Vollkommener Kapitalmarkt

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In der neoklassischen Finanzierungstheorie ist der vollkommene Kapitalmarkt eine Konstruktion von Annahmen, die zur Vereinfachung theoretischer Modelle verwendet wird.

Vollkommener Kapitalmarkt

Ein theoretischer Kapitalmarkt gilt dann als vollkommen, wenn alle folgenden Bedingungen erfüllt sind:[1]

  1. Homogene Erwartungen und Rationalverhalten: Alle Marktteilnehmer treffen ihre individuellen Entscheidungen aufgrund der gleichen, allgemein bekannten Erwartungen über die Zukunft (Erwartungswert, Varianz, Kovarianz).
  2. Mengenanpasserverhalten und perfekter Wettbewerb: Der Preis für jeden Zahlungsstrom ist gleich, unabhängig davon, ob die Wirtschaftssubjekte als Käufer oder Verkäufer auftreten. Daraus folgt, dass Soll- und Habenzinssätze identisch sind, dieser Zinssatz wird Kalkulationszinssatz genannt.[2] Kredite stehen in unbegrenzter Höhe zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung.
  3. Transaktionskostenlosigkeit: Jede Handlung hat keine Kosten, die aus der Handlung selbst herrühren (z.B. Steuern, Informationskosten - also Kosten für die Informationsbeschaffung, um überhaupt rational handeln zu können, Abwicklungskosten).

Aus diesen Bedingungen folgt, dass ein gleichgewichtiger vollkommener Kapitalmarkt keine Möglichkeit der Arbitrage bietet, er ist arbitragefrei.[3]

Modelle

Der vollkommene Kapitalmarkt ist eine der grundlegenden Annahmen für viele in der Finanzierungstheorie wichtige Modelle wie beispielsweise das Capital Asset Pricing Model, die Arbitrage Pricing Theory und das Modigliani-Miller-Theorem. Auch in der makroökonomischen Analyse findet dieses Annahmenkonstrukt Verwendung, wie zum Beispiel in der monetären Wechselkurstheorie und der Ricardianischen Äquivalenz.

Unvollkommener Kapitalmarkt

Ist eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, spricht man von einem unvollkommenen Kapitalmarkt (auch: imperfekter Kapitalmarkt). Durch die Abweichung von diesen strikten Voraussetzungen können Modelle erstellt werden, die das tatsächliche Marktgeschehen deutlich realistischer abbilden können.

Unter der Voraussetzung sicherer Erwartungen sind abweichende Soll- und Habenzinssätze der bedeutendste Fall für Marktunvollkommenheiten. Investition und Finanzierung sind dann nicht mehr beliebig austauschbar, sondern mit zusätzlichen Kosten verbunden, ebenso können verschiedene Alternativen zu unterschiedlichen Zahlungsströmen und damit von der Marktverzinsung abweichenden Renditen führen. Weiterhin können Transaktionskosten und der Einfluss der Nachfrageseite auf die Preisgestaltung modelliert werden.

Wird auch die Annahme sicherer Erwartungen zu Gunsten von Unsicherheit aufgegeben, entstehen insbesondere Modelle, die sich aus dem Vorhandensein asymmetrischer Informationsverteilung ergeben. Bekannt geworden ist vor allem das vom Nobelpreisträger George A. Akerlof untersuchte Lemons-Problem, das auch auf Kapitalmärkte übertragbar ist.

Allgemein bekannt ist in diesem Zusammenhang der Vorgang der Preisdifferenzierung. Dieser findet in realen Kapitalmärkten beispielsweise bei Finanzierungskonditionen Anwendung, die an die Bewertung durch Ratingagenturen gekoppelt werden.

Unvollkommenheiten und Banken

Die Unvollkommenheit des Kapitalmarktes liefert ein wichtiges Argument für die Erklärung der Existenz von Banken.

Im Bankenbereich kommen weitere Unvollkommenheiten zum Tragen:

  • Es gibt keinen gleichen Marktzugang für alle Marktteilnehmer.
  • Nichthandelbare Risiken müssen in den Büchern der Bank verbleiben.
  • Es gibt Verhaltensrisiken im Kreditgeschäft sowie innerhalb der Bank.
  • Steuern haben eine verzerrende Wirkung auf die Preise.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Bernd Rudolph: Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt. Mohr Siebeck, 2006, ISBN 9783161473623, S. 28ff
  2. Lutz Kruschwitz: Investitionsrechnung. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 13. Auflage, 2011, ISBN 9783486705317, S. 53
  3. Wolfgang Breuer: Investition I: Entscheidungen bei Sicherheit. Gabler Verlag, 3. Auflage, 2007, ISBN 9783834905598, S. 46