Marienkirche (Danzig)
Die vor 1945 evangelische, seit 1945 katholische Marienkirche (bis 1945 auch Oberpfarrkirche St. Marien) zu Danzig ist die dritt- oder viertgrößte Backsteinkirche weltweit und zweit- oder drittgrößte nördlich der Alpen. Unter den größten Gotteshäusern Europas liegt sie etwa auf Platz 20.[1] Sie ist 105,5 Meter lang, das Kirchenschiff ist 41 Meter breit, mit Querschiffs 66 Meter. Im Innenraum der Kirche finden bis zu 25.000 Menschen Platz.
Geschichte
Der Bau der mittelalterlichen Kirche begann mit der Grundsteinlegung am 28. März 1343 und wurde im Jahre 1502 beendet. Als Baumeister wird Heinrich Ungeradin genannt.[2] Nach der Reformation wurde die Marienkirche von Katholiken und Protestanten anfangs gleichzeitig genutzt, später aber exklusiv der lutherischen Kirche vorbehalten. Bis 1945 war die Marienkirche das zweitgrößte evangelisch-lutherische Gotteshaus der Welt (Das Ulmer Münster ist etwas größer). Da die polnischen Könige, die seit dem Zweiten Thorner Frieden 1466 die nominellen Oberherren der Stadt waren, jedoch immer katholisch blieben, baute die Stadt neben der Marienkirche die barocke königliche Kapelle, damit der König während seines Aufenthalts in der Stadt den Gottesdienst besuchen konnte.
Das berühmte Triptychon Das Jüngste Gericht des Brügger Malers Hans Memling war eine Auftragsarbeit des Florentiner Bankiers Angelo Tani, die für seine Heimatstadt bestimmt war. Die Anfertigung dauerte von 1467 bis 1471. Während einer Kaperfahrt der Peter von Danzig wurde es 1473 aus einem britischen Schiff erbeutet und von einem der Schiffseigner, Reinhold Niederhoff, der Marienkirche in Danzig geschenkt. Daraus ergaben sich längere diplomatische Verwicklungen, die bis zur Androhung des Kirchenbanns gegen Danzig durch den Papst gingen. Napoléon Bonaparte ließ das Werk nach Paris in den Louvre schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hing es in der Sankt Petersburger Eremitage. Seit 1956 ist es im Nationalmuseum Danzig.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Marienkirche im März 1945 bei der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee während der Schlacht um Ostpreußen schwerst beschädigt. Vierzig Prozent der Kunstschätze waren vernichtet. Der hölzerne Dachstuhl brannte aus und 14 der großen Gewölbebogen kollabierten. Die Glasfenster wurden total zerstört. Trotzdem gehört die Ausstattung der Marienkirche auch weiterhin zu den reichsten Kirchenausstattungen im Ostseeraum mit zahlreichen Retabeln, Skulpturen, Wand- und Tafelmalereien. Der Danziger Paramentenschatz, die Sammlung der liturgischen Gewänder der Marienkirche, ist der mit Abstand reichste Schatz dieser Art überhaupt. Er konnte 1945 nach Westen evakuiert werden und befindet sich heute zu großen Teilen im Lübecker St. Annen-Museum. Der in Danzig verbliebene Rest befindet sich im Nationalmuseum. Gezeigt werden solche Gewänder noch im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Der Wiederaufbau des Kirchengebäudes begann 1946, im August 1947 wurde das Dach, eine Stahlbetonkonstruktion, fertiggestellt. Die Kirchweihe fand am 17. November 1955 statt, nach der Vertreibung der Vorkriegsbevölkerung nun wieder katholisch. 1965 wurde die Kirche zur Basilica minor erhoben, seit 1986 ist sie Konkathedrale der 1992 zum Erzbistum Danzig erhobenen Diözese Oliva.
In der Kirche befinden sich die Grabstätte des Barockdichters Martin Opitz von Boberfeld und des ehemaligen Sejmmarschalls Maciej Płażyński. Am Sarkophag des Letzteren erinnert ein Mahnmal an die Opfer des Flugzeugabsturzes vom 10. April 2010 bei Smolensk.
Schmuckformen
Wie in der Backsteingotik zu erwarten, weist das Bauwerk an mehreren Stellen Ornamente aus Formsteinen auf, etwa zahlreiche Blendgiebel zwischen den Pilastern der Giebel. Ein Meisterwerk der Formsteinkunst ist das Rechteckfries um das Westportal und das darüber liegende Fenster.
Es gibt aber auch Schmuck aus Werkstein; sämtliche Seitenportale, drei an der Südseite, zwei an der Nordseite und eines an der Ostseite sind aus Steinmetzarbeiten aus Naturstein. Um das jeweils mittlere Fenster beider Giebelseiten des Querschiffs und um das westlichste Fenster des nördlichen Seitenschiffs gibt es schmale Rechtecksimse aus Werkstein. Das Maßwerk der Fenster, heute größtenteils aus Metall, war vor dem Zweiten Weltkrieg zumindest teilweise aus Werkstein.
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Westportal
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westlichstes Südportal
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mittleres Südportal
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Chor und nördliches Querschiff um 1900
Kirchenmusik
Veranstaltungen
Orgel
Im Jahre 1509 ließ die Kirchengemeinde von Orgelbaumeister Blasius Lehmann eine große Orgel mit 1926 Pfeifen für 3800 Mark erbauen. 1510 wurde ein kleineres Orgelwerk über der Allerheiligen-Kapelle angebracht, die hauptsächlich während der Wochengottesdienste zum Einsatz kam und den Beinamen verfluchte Orgel trug.[3] Schon 1523 musste sie von Blasius selbst ausgebessert werden und war ab 1546 außer Betrieb, wurde aber erst 1777 entfernt.[4]
Nach der Belagerung Danzigs 1520 durch ein Ordensheer unter der Leitung von Graf Wilhelm von Eisenberg und Wolf von Schönberg[5] wurden die bestehenden zwei Orgelwerke repariert und zwei weitere errichtet, 1522 über der Sakristei und 1524 über der Reinholdskapelle. Den opulenten Bau immer neuer Orgeln konnte sich Danzig aufgrund seiner reichen Bürgerschaft leisten; außerdem wurden sie auch aus den Erträgen zweier Ablassbriefe von Papst Leo X. mitfinanziert.[3]
Die ursprüngliche große Orgel des Orgelbauers Julies Anthoni ging in ihren ältesten Teilen auf das Jahr 1586 zurück und wurde 1945 vollständig zerstört. Als Ersatz wurde 1985 der erhalten gebliebene, deutlich kleinere Prospekt der Johanniskirchenorgel von 1629 eingebaut[6] und mit einer aus deutschen Spenden finanzierten Rekonstruktion des Orgelwerks durch die Gebrüder Hillebrand aus Altwarmbüchen ausgestattet.[7] Die 46 Register verteilen sich auf drei Manuale und Pedal, die Trakturen sind mechanisch.
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- Koppeln: I/II, III/II, I/P, II/P, III/P
- Spielhilfen: Tremulant I, Tremulant für die ganze Orgel, Zimbelstern
- Traktur: Mechanische Spieltraktur, mechanische Registertraktur, mechanische Schleifladen
Glocken
Im 82 m hohen Turm hängen nur zwei Kirchenglocken, die 1970 von der Gießerei Felczyński in Przemyśl gegossen wurden. Die große Glocke heißt Gratia Dei, wiegt 7850 kg und erklingt im Nominal fis0. Ave Maria ist der Name der kleinen Glocke, die 2600 kg wiegt und in cis1 ertönt. Die Aufhängungen an verkröpften Stahljochen im Stahlglockenstuhl beeinträchtigen den Klang dieses Glockentorsos.
Vom Vorkriegsgeläut, dessen größte Glocke die 1453 gegossene, 6800 kg schwere Vorgängerin der Gratia Dei war, sind zwei Glocken erhalten: Die Osanna (b0) von 1632, in St. Andreas zu Hildesheim, und die Dominicalis (d1) von 1719, unter dem Namen Osanna in der Marienkirche zu Lübeck.
Zahlen und Fakten
Länge der Kirche | 105,5 m |
Größte Breite (die Länge des Querschiffs) |
66,0 m |
Breite des Langhauses | 41 m |
Breite des Presbyteriums | 35 m |
Größte Innenhöhe | 29,0 m |
Höhe der Jochbögen | 27 m |
Dachfläche | 8.000 m² |
Nutzfläche | 5.000 m² |
Fenster | 37 |
Größtes Fenster | 127 m² |
Höhe Glockenturm | 82 m |
Stufen Turm | 409 |
Grundsteinlegung | 25. März 1343 |
Bauzeit | 159 Jahre |
Der umbaute Raum des Gebäudes beträgt etwa 155.000 m³.[8] Das Kirchenschiff hat ein ummauertes Volumen von 120.000 m³.
Zum Vergleich:
- Ulmer Münster 190.000 m³, ummauertes Kirchenschiff 140.000 m³ bis 160.000 m³ (größte evangelische Kirche, Basilika, zu erheblichen Teilen aus Backstein errichtet, der aber optisch hinter den üppig gestalteten Sandsteinteilen zurücktritt)
- Münchener Frauenkirche um 200.000 m³ (ebenfalls eine gotische Hallenkirche aus Backstein), davon etwa 129.000 m³ Kirchenschiffsgemäuer
- San Petronio in Bologna an die 258.000 m³ (die wohl größte gotische Backsteinkirche)
Pfarrer an der Marienkirche
Unter den Pfarrern an der Marienkirche Danzig traten besonders in Erscheinung:
- Mauritius Ferber (1471–1537), 1514–? oberster Pfarrherr
- Jakob Hogensee (1495–1573), 1520 bis 1523 erster lutherischer Geistlicher und Oberpfarrer
- Michael Meurer (~1475–1537), 1525 bis 1526 erster lutherischer Geistlicher der Zweiten Pfarrstelle
- Hermann Rathmann (1585–1628), 1612 bis 1626 zweiter Pfarrer
- Daniel Dilger (1572–1643), 1628–1638
- Nathanael Dilger (1604–1679), 1638–?, Sohn des Daniel Dilger
- Artur Brausewetter (1864–1946), ?–1934, Schriftsteller
- Gerhard M. Gülzow (1904–1980), 1934–?
Literatur
- LitDok Ostmitteleuropa (Herder-Institut Marburg)
- Wolfgang Deurer: Danzig. Die Dokumentation 52 historischer Kirchen. Wesel 1996, ISBN 3-00-000978-7, S. 463–464.
- Willi Drost: Die Marienkirche in Danzig und ihre Kunstschätze (= Bau- und Kunstdenkmäler des Deutschen Ostens. Reihe A, Band 4), Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1963.
- Karl Gruber, Erich Keyser: Die Marienkirche in Danzig. In: Die Baudenkmäler der freien Stadt Danzig. Band 1. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1929.
- Karl Gruber: Die Gestalt der Danziger Marienkirche vor dem Umbau zur Hallenkirche. In: Zeitschrift für Ostforschung. Jahrgang 10, 1961.
- Gerhard Weilandt: Transferkultur – Danzig im Spätmittelalter. In: Wolfgang Augustyn, Ulrich Söding (Hrsg.): Original – Kopie – Zitat. Kunstwerke des Mittelalters und der Frühen Neuzeit: Wege der Aneignung – Formen der Überlieferung (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München. 26), Passau 2010, S. 73–100.
Weblinks
- Triptychon Das jüngste Gericht
- Geschichte der Orgeln von St. Marien zu Danzig (deutsch, polnisch, englisch)
- Website der Marienkirche (polnisch)
Einzelnachweise
- ↑ Für einige der größten Kirchengebäude liegen keine Angaben zum umbauten Raum vor.
- ↑ Deurer 1996, S. 463.
- ↑ a b Theodor HIRSCH: Die Ober-Pfarrkirche von St. Marien in Danzig in ihren Denkmälern und in ihren Beziehungen zum kirchlichen Leben Danzigs überhaupt dargestellt von Dr T. Hirsch. Erster Theil. Anhut, Danzig 1843, S. 223 f.
- ↑ Max Töppen, Theodor Hirsch, Ernst Strehlke: Die Geschichtsquellen der Preussischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Band 5. Europäischer Geschichtsverlag, 2015, ISBN 978-3-7340-0436-0, S. 459.
- ↑ Karl Friedrich Friccius: Geschichte der Befestigungen und Belagerungen Danzigs: Mit besonderer Rücksicht auf die Ostpreußische Landwehr, welche in den Jahren 1813 - 1814 vor Danzig stand. Veit, Berlin 1854, S. 9.
- ↑ Informationen über die Orgel
- ↑ Heinz Lingenberg: Oliva – 800 Jahre. Abriß der Geschichte. Verlag UNSER DANZIG. Lübeck 1986, ISBN 3-926482-00-1, S. 354–358.
- ↑ structurae.de
Koordinaten: 54° 21′ 0″ N, 18° 39′ 12″ O