Schlupfwespen
Schlupfwespen | ||||||||||||
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Holzwespen-Schlupfwespe (Rhyssa persuasoria) beim Anstechen eines Fichtenstammes, in welchem sie nach Wirtslarven (Holzwespenlarven) sucht | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Ichneumonidae | ||||||||||||
Latreille, 1802 |
Die Schlupfwespen (Ichneumonidae) bilden in Mitteleuropa die artenreichste Familie der Hautflügler und stellen auch die größten Arten unter den parasitoiden Hymenopteren. Gelegentlich wird der Name „Schlupfwespen“ als Bezeichnung für die Lebensweise verwendet, die nicht nur die Ichneumonidae, sondern auch andere Legimmen besitzen, daher nennt man die Ichneumonidae auch „Echte Schlupfwespen“ oder „Schlupfwespen im engeren Sinn“.
Lebensweise
Parasitiert werden holometabole Insekten, am häufigsten Schmetterlinge, Pflanzenwespen, Käfer u. a. Einige spezialisierte Formen parasitieren auch in Spinnenkokons, wo sie sich von den Spinneneiern ernähren, oder als Ektoparasiten an den Spinnen selbst. Die Gattung Polysphincta saugt an den Hinterleiben von bestimmten Radnetzspinnen und bringen diese durch biochemische Zusätze dazu, ein anderen Webmuster zu verfolgen. Sie lassen sich Kokons als Bruthöhle bauen. Danach werden die Spinnen getötet.[1] Hemimetabole Insekten jedoch werden nach bisherigem Kenntnisstand von dieser Familie verschont (nicht jedoch etwa von den Erzwespen, die zu den Schlupfwespen im weiteren Sinne zählen).
Die Parasitierungsraten durch die Ichneumonidae können im Freiland hohe Werte von über 50 Prozent bis zu 80 Prozent und sogar 90 Prozent betragen, besonders bei Massenentwicklungen der Wirtsart. Dadurch fungieren die Schlupfwespen als sehr wichtige Antagonisten vieler Schädlingsarten und halten deren Populationen auf natürliche Weise in Grenzen.
Einige Ichneumonidae-Arten der Unterfamilie Campopleginae, die Schmetterlingsraupen parasitieren, besitzen einen endogenen viralen Vektor aus der Familie der Polydnaviridae, der nur in den Calyxzellen der Ovarien der Wespen gebildet wird und nach einer Koinjektion mit den Nachkommen den Stoffwechsel, die Immunreaktion und das Verhalten des Wirts verändert.[2]
Unterfamilien
Die Familie wird derzeit in 41 Unterfamilien eingeteilt, deren Phylogenie noch weitgehend ungeklärt ist[3]. Die folgende Aufstellung folgt D.S. Yu (Stand: 2012)[4]
- Acaenitinae Forster 1869
- Adelognathinae Thomson 1888
- Agriotypinae Haliday 1838
- Alomyinae Forster 1869
- Anomaloninae Viereck 1918
- Banchinae Wesmael 1845
- Brachycyrtinae Viereck 1919
- Brachyscleromatinae Townes 1961
- Campopleginae Forster 1869
- Claseinae Townes 1969
- Collyriinae Cushman 1924
- Cremastinae Forster 1869
- Cryptinae Kirby 1837
- Ctenopelmatinae
- Cylloceriinae Wahl 1990
- Diacritinae Townes 1965
- Diplazontinae Viereck 1918
- Eucerotinae Viereck 1919
- Hybrizontinae Blanchard 1845
- Ichneumoninae Latreille 1802
- Labeninae Ashmead 1900
- Labenopimplinae Kopylov 2010
- Lycorininae Cushman & Rohwer 1920
- Mesochorinae Forster 1869
- Metopiinae Forster 1869
- Microleptinae Townes 1958
- Neorhacodinae Hedicke 1922
- Nesomesochorinae Ashmead 1905
- Nonninae Townes 1961
- Ophioninae Shuckard 1840
- Orthocentrinae Forster 1869
- Orthopelmatinae Schmiedeknecht 1910
- Oxytorinae Thomson 1883
- Palaeoichneumoninae Kopylov 2009
- Paxylommatinae Forster 1862
- Pedunculinae Porter 1998
- Pherhombinae Kasparyan 1988
- Phrudinae Townes & Townes 1949
- Pimplinae Wesmael 1845
- Poemeniinae Narayanan & Lal 1953
- Rhyssinae Morley 1913
- Stilbopinae Townes & Townes 1949
- Tanychorinae Rasnitsyn 1980
- Tatogastrinae Wahl 1990
- Tersilochinae Schmiedeknecht 1910
- Townesitinae Kasparyan 1994
- Tryphoninae Shuckard 1840
- Xoridinae Shuckard 1840
Einige Arten
- Sichelwespe (Ophion luteus)
- Holzwespen-Schlupfwespe (Rhyssa persuasoria)
- Ephialtes manifestator
- Zangenbock-Schlupfwespe (Dolichomitus dux)
- Riesenschlupfwespe (Protichneumon pisorius)
- Gelbe Schlupfwespe (Amblyteles armatorius)
- Latibulus argiolus
- Ichneumon eumerus
- Tersilochus obscurator
- Trichogramma evanescens
Wirtschaftliche Bedeutung
Schlupfwespen haben in der Kontrolle von für den Menschen unerwünschten Insekten wirtschaftliche Bedeutung; diese ist allerdings schwer quantifizierbar. Einige Schlupfwespenarten werden kommerziell gezüchtet und in der Biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt, z. B. zur Kontrolle von Lebensmittelmotten[5], Lauchmotten, oder Kleidermotten.[6]
Literarische Bedeutung
Im alten China glaubte man, dass Schlupfwespen keine Junge haben, sondern Raupen in Schlupfwespen verwandeln. Diese vermutete Verwandlungskraft taucht immer wieder in philosophischen und literarischen Werken auf; so z. B. im Buch XIII von Zhuangzis Buch vom wahren südlichen Blütenland.
Unter dem Namen Ichneumōn („Spürer“) beschrieb Aristoteles in der Historia animalium ein Insekt: "Die Wespen aber, welche Ichneumonen genannt werden, die kleiner als die übrigen sind, töten die Spinnen, schleppen die Leichname in alte verfallene Mauern oder andere durchlöcherte Körper und überziehen das Loch mit Lehm; daraus aber entstehen die spürenden Wespen."[7] Diese Stelle wurde von dem Römer Plinius dem Älteren in seine Naturalis historia übernommen. Es ist anzunehmen, dass Carl von Linné dieser Text bekannt war, als er eine Schlupfwespe mit diesem Namen versah (die Gattung Ichneumon im neuen Sinn parasitiert allerdings tatsächlich bei Schmetterlingen).
Derselbe Name bezeichnet im Altgriechischen außerdem eine ägyptische Schleichkatzenart (Herpestes ichneumon, vgl. Ichneumon), die nach der antiken Überlieferung (ebenfalls bei Aristoteles) dem schlafenden Krokodil ins Maul kriechen und ihm von hier aus das Herz zerbeißen solle.
Die scheinbare Grausamkeit der Lebensweise (einschließlich des Kannibalismus unter den Larven) der Ichneumonidae aus menschlicher Sicht beschäftigte im 19. Jahrhundert Philosophen, Naturwissenschaftler und Theologen, da diese Lebensweise mit der Existenz eines guten und eingreifenden Gottes unvereinbar sei (Theodizee).[8] Charles Darwin fand das Beispiel der Ichneumonidae so verstörend, dass es seine Zweifel an der Existenz eines Schöpfers verstärkte, wie er 1860 in einem Brief an den amerikanischen Naturalisten Asa Gray schrieb:
„I own that I cannot see as plainly as others do, and as I should wish to do, evidence of design and beneficence on all sides of us. There seems to me too much misery in the world. I cannot persuade myself that a beneficent and omnipotent God would have designedly created the Ichneumonidae with the express intention of their feeding within the living bodies of Caterpillars, or that a cat should play with mice.“[9]
Ich kann nicht so einfach wie Andere die Beweise für eine gezielte Erschaffung und allseitiges Wohlwollen erkennen, auch wenn ich es mir wünschen sollte. Es erscheint mir zu viel Elend in der Welt. Ich kann mich nicht davon überzeugen, dass ein wohlwollender und allmächtiger Gott die Ichneumonidae mit der Absicht erschaffen haben sollte, dass sie sich vom Inneren von Raupen ernähren, oder dass eine Katze mit Mäusen spiele.
Weblinks
- Commons: Schlupfwespen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Ichneumonidae »Echte« Schlupfwespen ( vom 2. August 2008 im Internet Archive)
- Key to the subfamilies of Ichneumonidae by Gavin Broad (Dept. of Entomology, Nat. Hist. Museum, London, UK) PDF
- Ein Paradeparasit, der im Haushalt hilft zeit.de, abgerufen am 27. März 2012
Einzelnachweise
- ↑ Der Spiegel 35/2016, S.107, Sklave der Parasiten
- ↑ Elisabeth A. Herniou, Elisabeth Huguet, Julien Thézé, Annie Bézier, Georges Periquet, Jean-Michel Drezen (2013): When parasitic wasps hijacked viruses: genomic and functional evolution of polydnaviruses. Philosophical Transactions of the Royal Society Series B 368: 1626. doi:10.1098/rstb.2013.0051
- ↑ Donald L. J. Quicke; Nina M. Laurenne; Mike G. Fitton; Gavin R. Broad R.(2009): A thousand and one wasps: a 28S rDNA and morphological phylogeny of the Ichneumonidae (Insecta: Hymenoptera) with an investigation into alignment parameter space and elision. Journal of Natural History 43: 1305 — 1421. doi:10.1080/00222930902807783
- ↑ Taxapad Ichneumonoidea
- ↑ Bio Aktuell 02/09: Vorratsschutz: raue Parasitensitten (PDF; 483 kB)
- ↑ http://www.oekotest.de/cgi/index.cgi?artnr=93797&bernr=01
- ↑ Historia animalium, Buch 5, Teil 20. Übersetzung Alfred Brehm, aus Brehms Thierleben
- ↑ Nonmoral Nature. Abgerufen am 5. April 2011.
- ↑ Letter 2814 — Darwin, C. R. to Gray, Asa, 22 May [1860]. Abgerufen am 5. April 2011.