Klimakrise

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Der Begriff Klimakrise beschreibt die ökologische, politische und gesellschaftliche Krise im Zusammenhang mit der menschengemachten globalen Erwärmung. Es wird, ähnlich wie Klimakatastrophe, im öffentlichen Diskurs zunehmend anstelle von harmloser klingenden Begriffen wie Klimawandel gebraucht, um die Tragweite der globalen Erwärmung zu verdeutlichen.[1]

Wissenschaftlicher Hintergrund

Klimawissenschaftler gehen von einem CO2-Budget aus,[2] bei dessen Überschreitung unkalkulierbare Folgen eintreten würden, die mit dem Begriff Treibhaus Erde beschrieben werden. Für das Leben auf dem Planeten könnten sich demnach bereits bei dem im Pariser Übereinkommen festgelegten Zwei-Grad-Ziel negative Auswirkungen ergeben.[3] Bei einem im Jahr 2017 durchschnittlichen Ausstoß von ca. 40 Gigatonnen CO2-Äquivalent pro Jahr (GtCO2e/a) verbleiben der Menschheit ab diesem Jahr im Falle einer ausbleibenden Veränderung des Ausstoßes je nach angenommenem CO2-Budget noch etwa 20 bis 30 Jahre, bis dieses Budget ausgeschöpft ist; danach dürften wegen der nur sehr langfristigen Absorbierung von Treibhausgasen durch das Erdsystem über Jahrtausende keinerlei Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Um auch langfristig das Klimasystem für die menschliche Spezies in einem angemessenen Rahmen zu halten, ist somit ein rascher Verzicht auf neue Treibhausgase sowie eine Entfernung bereits vorhandener Treibhausgase durch negative Emissionen vonnöten. Erhebungen, etwa im Rahmen des Emissions Gap Reports 2018, zeigen hingegen, dass der Treibhausgasausstoß weltweit zuletzt nicht sank, sondern erneut anstieg, und die technische Lösungen für negative Emissionen in großem Maßstab sind bislang wenig vielversprechend, sodass langfristig die Gefahr einer Klimakatastrophe besteht.

Ein im Jahr 2019 publiziertes Editorial in Science konstatiert[4], dass die wissenschaftlichen Aussagen klar seien: Die Klimakrise erfordere eine gesellschaftliche Transformation von einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit, die historisch nur selten erreicht worden sei, die letzte solche Transformation sei durch die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg ausgelöst worden. Damals sei das Handeln durch eine wahrgenommene existenzielle Bedrohung und breite gesellschaftliche Unterstützung ausgelöst worden. Heute sei die Gesellschaft erneut von einer solchen Bedrohung betroffen, jedoch behinderten die wachsende Wohlstandsschere und eigennützige Interessen die nötigen Veränderungen. Die Lösung der Klimakrise erfordert daher ein starkes Engagement für Fairness und Gerechtigkeit, für indigene Völker und zukünftige Generationen sowie für einen globalen Wandel. Die Gesellschaft könne nur dann die Klimakrise lösen und einen katastrophalen Klimawandel vermeiden, wenn sie über alle Gräben hinweg zusammenarbeite und sie die Klimakrise zur obersten Priorität mache. Gleichzeitig könne sie so das 21. Jahrhundert gerechter und nachhaltiger gestalten. Höchste Priorität müsse dabei das Stoppen von Treibhausgasemissionen als Ursache des Klimawandels haben, gleichzeitig müsste mehr Wert auf Synergien zwischen Klimaschutz und Anpassung an die globale Erwärmung gelegt werden.[5]

Begriffsverwendung

Die Verwendung des Begriffes „Klimakrise“ folgt der Vorstellung, dass andere Begriffe wie „Klimawandel“ die Situation verharmlosen. Nathaniel Rich beschreibt in seinem Bestseller Losing Earth, wie der Begriff „Klimawandel“ zu diesem Zweck bewusst in Umlauf gebracht wurde.[6] Der US-Politikberater Frank Luntz hatte die Republikaner 2002 strategisch beraten, wie man die fast verlorene Umweltdebatte im Sinne der eigenen Interessen lenken könne. So sagt Rich:

„Am Anfang nannten wir es das ‚CO2-Problem‘ – das klingt nicht besonders furchterregend: Wir atmen CO2 in jeder Sekunde aus. Später hat ein Berater von George W. Bush das Wort ‚Klimawandel‘ in Umlauf gebracht: Weil ‚Wandel‘ weniger gefährlich klingt als ‚Erwärmung‘. Diese Worte sind wie Schutzhandschuhe für eine offene Wunde. Wir distanzieren uns damit von dem Problem.“

Nathaniel Rich[6]

Der Umweltwissenschaftler Nils Meyer-Ohlendorf zeigt auf, dass der Begriff „Klimawandel“ einen natürlichen Prozess suggeriere und der Begriff „Wandel“ zudem für gewöhnlich einen langsamen und linearen Prozess bezeichne; demnach entpolitisiere der Begriff und sei ein „Sieg für alle, die nichts verändern wollen“.[7] Er schlägt als Alternative den Begriff „Klimakrise“ vor:

„‚Klimakrise‘ oder ‚Überhitzung der Erde‘ sind präzisere Begriffe. Sie machen Ursache und Dringlichkeit des Problems deutlicher. In anderen Politikfeldern nehmen wir den Begriff ‚Krise‘ schnell in den Mund – Eurokrise oder Flüchtlingskrise –, vermeiden ihn aber, wenn wir über grundlegende Verwerfungen unseres planetarischen Systems sprechen. Das sagt viel über den politischen Stellenwert der verschiedenen Politikfelder.“

Nils Meyer-Ohlendorf[7]

Als Vorreiter bei der Veränderung der Sprache gilt die britischen Zeitung The Guardian, deren Entscheidung bewusst den Sprachgebrauch zu verändern als Teil eines als „Umweltverpflichtung“ („climate pledge“) bezeichneten Maßnahmenkataloges dargelegt wurde.[8] Darin heißt es:

„Wir werden eine Sprache verwenden, die den Schweregrad der Krise erkennt, in der wir uns befinden. Im Mai 2019 aktualisierte der Guardian seinen Stilleitfaden, um Begriffe einzuführen, die die Umweltkrisen, mit denen die Welt konfrontiert ist, genauer zu beschreiben, indem ‚Klimanotstand, -krise oder -kollaps‘ [‚climate emergency, crisis or breakdown‘] und ‚globale Erhitzung‘ [‚global heating‘] statt ‚Klimawandel‘ [‚climate change‘] und ‚globale Erwärmung‘ [‚global warming‘] verwendet werden. Wir möchten sicherstellen, dass wir wissenschaftlich präzise sind und gleichzeitig klar mit den Lesern über die Dringlichkeit dieses Themas kommunizieren.“

The Guardian, 15. Oktober 2019[8]

Ein Klimanotstand ist hierbei eine Situation, in der dringende Maßnahmen zur Verringerung oder Aufhaltung des Klimawandels und Vermeidung möglicherweise unumkehrbarer Umweltschäden erforderlich sind.[9] Das entsprechende englische Wort climate emergency wurde 2019 von den Oxford Dictionaries zum Wort des Jahres gekürt.[9]

Deutung des Klimawandels als Krise

Der Widerspruch zwischen der von der Klimaforschung beschriebenen Faktenlage, aus der sich ein Handlungsbedarf ableiten lässt, und der ausbleibenden Reaktion in weiten Teilen der globalen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sowie der Gefährdung der menschlichen Spezies werden zunehmend als Krisensituation beschrieben. Der ehemalige US-Vizepräsident und Nobelpreisträger Al Gore warnte 2006 in seinem Buch Eine unbequeme Wahrheit eindringlich „vor der potenziell schlimmsten Katastrophe in der Geschichte der menschlichen Zivilisation: einer globalen Klimakrise, die sich verschärft und rasch gefährlicher wird als alles, was wir je erlebt haben“.[10] James Lovelock, einer der Vertreter der Gaia-Hypothese, deutete in seinem Werk The Revenge of Gaia, dessen englischsprachiges Original in einigen Auflagen den Untertitel Earth’s Climate in Crisis and the Fate of Humanity trägt, die ökologischen Herausforderungen der Neuzeit als „größte Prüfung der Menschheit“.[11]

Auch Klimawissenschaftler weisen explizit auf die Krisensituation hin. So zeigen die Klimatologen David Archer und Stefan Rahmstorf in ihrem Buch The Climate Crisis auf, dass trotz einer erdrückenden wissenschaftlichen Faktenlage zur globalen Erwärmung die Anstrengungen zur Eindämmung des Problems nicht im Ansatz ausreichend sind, um eine vielversprechende Lösung herbeizuführen.[12] Mitunter ist in der politischen Diskussion auch von einem Versagen der Umweltschutzbewegung, beim Versuch, eine Lösung für die Eindämmung des menschgemachten Klimawandels herbeizuführen, die Rede.[13] In ihrem Werk Die Entscheidung beschreibt die Globalisierungkritikerin Naomi Klein die Klimakrise als eine Wahl zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Rettung des Klimas.[14]

Klimaforscherinnen wie Bronwyn Hayward sprechen mittlerweile offen über die Frustration, nicht rechtzeitig das notwendige Gehör zu finden, und über die daraus resultierende psychische Belastung und Trauer im Angesicht der nahenden Katastrophe, aber auch über die verbleibende Hoffnung.[15] Die deutsch-australische Klimawissenschaftlerin Katrin Meissner drückte es 2019 so aus: „Die Entwicklungen machen mich traurig und machen mir auch Angst. Zumindest ist der Klimawandel heute ein Thema, über das man spricht. Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung haben etwas erreicht, an dem wir Wissenschaftler jahrelang gescheitert sind, nämlich endlich eine öffentliche Diskussion und ein weitverbreitetes Bewusstsein für die Situation zu schaffen. […] Trotzdem ist es wirklich schwer, in meinem Job positiv zu bleiben. Die Prognosen sind klar, deutlich und verheerend.“[16]

Auf die ausreichende wissenschaftliche Kenntnislage wies der Journalist Ross Gelbspan bereits 1997 hin und betonte:

„Bei der Klimakrise geht es längst nicht mehr um wissenschaftliche Fragen. Daß die künftige Steigerungsrate der Erwärmung noch nicht feststeht - oder die Auswirkungen in verschiedenen Regionen -, ist politisch und gesellschaftlich gesehen völlig unerheblich. Die Wissenschaft hat uns längst gesagt, was wir zum Handeln brauchen.“[17]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Referenzen

  1. Damian Carrington: Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. 17. Mai 2019, ISSN 0261-3077 (englisch, theguardian.com [abgerufen am 26. Mai 2019]).
  2. Vicki Duscha, Alexandra Denishchenkova, Jakob Wachsmuth: Achievability of the Paris Agreement targets in the EU: demand-side reduction potentials in a carbon budget perspective. In: Climate Policy. Jg. 19, Nr. 2, 2018. doi:10.1080/14693062.2018.1471385
  3. Will Steffen, Johan Rockström, Katherine Richardson, Timothy M. Lenton, Carl Folke, Diana Liverman, Colin P. Summerhayes, Anthony D. Barnosky, Sarah E. Cornell, Michel Crucifix, Jonathan F. Donges, Ingo Fetzer, Steven J. Lade, Marten Scheffer, Ricarda Winkelmann, Hans Joachim Schellnhuber: Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 6. August 2018 doi:10.1073/pnas.1810141115
  4. https://www.nature.com/articles/s41467-019-12808-z?fbclid=IwAR02eB8HX3vPOgHpQjRRbujjoe0ZW932ziimLBOpJ-3wupL31SYlB81ui_o
  5. Jonathan T. Overpeck, Cecilia Conde: A call to climate action. In: Science. Band 364, Nr. 6443, 2019, S. 807, doi:10.1126/science.aay1525.
  6. a b Wir hätten den Klimawandel aufhalten können. Bayerischer Rundfunk, 10. April 2019, abgerufen am 3. November 2019.
  7. a b Nils Meyer-Ohlendorf: Framing-Check: „Klimawandel“. In: Süddeutsche. 14. Dezember 2018, abgerufen am 3. November 2019.
  8. a b The Guardian’s environmental pledge 2019. In: The Guardian. 15. Oktober 2019, abgerufen am 3. November 2019 (englisch).
  9. a b https://languages.oup.com/word-of-the-year/word-of-the-year-2019
  10. Eigene Übersetzung; im englischen Original: „the worst potential catastrophe in the history of human civilization: a global climate crisis that is deepening and rapidly becoming more dangerous than anything we have ever faced.“. In: Al Gore: An Inconvenient Truth: The Planetary Emergency of Global Warming and What We Can Do About It. 2006, S. 10.
  11. James Lovelock: The Revenge of Gaia: Earth’s Climate in Crisis and the Fate of Humanity. 2006, S. 146 ff.
  12. David Archer, Stefan Rahmstorf: The climate crisis: An introductory guide to climate change. Cambridge University Press, 2010.
  13. Felicity Barringer: Paper Sets Off a Debate on Environmentalism's Future. In: The New York Times. 6. Februar 2005, ISSN 0362-4331 (englisch, nytimes.com [abgerufen am 29. Juni 2019]).
  14. Naomi Klein: Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima. 2015.
  15. Paul Gorman: National Portrait: Bronwyn Hayward - Accidental Activist. In: stuff. Fairfax Media, 22. Dezember 2018, abgerufen am 7. Januar 2019 (englisch).
  16. Thomas Hummel: Verheerende Waldbrände in Australien: „Die Reaktion der Politik ist schockierend“. Süddeutsche, 22. November 2019, abgerufen am 7. Januar 2020.
  17. Ross Gelbspan: Der Klima-GAU. Erdöl, Macht und Politik. München 1998, S. 169. (englischsprachige Originalausgabe: The Heat is on. Addison-Wesley, Reading, 1997).