Martinskirche (Dautphe)

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Kirche von Südwesten

Die evangelisch-lurtherische Martinskirche in Dautphe, einem Ortsteil der Gemeinde Dautphetal im Landkreis Marburg-Biedenkopf (Hessen), ist ein denkmalgeschütztes[1] Kirchengebäude, das aus drei Baukörpern besteht. Die Saalkirche wurde um 1100 errichtet, im 12. Jahrhundert um einen Westanbau, den sogenannten Wendelstein, und am Ende des 13. Jahrhunderts um einen östlichen Chorturm erweitert.

Geschichte

Fensterloser Wendelstein mit Fischgrätenverband

Der Ort Dautphe wird im Lorscher Codex urkundlich erstmals im Jahr 791 erwähnt und ist als Zentrum der Heidenmission im hessischen Hinterland anzusehen.[2] Als Sitz des Zentgerichts ist die Existenz einer (hölzernen) Kirche wahrscheinlich.[3] Die steinerne Kirche wurde um 1100 errichtet und im 12. Jahrhundert an der Westseite durch einen separaten, fensterlosen Baukörper erweitert, der nur durch den einschiffigen Saalbau zugänglich war. Die Funktion des Wendelsteins ist nicht eindeutig. Er kann als Zufluchtsort oder Wehranlage gedient haben oder als Unterbau eines geplanten oder zerstörten Westturms.[4] Die Kirche war dem hl. Martin, dem merowingisch-fränkischen Nationalheiligen, geweiht, der im Jahr 1279 auf dem Siegel des Pleban Konrad dargestellt ist. Im ausgehenden Mittelalter gehörte die eigenständige Pfarrgemeinde zum Archidiakonat St. Stephan in der Erzdiözese Mainz.[5]

Nach Abtrennung der Pfarreien Buchenau (1265) und Eckelshausen (1350) gehörten noch 15 Ortschaften zum Dautpher Kirchspiel. Mit Einführung der Reformation wechselte Dautphe 1526 zum evangelischen Bekenntnis und wurde der 1530 errichteten Superintendentur Marburg unter dem ersten Superintendenten Adam Krafft zugeordnet.[6] Als erster lutherischer Pfarrer wirkte Albanus Nepotianus (Enckel) von 1529 bis 1535 in Dautphe. Im Zuge der Umwandlung in eine Predigtkirche wurden im Jahr 1543 umlaufende Emporen eingebaut, die von der Nordseite betreten wurden (heute ein vergittertes Fenster). 1577 wurde das Dekanat Biedenkopf gebildet. Unter dem neuen Landgrafen Moritz (Hessen-Kassel) nahm Dautphe von 1606 bis 1627 das reformierte Bekenntnis an.

Bei einer Renovierung des Chorraums im Jahr 1757 wurden der Taufstein und einer der Altäre beseitigt und der Fußboden mit Sandsteinplatten belegt.[7] Der hölzerne Turmhelm samt den Glocken von 1635 fiel in der Nacht vom 23. zum 24. April 1824 einem Blitzschlag zum Opfer; das Mauerwerk erhielt große Risse, sodass der Turmschaft nur bis zur halben Höhe erhalten blieb und einen neuen Turmhelm erhielt. Die Arbeiten am Turm dauerten mehr als drei Jahre.[8]

Im Jahr 1959/60 erfolgte eine Innen- und Außenrenovierung unter Leitung von Friedrich Bleibaum. Die Chorempore für die Pfarrfamilie und die Südempore wurden abgerissen, die Brüstungen neu gestaltet, die Maßwerkfenster mit Buntglasfenster von Erhardt Klonk gestaltet, in den Wendelstein ein Portal und zwei Fenster eingebrochen sowie Treppen für die Emporen eingebaut. Die Flachdecke wurde durch eine Kielbogendecke ersetzt.[9]

Architektur

Südportal mit Tympanon mit dem hl. Martin
Grundriss
Östlicher Chorturm

Die geostete Kirche ist auf einer leichten Anhöhe aus Bruchsteinmauerwerk errichtet. Die Fenster- und Portalumrahmungen sind in Haustein, ebenso die Ecken, aus denen profilierte Kragsteine herausgeragen.[10]

Die Saalkirche mit geschiefertem Satteldach weist im Obergaden noch einige kleine Rundbogenfenster aus romanischer Zeit auf. Die Mauern von Schiff und Westteil sind weitgehend im Fischgrätenverband aufgeführt, was eine Errichtung im 12. Jahrhundert nahelegt.[3] Gotische Spitzbogenfenster mit Maßwerk und rechteckige, barocke Fenster belichten den Raum, der durch ein Nord- und Südportal erschlossen wird. Über dem rundbogigen Südportal mit glattem Gewände ist ein neues, rundbogiges Tympanon eingelassen, das den hl. Martin auf einem Pferd zeigt, der seinen Mantel mit dem Schwert zerteilt und mit einem Bettler teilt. Als Kopiervorlage diente eine mittelalterliche Darstellung.[9]

Die Dachkonstruktion der Martinskirche ist die älteste Deutschlands und gehört gleichzeitig zu den ältesten Europas.[11]

Der Westteil gleicher Breite ist durch vertikale Baufugen vom Schiff abgetrennt, aber unter einem gemeinsamen Dach vereint. Im Jahr 1960 wurden an der Westseite ein spitzbogiges Portal und darüber zwei sehr kleine Spitzbogenfenster eingebrochen, beide mit glattem Gewände aus rotem Sandstein. Im selben Jahr wurde der heutige Durchgang zum Wendelstein gestaltet und die beiden Emporenaufgänge eingebaut.[8] Bis dahin verband eine schlichte, mit 1534 bezeichnete Holztür in einem groben, spitzbogigen Durchbruch das Schiff mit dem Wendelstein.

Der östliche, massiv gemauerte Chorturm aus frühgotischer Zeit ist gegenüber dem Kirchenschiff leicht eingezogen. Der Turm geht auf den Einfluss der Marburger Bauhütte zurück. Die Westmauer zum Schiff ist 1,83 Meter stark, die Außenmauern 1,75 Meter.[12] Oberhalb des Dachs des Schiffs ist die Westwand verschiefert. Das romanische Rundbogenportal an der Südseite diente in mittelalterlicher Zeit dem Priester als Zugang. Über dem Gewände mit Eckrundstab ist ein Tympanon in Kleeblattform angebracht, das mit Lilien verziert ist. Große Maßwerkfenster aus frühgotischer Zeit versorgen den Chor mit Licht. Das östliche Chorfenster hat Rundstäbe mit Sockeln und Kapitälchen, die in zwei Spitzbögen auslaufen. Im oberen Fensterteil flankieren zwei Nasen einen Kreis mit einem Dreipass. Nord- und Südfenster sind einfacher ausgeführt und teils zerstört.[12] Erhalten ist eine frühgotische Piscina in der Südwand in einer viereckigen Nische mit einem hohen, spitzbogigen Blendbogen und eine Sakramentsnische in der Nordwand. Der Chorraum ist überwölbt und der Schlussstein mit einem Kopf, der von acht Blättern umgeben ist, belegt, der Christus als Lebensbaum darstellt. Die Eckdienste des Kreuzrippengewölbes sind teils zerstört. Ein spitzbogiger Triumphbogen mit profiliertem Kämpfergesims verbindet den Altarraum mit dem Schiff. Vier trapezförmige, flache Pultdächer leiten zu einer kleinen, achtseitigen Glockenstube über, die von einem Spitzhelm bekrönt wird. Ursprünglich war der Turmschaft mit vier kleinen Türmchen versehen.[13]

Ausstattung

Innenraum Richtung Osten
Renaissance-Kanzel von 1631

Der Innenraum des Schiffs wird von einer Holztonne mit Kielbogen abgeschlossen, die 1959/60 eingezogen wurde. Zuvor ruhte die Flachdecke auf einem Längsunterzug, der von zwei Eichenpfosten gestützt wurde. Die Balken des romanischen Dachstuhls sind im Westteil als Andreaskreuze erkennbar. Die Nord- und Westempore aus Eiche wurden 1543 eingebaut. An einer westlichen Fußstrebe ist ein flachgeschnitzter Adler dargestellt, dessen Motiv als Gemeindewappen dient.[14] Während die Nordempore mit ihren Vierkantstäben im ursprünglichen Zustand erhalten ist, wurden 1959 in die Westempore Brüstungsteile einer Empore aus Obereisenhausen eingefügt. Sie datiert von 1625 und weist geschnitzte Pfosten und Halbrosetten auf. Die Brüstungsmalereien der abgerissenen Chorempore aus dem Barock wurden als Einzelbilder im Schiff aufgehängt. Sie zeigen Christus und die Apostel.[15] Die Südempore ist mit Brett-Dokken aus dem Barock gestaltet.

Ältester Einrichtungsgegenstand ist der romanische Taufstein, der seit 2003 im Wendelstein steht. An der südlichen Langseite ist aus alter Zeit ein Baphomet angebracht, das das Fortbestehen des heidnischen Glaubens symbolisiert.[13] Die Altarmensa mit gefasten Ecken und profilierter Platte ist frühgotisch. Das alte Gestühl mit massiven Wangen aus dem 16. Jahrhundert wurde 1959/60 ersetzt. Im Chorraum sind Reste eines alten Familiengestühls von 1619 im Stil der Spätrenaissance erhalten. Das Altarkreuz mit Korpus entstand wahrscheinlich um 1627, als die Kirche wieder lutherisch wurde. Der Schreiner Wilhelm Miller (Müller) asu Dautphe schuf im Jahr 1631 die mit Intarsien reich verzierte, polygonale Kanzel im Stil der Renaissance.[15] Der Schalldeckel trägt die Inschrift „Ich habe dich zu einem Wächter gesetzt.“ (Ez 3,17a LUT). Die flachgeschnitzten Aufbauten sind mit Engelköpfen verziert.

Orgel

Euler-Böttner-Orgel

Eine erste barocke Orgel wurde im Jahr 1695 eingebaut. Sie wurde im Jahr 1890 durch ein romantisches Werk der Gebrüder Bernhard mit elf Registern auf mechanischen Kegelladen ersetzt, das als Altarorgel auf einer Empore über dem Altar seinen Platz fand. Nachdem diese Orgel durch einen Bombenabwurf im Zweiten Weltkrieg nur noch eingeschränkt einsetzbar war, baute Friedrich Euler (Hofgeismar) für 38.000 DM die dritte Orgel, die am 10. Dezember 1961 mit 19 Registern und insgesamt 1450 Pfeifen eingeweiht wurde.[16] Wolfgang Böttner (Frankenberg) baute die Orgel 1985/86 um und erweiterte sie auf 22 Register, die auf zwei Manuale und Pedal verteilt sind. Insgesamt verfügt das Instrument, das ebenerdig hinter dem Altar aufgestellt ist, über 1558 Pfeifen hinter einem Freipfeifenprospekt.[17]

I Hauptwerk C–g3
Pommer 16′
Praestant 8′
Weitprincipal 8′
Gemshorn 8′
Oktave 4′
Rohrflöte 4′
Waldflöte 2′
Mixtur IV 11/3
Trompete 8′
II Unterwerk C–g3
Gedackt 8′
Salicional 8′
Spitzflöte 4′
Principal 2′
Terzian II 13/5
Scharff IV 1′
Rohrschalmei 8′
Tremulant
Pedal C–f1
Subbaß 16′
Quintbaß 102/3
Principalbaß 8′
Oktavbaß 4′
Kornett IV 22/3
Fagott 16′

Glocken

Die Kirche besitzt ein Dreiergeläut aus Bronze, das die vorigen Stahlglocken ersetzt. Durch den Blitzschlag von 1824 wurden die drei Glocken von Johann und Mathias Heelings von Wilbersfurth aus dem Jahr 1635 zerstört. Von den neu angeschafften Glocken müssen die beiden größeren 1917 an die Rüstungsindustrie abgegeben werden. 1925 wird ein neues Dreiergeläut gegossen. Die kleine Glocke trägt die Inschrift „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28 LUT). 1943 werden wieder die beiden größeren Glocken abgeliefert und 1950 ersetzt. Die große trägt die Inschrift „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort. Jeremia 22,29“ und die mittlere die Inschrift „Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Matthäus 26,41“.

Literatur

  • Günter E. Th. Bezzenberger: Sehenswerte Kirchen in den Kirchengebieten Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck, einschließlich der rheinhessischen Kirchenkreise Wetzlar und Braunfels. Evangelischer Presseverband, Kassel 1987, S. 71f.
  • Folkhard Cremer (Red.): Dehio-Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I: Regierungsbezirke Gießen und Kassel. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2008, ISBN 978-3-422-03092-3, S. 159f.
  • Hans Feldtkeller (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Landkreises Biedenkopf. Eduard Roether, Darmstadt 1958.
  • Karl Herbert: Die evangelische Kirche im Kreis Biedenkopf. In: Hessen – Mensch und Raum – Der Landkreis Biedenkopf. Verlag Moderne Gemeinde, Offenbach/Main 1965, S. 223f.
  • Karl Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft. Hrsg.: Gemeindevorstand der Gemeinde Dautphe. Dautphe 1973, DNB 861041690, S. 137–152.
  • Ferdinand Luthmer (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Biedenkopf, Dill, Oberwesterwald und Westerburg . Heinrich Keller, Frankfurt am Main 1910, S. 23–26.

Weblinks

Commons: Martinskirche (Dautphe) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Feldtkeller (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Landkreises Biedenkopf. 1958.
  2. Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft 1973, S. 16, 141f.
  3. a b Chronik der Kirchengemeinde Dautphe (PDF-Datei; 84 kB), S. 8.
  4. Dehio-Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I. 2008, S. 159.
  5. Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft 1973, S. 152.
  6. Karl Herbert: Die evangelische Kirche im Kreis Biedenkopf. 1965, S. 223.
  7. Chronik der Kirchengemeinde Dautphe (PDF-Datei; 84 kB), S. 7.
  8. a b Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft 1973, S. 144.
  9. a b Chronik der Kirchengemeinde Dautphe (PDF-Datei; 84 kB), S. 5.
  10. Luthmer (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Biedenkopf. 1910, S. 24.
  11. ekhn.de Sensationeller Fund: Dautphe hat das älteste Dachgestühl Deutschlands (Nachricht vom 14. November 2014)
  12. a b Luthmer (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Biedenkopf. 1910, S. 25.
  13. a b Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft 1973, S. 143.
  14. Huth: Dautphe. Herz einer geschichtlichen Kulturlandschaft 1973, S. 142.
  15. a b Dehio-Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I. 2008, S. 160.
  16. Franz Bösken: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Bd. 2: Das Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Wiesbaden (= Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte 7,1. Teil 1 (A–K)). Schott, Mainz 1975, ISBN 3-7957-1307-2, S. 112 f.
  17. Orgel in Dautphe, gesehen 29. Juli 2016.

Koordinaten: 50° 51′ 28″ N, 8° 32′ 30″ O