Kompetenz-Kompetenz

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Als Kompetenz-Kompetenz (auch Kompetenzkompetenz) wird im Staatsrecht das Recht bezeichnet, Zuständigkeiten zuzuweisen und zu verändern. Dieses Recht liegt grundsätzlich beim Träger der Souveränität eines Staates, der die uneingeschränkte Hoheit über dessen inneren Angelegenheiten innehat. Die Verfassung eines Staates und seine Gesetze regeln die Beschränkung oder die Übertragung einzelner Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen wie zum Beispiel an die Organe der Europäischen Union oder der NATO.

In einem Bundesstaat bezeichnet Kompetenz-Kompetenz die Befugnis des Gesamtstaates, seine eigene Zuständigkeit durch eine Änderung der Verfassung zu Lasten der Gliedstaaten zu erweitern. In einem Staatenbund sind dagegen nur die Gliedstaaten souverän, nicht der Gesamtstaat. Deswegen besitzen in einem Staatenbund die Gliedstaaten die Kompetenz-Kompetenz.

Wenn verfassungsmäßige Staatsorgane über den Umfang ihrer Kompetenz gegenüber allen anderen Staatsorganen verbindlich entscheiden können, wird dies ebenfalls als Kompetenz-Kompetenz bezeichnet. So wird in gängigen deutschen juristischen Wörterbüchern von „Kompetenzkompetenz“ in Bezug auf Gerichte und Behörden gesprochen:

„Kompetenzkompetenz ist die Befugnis eines staatlichen Organs (insbes. eines Gerichts), Zweifel über die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder die gerichtliche Zuständigkeit verbindlich zu entscheiden.“[1]

„Kompetenz-Kompetenz nennt man die Zuständigkeit eines Verwaltungsträgers, seine sachliche Zuständigkeit unter Einschränkung fremder Zuständigkeiten zu erweitern, so in bestimmten Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen das Recht der Landkreise und anderer Gemeindeverbünde gegenüber den Gemeinden.“[2]

Ein Anwendungsbeispiel für die hier angegebene weitere, auch das Parlament einbeziehende Definition, findet sich in einem Aufsatz von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Das [britische] Parlament hat kraft seiner Souveränität die Kompetenzkompetenz gegenüber den anderen Gewalten, einschl. der Rechtsprechung: Aufhebung von Urteilen“ etc.[3]

Deutschland

Staatsrecht

In Deutschland liegt die Kompetenz-Kompetenz bezogen auf den Gesamtstaat beim Bund und nicht etwa bei den Ländern. Damit hat der Bund die Möglichkeit, sich durch Verfassungs­änderungen gegenüber den Ländern weitere Kompetenzen einzuräumen. Nach Art. 79 GG kommt eine Verfassungsänderung zwar nur dann zustande, wenn neben dem Bundestag auch der aus Vertretern der Länder zusammengesetzte Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit zustimmt. Auch der Bundesrat ist aber kein Landes-, sondern ein Bundesorgan.

Gerichtsverfassungsrecht

Hoch umstritten war im 19. Jahrhundert die Kompetenz-Kompetenz der Gerichte gegenüber der Verwaltung. Dabei ging es um die Frage, ob die ordentlichen Gerichte selbst über die Rechtswegseröffnung und folglich ihre Zuständigkeit entscheiden durften. Damit hätten sie möglicherweise auch über die Rechtmäßigkeit von Handeln der Verwaltung entscheiden können, was die Regierungen verhindern wollten. Das war vor allem deshalb praktisch bedeutsam, weil es noch keine unabhängigen Verwaltungsgerichte gab.

Verbreitet waren deshalb Kompetenzgerichtshöfe, die endgültig über die Rechtswegseröffnung entscheiden konnten. Mitunter waren sie nicht mit unabhängigen Richtern besetzt oder hatten die Frage nicht nach Recht und Gesetz zu klären, sondern danach, ob ein Rechtsstreit als für die gerichtliche Behandlung „geeignet“ anzusehen war. Vor allem im Staatshaftungsrecht spielte das eine große Rolle.

Doch das Gerichtsverfassungsgesetz drohte an den unterschiedlichen Positionen zu Konflikt und Kompetenzkonflikt zu scheitern, so dass es zu einem Kompromiss in § 17 Abs. 2 GVG a.F. kam. Nachdem es zuletzt nur noch in Bayern einen Kompetenzkonfliktgerichtshof (Bayerisches Oberstes Landesgericht) gegeben hatte, wurde die Regelung erst durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809) ersatzlos aufgehoben.

Kommunalrecht

Im rheinland-pfälzischen Kommunalrecht ist die Kompetenz-Kompetenz zudem das Recht der Verbandsgemeinde, unter formellen und materiellen Voraussetzungen in die Aufgabenkompetenz (aller) ihrer Ortsgemeinde(n) einzugreifen und einzelne Selbstverwaltungsaufgaben in ihre eigene Kompetenz zu übernehmen. Zu den formellen Voraussetzungen zählen:

  • die Verbandsgemeinde muss zustimmen,
  • mehr als die Hälfte der Ortsgemeinden muss zustimmen,
  • in den zustimmenden Ortsgemeinden muss mehr als die Hälfte der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen.

Rechenbeispiel: Zu einer Verbandsgemeinde (VG) gehören 4 Ortsgemeinden (OG): Die OG-1 hat 100 Einwohner, die OG-2 hat 300 Einwohner, die OG-3 hat 500 Einwohner und die OG-4 hat 200 Einwohner. Insgesamt wohnen also 1.100 Menschen in der VG. Damit nun die VG Aufgaben von ihren OG übernehmen kann, müssen mindestens 3 OG zustimmen. Und in diesen 3 OG müssen mehr als 550 Einwohner leben.

Für das Vorliegen der materielle Voraussetzung ist es wichtig, dass die gemeinsame Erfüllung der Aufgabe in dringendem öffentlichen Interesse liegt.

Schiedsverfahrensrecht

Im Schiedsverfahrens­recht besagt das Prinzip der Kompetenz-Kompetenz, dass im Normalfall das Schiedsgericht zunächst über seine eigene Zuständigkeit entscheiden kann (z. B. ob die Schiedsabrede wirksam ist). Diese Entscheidung ist jedoch nur vorläufig, die endgültige Entscheidung ist (bei rechtzeitiger Rüge der Unzuständigkeit durch eine Partei) Sache der staatlichen Gerichte.[4] In dieser Form ist die Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts inzwischen praktisch weltweit anerkannt.[5] Die deutsche Regelung in § 1040 ZPO ist fast wörtlich dem Art. 16 des UNCITRAL Modellgesetzes zur Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit[6] entnommen,[7] das bisher als Grundlage für die Neufassung des Schiedsverfahrensrechts in mehr als 50 Ländern gedient hat.[8]

Österreich

In Österreich liegt die gesamtstaatliche Kompetenz-Kompetenz beim Bund, da die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Länder und Gemeinden im Bundes-Verfassungsgesetz (Artikel 10 bis 15) geregelt sind. Kompetenzänderungen zulasten der Länder benötigen gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates, der aber als Organ des Bundes betrachtet wird. Da die Abgeordneten des Bundesrates jedoch durch die Landtage gewählt werden (Art. 34 B-VG), haben die Bundesländer bei der Kompetenzverteilung de facto ein Mitspracherecht.

Schwerwiegende Kompetenzänderungen, die ein Grundprinzip der Bundesverfassung beeinträchtigen, sind als Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG einer Abstimmung durch das Bundesvolk zu unterziehen, dem daher auch teilweise Kompetenz-Kompetenz zukommt. So war etwa der Beitritt zur EU nach herrschender Lehre nur durch Abhaltung einer Volksabstimmung möglich, da durch die Übertragung von Kompetenzen an eine supranationale Organisation ein schwerwiegender Eingriff in das bundesstaatliche, das rechtsstaatliche und das demokratische Prinzip erfolgt ist.

Schweiz

In der Schweiz stehen dem Bund jene Kompetenzen zu, die ihm die Verfassung zuteilt (Bundesverfassung Art. 3 und Art. 42). Nach Art. 43a Abs. 1 der Bundesverfassung stehen ihm Kompetenzen zu, welche „die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen“. Die Kompetenzen der Kantone sind in der Verfassung nicht aufgeführt, ihnen fallen alle nicht explizit dem Bund zugewiesenen Aufgaben zu (sog. subsidiäre Generalklausel). Damit sind die Kompetenzen im schweizerischen Bundesstaat lückenlos zugewiesen. Eine Änderung der Kompetenzzuteilung bedingt eine Verfassungsänderung, was zu einer Volksabstimmung führt. Verfassungsänderungen können vom Volk (Volksinitiative), den Kantonen (Standesinitiative), dem Bundesrat oder dem Parlament angeregt werden.

In der Schweiz sind vor allem die Begriffe Souveränität – insbesondere das Volk, also die Gemeinschaft vollberechtigter Bürger,[9] als Souverän – und Subsidiarität geläufig. Statt von „Kompetenz-Kompetenz“ spricht man, einfach, im weiteren auch von Kompetenz.

Völkerrecht

Im Völkerrecht wird unter Kompetenz-Kompetenz die Befugnis souveräner Staaten verstanden, ihre Grundordnung selbständig zu gestalten. Sie werden daher originäre Völkerrechtssubjekte genannt, in Abgrenzung zu den internationalen Organisationen, die ihre Kompetenzen von ihren Mitgliedstaaten ableiten (sog. derivative Völkerrechtssubjekte).

Trivia

  • Das Wort „Kompetenz-Kompetenz“ gilt bisweilen als das längste Reduplikationswort der deutschen Sprache, ist aber tatsächlich ein Determinativkompositum.
  • Der Begriff ist als deutsches Lehnwort in die anglo-amerikanische Fachsprache eingegangen.
  • Der weiten deutschen Öffentlichkeit wurde der Ausdruck durch eine Rede Edmund Stoibers bekannt, die im Internet kursiert und in der mehrmals „Kompetenz-Kompetenz“ vorkommt. Die Popularität der Sequenz beruht auf dem Irrtum der Zuhörer, es handle sich dabei um einen mehrmaligen Versprecher.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Carl Creifelds: Rechtswörterbuch. Hrsg.: Klaus Weber. 19. Auflage. Beck, München 2007, S. 681 (s.v. Kompetenzkompetenz).
  2. Horst Tilich, Frank Arnold (Hrsg.): Deutsches Rechts-Lexikon. 3. Auflage. Band 2. Beck, München 2001, S. 2546 f. (s.v. Kompetenz-Kompetenz).
  3. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen. In: Neue Juristische Wochenschrift. 1978, S. 1881–1890 (1886 f.).
  4. Voit, in: Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 1040 ZPO, Rn 1.
  5. Fouchard, Gaillard, Goldman, On International Commercial Arbitration, 1999, S. 397 Rn. 653.
  6. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/arbitration/1985Model_arbitration.html
  7. Ingo von Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 1040 ZPO, Rn 1.
  8. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/arbitration/1985Model_arbitration_status.html
  9. Georg Kreis, Andreas Suter: Demokratie im Historischen Lexikon der Schweiz, auch französisch: Démocratie, italienisch: Democrazia