Syagrius

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Vermuteter Machtbereich des Syagrius; die Ausdehnung ist unsicher und in dieser Form wohl übertrieben.

Syagrius († ca. 486/87) war der letzte selbständige „römische“ Herrscher in Gallien („Warlord“). Er unterlag 486/87 dem fränkischen Heerführer und rex Chlodwig I. in der Schlacht bei Soissons und wurde später auf dessen Befehl hingerichtet.

Leben

Syagrius entstammte möglicherweise der prominenten gallorömisch-senatorischen Familie der Syagrii aus Lugdunum.[1] Sein Vater Aegidius war seit 456/57 magister militum per Gallias und damit Oberbefehlshaber der Truppen in Gallien. Nachdem der mit ihm befreundete Kaiser Majorian 461 auf Befehl des einflussreichen magister militum per Italiam Ricimer hingerichtet worden war, überwarf sich Aegidius 462 mit der weströmischen Regierung in Ravenna. 461/62 mobilisierte Agrippinus, ein Rivale des Aegidius und nun neuer gallischer Heermeister, im Auftrag Ricimers die Westgoten gegen Aegidius, die dieser im selben Jahr bei Orléans (mutmaßlich mit Hilfe der Salfranken unter Childerich I., doch muss dies offenbleiben)[2] schlagen konnte. Dennoch musste Aegidius aufgrund des bestehenden Drucks ausweichen und errichtete im Gebiet nördlich der Loire bis zur Somme ein Sonderreich.

Aegidius bezog wahrscheinlich in Soissons Residenz, wo sich römische Waffenfabriken befanden, doch ist dies nicht gesichert. Es wird vielmehr aus der Tatsache abgeleitet, dass Gregor von Tours (dessen Historiae die Hauptquelle für diese Ereignisse darstellen, hinzu kommen für Aegidius einige ergänzende Angaben in anderen Quellen) davon berichtet, dass Aegidius einst diese Stadt beherrscht hatte, von wo aus um 486 Syagrius herrschte.[3] Seit seiner Rebellion regierte Aegidius jedenfalls als unabhängiger gallorömischer Herrscher, wobei es unklar ist, wie weit sein Einflussgebiet konkret reichte, da die Quellen faktisch nichts über das sogenannte „Reich von Soissons“ berichten.[4] Er stand nach Ansicht vieler Forscher in gutem Einvernehmen mit dem Salfranken Childerich, wenngleich auch dies bisweilen bezweifelt wird,[5] und galt als Bewahrer der gallorömischen Kultur in diesem Raum. Nach Ansicht von Forschern wie Patrick J. Geary und Guy Halsall stützte sich Aegidius auf die Reste der römischen Rheinarmee in Nordgallien und war in dieser Hinsicht weniger Verbündeter als vielmehr Rivale des fränkisch-römischen Generals Childerich (siehe unten).

464 oder 465 verstarb Aegidius. Dass Soldaten ihre Kommandeure mitunter selbst wählten, war in Gallien bereits seit Arbogast üblich geworden, und so trat Syagrius die Nachfolge seines Vaters an und residierte (dies gilt als gesichert) in Soissons.[6] Über die Entwicklung im gallorömischen „Reich von Soissons“ sind wir aber nur unzureichend informiert. In den Quellen wird der comes Paulus erwähnt, der einige Jahre nach dem Tod des Aegidius (vielleicht im Bündnis mit den Salfranken) gegen sächsische Plünderer vorging, aber in einer Schlacht bei Angers fiel. Gregor berichtet darüber in seinem Geschichtswerk, wobei er sich offenbar auf einen (heute verlorenen) zeitgenössischen Bericht stützen konnte, die sogenannten Annalen von Angers:

Danach griff Paulus, der römische Befehlshaber, mit den Römern und Franken die Goten an und machte reiche Beute. Als aber Adovacrius [ein Anführer sächsischer Plünderer] nach Angers kam, erschien am Tage darauf auch König Childerich und gewann, nachdem Paulus getötet war, die Stadt. An jenem Tag ging das Kirchenhaus in Flammen auf.[7]

Oft wird in der Forschung angenommen, dass Paulus im Auftrag des Syagrius agierte oder dass Paulus sogar an dessen Stelle als Statthalter in Soissons fungierte. Dies ist aber reine Spekulation, denn aus diesen Schilderungen geht nicht hervor, ob Paulus im Auftrag eines anderen (wobei dann nicht auszuschließen wäre, dass er als Vertreter der rechtmäßigen weströmischen Regierung aktiv war) oder vielleicht nicht eher auf eigene Faust handelte. All dies muss letztendlich offenbleiben.[8]

Syagrius erkannte zunächst die nominelle Oberhoheit der oströmischen Kaiser und der von ihnen eingesetzten weströmischen Kaiser Anthemius (467 bis 472) und Julius Nepos (474/75) an. Von dem von Anthemius 470 begonnenen Krieg gegen die Westgoten konnte Syagrius profitieren; mit salfränkischer Unterstützung wurden die Goten zunächst bei Bourges geschlagen, doch nutzte dies Kaiser Anthemius wenig, da bald darauf die letzten regulären weströmischen Truppenverbände in Südgallien von gotischen Truppen vernichtet wurden. Syagrius konnte seinen Machtbereich derweil vermutlich konsolidieren, allerdings ist für die nächsten Jahre die Entwicklung in seinem Machtbereich faktisch wiederum nicht greifbar. Es deutet einiges darauf hin, dass es nach der Absetzung des Julius Nepos 475 zu einem Zerwürfnis mit dem oströmischen Kaiser kam, der nun offenbar ein Bündnis mit Syagrius' Rivalen Childerich schloss.

Syagrius soll Gregor von Tours zufolge den Titel „Romanorum rex“ („König der Römer“) getragen haben, aber es ist unklar, ob er sich selbst so bezeichnete oder dies vielmehr eine Fremdbezeichnung darstellt.[9] Während die ältere Forschung dazu tendierte, Gregors Nachricht zu misstrauen, neigen in jüngster Zeit mehrere Forscher der Annahme zu, dass sich Syagrius, als er sich nicht mehr auf kaiserliche Legitimation berufen konnte, von seinen Männern notgedrungen zum Heerkönig (rex) habe ausrufen lassen – er wäre damit dem Vorbild der Anführer der foederati in römischen Diensten gefolgt. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Syagrius eben nicht zum Kaiser ausrufen ließ und damit anders, als es rebellierende römische Generäle noch im frühen 5. Jahrhundert regelmäßig getan hatten, keinen Anspruch auf die Herrschaft im Reich erhob, sondern sich vielmehr auf Nordgallien beschränkte.

484 starb der mächtige Westgotenkönig Eurich, der bis dahin die politisch bestimmende Figur in Gallien gewesen war; Nachfolger wurde dessen junger Sohn Alarich II. Die Beziehungen zwischen Syagrius und den Salfranken verschlechterten sich spätestens mit dem Tod Childerichs 481/82, als dessen Sohn Chlodwig I. an die Macht kam und seinen Vater als rex der fränkischen foederati und administrator der Provinz Belgica secunda ablöste. Es ist aber durchaus möglich, dass bereits vorher Spannungen zwischen Aegidius/Syagrius und den Salfranken bestanden hatten. So wird erwogen, dass beide Seiten jahrelang darum konkurrierten, wem das Kommando über die Reste des römischen Heeres in Gallien zustehe, das sich zunächst Aegidius angeschlossen hatte. In diesem Sinne seien unter dem in den Quellen gebrauchten Sammelbegriff „Franken“ bisweilen die römischen Truppen an der Loire zu verstehen, die sich wohl hauptsächlich aus föderierten Franken rekrutierten.[10]

Wie auch immer das Verhältnis zwischen Aegidius/Syagrius und Childerich/Chlodwig gestaltet war, nun jedenfalls kam es zum offenen Krieg. Chlodwig war offenbar bestrebt, die Schwäche des Westgotenreichs zu nutzen und seinen Machtbereich auf Kosten der Gallorömer zu vergrößern, was den Untergang des Syagrius besiegelte. Über die folgenden Ereignisse berichtet wiederum Gregor (alle späteren Quellen sind von ihm abhängig), wenngleich sehr knapp.[11] 486 oder 487 unternahm Chlodwig demnach im Bündnis mit seinem Verwandten Ragnachar einen Angriff auf Syagrius, der in einer Schlacht besiegt wurde. Die überlebenden bucellarii des Syagrius sind wohl von Chlodwig übernommen worden; eine Notiz des griechischen Geschichtsschreibers Prokopios von Caesarea legt überdies nahe, dass nun auch die Reste der römischen Grenztruppen in Nordgallien zu den Franken übertraten.[12] Chlodwig bezog zunächst auch in Soissons seine neue Residenz.

Syagrius selbst floh in das südgallische Toulouse zu Alarich II., was möglicherweise als Indiz dafür zu deuten ist, dass Syagrius und die Westgoten bereits zuvor gute Beziehungen unterhalten hatten. Alarich lieferte Syagrius allerdings schließlich an Chlodwig aus, auf dessen Befehl Syagrius hingerichtet wurde. Ob Syagrius bereits kurz nach seiner Niederlage oder erst einige Jahre später an Chlodwig ausgeliefert wurde, ist ungewiss. Chlodwig verfügte nach seinem Sieg über Syagrius zwar über beträchtliche Ressourcen, doch es ist fraglich, ob er damit ausreichend Druck auf das immer noch sehr viel mächtigere Westgotenreich hätte ausüben können. Möglicherweise wurde Syagrius daher erst einige Jahre später an Chlodwig ausgeliefert, als dieser zu einem gefährlicheren Gegenspieler der Westgoten geworden war.[13]

In einer Quelle aus dem 7. Jahrhundert wird vermerkt, dass mit dem Tod des Syagrius die römische Herrschaft in Gallien untergegangen sei.[14] Unabhängig vom Schicksal des Syagrius ist die gens Syagria aber noch bis ins 8. Jahrhundert belegt und kann somit als Beispiel einer gallorömischen senatorischen Familie gelten, die sich trotz aller geschichtlichen Brüche mit den neuen politischen Verhältnissen arrangiert hat.

Literatur

  • David Frye: Aegidius, Childeric, Odovacer and Paul. In: Nottingham Medieval Studies. Band 36, 1992, S. 1–14.
  • Edward James: The Franks. Blackwell, Oxford 1988.
  • Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford University Press, Oxford 2002.
  • Konrad VössingSyagrius. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 30, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-018385-4, S. 213 f.Fehler bei Vorlage * Parameter ungültig (Vorlage:RGA): "2"

Anmerkungen

  1. Vorsichtiger formuliert es Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford 2002, S. 82.
  2. David Frye: Aegidius, Childeric, Odovacer and Paul. In: Nottingham Medieval Studies 36, 1992, S. 7, argumentiert, dass Childerich hier als Gegner des Aegidius auftrat.
  3. Gregor von Tours, Historiae, II 27.
  4. Edward James: The Franks. Oxford 1988, S. 67ff.
  5. Vgl. dazu Edward James: The Franks. Oxford 1988, S. 69ff.
  6. Ausführlich dazu Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford 2002, S. 114ff.
  7. Gregor von Tours, Historiae, II 18; Übersetzung nach Wilhelm von Giesebrecht (leicht modifiziert).
  8. Vgl. dazu auch David Frye: Aegidius, Childeric, Odovacer and Paul. In: Nottingham Medieval Studies 36, 1992. S. 1 ff.
  9. Vgl. auch Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford 2002, S. 133ff.
  10. Guy Halsall: Childeric’s grave, Clovis’ succession, and the origins of the Merovingian kingdom. In: Ralph W. Mathisen, Danuta Shanzer (Hrsg.): Society and culture in late antique Gaul. Revisiting the sources. Aldershot 2001, S. 116–133.
  11. Gregor, Historiae, II 27.
  12. Prokop, Historiae, V 12,12-19.
  13. Herwig Wolfram: Die Goten. 4. Aufl. München 2001, S. 195f.
  14. MGH SS. rer. Mer. VII, S. 854, Z. 6.