Stark stetige Halbgruppe

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Eine stark stetige Halbgruppe (genauer stark stetige Operatorhalbgruppe, gelegentlich auch als -Halbgruppe bezeichnet) ist ein Objekt aus dem mathematischen Teilgebiet der Funktionalanalysis. Spezialfälle der stark stetigen Halbgruppe sind die normstetige Halbgruppe und die analytische Halbgruppe.

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Familie von stetigen linearen Abbildungen eines reellen oder komplexen Banachraums in sich, welche die drei Eigenschaften

  1. ,
  2. für alle sowie
  3. für alle

erfüllt, heißt stark stetige Halbgruppe. Ersetzt man 3. durch die stärkere Forderung

so heißt die Familie normstetige Halbgruppe.

Kann man die Halbgruppe holomorph auf einen Sektor fortsetzen, so heißt sie analytisch oder holomorph.

Diese Halbgruppen spielen eine große Rolle in der (abstrakten) Theorie der Evolutionsgleichungen.

Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gleichmäßig stetige Halbgruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei ein stetiger linearer Operator, dann definiere

Die Reihe konvergiert absolut in und definiert daher eine Familie stetiger linearer Operatoren. Diese Familie ist eine normstetige Halbgruppe und damit insbesondere auch eine stark stetige Halbgruppe. Es lässt sich zeigen, dass alle normstetigen Halbgruppen auf einem Banachraum von dieser Form sind.[1]

Multiplikationshalbgruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Man betrachte den Banachraum mit der Supremumsnorm . Sei eine stetige Funktion mit nach oben beschränktem Realteil. Dann ist der Operator mit Definitionsbereich ein abgeschlossener, dicht definierter Operator und erzeugt die Multiplikationshalbgruppe , wobei Multiplikationsoperatoren können als unendlich dimensionale Verallgemeinerung von Diagonalmatrizen verstanden werden und viele der Eigenschaften von können an Eigenschaften von abgeleitet werden. Beispielsweise ist beschränkt auf genau dann, wenn beschränkt ist.[2]

Translationshalbgruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es sei der Raum der beschränkten, gleichmäßig stetigen Funktionen auf versehen mit der Supremumsnorm. Dann ist die (Links-)Translationshalbgruppe gegeben durch .

Ihr Generator ist die Ableitung mit Definitionsbereich .[3]

Die Wärmeleitungshalbgruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Man betrachte den Banachraum ausgestattet mit der -Norm. Dann ist die Wärmeleitungshalbgruppe gerade die Faltungshalbgruppe mit dem Gauß-Kern , , d. h.

für . Ihr Erzeuger ist der Laplace-Operator mit Definitionsbereich .[4]

Klassifikation stark stetiger Halbgruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu jeder stark stetigen Halbgruppe existieren ein und ein , so dass für alle die Abschätzung

gilt. Hierbei bezeichnet die Operatornorm auf dem Banachraum der stetigen linearen Endomorphismen von . Man bezeichnet die Halbgruppe

  • als Kontraktionshalbgruppe, falls dies für und erfüllt ist,
  • als (gleichmäßig) beschränkte Halbgruppe, falls obige Ungleichung für ein und gilt,
  • als quasi-kontraktive Halbgruppe, falls obige Ungleichung für und ein erfüllt ist.

Das Infimum über alle möglichen , also , heißt Wachstumsschranke.

Betrachtet man statt , spricht man von stark stetigen Gruppen.

Stark stetige Halbgruppen lassen sich unter gewissen Umständen von auf Sektoren in der komplexen Ebene fortsetzen. Solche Halbgruppen werden analytisch genannt.

Infinitesimaler Erzeuger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei eine stark stetige Halbgruppe.
Als infinitesimaler Generator oder infinitesimaler Erzeuger von bezeichnet man die Abbildung

mit dem Definitionsbereich

ist ein dicht definierter, abgeschlossener, linearer Operator.

ist genau dann beschränkt, wenn sogar in der Operatornorm gegen die Identität konvergiert.

Das abstrakte Cauchy-Problem

für den Anfangswert und eine stetig differenzierbare Funktion wird durch die Funktion

gelöst.

Für das Spektrum des Erzeugers gilt: Ist , dann gilt , wobei die Wachstumsschranke der Halbgruppe ist.

Die Resolvente von stimmt rechts von der Wachstumsschranke mit der Laplace-Transformation der Halbgruppe überein, es gilt also für und alle .

Satz von Hille-Yosida[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von besonderem Interesse ist, ob ein gegebener Operator der infinitesimale Erzeuger einer stark stetigen Halbgruppe ist. Diese Frage wird durch den Satz von Hille-Yosida vollständig beantwortet:

Ein linearer Operator ist genau dann der infinitesimale Erzeuger einer stark stetigen Halbgruppe , welche die Abschätzung erfüllt, falls abgeschlossen und dicht definiert ist, Teilmenge der Resolventenmenge von ist und

für alle und .

Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Anwendungsfall ist, dass man die Evolutionsgleichung mit gegebenem Differentialoperator lösen möchte. Der Satz von Hille-Yosida besagt, dass man hierfür die Resolventengleichung untersuchen muss, die dann auf elliptische Probleme führt. Kann man das elliptische Problem lösen, fällt es leicht das Evolutionsproblem zu lösen.

Herleitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Theorie der stark stetigen Halbgruppen entwickelte sich aus der Betrachtung des Cauchy-Problems. Die einfachste Form des Cauchy-Problems ist die Fragestellung, ob für ein gegebenes und einen Anfangswert eine differenzierbare Funktion existiert, die

erfüllt. Aus der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen erhält man, dass eindeutig gegeben ist durch . Dies kann nun verallgemeinert werden, indem man das Problem in höheren Dimensionen betrachtet, also als Anfangswert und als eine -Matrix wählt. Auch hier ist die Lösung von

.

Hierbei wird die Matrixexponentialfunktion wie im Reellen durch definiert. Das Cauchy-Problem kann auch auf einem Banachraum gestellt werden, in dem und als ein Operator auf gewählt wird. Ist ein beschränkter Operator, so ist mit wiederum die Lösung des Cauchy-Problems. In der Anwendung vorkommende Operatoren wie der Laplace-Operator werfen die Frage nach einer Verallgemeinerung auf unstetige Operatoren auf, da in diesem Fall die Summe im Allgemeinen nicht konvergiert. Damit ergibt sich das Problem, wie man die Exponentialfunktion im Falle eines unbeschränkten Operators definieren soll. Unabhängig voneinander konnten Einar Hille und Kōsaku Yosida um das Jahr 1948 eine Lösung präsentieren:

Ansatz von Hille: Ausgehend von der im Reellen geltenden Identität erhält man . Diese Darstellung hat den Vorteil, dass die Resolvente beschränkt ist und damit auf der rechten Seite nur beschränkte Operatoren auftauchen. Hille konnte zeigen, dass unter gewissen Umständen der Grenzwert dieser Folge existiert. Betrachtet man eine stark stetige Halbgruppe , wie sie in der Einleitung definiert ist, mit ihrem Erzeuger , erfüllt sie die Gleichung .

Yosida-Approximation: Yosidas Idee war es, den (unbeschränkten) Operator durch eine Folge beschränkter Operatoren zu definieren. Dazu setzte er und zeigte, dass in punktweise gegen konvergiert. Weiterhin erzeugen als beschränkte Operatoren stark stetige Halbgruppen mit , die für jedes punktweise in gegen einen Operator konvergieren. Die Familie von Operatoren ist in der Tat eine stark stetige Halbgruppe, und jede stark stetige Halbgruppe kann durch die Yosida-Approximation angenähert werden.

Stabilität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine stark stetige Halbgruppe ist gleichmäßig exponentiell stabil, wenn zwei Konstanten und existieren, so dass

Der Satz von Datko-Pazy liefert eine hinreichende Bedingung für gleichmäßige exponentielle Stabilität.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Klaus-Jochen Engel, Rainer Nagel: One-parameter semigroups for linear evolution equations. Springer, New York NY 2000, ISBN 0-387-98463-1 (Graduate Texts in Mathematics 194).
  • Einar Hille, Ralph S. Phillips: Functional Analysis and Semi-Groups. Revised and expanded edition. American Mathematical Society, Providence RI 2000, ISBN 0-8218-1031-6 (American Mathematical Society. Colloquium publications 31).
  • Tosio Kato: Perturbation Theory for Linear Operators. Corrected printing of the 2nd edition. Springer, Berlin 1980, ISBN 0-387-07558-5 (Die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen 132), (Reprint. Springer-Verlag, Berlin u. a. 1995, ISBN 3-540-58661-X (Classics in mathematics)).
  • Ammon Pazy: Semigroups of Linear Operators and Applications to Partial Differential Equations. Springer-Verlag, Berlin u. a. 1983, ISBN 3-540-90845-5 (Applied Mathematical Sciences 44).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Klaus-Jochen Engel, Rainer Nagel: A short course on operator semigroups. Springer, New York, N.Y. 2006, ISBN 0-387-36619-9, S. 18.
  2. Klaus-Jochen Engel, Rainer Nagel: A short course on operator semigroups. Springer, New York, N.Y. 2006, ISBN 0-387-36619-9, S. 20 ff.
  3. Klaus-Jochen Engel, Rainer Nagel: A short course on operator semigroups. Springer, New York, N.Y. 2006, ISBN 0-387-36619-9, S. 51.
  4. András Bátkai, Marjeta Kramar-Fijavž, Abdelaziz Rhandi: Positive Operator Semigroups. Birkhäuser/Springer Cham, 2017, ISBN 978-3-319-42811-6, S. 130.