten Zeichnungen und Abbildungen ist so genau, dass man Einzelheiten, also Figurenschmuck, der Fassade darauf erkennen könnte. Doch haben sich eine große Anzahl an Fragmenten erhalten, die Rückschlüsse auf das Aussehen und den Bauschmuck zulassen. Bekannte Fragmente sind über mehrere Sammlungen in Worms, Frankfurt am Main (Liebighaus), Heidelberg (Kurpfälzisches Museum), Mainz (Dom- u. Diözesanmuseum) und sogar Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum) verstreut. Säulen von 1,70m Länge lassen auf eine gewaltige Zwerggalerie rückschließen; Löwenfiguren und Bestien, vergleichbar denen am Ostchor des Domes, befinden sich heute in Mainz. Sie bildeten einst die Basen und Kapitelle der Säulen und waren wahrscheinlich farbig gefasst. Aufgrund stilistischer Vergleiche wird ein aus Straßburg zugewanderter Meister vermutet, der am Dom für den Westchor verantwortlich zeichnet und Architekt der Johanneskirche war. Dieser Westchormeister war wohl gleichzeitig auch am Ostchor der ehemaligen Stiftskirche St. Paul, sowie am Männerbad der Wormser Synagoge (um 1171) tätig. Die allen diesen Bauten gemeinsamen spätromanischen Straßburger oder auch Wormser Kapitelle zeichnen sich durch einen zweizonig-ornamentalen Aufbau aus.[7]

Beschreibungen von Zeitzeugen

Der belgische Jesuit und Bollandist Daniel Papebroch (1628–1714) hält 1660 in seinen Reiseaufzeichnungen über die Johanneskirche fest:

An die Hauptkirche grenzt nach Landesbrauch die Pfarrkirche an; sie hat Achteckform und ist geräumig. Dieser Form entsprechend sind die Sitzgelegenheiten konzentrisch aufgestellt, sowohl im Mittelteil der Kirche, in dessen Zentrum ein Taufbecken steht, als auch außen herum. Aus einem solchen Grundriß springt ein bescheidener Chor vor.[8]

Johann Hermann Dielhelm berichtet 1744 in seinem „Rheinischen Antiquarius“, dass sie beim Stadtbrand von 1689 nicht zerstört worden sei und schreibt weiter:[9]

Gedachte St. Johanneskirche, so hart an dem Dom steht, ist ein altes starkes und sehenswürdiges Gebäude, inmassen sie aus lauter dicken Quadersteinen erbauet ist, und mehr denn 12 Schuh dicke Mauern und sehr schmale Fenster hat. Sie soll eine Nachahmung der heiligen Grabeskirche zu Jerusalem im gelobten Lande seyn. Sie besteht aus drey besonderen Tempeln, davon einer unter der Erden steht, in den anderen, so der Zeiten gebraucht wird, geht man von der Erden geraden Fusses hinein, der dritte aber ist oben auf ein besonderes Gebäude, so mitten auf dem Dach der andern steht, und eine artige Baukunst von vielen Säulen und Gängen von aussen herum aufweiset.

Johann Hermann Dielhelm: Rheinischer Antiquarius, Band 1, S. 491 u. 492, Frankfurt am Main, 1744

Clemens Brentano vermutet einen römischen Ursprung des Gotteshauses und beschreibt es in einem Brief an seinen Freund Achim von Arnim wie folgt:[10]

Das einzig schöne, herrliche, vielleicht nirgend mehr so ganz unverletzte Denkmal jener Zeit wird in einigen Wochen als Domaine um 800 Livres auf den Abbruch verkauft, ein Tempel noch aus Drususzeiten vielleicht früher her, unverletzt wie er aus des Meisters Händen kam... Er ist ein Oktogon und hat drei Hallen übereinander, die untere halb unterirdische ist mit Knochen und Schädeln gefüllt und wäre eine herrliche Küche für Gall, Dach und die kleine breitbasige Pyramide des Turms sind, wie das Ganze aus reinen Quadern... Ich gebe aber Auftrag dass mir das Ganze abgezeichnet wird und sende Dir dann ein Exemplar... es hat mir einen unvergesslichen Eindruck gemacht.

Ludwig Achim von Arnim, Briefwechsel, Band 3, S. 210, Verlag Walter de Gruyter, 2012, ISBN 3110250721

Laut dem Kunsthistoriker Josef Hubert van Endert (1834–1885), welcher sich in der Zeitschrift „Organ für christliche Kunst“ (Seite 117 des Jahrgangs 1873) auf einen Augenzeugen beruft, der in der Johanneskirche noch selbst als Ministrant fungierte, hätten die Quadersteine des Gebäudes eine bräunliche Farbe gehabt. Es sei sogenannter Kapuzinerstein gewesen, ein brauner Sandstein der auch am Wormser Dom vorkommt und aus dem nahen Mertesheim stammt.[11] Der große Taufstein stand nach dieser Mitteilung im inneren Umgang und die Umfassungsmauer der Kirche sei nicht kreisrund gewesen, sondern habe „hier und da eine Art Einbiegung gehabt“.[12]

Galerie

Literatur

  • A. Arens: Die Bestien von St. Johannes in Worms. Mainz 2014.
  • Dr. Eugen Kranzbühler: Verschwundene Wormser Bauten, Worms, 1905, S. 16–53; (Digitalansicht)
  • Karl Woermann: Geschichte der Kunst. Dritter Band, Bibliographisches Institut, Leipzig 1926, 2. Auflage.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Artikel nicht mehr zugreifbar
  2. Dr. Eugen Kranzbühler: Verschwundene Wormser Bauten. Worms 1905.
  3. Hermann Schmitt: „Johann Anton Wallreuther aus Kiedrich im Rheingau, Weihbischof von Worms (1731-34)“, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Band 14 (1962), Seite 145
  4. Mitteilungsblatt des Altertumsvereins Worms, 1933, S. 56; (Ausschnittscan)
  5. Foto des Epitaphs in der Deutschen Digitalen Bibliothek
  6. K. Woermann: Geschichte der Kunst. Dritter Band, Bibliographisches Institut, Leipzig 1926, 2. Auflage.
  7. Frank Matthias Kammel: Romanische Säulen aus Worms - Unbekannte Bauteile der St. Johanneskirche, in "Kulturgut - Aus der Forschung des Germanischen Nationalmuseums", 2006.
  8. Udo Kindermann: Kunstdenkmäler zwischen Antwerpen und Trient: Beschreibungen und Bewertungen des Jesuiten Daniel Papebroch aus dem Jahre 1660. Erstedition, Übersetzung und Kommentar. Böhlau Verlag, Köln 2002, ISBN 3-412-16701-0, S. 91
  9. (Digitalscan)
  10. (Digitalscan)
  11. Walter Hotz: Der Dom zu Worms, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981, S. 43, ISBN 3534074122; (Ausschnittscan zum Kapuzinerstein am Wormser Dom)
  12. Organ für christliche Kunst, Köln, 1873, Seite 116 u. 117 des Jahrgangs; (Digitalscan)

Koordinaten: 49° 37′ 46,7″ N, 8° 21′ 35,1″ O