Nephrotisches Syndrom

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Klassifikation nach ICD-10
N04.9 Nephrotisches Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das nephrotische Syndrom ist ein medizinischer Sammelbegriff für mehrere Symptome, die bei verschiedenen Erkrankungen des Glomerulums (im Nierenkörperchen) auftreten.

Es ist gekennzeichnet durch vier Leitsymptome:

Von der sogenannten großen Proteinurie spricht man bei einer Eiweißausscheidung im Urin von mehr als 3–3,5 g pro 24 Stunden, bei Kindern von mehr als 1 g pro m² Körperoberfläche in 24 Stunden. Das Albumin im Serum ist auf unter 2,5 g/dl verringert.

Pathogenese

Das nephrotische Syndrom entsteht durch eine vermehrte Durchlässigkeit des Glomerulums für Proteine (Eiweiße), es werden Eiweißmoleküle >60 kDa filtriert. Den größten Anteil an den Eiweißverlusten hat das Albumin, das eine Masse von ca. 65 kD hat und ca. 60 % des im Blutplasma gelösten Eiweißes ausmacht. Es kommt zu einer Hypoproteinämie mit Hypoalbuminämie sowie durch die vermehrte renale Eiweißausscheidung zu einer Proteinurie. Eine tägliche Eiweißausscheidung von mehr als 4 g deutet auf eine erhebliche Schädigung der Filterfunktion der Nieren hin. Regulär werden weniger als 0,05 g Eiweiß pro Tag über die Nieren ausgeschieden.

Bei sinkendem Albumingehalt im Blut kommt es zudem zu den sog. hypalbuminämischen Ödemen. Diese entstehen aufgrund eines durch den Eiweißverlust bedingten erniedrigten kolloidosmotischen Drucks in den Gefäßen. Es kommt zu Flüssigkeitsverlusten aus dem Blutplasma in das die Gefäße umschließende Gewebe. Die Ödeme sind umso ausgeprägter, je niedriger der Eiweiß- bzw. der Albumingehalt im Blut ist.

Dem Eiweißverlust versucht der Körper nun zu begegnen, indem er diesen Verlust so schnell wie möglich ersetzt. Es kommt zu einer vermehrten Produktion von Lipoproteinen durch die Leber, was gemeinsam mit dem im Rahmen der Proteinurie auftretenden Verlust des Enzyms Lipoproteinlipase zu der sog. Hyperlipidämie führt. Zudem ist aufgrund von Größe und Beschaffenheit der Teilchen der Verlust von Cholesterin- und Triglyzerid-transportierenden Lipoproteinen relativ geringer, so dass sich das Verhältnis der Blutfette untereinander in ungünstiger Weise ändert (Dyslipidämie).

Durch den vermehrten Flüssigkeitsverlust aus den Gefäßen in das Gewebe kommt es zu einer Hypovolämie. Dieser Flüssigkeitsmangel stimuliert nun das sog. RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) des Körpers. Dieses System soll den Flüssigkeitsverlust ausgleichen, indem es für eine Verengung der Gefäße und somit eine Blutdrucksteigerung sorgt. Zudem werden durch die Nieren vermehrt Wasser und Natrium im Körper zurückgehalten. Genau dieser Mechanismus führt aber über erhöhten Blutdruck zu einer Steigerung der Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und somit zu weiterem Proteinverlust (Circulus Vitiosus).

Ursachen

Das nephrotische Syndrom stellt an sich keine Krankheit, sondern einen gleichartigen Symptomenkomplex dar, hinter dem sich verschiedenartige Krankheiten verbergen. Die häufigsten Ursachen eines nephrotischen Syndroms:

Seltenere Ursachen:

Symptome

Kind mit massiven Ödemen (Anasarka) aufgrund malariabedingter Niereninsuffizienz

Neben den bereits erwähnten Leitsymptomen des nephrotischen Syndroms bestehen bei den Patienten noch die Symptome der auslösenden Grunderkrankung. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer vermehrten Neigung zu Infekten, da durch den Eiweißverlust auch Antikörper, besonders das IgG, verloren gehen. Des Weiteren kommt es zu einem Verlust an Antithrombin III. AT III ist ein Bestandteil des Blutplasmas und hat eine starke Hemmwirkung auf die Blutgerinnung. Geht AT III verloren, kommt es zu vermehrter Gerinnung des Blutes in den Gefäßen und somit zu Thrombosen, insbesondere der Nierenvenen. Durch eine anhaltende Schädigung der Nieren zeigen sich in fortgeschrittenen Stadien Zeichen der Niereninsuffizienz, wie zum Beispiel Flankenschmerzen, blutiger Urin, verminderte Urinausscheidung.

Therapie

  • Im Vordergrund einer Therapie stehen zunächst die Behandlung der Grunderkrankung bzw. die Beseitigung toxischer Ursachen als Auslöser des nephrotischen Syndroms.
  • Kochsalzarme Diät
  • Adäquate Proteinzufuhr (1–2 g/kg Körpergewicht pro Tag) aus natürlichen fettarmen Quellen mit dem Ziel einer positiven Stickstoffbilanz[2][3][4]. Einzelne Quellen empfehlen hierzu eher eine Proteinrestriktion.
  • Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr und Diuretikagabe (vornehmlich kaliumsparende Diuretika und Thiaziddiuretika, später evtl. auch Schleifendiuretika)
  • Behandlung der bakteriellen Infektionen und deren Prophylaxe (empfohlen: Pneumokokken-Impfung); die Gabe von Immunglobulinen hat wenig Sinn: sie erleiden rasch dasselbe Schicksal wie die Albumine.
  • Senkung des Cholesterinspiegels durch CSE-Hemmer
  • Therapie des Bluthochdrucks, je nach Grad der Nierenfunktion. Mittel der Wahl ist ein ACE-Hemmer.
  • standardisierte Prednisolontherapie als kausale Behandlung, weil dadurch die Proteindurchlässigkeit der Basalmembran beeinflusst wird.
  • Bei Absinken des AT III auf unter 70 % ist eine Marcumarisierung indiziert.

Einteilung

  • Typ I: Komplette Ausheilung nach einem Schub
  • Typ II: Rezidivneigung bei vollständiger Remission
  • Typ III: Bleibende eingeschränkte Nierenfunktion trotz partieller Remission
  • Typ IV: Rasches Fortschreiten mit schlechter Prognose

Geschichte

Im antiken Griechenland wurde die Ansammlung von Körperwasser als ein einheitliches Krankheitsbild (Wassersucht, hydropisis) angesehen.[5] 1827 erkannte Richard Bright, dass ein Teil der Patienten mit Wassersucht auch an einer vermehrten Urin-Eiweiß-Ausscheidung und an krankhaften Nierenveränderungen litt.[6][7] 1914 unterschieden Franz Volhard und Theodor Fahr zwischen degenerativen (Nephrose), entzündlichen (Nephritis) und arteriosklerotischen (Sklerose) Nierenkrankheiten.[8] 1963 untersuchte George Schreiner die Urin-Eiweiß-Ausscheidung von 186 Patienten mit den klinischen Zeichen eines nephrotischen Syndroms. Die niedrigste Eiweißmenge, die er dabei beobachtete, war 3,5 g pro Tag.[9] 1983 schlug Ginsberg vor, anstelle eines Sammelurines über 24 Stunden das Verhältnis zwischen Protein und Kreatinin in einer spontan gelassenen Urinprobe zu bestimmen. Da die Ausscheidung von Kreatinin über den Urin zufälligerweise ca. 1 g pro Tag beträgt, schlug er als Grenzwerte zum Nephrotischen Syndrom einen Eiweiß/Kreatinin-Quotienten im Urin von 3,5 g Protein/g Kreatinin vor.[10] In jüngster Zeit wird zunehmend die Ausscheidung von Albumin im Urin bestimmt, die genauere Werte liefern soll als die Bestimmung des Gesamteiweißes.[11] Als unterer Grenzwert des nephrotischen Syndroms wurde von Stoycheff ein Albumin/Kreatinin-Quotient im Urin von 2,2 g Albumin pro g Kreatinin vorgeschlagen.[12]

Literatur

  • Innere Medizin. Gerd Herold, 2004
  • Thiemes Innere Medizin. Georg Thieme Verlag, 1999
  • Basislehrbuch Innere Medizin. 3. Auflage. Urban & Fischer, 2004
  • Intensivkurs Pädiatrie. 4. Auflage. Urban und Fischer, 2007

Einzelnachweise

  1. a b Gerd Herold: Innere Medizin: eine vorlesungsorientierte Darstellung. 2012. Auflage. Herold, Köln 2012, ISBN 978-3-9814660-1-0.
  2. Artikel "Hypoalbuminemia Medication" in Medscape
  3. Artikel "Nephrotic Syndrome Treatment & Management in Medscape
  4. Artikel "Nephrotic Syndrome: Lifestyle and home remedies" in mayoclinic.com
  5. G Eknoyan: A history of edema and its management. In: Kidney International. Supplement. 59. Jahrgang, Juni 1997, ISSN 0098-6577, S. S118–126, PMID 9185118.
  6. Bright’s disease in der englischsprachigen Wikipedia
  7. J. S. Cameron: Bright’s Disease Today: The Pathogenesis and Treatment of Glomerulonephritis – I. In: British Medical Journal. 4. Jahrgang, Nr. 5832, 14. Oktober 1972, ISSN 0007-1447, S. 87–90, PMC 1786202 (freier Volltext).
  8. A Heidland, et al.: Franz Volhard and Theodor Fahr: achievements and controversies in their research in renal disease and hypertension. In: Journal of Human Hypertension. 15. Jahrgang, Nr. 1, Januar 2001, ISSN 0950-9240, S. 5–16, PMID 11223997.
  9. Strauss MB, Welt LG. Diseases of the Kidney. (ed 2). Boston, MA: Little Brown; 1963
  10. J M Ginsberg, et al.: Use of single voided urine samples to estimate quantitative proteinuria. In: The New England Journal of Medicine. 309. Jahrgang, Nr. 25, 22. Dezember 1983, ISSN 0028-4793, S. 1543–1546, doi:10.1056/NEJM198312223092503, PMID 6656849.
  11. W Greg Miller, et al.: Current issues in measurement and reporting of urinary albumin excretion. In: Clinical Chemistry. 55. Jahrgang, Nr. 1, Januar 2009, ISSN 1530-8561, S. 24–38, doi:10.1373/clinchem.2008.106567, PMID 19028824.
  12. Nicholas Stoycheff, et al.: Nephrotic syndrome in diabetic kidney disease: an evaluation and update of the definition. In: American Journal of Kidney Diseases. 54. Jahrgang, Nr. 5, November 2009, ISSN 1523-6838, S. 840–849, doi:10.1053/j.ajkd.2009.04.016, PMID 19556043.