Nachricht von einem gebildeten jungen Mann

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Nachricht von einem gebildeten jungen Mann ist der Titel einer satirischen Erzählung[1] E.T.A. Hoffmanns über einen gelehrten und musikalisch begabten Affen. Sie erschien 1814[2] als 10. Teil der „Kreisleriana.“[3]

Inhalt

Der Affe Milo wurde im Haus eines Kommerzienrates nicht nur im Sprechen, sondern auch im Lesen und Schreiben sowie in den Künsten unterrichtet und verhält sich, von gelegentlichen kleinen Ausfällen abgesehen, gesellschaftskonform. Als Beweis seiner erworbenen „Weisheit und Tugend“ sowie seines „Kunstgefühls“ gibt der Erzähler einen Brief des privatisierenden Künstlers und Gelehrten wieder, in dem der Schreiber seine Affenfreundin Pipi in Nord-Amerika ermuntert, sich wie er zu bilden, damit sie seinen Brief lesen kann. Er resümiert, von aller Kunst habe ihn die Musik besonders angezogen, weil er bei ihrem Vortrag von vielen Menschen bewundert werde. Er berichtet stolz, dass er dank seiner länglichen Finger am Fortepiano zwei Oktaven greifen kann. Ein berühmter Sänger habe ihn darauf hin zum Singen ermuntert und ihm bei seinem Bekenntnis, er habe keine gute Stimme, erklärt, der wahren Singkunst stehe eine gute, natürliche Stimme eher entgegen als dass sie ihr nütze. Auch halte er sich nicht an die Partituren. Anstatt die vom Komponisten intendierte Melodie zu singen, habe er Manieren einstudiert, auf allerlei Weise virtuos zu singen, wie es einem Genie entspreche. Er brauche keine handwerklichen Techniken. Sein Grundsatz sei die gänzliche Verachtung alles Bestrebens gewöhnlicher Künstler. Dies bedeute „die höchste Selbstzufriedenheit mit allem, was nun so ohne alle Anstrengung die eigene Kraft hervorruft: das alles sind untrügliche Zeichen des höchstkultivierten Genies, und wohl mir, dass ich alles das täglich, ja stündlich an mir bemerke.“ So lebe er anerkannt und erfolgreich in der menschlichen Gesellschaft und verdanke seinen „glücklichen Zustand […] der erlangten hohen Bildung“. Doch überkomme ihn gelegentlich die Sehnsucht nach dem früheren Leben und er klettere auf Bäume. Aber dann schäme er sich und strebe wieder nach Kultur und weisheitsvollen Lehren, um „zu der inneren Ruhe und Behaglichkeit zu gelangen, die nur die höchste Kultur erzeugt, wie sie aus dem innern Ingenio und dem Umgang mit weisen, gebildeten Menschen entspringt.“[4]

Einordnung in Hoffmanns literarisches Werk

Die „Kreisleriana“ ist eine Sammlung von dreizehn Texten aus dem Nachlass des Kapellmeisters Kreisler, die von einer Schülerin, Fräulein von B., herausgegeben wurden: Erlebnisse, Kindheitserinnerungen, Tagebucheintragungen, Briefwechsel, Aufsätze über Musik, Erzählungen. Die vom Affen Milo vertretene Kunstauffassung entspricht der Kreislers in Hoffmanns Roman Lebens-Ansichten des Katers Murr: „Der Enthusiasmus, das idealistische Streben, das Leiden an der Realität, kurz das Unbedingte und Exzentrische der Künstlerexistenz ist für Hoffmann das Gegenprinzip jenes pedantisch sich selbst bespiegelnden Ordnungssinnes [Murrs], der sich zur Fiktion einer autobiographischen Kontinuität versteigt.“[5] Wie in den Bildungsgeschichten vom Künstler Milo und des wie ein Mensch sprechenden und denkenden Katers, lässt Hoffmann im Kunstgespräch Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza ein Tier als Protagonist auftreten: Kreislers Hund Berganza spricht mit dem Erzähler über sein Leben, seinen Weg zur Bühne und das Musiktheater.

Motiv- und Wirkungsgeschichte

Der Affe als literarische Figur ist Thema zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen.[6] Die Spanne seiner Rollen in den Erzählungen reicht von der Bestie, vom Doppelwesen, vom wilden Tier als Schattenseite des Menschen, z. B. in Stevensons Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde oder Flauberts: „Quidquid volueris“[7][8] bis zum ambivalenten Freiheitssymbol, z. B. in KafkasEin Bericht für eine Akademie[9] und zu einem dem Menschen überlegenen Wesen im dystopischen Roman Der Planet der Affen von Pierre Boulle oder in Peter Høegs „Die Frau und der Affe“.

Hoffmanns kleine Erzählung hat Künstler unterschiedlicher literarischer Epochen zu Affengeschichten angeregt, u. a. Wilhelm Hauff[10] und Franz Kafka,[11] und die Motivgeschichte sprechender Affen bereichert.

Hauff: Der Affe als Mensch

In der Gesellschaftssatire „Der Affe als Mensch“ lässt ein geheimnisvoller Fremder durch Drill einen Orang-Utan als gebildeten Engländer erscheinen, den er dann in die Gesellschaft einer Kleinstadt einführt. Trotz harter Trainingsmethoden mit Peitsche und Würgehalsband sind, abgesehen von seiner Ausdauer als turbulenter, sprungkräftiger Tänzer, die Lernfortschritte im Sprechen, Gesang und in den sozialen Umgangsformen begrenzt. Doch dient sein unkonventionelles Benehmen vielen ihn bewundernden Beobachtern als Beispiel, sich ebenfalls, vermeintlich nach Art der Engländer, wild und rüde aufzuführen. Nachdem sein Gesangsauftritt bei einem Konzert im Chaos endet, wird er eingefangen, von einem Naturkundler als Orang-Utan identifiziert und in einem Tiergehege untergebracht. Der Fremde hat zuvor die Stadt verlassen. In einem zurückgelassenen Brief offenbart er, die Bürger mit dem Affen-Scherz für ihre Klatschsucht und ihren Gesellschaftszwang bestraft zu haben.

In den Erzählungen Hoffmanns, Hauffs und Kafkas[12] sind die Tiere Spiegelbilder der Menschen und dienen durch ihre Fähigkeit, den Menschen nachzuahmen, als literarische Reflexionsfiguren[13][14]

Franz Kafka: Ein Bericht für eine Akademie

Der Verfasser von Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ ist ein von einer Jagdexpedition der Firma Hagenbeck eingefangener Affe. Während seiner Überfahrt nach Europa sucht er in einem engen Käfig einen Ausweg aus der Gefangenschaft in einem zoologischen Garten: Er ahmt die Menschen in ihren Gesten und auch im Sprechen nach, wird als Imitator entdeckt und feiert im Varieté große Erfolge. Er hat das Optimale erreicht: ein Künstler mit der Durchschnittsbildung eines Europäers. Aber in den Augen seiner Freundin, einer kleinen halbdressierte Schimpansin, sieht er den „Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres“, den er tagsüber nicht ertragen kann.

Adaption

Hörbuch: „Der Affe als Mensch, Tiergeschichten, E.T.A. Hofmann, Wilhelm Hauff, Franz Kafka , Carl Hagenbeck.“ Sprecher: Gerd Udo Feller[15]

Ausgaben und Literatur

s. Ausgaben

s. Sekundärliteratur

Wikisource: Kreisleriana (Zweiter Theil) – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Hoffmann nennt sein Werk einen „humoristischen Aufsatz“, zitiert bei Steinecke, S. 835, 16. Z.v.u. In: Hartmut Steinecke (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann: Fantasiestücke in Callot's Manier. Werke 1814. Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch. Bd. 14. Frankfurt am Main 2006, (entspricht: Bd. 2/1 in: Hartmut Steinecke (Hrsg.): „E. T. A. Hoffmann: Sämtliche Werke in sieben Bänden“, Frankfurt am Main 1993).
  2. in der Allgemeinen musikalischen Zeitung (AMZ), Jg. 16, 16. März 1814, Nr. 11, Sp. 178–187. gez. Aus den Papieren des Kapellmeisters Johannes Kreisler
  3. erstmals zwischen 1810 und 1814 in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ und 1814 und 1815 im zweiten und vierten Band der „Fantasiestücke in Callot's Manier“
  4. zitiert nach: E.T.A. Hoffmann: „Nachrichten von einem gebildeten jungen Mann“. In: Sämtliche Werke in Einzelbänden, 6 Bände, Bd. 1 „Fantasie- und Nachtstücke“. Winkler Verlag, München 1960, S. 297 ff.
  5. Jochen Schmidt: „E.T.A. Hoffmann: Glanz und Elend der romantisch-genialen Imagination“. In: J.S: „Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750–1945.“ Darmstadt, 1985, Band 2, S. 6 f.
  6. u. a. Horst-Jürgen Gerigk: „Der Mensch als Affe in der deutschen, französischen, russischen, englischen und amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.“ Pressler Hürtgenwald, 1989. Virginia Richter: „Blurred copies of himself. Der Affe als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier in der europäischen Literatur seit der frühen Neuzeit“. In: Hartmut Böhme (Hrsg.): „Topographien der Literatur. Deutsche Literatur in transnationalem Kontext.“ Akten des Germanistik-Symposions der DFG 2004. Stuttgart 2005, S. 603–624. Julika Griem (Hrsg.): „Monkey Business. Affen als Figuren anthropologischer und ästhetischer Reflexion in populärwissenschaftlichen und literarischen Texten des 19. und 20. Jahrhunderts.“ Berlin 2009. Gerhard Neumann „Natur – Kultur. Zur Anthropologie von Sprache und Literatur“. Mit Literaturverzeichnis. https://literaturkritik.de/menschen-affen-erkundung-der-grenze-zwischen-kultur-und-natur,24081.html. Gisela Gross: „Was Tiere in der Literatur und im Kino so populär macht.“ 1. Juli 2013 https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2013_01/07_gross/index.html
  7. In: Œuvres de jeunesse. Œuvres complètes I. Édition de Claudine Gothot-Mersch et Guy Sagnes. Paris 2001, S. 243–272.
  8. Gerhard Neumann, Barbara Vinken: „Kulturelle Mimikry. Zur Affenfigur bei Flaubert und Kafka.“ In: Zeitschrift für deutsche Philologie, Sonderheft 2007, S. 126–142.
  9. Walter Bauer-Wabnegg: „Zirkus und Artisten in Franz Kafkas Werk. Ein Beitrag über Körper und Literatur im Zeitalter der Technik.“ Erlangen 1986.
  10. Wilhelm Hauff Werke in einem Band. Hanser Verlag München, Wien, 1981, Anhang S. 743.
  11. Nach Binder beruht die Erzählidee für Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ auf seiner Kenntnis von Hoffmanns Erzählung: Hartmut Binder: „Kafka-Kommentar zu sämtlichen Erzählungen“ Winkler Verlag München, 1975, S. 226. Auch Steinecke sieht in Kafkas gebildetem Affen Rotpeter einen würdigen Nachfahren des Affen Milo: Steinecke, S. 816, 1. Z.v.o. in: Hartmut Steinecke (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann: „Fantasiestücke in Callot's Manier.“ Werke 1814. Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch. Bd. 14. Frankfurt am Main 2006, (entspricht: Bd. 2/1. in: Hartmut Steinecke (Hrsg.): „E. T. A. Hoffmann: Sämtliche Werke in sieben Bänden“, Frankfurt am Main 1993).
  12. Forschungen eines Hundes, Der Bau, Der Dorfschullehrer, Die Verwandlung, Kleine Fabel, Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse, Ein Bericht für die Akademie
  13. Max Linde: „Tier und Mensch. Dressurgeschichte“. Planet wissen. https://www.planet-wissen.de/natur/tier_und_mensch/dressurgeschichte/index.html
  14. Ivo Schmucki: „Affen in der Literatur halten unserer Gesellschaft den Spiegel vor“. https:// Das Online-Magazin der Universität Bern. www.uniaktuell.unibe.ch/2016/affen_in_der_literatur_halten_unserer_gesellschaft_den_spiegel_vor/index_ger.html. https://www.unibe.ch/e809/e991/e993/e41749/e72935/e596274/Uniaktuell_7.10.2016_ger.pdf
  15. naxos Klassiker der Literatur