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Universalien der Musikwahrnehmung

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Die Universalien der Musikwahrnehmung sind die Elemente der Musikwahrnehmung und -verarbeitung, die als angeboren, das heißt kulturunabhängig betrachtet werden.

Einleitung

Vielfach begegnet uns die Ansicht, Musik sei eine universale Sprache. Dies impliziert die Annahme, dass Musik universale Merkmale besitzt, also Merkmale, die nahezu allen musikalischen Systemen auf der Welt gemeinsam sind, und dass es universale mentale Strukturen für die Verarbeitung von Musik gibt. Von einem universalen Merkmal spricht man, wenn das Merkmal nicht gelernt wird, sondern spontan erscheint, latent in allen normalen Personen vorhanden ist, angeboren ist (Dissanayake, 2001). Hinsichtlich der Unterscheidung angeborener oder universaler Prozesse von erworbenen ist die Überlegung hilfreich, dass Prozesse, die schon bei der Geburt funktionieren, sehr wahrscheinlich angeboren und damit unabhängig von Erfahrungen sind. Infolgedessen könnte man aus Vergleichen von Säuglingen und Erwachsenen oder von Personen aus verschiedenen Musikkulturen schließen, dass der Prozess vermutlich angeboren ist, wenn diese die gleichen Funktionsweisen zeigen, und dass bei Unterschieden zwischen den Populationen der Prozess durch Enkulturation erworben sein könnte. Aus dieser Perspektive ist Musik keine universale Sprache, sondern die Universalien der Musikwahrnehmung und -verarbeitung umschreiben vielmehr die Grenzen, innerhalb deren die Merkmale der Musik zwischen verschiedenen Kulturen variieren.

Physiologische Grundlagen der Musikwahrnehmung

Hörfläche

Dem Bereich, in dem Musik wahrgenommen werden kann, sind Grenzen durch die Hörfläche des Menschen gesetzt. Wir können Frequenzen zwischen 20 Hz und 20 kHz wahrnehmen. Im Wesentlichen beschränkt sich aber der für Musik verwendete Frequenzbereich auf Frequenzen zwischen 40 Hz und 10 kHz. Unser Gehör ist an der oberen und unteren Grenze des wahrnehmbaren Frequenzbereichs am unempfindlichsten und im Bereich zwischen 1000 und 5000 Hz, wo sich für das Sprachverstehen wichtige Frequenzbereiche befinden, am empfindlichsten.

Tonhöhenwahrnehmung

Zusammenhang zwischen Position des Erregungsmaximums im Innenohr, wahrgenommener Tonhöhe (Tonheit) und Frequenz

Die Tonhöhenwahrnehmung und die Auflösung der Frequenzen im Hörbereich ist eng verbunden mit der Physiologie des Innenohres und des auditorischen Gehirns. Das Innenohr führt eine Frequenzanalyse des gehörten Signals durch, indem es unterschiedliche Frequenzen entlang der Haarzellenreihe im Cortischen Organ der Cochlea (Hörschnecke) herausfiltert. Dort befinden sich die Synapsen (Anschlussstellen) von Nervenzellen, die die Signale für die jeweiligen Frequenzen zur Verarbeitung an das Gehirn weiterleiten.

Die wahrgenommene Tonhöhe (Tonheit) hängt hierbei von dem Ort in der Haarzellenreihe ab, an dem Nervenzellen angeregt werden. Zwischen der Position maximaler Erregung in der Haarzellenreihe (gemessen in Millimetern vom Ende der Cochlea) und der wahrgenommenen Tonhöhe ergibt sich ein linearer Zusammenhang: Besitzt bei einem Ton das Erregungsmaximum in der Haarzellenreihe einen doppelt so großen Abstand vom Ende der Cochlea als bei einem anderen Ton, so ist die wahrgenommene Tonhöhe dieses Tons doppelt so hoch.

Wahrgenommene Tonhöhe (Tonheit in Mel) in Abhängigkeit von der Frequenz
  • Bei tiefen und mittleren Frequenzen unterhalb von 1000 Hz bewirkt eine Verdopplung der Frequenz eines Tons (musikalisch gesehen ist das eine Oktave) eine Verdoppelung des Abstands des Erregungsmaximums vom Ende der Cochlea und damit eine Verdoppelung der wahrgenommenen Tonhöhe.
  • Bei hohen Frequenzen oberhalb von 1000 Hz bewirkt eine Verdopplung der Frequenz nicht mehr eine Verdoppelung des Abstands des Erregungsmaximums vom Ende der Cochlea. So ist bei einem Ton von 1500 Hz eine Verachtfachung der Frequenz (= 3 Oktaven) erforderlich, um eine Verdoppelung des Abstands des Erregungsmaximums vom Ende der Cochlea zu erzielen und eine Verdoppelung der wahrgenommenen Tonhöhe zu erreichen.

Während also im Bereich tiefer und mittlerer Frequenzen ein musikalisches Intervall von einer Oktave immer zu der gleichen Änderung der wahrgenommenen Tonhöhe führt, gilt dies im Bereich hoher Frequenzen nicht mehr. Hier wird die Änderung der wahrgenomemen Tonhöhe pro Oktave wesentlich geringer. Dies gilt natürlich auch für andere musikalische Intervalle. Dies hat die Konsequenz, dass sich bei Melodien im Bereich sehr hoher Tonlagen der Höreindruck ergibt, dass die Tonabstände geringer sind als wenn sie im Bereich mittelerer und niedriger Tonlagen gespielt werden. Dies kann dazu führen, dass eine Melodie, die um mehrere Oktaven nach oben transponiert wird, sich dann "irgendwie schräg" anhört.

Diese Beziehung zwischen Tonhöhe und Frequenz gilt allerdings nur für "reine" Töne (Sinustöne), die nur im Labor erzeugt werden können. In der normalen akustischen Praxis bestehen musikalische Töne aber, genau wie stimmhafte Sprachlaute, aus einer Vielzahl von Frequenzen: einer Grundfrequenz und ganzzahligen Vielfachen davon (Harmonische, Obertöne). Trotzdem löst diese Vielzahl von Frequenzen die Wahrnehmung nur einer einzigen Tonhöhe aus. Diese ist mit der Tonhöhe der Grundfrequenz identisch, was Hermann von Helmholtz vermuten ließ, dass die Grundfrequenz die Tonhöhe bestimmt. Das hat im 20. Jahrhundert der Psychophysiker Schouten widerlegt. Er konnte nachweisen, dass schon wenige innerhalb der Obertonreihe benachbarte Obertöne dieselbe Tonhöhe auslösen wie die Grundfrequenz allein (Phänomen der "Fehlenden Grundfrequenz", Residualklang).

Die Erklärung dieses Phänomens findet sich in der zentralnervösen Verarbeitung. Überlagerungen von Nervenimpulsen von Obertönen ergeben ein Impulsmuster, das die Grundfrequenz des Tones abbildet. Diese Periodizitätsinformation wird nach gegenwärtigem Kenntnisstand wahrscheinlich von Neuronen im auditorischen Mittelhirn (colliculus inferior) herausgefiltert, die individuell auf jeweils eine bestimmte Periodizität (und damit auf eine Grundtonhöhe) abgestimmt sind.

Tonhöhenauflösung

Die erreichbare Frequenz- und Tonhöhenauflösung hängt mit der Packungsdichte von Nervenzellanschlüssen in der Haarzellenreihe zusammen und mit der Möglichkeit des Gehirns, die Signale "Nervenzellen-genau" zu verarbeiten.

  • Bei niedrigen Frequenzen in der Nähe der unteren Grenzfrequenz des Gehörs entspricht eine musikalische Oktave weniger als einem Millimeter entlang der Haarzellenreihe. Hier ist die mögliche Tonhöhenauflösung relativ gering.
  • Mit zunehmender Frequenz verdoppelt sich die Länge der Haarzellenreihe, die zur Auswertung einer Oktave zur Verfügung steht. Entsprechend steigt auch die mögliche Tonhöhenauflösung. Sie erreicht ab Frequenzen von 500 Hz mit einer Länge innerhalb der Haarzellenreihe von ca. 6 mm pro Oktave ihr Maximum.
  • Bei mittleren und höheren Frequenzen oberhalb von 500 Hz und bis etwa 3000 Hz bleibt die Länge der Haarzellenreihe pro Oktave und damit die erreichbare Tonhöhenauflösung in etwa konstant. (ca. 6 mm pro Oktave). Geübte Musiker können Tonintervalle von etwa 1/30 Halbton noch unterscheiden. Dies entspricht einem Frequenzunterschied von wenigen Hz bei mittleren Frequenzen.

Aufgrund der erreichbaren Frequenzauflösung sind der Art und Weise, wie das Gehirn Tonhöhen kategorisiert, genauer, in wie viele Töne man die Oktave unterteilt, Grenzen gesetzt. Allerdings gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Unterscheidungsvermögen und der Kategorisierung der Tonhöhen in Tonleitern - diese Kategorien sind viel gröber und werden, meist in Ausrichtung an konsonanten Intervallen, gelernt.

Wahrnehmung von Musikstimmen

Die Physiologie und Verarbeitungsschritte des menschlichen Innenohres haben Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Musikstücken. Ein wesentlicher Effekt des Innennohres ist der sogenannte Maskierungseffekt: Werden einzelne Töne in einem Frequenzbereich vorgespielt, wo diese intensitätsmäßig überwiegen, so werden aufgrund der Mechanik des Innenohres nicht nur die Nervenzellen angeregt, die für diese Töne zuständig sind, sondern in erheblichem Maße noch Nervenzellen in der Umgebung. Da die wahrgenommene Lautstärke aber von der Gesamt-Erregung der Nervenzellen im Innenohr abhängt, führt dies dazu, dass eine Melodiestimme lauter wahrgenommen wird, als sie physikalisch gesehen ist.

Musikanteile, die keinen Einzelton-Charakter haben (Begleitung in Akkorden, Rhythmusinstrumente) regen von ihrem Spektrum her eher einen breiten Frequenzbereich an, so dass hier kaum zusätzlichen Nervenzellen aufgrund des Maskierungseffekts angeregt werden. Eine Anhebung der wahrgenommenen Lautstärke findet kaum statt.

Dies trägt dazu bei, dass eine Melodiestimme innerhalb der Begleitung gut wahrgenommen werden kann, selbst wenn ihr Schallpegel nicht wesentlich größer ist als der der Begleitinstrumente.

Wahrnehmung von Rhythmen

Die Nervenzellen des Innenohres haben die Eigenschaft, dass ihre Erregung bei Dauerbelastung abnimmt. Nach kurzer Zeit der Ruhe regenerieren sie sich und geben bei erneuter Anregung besonders starke Signale ab.

Dieser Effekt führt zu einer Betonung des Rhythmus bei Musikstücken. Instrumente, die den Rhythmus tragen, erklingen oft nur für kurze Zeit und erklingen oft in Frequenzbereichen, in denen andere Musikstimmen gerade nicht präsent sind (z.B. tiefer Bassbereich bei einer großen Trommel, relativ hochfrequenter Bereich bei Becken, aber auch: rhythmische Begleitung einer oder mehrere Oktaven unter oder über der Melodiestimme).
In diesen Frequenzbereichen herrscht zwischen den Rhythmusschlägen relative Ruhe, so dass sich die für diese Frequenzen zuständigen Nervenzellen erholen können. Bei einem Rhythmusschlag erzeugen diese Nervenzellen dann ganz besonders starke Signale.

Dies trägt dazu bei, dass Rhythmusinstrumente sehr gut wahrgenommen werden können, selbst wenn ihr Schallpegel nicht wesentlich größer ist als der der anderen Instrumente.

Universalien der Tonhöhen- und Melodiewahrnehmung

Diskrete Tonhöhenkategorien

Die Wahrnehmung diskreter Tonhöhen ist wahrscheinlich universell. Schon Kinder scheinen prädisponiert zu sein, diskrete Tonhöhen zu singen. Diese kategoriale Tonhöhenwahrnehmung existiert in allen Kulturen - dadurch kann die musikalische Botschaft trotz Schwierigkeiten wie einer lauten Umgebung oder einer schlechten Intonation verstanden werden (Dowling & Harwood, 1986). Kategorienbildung hat den Zweck, die zu verarbeitende Datenmenge zu reduzieren, und verhindert auf diese Weise eine Überlastung beim Musikhören und -ausführen. Die konkreten Kategorien selbst sind aber erlernt und damit von Kultur zu Kultur verschieden.

Chroma und Oktavidentität

Der Zweikomponententheorie von Révész (1913) zufolge existiert neben der Dimension Tonhöhe als weitere Dimension das Chroma oder die Tonigkeit und in diesem Zusammenhang die Oktavidentität, die ebenfalls oft als Universalie betrachtet wird. Als Chroma bezeichnet man die zyklisch wiederkehrende Ähnlichkeit des Klangcharakters von Oktavtönen. Dies wird beispielsweise darin deutlich, dass verschiedene Varianten einer Melodie als äquivalent empfunden werden, wenn man die gesamte Melodie oder auch nur einzelne Töne der Melodie um eine Oktave versetzt und die Kontur erhalten bleibt. Ohne Oktavidentität hätte jeder einzelne Ton eine eigene Identität, was zu einer enormen Komplexität führen würde, aber durch die Oktavidentität muss unser Gehirn lediglich so viele Töne identifizieren, wie innerhalb einer Oktave vorkommen. Die Einteilung in Oktaven ordnet und strukturiert daher. Es gibt nur sehr wenige Kulturen, die Töne im Oktavabstand nicht als gleich ansehen. Wahrscheinlich ist die Oktavidentität keine wirkliche Universalie, aber möglicherweise gibt es eine universelle Gehördisposition, aufgrund der die Oktavidentität gelernt wird.

Intervalle

In den meisten Kulturen kommen neben der Oktave auch Quinte und Quarte vor. Anscheinend neigt das Gehirn eher zu diesen Kategorien, denn Töne, deren Frequenzverhältnissen durch kleine ganze Zahlen gegeben sind, können besser verarbeitet werden als solche mit komplizierteren Frequenzverhältnissen (z.B. hat die Oktave ein Frequenzverhältnis von 1 : 2, die Quinte von 2 : 3, die Quarte von 3 : 4, dagegen der Tritonus von 32 : 45). Dies legen auch Experimente nahe, in denen Kinder und Erwachsene Tonfolgen besser behalten konnten, deren Töne in kleinen Frequenzverhältnissen standen, also beispielsweise besser Tonfolgen mit Quinte und Quarte als mit dem Tritonus (Trehub, 2000). Vermutlich sind Neigungen zu Intervallen mit einfachen Frequenzverhältnissen angeboren, weil sie einfach zu lernen und zu repräsentieren sind.

Logarithmische Skala

Aus der Oktavidentität ergibt sich die logarithmische Skala, bei der die Frequenz mit steigender Tonhöhe immer schneller anwächst: Da sich Oktavtöne durch Frequenzverdopplung ergeben (z.B. sind 440 Hz, 880 Hz und 1760 Hz Oktaven), liegen die Frequenzen von Tönen derselben Kategorie immer weiter auseinander, je mehr die Tonhöhe ansteigt. Damit steht die Tonhöhe in logarithmischer Beziehung zur Frequenz. Die dadurch entstehende psychophysische Skala ist universal (Justus & Bharucha, 2002). Man kann es auch als universal betrachten, dass es aufbauend auf dieser Skala Tonhöhenkategorien, Tonleitern und Tonhierarchien gibt - diese sind aber in ihrer konkreten Ausprägung kulturell beeinflusst.

Tonleitern und Tonhierarchien

Tonleitern haben in allen Kulturen eine relativ geringe Anzahl von Stufen, sie bestehen fast überall aus 5 bis 7 Tönen pro Oktave. Dies passt gut dazu, dass die Kurzzeitgedächtnisgrenze für Kategorien bei etwa 7 liegt (Miller, 1956). Die Anzahl der Stufen, in welche die Oktave unterteilt wird, ist außerdem davon abhängig, wie differenziert man Töne kategorisieren kann.

Es gibt auch kaum äquidistante Skalen, d.h., bei Tonleitern sind die Intervalle zwischen benachbarten Tonstufen fast nie gleich groß, z.B. gibt es in der diatonischen Tonleiter Ganztöne und Halbtöne. Auf diese Weise können tonale Bezüge hergestellt werden, die Töne stehen in unterschiedlichen Beziehungen zum Grundton und der Hörer kann sich zu jedem Zeitpunkt vorstellen, wo sich die Musik in Bezug auf das tonale Zentrum der Musik befindet. Dadurch kann eine Wahrnehmung von Spannung und Auflösung entstehen, was die musikalischen Ausdrucks- und Erlebnismöglichkeiten steigert (Sloboda, 1985).

Durch diese unterschiedlichen Beziehungen zum Grundton bilden sich Tonhierarchien, die sich auch in fast jeder Kultur finden, d.h., die Töne der Tonleiter haben verschiedene Funktionen, sie treten unterschiedlich häufig und an verschiedenen Positionen in einer Melodie auf. Die spezifischen Tonhierarchien variieren aber zwischen den Kulturen (Justus & Bharucha, 2002). Es scheint eine universale Verarbeitungsprädisposition für Skalen mit ungleichen Tonabständen zu geben – solche Skalen sind leichter zu enkodieren und zu behalten als Skalen mit gleichen Abständen. Dies zeigt sich schon bei Kleinkindern: Trehub (2000) präsentierte Kindern drei Skalen - die Durtonleiter, eine neue Skala mit ungleichen Abständen und eine äquidistante Skala - und untersuchte, ob sie erkennen können, wenn ein Ton der Tonleiter um drei oder vier Halbtöne verschoben wurde. Für die Kinder waren vermutlich alle drei Skalen unbekannt, sie zeigten aber eine signifikant bessere Leistung bei den beiden Skalen mit ungleichen Abständen als bei der gleichschrittigen Skala.

Melodische Kontur

Eine weitere Universalie in der Tonhöhen- und Melodiewahrnehmung hängt mit der melodischen Kontur zusammen. Der Hörer neigt dazu, eher globale, die Beziehung zwischen Tönen betreffende Informationen zu verarbeiten als präzise, absolute Reize wie spezifische Tonhöhen oder Intervalle (Trehub, 2000): Nach dem Hören einer unbekannten Melodie wird gewöhnlich kaum mehr als ihre Kontur im Gedächtnis behalten, also Richtungsänderungen der Tonhöhe. Des Weiteren werden unterschiedliche Tonfolgen mit gleicher Kontur als verwandt empfunden. Schon im Kleinkindalter hat die melodische Kontur eine große Bedeutung bei der Repräsentation von Melodien, was auf eine Universalie hindeutet. Experimente von Trehub (2000) zeigen, dass Kleinkinder eine Melodie, die transponiert wurde (Intervalle bleiben gleich) als identisch mit der Originalmelodie behandeln. Selbst wenn sich die Intervalle ändern, aber die Kontur erhalten bleibt, wird die Melodie als bekannt und nicht als neu behandelt. Wird aber auch nur ein Ton so verschoben, dass sich die Kontur ändert, sehen Kinder und Erwachsene die Melodie als unbekannt an.

Gruppierung

Ebenfalls universal ist der Einsatz auditiver Gruppierungsstrategien. Die Organisation von Tönen zu Wahrnehmungseinheiten steigert die Ökonomie und Leistungsfähigkeit in der Verarbeitung der Musik, die durch die Kurzzeitgedächtniskapazität beschränkt ist. Gruppiert und strukturiert wird nach bestimmten Gestaltprinzipien, aber es ist fraglich, ob auch sie universal sind. Da die musikalische Wahrnehmung auch von gelernten Kategorien und Schemata geprägt ist, sind immer auch andere Hörweisen möglich (Motte-Haber, 1996).

Universalien der Rhythmuswahrnehmung

Gruppierung und Finden von Regelmäßigkeiten

Die Gruppierung von Ereignissen zu Wahrnehmungseinheiten, um Information zu reduzieren, gehört auch zu den Universalien der Rhythmuswahrnehmung. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass wir eine Folge von Schlägen meist zu Gruppen von zwei oder drei Schlägen von unterschiedlichem Gewicht zusammenfassen (Fricke, 1997). In diesem Zusammenhang versuchen wir außerdem immer einen regelmäßigen Puls zu finden, um den herum wir die anderen Ereignisse organisieren können - wir suchen für eine ökonomische Verarbeitung immer aktiv nach Regelmäßigkeiten. Bestätigung findet dies unter anderem in Experimenten von Drake und Bertrand (2001), bei denen die Synchronisierung bei über 90 % lag, wenn Personen zur Musik den Takt klopfen sollten, und die zeigen, dass bereits Säuglinge ihre Saugrate an die Rate einer auditiven Sequenz anpassen können.

Organisation in verschiedenen Ebenen

Rhythmus ist immer in verschiedenen Ebenen organisiert: Über den angesprochenen regelmäßigen Puls sind rhythmische Muster gelegt – der Puls wird unterteilt durch asymmetrisch angeordnete Klänge. Die Details der rhythmischen Organisation unterscheiden sich jedoch von Kultur zu Kultur. Einer der einfachsten Rhythmen ist der Daktylus (ein langes Intervall, gefolgt von zwei kurzen); in anderen Kulturen wie im südlichen Afrika oder in Indien findet man komplexere Rhythmen - hier kann die Anzahl der Schläge innerhalb des Pulses groß und ungerade sein, z.B. sind in Indien 7 bis 17 Schläge üblich.

Durch die Asymmetrie der rhythmischen Muster wird ein Ortsempfinden innerhalb des Beats geschaffen, es entstehen Betonungen, die auch wesentlich für die Musik fast aller Kulturen sind. Diese Bezugspunkte bilden die Grundlage für ein Empfinden von Bewegung und Ruhe und geben außerdem Hinweise für die Koordination der verschiedenen Teile in polyphoner Musik (Sloboda, 1985).

Siehe auch

Literatur

Allgemein

  • Ellen Dissanayake: Kunst als menschliche Universalie. Eine adaptionistische Betrachtung, S. 206-234, in: Peter M. Hejl (Hrsg.): Universalien und Konstruktivismus, Suhrkamp, Frankfurt/M., 2001, ISBN 3-518-29104-1
  • C. Drake, D. Bertrand: The quest for universals in temporal processing in music, S. 17-27, in: Robert J. Zatorre u.a. (Hrsg.): The biological foundations of music, Academy of Science, New York, 2001, (Annals of the New York Academy of Sciences; vol. 930), ISBN 1-57331-307-6
  • W. Jay Dowling, Dane L. Harwood: Music cognition, Academic Pr., Orlando Fl., 1986, ISBN 0-12-221430-7
  • J. P. Fricke: Rhythmus als Ordnungsfaktor. Informationspsychologische Bedingungen der Zeitgestaltung, S. 397-412, in: Axel Beer u.a. (Hrsg.): Festschrift Christoph-Hellmut Mahling zum 65. Geburtstag, Schneider, Tutzing, 1997, ISBN 3-7952-0900-5
  • Robert Jourdain: Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt, Spektrum Akademischer Verl., Heidelberg, 2001, ISBN 3-8274-1122-X
  • T. C. Justus, J. J. Bharucha: Music perception and cognition, in: Harold Pashler (Hrsg.): Stevens' handbook of experimental psychology, Wiley, New York, 2002
  • G. A. Miller: The magical number seven, plus or minus two. Some limits on our capacity for processing information, in: Psychological Review, 63 (1956), S. 81-97
  • Helga de la Motte-Haber: Handbuch der Musikpsychologie, Laaber-Verl., Laaber, 2002
  • Géza Révész: Zur Grundlegung der Tonpsychologie, Veit, Leipzig, 1913
  • John A. Sloboda: The musical mind. The cognitive psychology of music, Univ. Pr., Oxford, 2003, ISBN 0-19-852128-6
  • S. Trehub: Human processing predispositions and musical universals, in: Nils L. Wallin u.a. (Hrsg.): The origins of music. Consists of papers given at a workshop on the "The origins of music" held in Fiesole, Italy, May 1997, MIT Pr., Cambridge, Ma., 2001, ISBN 0-262-23206-5

Tonhöhenwahrnehmung

  • D. Bendor, X. Wang: The neuronal representation of pitch in primate auditory cortex, S. 1161-1165, in: Nature, 436, 2005
  • U.W. Biebel, G. Langner: Evidence for "pitch neurons" in the auditory midbrain of chinchillas, S. 263-269, in: J. Sydka (Hrsg.): Acoustic Signal Processing in the Central Auditory System, Plenum Press, New York, 1997
  • U.W. Biebel, G. Langner: Evidence for interactions across frequency channels in the inferior colliculus of awake chinchilla, S. 151-168, in: Hear. Res., 169, 2002
  • A. Rees, A. Sarbaz: The influence of intrinsic oscillations on the encoding of amplitude modulation by neurons in the inferior colliculus, S. 239-252, in: J. Syka (Hrsg.): Acoustic Signal Processing in the Central Auditory System, Plenum Press, New York