Otto Löwenstein (Mediziner)

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Otto Löwenstein, später Otto Lowenstein (* 7. Mai 1889 in Osnabrück; † 25. März 1965 in New York), war ein deutsch-US-amerikanischer Neuropsychiater und Pionier auf dem Gebiet der Erforschung menschlicher Pupillen.

Leben

In Deutschland

Otto Löwenstein wurde als Sohn von Julius Löwenstein und Henrietta Grunewald geboren und wuchs in Preußisch Oldendorf auf.[1] Er war ein kränkliches Kind, das viel las, und wurde wegen Lungenproblemen ein Jahr als Pflegekind zu einer Familie in den Schwarzwald geschickt. 1909 konvertierte Löwenstein, der jüdischer Herkunft war, zum Protestantismus. Löwenstein studierte zunächst an der Georg-August-Universität Göttingen Mathematik und Philosophie, später an der Universität Bonn Medizin. Nach seinem Staatsexamen war er ab dem 28. März 1913 Medizinalpraktikant an der Rheinischen Provinz-Irrenanstalt, 1914 promovierte er in Bonn[2] mit der Arbeit: Die Zurechnungsfähigkeit der Halluzinanten, nach psychologischen Prinzipien beurteilt.[3] 1920 heirateten er und seine Kusine Martha Grunewald; sie hatten die Töchter Anne Elisabeth und Marie Dorothea.[4][5]

Im bald darauf ausbrechenden Ersten Weltkrieg tat Löwenstein Dienst als Erster Garnisonsarzt einer Militär-Nervenstation in Metz.[4] Nach Kriegsende 1918 nach Bonn zurückgekehrt, wurde er Assistent beim dortigen Neurologen und Psychiater Alexander Westphal. 1919 wurde er Anstaltsarzt, 1920 Oberarzt und nach Habilitation für Psychiatrie und Neurologie[2] Privatdozent an der Universität, die ihn bereits 1923 zum nichtbeamteten Außerordentlichen Professor ernannte. 1926 wurde er erster Leiter der neu gegründeten Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme, der ersten ihrer Art auf der Welt,[6] und Leiter des Instituts für Neurologisch–Psychiatrische Erbforschung an der Universität Bonn.[7] Gemeinsam mit seiner Frau führte er über 100 Interviews, um familiär bedingte neurologische Erkrankungen zu erforschen. Zudem beschäftigte er sich mit Pupillographie, um herauszufinden, ob man durch die Beobachtung von Pupillen auf geistige und neurologische Erkrankungen rückschließen könne und entwickelte erste Apparaturen und Methoden für diese Fachrichtung.

Am 11. August 1930 wurde Otto Löwenstein zum Ordentlichen Professor für Pathopsychologie ernannt (Stiftungsprofessur der Rh. Landesklinik). Diese schnelle Karriere erweckte Neider in der Fakultät, insbesondere bei Walther Poppelreuter, der dann auch nach Hitlers Machtergreifung im Hintergrund einer Aktion am 8. März 1933 durch etwa 80 SA-Männer stand, die ihn in Ketten durch die Stadt schleifen wollten und ihn in Schutzhaft nehmen sollten. Das Institut wurde verwüstet und Löwensteins Assistenten misshandelt. Poppelreuter wurde sein Nachfolger. Löwenstein war telefonisch gewarnt worden, versteckte sich und floh am 10. März über das Saargebiet mit seiner Familie in die Schweiz.

In der Schweiz und den USA

In Nyon war Löwenstein an einem Privatsanatorium La Métairie tätig, das er um eine Kinderklinik erweiterte. Er war auch Mitglied der Medizinischen Fakultät der Universität Genf für Augenheilkunde und dort ab 1935 Leiter des Labors für Pupillographie.

Nach den Novemberpogromen 1938, bei denen auch die Synagoge in Osnabrück, seiner Heimatstadt, niedergebrannt wurde, beschloss Otto Löwenstein, Europa zu verlassen. 1938 emigrierte er nach Kanada, wo er Gastprofessor in Montreal war,[4] und von dort in die Vereinigten Staaten, wo er an der New York University und später am Columbia Presbyterian Hospital tätig war. Gemeinsam mit seiner Assistentin Irene Löwenfeld führte er seine neuroophthalmologischen Forschungen fort. So bauten sie 1957 einen „elektronischen Pupillograph“ mit Infrarot-Technologie. Dieses Gerät wurde dazu benutzt, um den Durchmesser von Pupillen zu messen und war der Vorläufer von weiteren Instrumenten späterer Jahre. Die Experimente und Publikationen von Löwenstein und Löwenfeld waren Pionierleistungen auf dem Gebiet der Pupillenforschung und trugen maßgeblich dazu bei, dass diese Eingang in die Neuroophthalmologie fand.

1964 verlieh die Philosophische Fakultät der Universität Bonn Löwenstein die Ehrendoktorwürde, nachdem er schon 1955 als Professor der Universität rehabilitiert worden war.[8] Während er zu dieser Zeit die letzten Zeilen für sein Hauptwerk über die Pupille schrieb, erkrankte er an einem Magenkarzinom. Er übergab das Werk an Irene Löwenfeld, die inzwischen extern an der Bonner Universität mit Löwenstein als Mentor promoviert hatte und in den folgenden Jahren das Buch vollendete. Die über 2000 Seiten starke Publikation erschien erstmals 1993.[9]

Ehrungen

Am 25. Juni 1993 erhielt der Neubau, in den die „Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie“ und die „Abteilung für Sprachstörungen“ der LVR-Klinik Bonn 1992 eingezogen war, im Rahmen eines Festaktes den Namen: „Prof. Otto Löwenstein-Haus“.[10]

Publikationen (Auswahl)

  • Mit Irene Löwenfeld: The Pupil. Anatomy, Physiology, and Clinical Applications. Butterworth-Heinemann, 1999.
  • Der psychische Restitutionseffekt.
  • Die Störungen des Lichtreflexes der Pupille bei den luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Beiträge zur Frühdiagnostik der Lues nervosa. Basel 1937.
  • Experimentelle und klinische Studien zur Physiologie und Pathologie der Pupillenbewegungen mit besonderer Berücksichtigung der Schizophrenie. Karger, Berlin 1933.
  • Experimentelle Hysterielehre. Cohen, Bonn 1923.
  • Die Zurechnungsfähigkeit der Halluzinanten nach psychologischen Prinzipien beurteilt. Bonn 1914.

Literatur

  • Annette Waibel: Prof. Dr. Otto Löwenstein und die Gründerjahre der Provinzialkinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn: 1926–1933. Dissertation 1998. Rheinland-Verlag, Köln / Halet, Bonn 2000, ISBN 3-7927-1822-7.
  • Joseph Walk und Leo Baeck Institute Jerusalem (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4, S. 245.
  • Salomon Wininger: Große jüdische National-Biographie. Band 7, Cernowitz 1936, S. 274f.
  • Werner Röder; Herbert A. Strauss, (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Vol II, 2, Saur, München 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 752f. Lemma: Lowenstein, Otto.
  • Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. S. 347 Abschnitt Löwenstein.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Angaben im Artikel beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf das Buch von Forsbach, der sich auf die Dissertation von Waibel und das Archiv der Universität Bonn stützt.
  2. a b Salomon Wininger: Große jüdische National-Biographie. 1936, S. 274 f.
  3. Google-Books-Snippel aus Neurologisches Zentralblatt von 1917, S. 476.
  4. a b c Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Vol II, 2, 1983, Lemma: Lowenstein, Otto. S. 752 f.
  5. Leo Peters: Der Lebensweg der Familie Grunewald und die Situation der Juden in Kaldenkirchen. In: Leo Peters (Hrsg.): Eine jüdische Kindheit am Niederrhein: die Erinnerungen des Julius Grunewald (1860 bis 1929). Böhlau Verlag, Köln/ Weimar 2009, ISBN 978-3-412-20356-6, S. 166 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Artikel im Kölner Stadtanzeiger (Region) zum 75-jährigen Jubiläum vom 19. November 2001 (Zugriff Nov. 2013)
  7. LVR-Klinik Bonn – Geschichte. Abgerufen am 13. November 2013.
  8. B. Wilhelm, H. Wilhelm: Irene Löwenfeld am 9. Oktober 2009 in New York verstorben. In: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. Band 226, Nr. 11, 13. November 2009, S. 944–944, doi:10.1055/s-0028-1109879.
  9. Fion D. Bremner, Stephen E. Smith: The Pupil: Anatomy, Physiology, and Clinical Applications By Irene E. Loewenfeld. Rezension. In: Brain. Band 124, Nr. 9, 9. Januar 2001, S. 1881–1883, doi:10.1093/brain/124.9.1881.
  10. Zwischen Rheinland und Israel. Abgerufen am 13. November 2013.