Steuervermeidung

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Steuervermeidung (auch Steueroptimierung oder Steuergestaltung) bezeichnet die legale Nutzung von Möglichkeiten und Verfahren, um die Steuerlast von Unternehmen und Privatpersonen zu verringern. Die Steuervermeidung ist grundsätzlich bei allen Steuerarten möglich, im Vordergrund stehen jedoch regelmäßig Ertragsteuern. Von der Steuervermeidung abzugrenzen ist die nicht legale Steuerverkürzung. Umgangssprachlich wird im Zusammenhang mit der Steuervermeidung oft auch von Steuerschlupfloch gesprochen.

Die Steuerlast ergibt sich als Produkt aus Steuerbemessungsgrundlage und Steuersatz. Folglich ist im Rahmen von Steuervermeidungsstrategien die Bemessungsgrundlage zu minimieren oder der auf diese anzuwendende Steuersatz, letzteres insbesondere im Rahmen der Wohnsitz- oder Standortwahl.

Neben einer absoluten Steuerersparnis wird im Rahmen von Steuervermeidungsstrategien oftmals auch lediglich ein positiver Zinseffekt angestrebt, indem positive steuerliche Einkünfte in die Zukunft verlagert werden. Dies gilt insbesondere für viele steuerbilanzielle Gestaltungen bei Unternehmen.

Steuervermeidung bei natürlichen Personen

Steuervermeidung ist jede legale Verhaltensweise, die zur Verringerung von Steuerzahlungen führt. Eine langfristig angelegte Steuervermeidungsstrategie besteht in der Wohnsitzwahl in einem Land mit als vorteilhaft erachteten steuerlichen Rahmenbedingungen (siehe auch Steuerflucht).

Steuervermeidungsstrategien in Deutschland sind beispielsweise:

  • Heirat, um das Ehegattensplitting nutzen zu können
  • Anschaffung eines Diesel-PKWs, um die Mineralölsteuerlast zu verringern
  • Verringerung des Tabakkonsums, um die Tabaksteuerlast zu verringern
  • das Geltendmachen von Verlusten aus Medienfonds
  • gezieltes Realisieren von steuerlichen Verlusten zur Verlustverrechnung mit Gewinnen (Tax Loss Harvesting, dt. Steuerverlusternte)
  • Verlagerung von Kapitalerträgen in die hohen Grundfreibeträge von Kindern
  • Stundung von Gewinnen über Nullkuponanleihen bis in eine Zeit mit günstigem Steuersatz (siehe auch Anleihenstripping)

In vielen Steuerjurisdiktionen existieren unterschiedliche Steuersätze in Abhängigkeit von der Art der Einkünfte. Dies betrifft in Deutschland die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge, welche aus dem System der synthetischen Einkommensteuer herausfällt. Hier kann durch eine entsprechende Vermögensallokation (z. B. Investments in Aktien statt in das eigene Einzelunternehmen) eine Steuervermeidung durch Wahl der Einkunftsarten erfolgen.

Steuervermeidung bei Unternehmen

Im Unternehmenssteuerrecht existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten der Steuervermeidung. Zu unterscheiden ist insoweit insbesondere zwischen Steuervermeidung im nationalen und im internationalen Kontext.

Nationales Steuerrecht

Für Unternehmen existieren vielfältige Möglichkeiten, die Steuerbemessungsgrundlage zu minimieren. Bei bilanzierungspflichtigen Unternehmen kann dies durch Minimierung des Bruttovermögens (Aktiva) und/oder Maximierung des Fremdkapitals (Passiva) geschehen. Hierzu ist von eventuellen Aktivierungswahlrechten in der Steuerbilanz negativer, von Passivierungswahlrechten positiver Gebrauch zu machen. Im deutschen Steuerbilanzrecht existieren allerdings keinerlei Ansatzwahlrechte. Weiterhin sind die Wertansätze von Aktiva möglichst zu minimieren und die Wertansätze von Passiva zu maximieren. Hierfür ergeben sich im deutschen Steuerbilanzrecht vielfältige Möglichkeiten im Rahmen offener Bewertungswahlrechte und von Ermessensspielräumen.

Ein klassisches Mittel der Steuervermeidung ist die Wahl einer steueroptimalen Abschreibungsmethode (Minimierung des Bruttovermögens). In Deutschland war hier lange Zeit die degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) mit Wechsel zur linearen Methode vorherrschend, welche zu einem positiven Zinseffekt führte. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 in Deutschland wurde die Möglichkeit der degressiven AfA in der Steuerbilanz abgeschafft.

Erhebliche Spielräume zur Steuervermeidung ergeben sich aus den Möglichkeiten der horizontalen und vertikalen Verlustverrechnung. So können Verluste in ertragsstarke Jahre vorgetragen werden.

Ein Beispiel für die Vermeidung von Umsatzsteuerzahlungen ist der Erhalt des Status als umsatzsteuerbefreites Kleinunternehmen, indem eine Begrenzung des Jahresumsatzes auf den entsprechenden Grenzwert (gegenwärtig 17.500 Euro) erfolgt.

Werden in einem Land lokale (Gemeinde)-Steuern erhoben, wie bspw. die Gewerbesteuer (Deutschland) in Deutschland, so kann eine Steueroptimierung im Rahmen der nationalen Standortwahl erfolgen, sofern die Steuersätze von Gemeinde zu Gemeinde variieren. In Deutschland schwanken die Hebesätze der Gewerbesteuer in den einzelnen Gemeinden zum Teil beträchtlich, so dass hier durch eine geschickte Standortwahl u.U. erhebliche Steuereinsparungen möglich sind.

Eine langfristige Steuervermeidungsstrategie kann bei Unternehmensgründungen oder -umwandlungen bereits bei der Rechtsformwahl beginnen, wenn unterschiedliche Rechtsformen unterschiedlich besteuert werden. In Deutschland wie auch vielen anderen Ländern werden Kapitalgesellschaften intransparent, Personenunternehmen dagegen transparent besteuert. Bei hohen Spitzensteuersätzen der persönlichen Einkommensteuer können daher Kapitalgesellschaften steuerlich vorteilhafter sein als Personengesellschaften (mit hohen Gewinnen).

Internationales Steuerrecht

Bei Unternehmen mit Aktivitäten in zwei oder mehr Steuerjurisdiktionen wird die Steueroptimierung bei reinen Inlandssachverhalten durch die steueroptimale Gestaltung der internationalen Aktivitäten ergänzt. Das Ziel besteht hier in der Minimierung der Konzernsteuerlast, d.h. der Summe der Steuerzahlungen der einzelnen Konzerngesellschaften. Die internationale Steuerplanung betrifft grds. Aktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Beschaffung bis zum Verkauf (Tax Efficient Supply Chain Management).

In internationalen Unternehmen werden zum Teil hochkomplexe Steuergestaltungen mit dem Ziel der Minimierung der Konzernsteuerlast angewendet, wobei gezielt die Vorteile einzelner Steuerjurisdiktionen genutzt werden. Ein Beispiel für solche komplexe Gestaltungen ist die Strategie Double Irish With a Dutch Sandwich (bis Anfang 2015 erlaubt; Übergangsfrist bis 2020 in Irland). Ein weiteres Beispiel ist die Steuerfreiheit bei Patenteinnahmen von Unternehmen, wie sie das Vereinigte Königreich ermöglicht hat und wie dies 2014 auch die irische Regierung plant.[1]

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Ein wesentliches Ziel der Steuerplanung im internationalen Konzern ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung von Erträgen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit fast allen wirtschaftlich bedeutsamen Ländern Doppelbesteuerungsabkommen unterhält, ist dies grds. bei den meisten international tätigen deutschen Unternehmen gewährleistet.

Internationales Steuergefälle

Die internationale Steuerplanung setzt bei dem Umstand an, dass sich das Unternehmenssteuerrecht der einzelnen Steuerjurisdiktionen zum Teil ganz erheblich voneinander unterscheidet. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem internationalen Steuergefälle. Tendenziell sind hierbei die klassischen Industrieländer (Länder der Ersten Welt) als Hochsteuerländer, Schwellenländer dagegen eher als Niedrigsteuerländer zu charakterisieren. In den letzten Jahren ist hier allerdings eine Angleichung zu beobachten, wobei international der Trend hin zu einer Verringerung der Unternehmenssteuerbelastung geht (Race to the Bottom). Deutschland befindet sich derzeit mit einer effektiven durchschnittlichen Unternehmenssteuerbelastung von etwa 30 % international im Mittelfeld.[2] Oftmals spielen in der internationalen Steuerplanung Steueroasen eine große Rolle. Neben den klassischen Steueroasen wie den Kanalinseln, den Kaimaninseln oder den Bahamas bieten seit vielen Jahren auch Industrieländer wie etwa die Niederlande oder Irland bestimmte Steuervorteile für internationale Unternehmen, bspw. Steuervorteile für (konzerninterne) Finanzierungsgesellschaften.

Standortwahl und Funktionsverlagerungen

Die Ausnutzung des internationalen Steuergefälles geschieht im Rahmen der internationalen Steuerplanung durch eine Verlagerung von Wertschöpfungsaktivitäten in Niedrigsteuerländer. Dies kann sowohl durch die Standortwahl (Tochtergesellschaften, Betriebsstätten) wie auch die Verlagerung einzelner Aktivitäten (Funktionsverlagerung) erfolgen.

Konzerninterne Verrechnungspreise und Finanzierungsgesellschaften

Eine ganz wesentliche Rolle in der internationalen Steuerplanung spielen konzerninterne Verrechnungspreise. Diese werden beim Leistungsaustausch zwischen Konzerngesellschaften in unterschiedlichen Ländern so gewählt, dass der Gewinn in dem Land mit der geringeren Steuerbelastung erhöht und in dem Land mit der höheren Steuerbelastung verringert wird.

Beispiel: Liefert das Volkswagenwerk in Wolfsburg Plattformen an die Konzerntochter Škoda in Tschechien (geringere Steuerbelastung als Deutschland), so sind die von Skoda an VW zu zahlenden Verrechnungspreise für die Plattformen möglichst niedrig anzusetzen.

Eine gängige Praxis ist weiterhin die Einrichtung konzerninterner Finanzierungsgesellschaften in Ländern mit niedrigen effektiven Steuersätzen. Durch die konzerninterne Kreditgewährung und die damit verbundenen Zinszahlungen können dann Gewinne in das Niedrigsteuerland verlagert werden.

Verlustnutzung

Im internationalen Konzern ergeben sich auch weitergehende Möglichkeiten der Verlustnutzung als bei rein nationalen Unternehmen. Eine besondere Form der internationalen Verlustnutzung ist das sog. Double Dipping. Hierbei werden ein und dieselben Verluste in zwei Steuerjurisdiktionen zweimal steuermindernd verrechnet.[3]

Gestaltungsmissbrauch

Der Tatbestand der missbräuchlichen Steuervermeidung ist in Deutschland in § 42 der Abgabenordnung kodifiziert. Danach liegt Gestaltungsmissbrauch vor, wenn der Steuerpflichtige eine rechtliche Gestaltung zum Zwecke der Steuervermeidung wählt, die wirtschaftlich unangemessen ist.[4] Das Finanzamt wird in einem solchen Fall die Steuer so festsetzen, wie sie entstanden wäre, wenn eine wirtschaftlich angemessene Gestaltung gewählt worden wäre. Gestaltungsmissbrauch ist nicht strafbar.

Folgen von Steuervermeidung

Steuerausfälle

Die EU-Kommission schätzt, dass jedes Jahr den Staaten in der EU eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung an Steuern vorenthalten werden, sodass dieses Geld entweder für Infrastruktur, Sicherheit und Bildung nicht zur Verfügung steht oder andere Steuerzahler dafür aufkommen müssen.[5] Der Großteil dieser nicht gezahlten Summe entfällt auf Steuervermeidung, insbesondere auf große multinationale Konzerne (vgl. Offshore-Leaks, Luxemburg-Leaks und Swiss-Leaks). Für Deutschland beträgt der Ausfall nach der Einschätzung jährlich etwa 160 Milliarden Euro.[6][5]

Im Europäischen Parlament gibt es 2016 einen eigenen Ausschuss zur Untersuchung von Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Das besonders als Folge der Panama Papers und zur Überprüfung der Geschäftsbeziehungen von Banken, Politikern und Oligarchen. Die ähnliche Rechts- bzw. Interessenslage bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuervermeidung, Geldwäsche, Offshore-Geschäften und Korruption bedarf demnach effektiver Instrumente (Offenkundigkeit, transparente geprüfte Register, Vertragssicherheit, Formvorschriften, etc.) und allenfalls härtere Sanktionen gegen Beteiligte.[7]

Umverteilung

Auch Nichtregierungsorganisationen befassen sich mit Steuervermeidung, insbesondere solche von Superreichen und multinationalen Konzernen. Bekannte Organisationen sind unter anderem das Tax Justice Network und Oxfam.[8] Diese stellen fest, dass eine wesentliche Ursache für die weltweit sehr hohe und zunehmende Vermögenskonzentration (2009 besaß das reichste Prozent der Weltbevölkerung über 44 Prozent des weltweiten Vermögens, im Jahr 2014 waren es insgesamt 48 Prozent) Steuervermeidung sei.[9][10]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Steuerpolitik: Irland schließt Steuerschlupfloch für Unternehmen | ZEIT ONLINE Zeit.de:Irland schließt Steuerschlupfloch für Unternehmen.
  2. KPMG: Corporate and indirect tax survey 2012, S.6-8. Corporate and Indirect Tax Survey 2012 | KPMG | DE
  3. Kolruss, Th.: Die hybride Kapitalgesellschaft – Gestaltungen zur doppelten Verlustverwertung (Double-Dipping) im Verhältnis Deutschland-USA, in: IStR 2004, S.735-741.
  4. vgl. auch BStBl 2000 II 224, 1990 II 113
  5. a b Deutschlandfunk: "Viel professionellere Art des Steuerbetrugs", 7. November 2014
  6. FAZ: EU warnt vor Steuerausfall von 1 Billion Euro, 6. Dezember 2014
  7. vgl. Florian Klenk, Josef Redl "Brüssel schaut nach Panama" in Der Falter vom 12. Oktober 2016, S. 12; zur Problemlage dazu u.a. Philip Faigle "Wir zerütten den Rechtsstaat" in Die Zeit vom 18. April 2016.
  8. Oxfam, Oxfam: Steuervermeidung ist Raubrittertum auf Kosten der Allgemeinheit
  9. FAZ, Das reichste Prozent hat mehr als der Rest der Welt
  10. Süddeutsche Zeitung, Ein Prozent hat mehr als der Rest der Welt