Stangenantrieb (Eisenbahn)

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Stangenantrieb an einer elektrischen Lokomotive

Der Stangenantrieb ist eine Form der Kraftübertragung vom antreibenden Element wie dem Zylinder bei dampfbetriebenen Triebfahrzeugen bzw. der antreibenden Elemente bei elektrischen oder thermischen Triebfahrzeugen.

Bei klassischen dampfbetriebenen Eisenbahnfahrzeugen geht es darum, die Hin- und Herbewegung des Kolbens im Zylinder in eine Drehbewegung der Antriebsräder umzusetzen.

Bei elektrischen oder thermischen Triebfahrzeugen geht es vor allem darum, die schweren Massen wie z. B. der Elektromotoren von den Treibachsen zu entkoppeln, um die Laufeigenschaften zu verbessern. Andere Möglichkeiten dafür sind der Einzelachsantrieb und heute der wegen der kleineren Massen der Drehstrommotoren wieder vermehrt der – modifizierte und am Drehgestell abgefederte – Tatzlagerantrieb.

Im Weiteren wurde der Stangenantrieb über seine eigentliche Aufgabe zeitlich sehr lange zur Verteilung der Adhäsion auf eine Gruppe von Treibachsen verwendet, um ein Schleudern einzelner Achsen zu verhindern (auch bei relativ modernen Fahrzeuge wie z. B. SBB Ee 3/3 IV, SJ Dm3).[1]

Begriffserklärungen

Treibstange
Die Treibstange (CH: Triebstange) verbindet das antreibende Element wie den Kolben einer Dampflokomotive mit der Triebachse oder einer Blindwelle. Die Hin- und Herbewegung wird dabei in eine Drehbewegung umgesetzt.
Bei einer Lokomotive wird die Drehbewegung des antreibenden Elementes, wie z. B. des Motors oder einer Turbine in eine mehr oder weniger synchrone Drehbewegung auf einer Triebachse, einer Blindwelle oder einer Kuppelstange übertragen.
Kuppelstange
Die Kuppelstange kann am Kurbelzapfen der Antriebswelle oder der Blindwelle befestigt sein und treibt die Kuppelachsen an. Kuppelstangen können auch an der Treibstange befestigt sein.
Ausnahme ist der Winterthurer Schrägstangenantrieb, wo die Treibstange an der Kuppelstange befestigt ist (siehe unten).
Triebachse
Insbesondere bei Dampflokomotiven wird die primär durch die Treibstange angetrieben Achse als Triebachse bezeichnet, wobei bei zahlreichen Drei- und Vierzylindermaschinen auch zwei verschiedene Achsen primär durch die Zylinder angetrieben werden.
Kuppelachse
Kuppelachsen sind jene Achsen, die durch die Triebachse angetrieben werden. Die Triebachse kann dabei auch eine Blindwelle sein.
Blindwelle
Zusätzliche Antriebswelle oder Ausgleichswelle, die über keine Radsätze mit Gleiskontakt verfügt.
Vorgelegewelle
Die Vorgelegewelle übernimmt die Übertragung der Leistung des oder der Triebmotoren auf die Treibstange. In den meisten Fällen hat die Vorgelegewelle dabei die Aufgabe, die Drehgeschwindigkeit der schnelllaufenden Motoren zu übersetzen.
Massenausgleich
Siehe dazu: Massenausgleich

Dampflokomotiven und Dampftriebwagen

Bei Dampflokomotiven werden bis auf seltene Ausnahmen immer Treib- und Kuppelstangen zur Kraftübertragung verwendet, der Stangenantrieb ist hier praktisch der Standard. Weitere Einzelheiten siehe in Dampflokomotive.

Elektrische und thermische Lokomotiven und Triebwagen

Die ersten größeren, mit Diesel- oder Elektromotoren angetriebenen Lokomotiven hatten zur Kraftübertragung vom Fahrmotor zu den Triebachsen meist ein Gestänge, üblicherweise eine oder mehrere Treib- und Kuppelstangen. Mit dem Aufkommen hydraulischer und elektrischer Kraftübertragungen bezeichnete man die Lokomotiven mit Stangenantrieb zur begrifflichen Abgrenzung auch als Stangenlokomotiven.

Schrägstangenantriebe

Der Schrägstangenantrieb benötigt zwei Kurbelzapfen. Diese Zapfen sind in den Lagern der Treibstange fix befestigt. Differenzen können deshalb nur durch Biegung der Treibstangen ausgeglichen werden.

Schrägstangenantrieb mit hochliegendem Motor

DR-Baureihe E 52, eine Stangen-Elektrolokomotive der DR mit Schrägstange auf Blindwelle
SBB Be 4/6 12303-12342, eine Stangen-Elektrolokomotive der SBB mit flachen Schrägstangen auf Triebachsen

Die ersten leistungsfähigen Elektrolokomotiven (insbesondere bei Wechselstrom) besaßen langsamlaufende Repulsionsmotoren. Diese nahmen wegen ihrer Größe den ganzen Querschnitt des Lokomotivkastens ein. Für die Übertragung der Antriebskraft wurden vielfach in einem Winkel von ungefähr 45° angeordnete Treibstangen angebracht. Es gab aber auch Lokomotiven mit fast senkrechten Treibstangen.
Die Treibstangen übertrugen die Kraft in den meisten Fällen auf eine Blindwelle, von der die Kraft mittels Kuppelstangen auf die danebenliegenden Achsen übertragen wird. Beispiele dafür sind die DR-Baureihe E 52 oder die Ge 2/4 (vor Umbau) der RhB.

Flacher Schrägstangenantrieb

Dieser Antrieb ist ebenfalls ein Antrieb mit zwei Fixpunkten, die aber fast bis ganz horizontal gelegt sind. Die Vorgelegewelle treibt dabei die Triebachse ohne Zwischenelement an. Beispiele dafür sind Fb 2x2/3 11302 der SBB, Be 4/6 12303-12342 der SBB und die Dampfturbinenlokomotive DR-Baureihe T 18.10.

Winterthurer Schrägstangenantrieb

E 91 99, eine Stangen-Elektrolokomotive der Deutschen Reichsbahn mit Winterthurer Schrägstangenantrieb

Der Winterthurer Schrägstangenantrieb ist ein im Aufbau sehr einfacher Antrieb. Die Basis des Antriebs ist eine leicht nach oben versetzte Vorgelegewelle. Diese treibt eine einfache Treibstange an, die mit einer dreieckförmigen Kuppelstange verbunden ist. Die gesamte Geometrie des Antriebes kann vertikal in einer Ebene angelegt werden. Durch die Anordnung in einer Ebene ergibt sich aber, dass die Treibstange nicht am Kurbelzapfen der primären Triebachse befestigt werden kann, sondern exzentrisch an der dreieckförmig ausgebildeten Kuppelstange angeordnet werden muss, was zu zusätzlichen mechanischen Beanspruchungen der Kuppelstange und der Kurbelzapfen der durch die Kuppelstange angetriebenen Radsätze führt. Dies manifestierte sich geräuschmäßig durch ein deutliches Knacken in den Wendepunkten. Nichtsdestotrotz war der Antrieb seiner Einfachheit wegen der meistverbreitete Stangenantrieb für Lokomotiven.
Ein sehr frühes Beispiel war die Fc 2x3/3 (später umbezeichnet auf Ce 6/6) der BLS von 1910. Bei der für damalige Verhältnisse enormen installierten Leistung von 1'470 kW / 2'000 PS zeigte sich sehr bald das grobschlächtige Verhalten des Antriebes, das zu einem sehr unruhigen Laufverhalten der Lokomotive führte. Mit ein Grund war das Fehlen von Laufachsen. Diese Lokomotive blieb ein Einzelstück.

Weitere Beispiele sind Fc 2x3/4 der SBB, Ce 6/8III der SBB, Ee 3/3I der SBB, Ge 6/6I der RhB oder DR-Baureihe E 91.

Schlitztreibstangen

Die Schlitztreibstange braucht immer drei Kurbelzapfen. Die äußeren Kurbelzapfen sind dabei in der Stange, die meistens dreieckförmig ausgebildet ist, unverschieblich gelagert. Der mittlere Kurbelzapfen ist in Idealstellung der beiden äußeren Kurbelzapfen vertikal verschieblich in einer schlitzförmigen Aussparung gelagert. Neben kleinen, durch die Reibung im Kurbelzapfenlager des Schlitzes oder durch eine gleislagenabhängige Schrägstellung des Schlitzes übertragenen Vertikalkräfte werden eigentlich nur Horizontalkräfte übertragen. Der Nachteil der Schlitzstange ist ihr, verglichen mit einer an zwei Punkten gelagerten Treibstange, größeres Volumen und damit einer größeren Masse. Ein weiterer Nachteil ist der größere Unterhaltsaufwand.

Durch die voluminöse Ausbildung der Treibstange sind Kuppelstangen für weitere angetriebene Achsen immer an der Stange und nie am jeweiligen Kurbelzapfen befestigt.
Idealerweise wird dabei die Kuppelstange vertikal auf der ideellen Lage des Kurbelzapfens (das heißt in der Position bei ebener Gleislage) der durch die Schlitztreibstange angetriebenen Achse angeordnet.

Schlitztreibstange auf zwei Triebachsen

Ce 4/4, eine Stangen-Elektrolokomotive der BLS mit Schlitztreibstange auf 2 Triebachsen

Bei dieser Art übernehmen die Kurbelzapfen zweier Triebachsen die Funktion der festen Lager. Die schlitzförmige Lagerung ist dem Kurbelzapfen der Vorgelegewelle übertragen. Dadurch ergibt sich je nach Gleislage eine Auslenkung aus der vertikalen Lage des Schlitzes bezüglich des im Rahmen fix gelagerten Antriebs. Diese Art des Antriebs wurde z. B. beim Prototyp Fb 2x2/3 11301 der SBB oder bei der Ce 4/6 der BLS verwendet. Diese Art des Antriebs wurde auch bei verschiedenen Triebwagen eingesetzt.

Schlitztreibstange auf Triebachse und Blindwelle

Denkmallok Ce 6/8II 14270
Schlitztreibstange auf Triebachse und Blindwelle

Diese Art kam zur Anwendung bei der Lokomotive Ce 6/8II der SBB. Den einen festen Punkt übernahm dabei die Vorgelegewelle, den andern eine Blindwelle, die anfänglich sogar horizontal drehbar bezüglich des Rahmens gelagert war. Auch bei dieser Anwendung war die vertikale Lage des Schlitzes zum Gleis fast immer gewährleistet. Dieser Antrieb war die Antwort der Industrie auf das von der SBB vermutete unbefriedigende kinematische Verhalten des Winterthurer Schrägstangenantriebes, der bei der Ce 6/8I der SBB eingesetzt wurde. De facto hieß das also, dass vor der Inbetriebsetzung der Ce 6/8I diese Zweifel schon vorhanden waren. Tatsächlich war es dann wirklich so, dass sich diese Art des Antriebs auch als sehr laufruhig erwies.

Schlitztreibstange auf eine Triebachse

Ae 3/6II, eine Stangen-Elektrolokomotive der SBB mit Schlitztreibstange von 2 Vorgelegewellen auf 1 Treibachse

Da die im Lokomotivrahmen fest gelagerten Motoren und Vorgelegewellen beide feste Kurbelzapfen der Triebstange antreiben, ist die Vertikalstellung des Schlitzes bezüglich der Lokomotive hier immer senkrecht.
Diese Art kam zur Anwendung bei Lokomotiven, bei denen zwei Vorgelegewellen in derselben Antriebseinheit vorhanden waren. Der Schlitz befindet sich hier beim Kurbelzapfen der Triebachse.

Ein frühes Beispiel war die Fb 5/7 (später umbezeichnet auf Be 5/7) der BLS von 1913. Die für damalige Verhältnisse große installierte Leistung von 1840 kW ~ 2500 PS war auf zwei Motoren verteilt, die über Ritzel und Großzahnräder – wie oben beschrieben – zwei Vorgelegewellen antrieben, die durch eine offene, geschmiedete Dreiecktreibstange gemeinsam die mittlere Triebachse antrieben. Die dabei auftretenden Schwingungen führten mehrfach zu einem Verbiegen dieser Treibstange. Erst der Einsatz eines verstärkten Dreieckrahmens schuf Abhilfe.
Bei Triebfahrzeugen für höhere Geschwindigkeiten wurden zusätzlich die Ritzel auf den Fahrmotorwellen abgefedert.

Weitere Beispiele dafür sind die Lokomotiven Fb 3/5 11201 der SBB und Ae 3/6II der SBB.

Patentierter Kandó-Antrieb

Prinzipskizze des Kandó-Dreieckes

Eine ähnliche Konstruktion, jedoch ohne Schlitzkurbel, stellte der patentierte Kandoantrieb dar, der auf die Firma Ganz und seinen Konstrukteur Kálmán Kandó zurückging.

Für den Höhenausgleich zwischen Fahrmotoren und Achsen verwendete Kandó einen an den Blindwellen der Motoren verbundenen Gliederrahmen, die Verbindung zu den Treibrädern stellte das sogenannte Kandodreieck her. Der Vorteil dieser Konstruktion war, dass die reichliche Schmierung der Kulisse minimiert werden konnte.

Angewendet wurde das System zum ersten Mal bei den Drehstrom Elektrolokomotiven der FS, Baureihe E 552. Für die Elektrifizierung der oberitalienischen Ferrovia Alta Valtellina führte die Firma Ganz die Elektrifizierungsarbeiten aus. In Ungarn erschien dieses System durch die verspätete Fertigstellung der MÁV-Baureihe V50 erst später. Weitere bekannte Lokomotiven mit diesem Antrieb sind die MÁV-Baureihe V40 und die MÁV-Baureihe V60.

Gelenkantrieb nach Bianchi

Foto der FS E.432 mit Antrieb nach Bianchi
Prinzipskizze von einem Antrieb nach Bianchi

Beim Gelenkantrieb nach Bianchi sorgte ebenso ein Hebelsystem für den Höhenausgleich zwischen Motor und Antriebsachsen. Anstatt des Kandodreieck bestand hier die Verbindung zwischen Hebelsystem und Treibachse durch ein Hebelsystem aus 3 Gelenkhebeln. Diese drei Hebel umfaßten mit sechs Druckpunkten den Treibzapfen des Antriebsrades und verhinderten die Einleitung vertikaler Kraftkomponenten. Auch hier konnte die Schmierung gegenüber einem Antrieb mit Kulisse wesentlich gemindert werden.

Angewandt wurde dieses System zum ersten Mal 1927 bei der Drehstrom Elektrolokomotiven der FS, Baureihe E 554, die in großer Stückzahl hergestellt wurden. Der von Giuseppe Bianchi entwickelte Stangenantrieb war aber nicht nur für die langsamen, mit 50 km/h zugelassenen Elektrolokomotiven bestimmt, sondern auch die Schnellzuglokomotiven der Reihe E 432, die für 100 km/h Höchstgeschwindigkeit zugelassen waren, hatten diese vielteilige Antriebskonstruktion.

Mehr als vier Jahrzehnte hat diese Getriebekonstruktion zuverlässig ihre Aufgaben erfüllt. Das Ende erfolgte erst 1976 mit dem Ende des Drehstrom-Systemes bei der oberitalienischen Ferrovia Alta Valtellina.

Quellen

  1. Anmerkungen: der nachfolgend angewendete Begriff …lokomotive gilt sinngemäß auch für Triebwagen. Der Begriff Lokomotive wird nachfolgend für Triebfahrzeuge verwendet, bei denen eine Drehbewegung in eine andere Drehbewegung umgesetzt wird. Die gilt in diesem Fall auch für ein thermisches Antriebselement, das nicht eine eindimensionale Bewegung direkt in eine Drehbewegung umsetzen müssen (klassische Dampflokomotive).
  • Hans Schneeberger: Die elektrischen und Dieseltriebfahrzeuge der SBB, Band I: Baujahre 1904–1955; Minirex AG, Luzern; 1995; ISBN 3-907014-07-3

Literatur

  • Claude Jeanmaire: Die elektrischen und Diesel-Triebfahrzeuge schweizerischer Eisenbahnen, Die Lokomotiven der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB)
  • Wolfgang Messerschmidt: Lokomotivtechnik im Bild - Dampf-, Diesel- und Elektrolokomotiven. Motorbuchverlag Stuttgart, 1991 ISBN 3-613-01384-3; S. 71-74

Weblinks