Magdeleine Guipet

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Die Traumtänzerin Madelaine G. vor einer Dante-Büste um 1905

Magdeleine Guipet (geboren als Marie Madeleine Joséphine Emma Archinard am 23. September 1874 in Tiflis, Russisches Kaiserreich; gestorben am 12. August 1915 in Paris[1]), auch bekannt als Traumtänzerin Magdeleine G. war eine französische Tänzerin, die ab 1904 in verschiedenen Städten unter Hypnose als Ausdruckstänzerin auftrat.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fotografien von Magdeleine Guipet bei einer Aufführung von Chopins Trauermarsch 1904

Emma Archinard wurde in Tiflis geboren, das damals zum Russischen Kaiserreich gehörte. Ihr Vater war Adolphe François Alfonse Archinard, ihre Mutter geborene Mathilde Fagué. Mit Mitte 20 kam sie nach Frankreich, wo sie am 16. Juni 1898 in Paris den Kaufmann Alexandre Albert Guipet heiratete,[2] mit dem sie einen Sohn (Jocelyn Adolphe, 1899–1987) und eine Tochter (Marcelle Mathilde, 1901–1916) hatte.[3]

1902 suchte sie wegen nervöser Kopfschmerzen, die bislang allen Behandlungsversuchen widerstanden hatten, den Therapeuten und Magnetiseur Émile Magnin auf, der damals Lehrer an der École de Magnétisme in Paris war. Seiner Darstellung nach stellte Magnin schnell fest, dass Guipet hervorragend auf hypnotische Suggestionen ansprach, insbesondere reagierte sie in Trance mit spontanem Ausdruckstanz in der Art einer Isadora Duncan auf Chopins Trauermarsch,[4] Kompositionen von Schubert, die Gedichte Paul Verlaines und Klavierimprovisationen bekannter Komponisten, die sich bald bei den anfangs privaten, von Magnin organisierten Darbietungen einfanden, die in den Ateliers des Fotografen Fred Boissonnas, des Bildhauers Auguste Rodin und des Malers Albert Besnard stattfanden.[5]

Die Tänzerin Madeleine (Gemälde von Albert von Keller, ca. 1904)
Die Traumtänzerin Madeleine Guipet (Zeichnung von Friedrich August von Kaulbach, 1904)

Es blieb nicht bei privaten Vorstellungen. Magnin organisierte ab 1904 mit seinem nun unter dem Künstlernamen Magdeleine G. auftretenden Medium Vorstellungen in ganz Europa. Magdeleine G. trat in den Opernhäusern mehrerer deutscher Städte auf, mit besonderem Erfolg in München 1904, wo die Hoffotografen Aufnahmen von ihr machten, die Maler Albert von Keller und Friedrich August von Kaulbach sie porträtierten und neben anderen Mitgliedern der Münchner Psychologischen Gesellschaft der Arzt und Erforscher parapsychologischer Phänomene Albert von Schrenck-Notzing sie untersuchte. In der Folge wurde sie in Bayern und darüber hinaus bekannt als Die Traumtänzerin bzw. Die Schlaftänzerin.[5]

Angeregt durch das Vorbild der Magdeleine G. unternahmen es Keller und Schrenck-Notzing, selbst geeignete Modelle zu hypnotisieren und zu fotografieren. Die so gewonnenen Ausdrucksstudien wurden die Grundlage mehrerer der bekannteren Gemälde Albert von Kellers, darunter der Hexenschlaf.

Im März 1905 trat sie in Dresden auf, am Klavier begleitet von Ernst von Schuch. Im Publikum waren auch Karl May mit seiner Frau Klara, die sich von der Tanzdarbietung nur mäßig beeindruckt zeigte und in ihr Tagebuch schrieb, dass ihr Schuchs Klavierspiel besser gefallen habe als der Tanz der Magdeleine G.[6]

Während ihrer kurzen, aber starke Eindrücke hinterlassenden Bühnenkarriere wurde Magdeleine G. dargestellt als junge Frau ohne jegliche Tanzausbildung, die allein unter dem Einfluss der Hypnose quasi mit der Musik „mitschwingend“ dieser einen unvergleichlich direkten und unverfälschten Ausdruck gäbe. Tatsächlich war Guipet in Genf die Schülerin von Émile Jaques-Dalcroze gewesen.[5] Ihr Familienname Guipet wurde erst 1912 durch eine Biographie Albert von Kellers bekannt.[7]

Guipet starb 1915 im Alter von 40 Jahren im 15. Arrondissement in Paris.[1]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Anna Börner: Die Schlaftänzerin Magdeleine Guipet : Eine Studie über Hypnose und Kunst um 1900. Magisterarbeit. Universität Lüneburg, 2004.
  • Gian Casper Bott, Nico Kirchberger: Albert von Keller : Salons, Séancen, Secession. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Kunsthaus Zürich, 24. April – 4. Oktober 2009. Hirmer, 2009, ISBN 978-3-7774-9015-1.
  • Céline Eidenbenz: L’hypnose au Parthénon. Les photographies de Magdeleine G. par Fred Boissonnas. In: Études photographiques. Band 28, 2011, S. 200–237, 246. Englische Übersetzung von John Tittensor: Hypnosis at the Parthenon : Magdeleine G. photographed by Fred Boissonnas. (online, PDF).
  • Barbara Hales: Dancer in the Dark : Hypnosis, Trance-Dancing, and Weimar's Fear of the New Woman. In: Monatshefte. Bd. 102, Nr. 4 (Winter 2010), JSTOR:40985298, S. 534–549.
  • Nico Kirchberger: Schau(spiel) des Okkulten : Die Bedeutung von Mesmerismus und Hypnotismus für die bildende Kunst im 19. Jahrhundert. (= Kunstwissenschaftliche Studien.. Band 186). Deutscher Kunstverlag, München 2016, ISBN 978-3-422-07328-9.
  • Martina Leeker: Weibliche Medien um 1900 : Über okkulte Herkünfte der Medienwissenschaft. In: Hedwig Wagner (Hrsg.): Gendermedia : zum Denken einer neuen Disziplin. Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2008, ISBN 978-3-89739-598-5 (PDF)
  • Ulrich Linse: Mit Trancemedien und Fotoapparat der Seele auf der Spur. Die Hypnose-Experimente der Münchner ‚Psychologischen Gesellschaft‘. In: Marcus Hahn, Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Trancemedien und Neue Medien um 1900. Ein anderer Blick auf die Moderne. transcript, 2009, ISBN 978-3-8376-1098-7, S. 97–144.
  • Émile Magnin: L'art et l'hypnose : interprétation plastique d'oeuvres littéraires et musicales. Vorwort von Théodore Flournoy. Illustrationen von Fred Boissonnas. F. Alcan, Paris [1906].
  • Brygida Ochaim, Claudia Balk: Varieté-Tänzerinnen um 1900 : vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne. Stroemfeld, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-87877-745-0, S. 110f., 130.
  • Priska Pytlik: Okkultismus und Moderne : Ein kulturhistorisches Phänomen und seine Bedeutung für die Literatur um 1900. Schöningh, 2005, ISBN 3-506-71382-5.
  • Franz Roberts: Die Schlaftänzerin Madeleine G. : Ein Protest gegen den Mißbrauch der Wissenschaft. G. Birk & Co., München [1904] (24 S.).
  • Hans-Walter Schmidt-Hannisa: »Das ist die Materialisation erhabenster Traumvorgänge.« Magdeleine Guipet und ihr Traumtanz. In: Marie Guthmüller, Hans-Walter Schmidt-Hannisa (Hrsg.): Das nächtliche Selbst : Traumwissen und Traumkunst im Jahrhundert der Psychologie. Bd. 2: 1900–1950. Wallstein, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8353-4480-8, S. 181–209.
  • Albert von Schrenck-Notzing: Die Traumtänzerin Magdeleine G. Eine psychologische Studie über Hypnose und dramatische Kunst. Ferdinand Enke, Stuttgart 1904, Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D~IA%3Dbub_gb_7hpWAAAAMAAJ~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Magdeleine Guipet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Sterbeurkunde in: Archives de Paris, Actes de naissance, de mariage et de décès. Ancestry-Dokument-ID 62058_B952965, abgerufen am 1. Mai 2023.
  2. Heiratsurkunde in: Archives de Paris et sa région: Publications des bans de Mariages 1860–1930. Ancestry-Dokument-ID 31067_06A015-00622, abgerufen am 1. Mai 2023.
  3. Céline Eidenbenz: Hypnosis at the Parthenon : Magdeleine G. photographed by Fred Boissonnas. In: Études photographiques. 28 (November 2011), Fn. 6.
  4. Klaviersonate Nr. 2, 3. Satz: Marche funèbre.
  5. a b c Céline Eidenbenz: Hypnosis at the Parthenon. In: Études photographiques. 28.
  6. Dieter Sudhoff, Hans-Dieter Steinmetz: Karl-May-Chronik III. Sonderbände zu den Gesammelten Werken. Karl-May-Verlag, Bamberg/ Radebeul 2005, ISBN 3-7802-0173-9, S. 481.
  7. Hans Rosenhagen: Albert von Keller. Velhagen & Klassing, Bielefeld and Leipzig 1912, S. 94.