Stil

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Der Begriff 'Stil' – Erscheinungsform oder Art und Weise der Ausführung

Der Ausdruck Stil bezeichnet eine „charakteristisch ausgeprägte Erscheinungsform“ (ursprünglich einer Sprache oder eines Kunstwerks) oder das „einheitliche Gepräge der künstlerischen Erzeugnisse einer Zeit“ (z. B. Bau-, Mal-, Rembrandt-, gotischer Stil).[1] Ebenfalls mit ‚Stil‘, oft als Teilausdruck, wird die meist in engem Zusammenhang mit der Erscheinungsform einer Sache stehende „Art und Weise der Ausführung“ z. B. einer Sportart (Schwimmstil)[1] bezeichnet.

Ursprünglich bezieht sich der Ausdruck auf Kunst: Maler haben einen Malstil; Schreibende (z. B. Autoren, Dichter) einen Schreibstil, Komponisten einen Komponierstil, Musiker einen Musizierstil, Sänger einen Gesangsstil. Kunststile werden untersucht und klassifiziert von der Stilkunde, einem Teilbereich der Kunstgeschichte.

In einem weiteren Sinne umfasst ‚Stil‘ auch allgemeinere Phänomene etwa der Alltagskultur, zum Beispiel die Art wie man sich kleidet (Kleidungsstil), schmückt, sein Haar trägt.

Der Anglizismus Style wird seit Jahrzehnten – besonders im Kontext von Mode und Jugendkulturen – häufig anstelle des Wortes „Stil“ verwendet, allerdings mit etwas anderen Bedeutungsschattierungen und – je nach Zusammenhang – unterschiedlichen Konnotationen: „gestylt“, „stylis(c)h“.

‚Style‘ ist Bestandteil einiger deutscher Wörter geworden, z. B. Styling, Hairstylist.

Wortherkunft

Stil ist seit dem 15. Jahrhundert im Deutschen bezeugt und geht auf lat. stilus (Stengel, Schreibgerät, Griffel) zurück.[2] Die Verbindung ist folgende: Man konnte an einem Schriftstück erkennen, wie (also zunächst mit welchem Griffel) jemand etwas geschrieben hatte: Danach wurde die Bedeutung von „Technik zu schreiben“ über „Art zu schreiben“ (Handschrift) auf „die typische Handschrift eines Meisters oder einer Schule“ (Manier) übertragen. Das Wort ist möglicherweise nicht direkt aus dem Lateinischen ins Deutsche gekommen, sondern über das Italienische stile, wo es schon sehr viel länger bezeugt ist.

Stil kann im Anlaut mit ‚Sch‘ (wie im Wort Stadt – vor allem im süddeutschen Raum) oder mit ‚St‘ (mit scharfem, stimmlosen s wie im Wort Weste – hochdeutsche Standardaussprache) gesprochen werden. Viele Sprecher wenden die St-Variante an, um das Wort von Stiel zu unterscheiden, mit dem es allerdings von seiner Herkunft her sogar verwandt ist.

„Stil“ ist nicht bedeutungsgleich mit „Stilisierung“ (Abstraktion) zu sehen, das den ursprünglichen Kontext des Graphischen gegenüber dem Ausformuliert-Malerischen behalten hat.

Begriffsbestimmung

Ein Stil bezieht sich auf eine Epoche oder Ära der Kunstgeschichte (Epochenstil), eine Region mit gemeinsamer kultureller Tradition oder die Kunstäußerungen einer spezifischen kulturellen Gruppe (kultureller Stil), das Kunstschaffen einer Ethnie in ihrer kulturellen Identität (ethnische Kunst) oder aber eine einzelne Persönlichkeit eines Künstlers oder einer Werkstatt (persönlicher Stil). Die Einheit eines Personalstils schließt Vielfalt – Vielfalt in der Einheit – nicht aus, wie etwa bei dem spanischen Dichter Francisco de Quevedo, der bei unverkennbar eigener literarischer Charakteristik „düster zu sein vermag und witzig, derb und tiefsinnig, trocken und visionär“.[3]

Die „charakteristische Ausprägung“ bezieht sich auf Ähnlichkeit bezüglich formaler Merkmale (nicht auf die Gleichheit der Form wie bei Standardisierungs­prozessen), die als Gemeinsamkeit dem Gros der Manifestationen/Tätigkeiten jener Epoche, Region, Person, etc. zugeschrieben wird. Ein Stil bildet sich durch die – nicht immer bewusste, aber stets kohärente – Auswahl, Bewertung und Anwendung bestimmter Ausführungsmerkmale. Anhand solcher stilbildender Merkmale lassen sich beispielsweise in den bildenden Künsten Stilrichtungen feststellen. Mit anderen Worten ist ein Stil der Kanon einer Formensprache und Stilbruch das vorsätzliche oder versehentliche Verletzen dieses Kanons.

In Kunst und Handwerk bezeichnet der Stil demgemäß die Art und Weise, wie ein (Kunst-)Werk geschaffen ist (die Art des Prozesses und die Art des Resultats), wobei es um Merkmale geht, die typisch bzw. charakteristisch sind für einen Künstler, eine Epoche, eine Schule oder auch nur ein Werk. Der Stil kann unabhängig sein von Funktion oder Inhalt des Werks; dann hat er sich verselbständigt. In der Kunst wird Stil manchmal von Manier abgegrenzt. Bei Komponisten und darstellenden Künstlern spricht man auch von einem Personalstil.

In der aktuellen Kunstgeschichte wird zunehmend der Pluralismus der Stile innerhalb einer Epoche oder im Werk eines Künstlers untersucht und in Beziehung mit historischen, sozialen und kommunikativen Kontexten gesetzt. Stile werden nicht nur als formale Klassifikation, sondern auch als Bedeutungsträger analysiert. Das entspricht der oft zu beobachtenden historischen Rolle von Stilen als Bedeutungsträgern im Rahmen des Konzeptes der Angemessenheit (Decorum). Auch das traditionelle Konzept des einheitlichen Epochenstils wird immer mehr in Zweifel gezogen.[4]

In der Sprache handelt es sich bei „Stil“ um diejenigen Merkmale einer Äußerung oder eines Textes, die nicht die Bedeutung betreffen, sondern nur die Art und Weise, wie diese Bedeutung versprachlicht wird. Die gleiche Bedeutung kann auf unterschiedliche Art und Weise, also mit unterschiedlichem Stil versprachlicht sein. Insofern gibt es Überschneidungen mit dem Begriff der Sprachebene, die sich im Wesentlichen in Hochsprache, Alltagssprache, Rotwelsch oder Slang und Vulgärsprache unterteilen lässt. In der Rhetorik gibt es eine Reihe von rhetorischen Figuren, mit deren Hilfe besondere sprachliche Effekte erzielt werden. Im Journalismus wurde der Ausdruck „Stilform“ durch die Bezeichnung journalistische Darstellungsform abgelöst.

Der Stil wird maßgeblich von dem Genre bestimmt, in dem geschrieben wird, zum Beispiel in der 'dichten' Form einer SMS oder eines Zeitungs­artikels (dort dann wissenschaftlich oder politisch motiviert), in der feuilletonistischen Kurzform einer Glosse oder im Roman (siehe auch Sprachgebrauch). In fiktionalen Texten hat der Autor mehr stilistische Freiheiten.

Besonders in technischen Disziplinen werden Details zur erwarteten/geforderten Erscheinungsform von Produkten/Ergebnissen meist in speziellen, oft individuell je Unternehmen, je Produkt oder projekt­bezogen erstellten Regelwerken festgelegt. So basiert beispielsweise die Gestaltung der Benutzeroberfläche eines Computerprogramms auf einem „GUI-Styleguide“ oder die formale Struktur des Quellcodes von Computerprogrammen auf „Programmierrichtlinien“ o. ä. genannten Gestaltungsrichtlinien.

Erweiterte Bedeutungen

Außerhalb der bildenden Künste, allgemein, spricht man auch von Stilen, oft von Verhaltensstilen, je nach betrachtetem Verhalten/Resultaten einer Handlung, also etwa von Wohnstil, Modestil, Denkstil, Programmierstil, Lauf- oder Schwimmstil usw. Stile können sich ändern; sie sind oft zeitgebunden und differieren zumeist örtlich, nach Gruppen und Individuen außerordentlich stark.

Zu erwähnen sei noch das Spannungsfeld der Begriffe „mit Stil“, „kultiviert“, „manieriert“, „zivilisiert“:

  • Jemand hat einen Stil, orientiert also sein (Konsum-)verhalten konsequent an einem von ihm vertretenen Wertkonzept, dem meist traditionelle Qualitätsvorstellungen zu Grunde liegen
  • aber jemand hat Stil, wenn er sich innerhalb eines geschmacklichen Kanons sicher bewegt.

Stil in der Musik

In den Musikwissenschaften ist der Stilbegriff von Guido Adlers zentraler Setzung bis zu seiner Verdrängung durch Geschmacks- und Präferenzforschungen in den 1970er Jahren mit unterschiedlichem Stellenwert und deutlich verschiedenen Absichten verhandelt worden. Während bei Adler die Systematisierung „chaotischer Zustände“ dazu dienen sollte, „in dem Knäuel künstlerischer Erscheinungen [...] den roten Faden der Geschichte aufzudecken“,[5] ging es bei der Annäherung des Stilbegriffs an die Mode um eine Erweiterung von Maßstäben der perfekten Angemessenheit auf den Lebensstil – was lange vor Adlers Abhandlung zur Temporalisierung des Stilbegriffs geführt hat.[6] Dick Hebdige vertritt für die populäre Musik eine anthropologisch-strukturalistische Position, bei der er zwei Annäherungen vorschlägt: Homologie und praktische Zuordnung von Bedeutung.[7] Leonard B. Meyer befasste sich mit der Systematisierung von Einschränkungen bei der Stilausübung.[8] Mit der Aneignung von Stilmitteln ist die Antizipation von Handlungen zugunsten eines virtuell gemeinschaftlichen Handlungsverlaufs durch eine Variation von Gegenstandsbezügen verbunden. In den 1970er Jahren kann die Rede von einer exponentiellen Vervielfachung von Stilrichtungen in der populären Musik sein, die dem Entstehen von vielen kleinen Studios und Schallplattenfirmen anstelle weniger großer zu verdanken war.

Literatur

  • Stephan Hoppe: Northern Gothic, Italian Renaissance and beyond. Toward a 'thick' description of style. In: Chatenet, Monique (Hrsg.): Le Gothique de la Renaissance. Actes des quatrième Rencontres d'architecture européenne, Paris, 12 - 16 juin 2007. Paris 2011, S. 47–64.
  • Alexander Nagel, Christopher S. Wood: Anachronic renaissance. New York 2010.
  • Stephan Hoppe, Norbert Nußbaum, Matthias Müller (Hrsg.): Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft. Regensburg 2008.
  • Christopher S. Wood: Forgery, replica, fiction. Temporalities of German Renaissance art. Chicago 2008.
  • Bruno Klein, Bruno Boerner (Hrsg.): Stilfragen zur Kunst des Mittelalters. Eine Einführung. Berlin 2006.
  • Wolfgang Brückle: Stil (kunstwissenschaftlich). In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 5. Stuttgart, Weimar 2003, 5, S. 665–688.
  • Klaus Jan Philipp: Gänsemarsch der Stile. Skizzen zur Geschichte der Architekturgeschichtsschreibung. Stuttgart 1998.
  • Jan Białostocki: Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft. Dresden 1966.
  • Ludwig Börne: Bemerkungen über Sprache und Stil (1826), in: Sämtliche Schriften, Bd. II, Düsseldorf 1964.
  • Dirk Budde (1998): Stil und Stilbegriff in der Populären Musik, Gießen
  • Gerhard Dünnhaupt: Das Eindringen des marinistischen Prosastils in die deutsche Romanprosa mit Werders Dianea-Übersetzung, in: Studi Germanici, nuova serie XI.3 (1973), S. 257-272.
  • Hans-Werner Eroms: Stil und Stilistik. Eine Einführung, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007.
  • Gumbrecht, H.U. / Pfeiffer, K.L. (1986): Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, Frankfurt/Main.
  • Gumbrecht, H.U. (1986): Schwindende Stabilität der Wirklichkeit. Eine Geschichte des Stilbegriffs. In: Gumbrecht, H.U. / Pfeiffer, K.L. (a.a.O.), S. 726–788.
  • Hebdige, D. (1979): Subculture – The Meaning of Style, London (dt. 1983 in: Schocker. Stile und Moden der Subkultur, Reinbek).
  • Pöhnl, Veronika (2015): Die mediale Dimension des Stilbegriffs in Kunst- und Wissenschaftstheorie. In: MEDIENwissenschaft, H. 2/15, S. 164-181, Volltext

Weblinks

Wikiquote: Stil – Zitate
Wiktionary: Stil – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Der Kleine Wahrig (Wörterbuch), ISBN 3-577-10649-2
  2. Duden Herkunftswörterbuch ISBN 3-411-20907-0
  3. Andreas Dorschel, 'Herrsche in Dir selbst', in: Süddeutsche Zeitung Nr. 32 (9. Februar 2004), S. 14.
  4. Hoppe, Stephan; Nußbaum, Norbert; Müller, Matthias (Hrsg.): Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft. Regensburg 2008. Darin zum Thema besonders (mit weiteren Literaturangaben): Hoppe, Stephan: Stil als Dünne oder Dichte Beschreibung. Eine konstruktivistische Perspektive auf kunstbezogene Stilbeobachtungen unter Berücksichtigung der Bedeutungsdimension, S. 48–103.
  5. Adler, G. (1911): Der Stil in der Musik. Prinzipien und Arten des musikalischen Stils, Leipzig (1929), S. 3.
  6. Sanders, W. (1973): Linguistische Stiltheorie, Göttingen. S. 116
  7. Hebdige, D. (1979): Subculture – The Meaning of Style, London (dt. 1983 in: Schocker. Stile und Moden der Subkultur, Reinbek).
  8. Meyer, L.B. (1989): Style and Music. Theory, History and Ideology, Chicago.