Atommüllproblematik der russischen Marine

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Die Atommüllproblematik der russischen Marine entsteht durch den Betrieb, Stilllegung und Abwrackung von atomreaktorgetriebenen Schiffen, darunter auch U-Booten. Eine Lösung, hochradioaktiven Abfall langfristig sicher zu entsorgen, kennt man noch nicht.

Marine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Saosjorsk

Die russische Marine ging aus der sowjetischen Marine hervor und übernahm auch weitgehend deren Gliederung. Insbesondere die Nordflotte und die Pazifikflotte verfügen über nuklear angetriebene Schiffe. Als erstes atomreaktorgetriebenes U-Boot wurde 1958 die K-3 Leninski Komsomol in Dienst gestellt.

Von 1955 bis zur Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 wurden 240 Atom-U-Boote mit Nuklearantrieb hergestellt. Davon waren im Frühjahr 2010 noch etwa 40 in der russischen Flotte in Betrieb.[1] Ihre Marinestützpunkte haben die Schiffe unter anderem im Polarmeer (Gadschijewo, Bolschaja Lopatka, Malaja Lopatka, Nerpitschja, Poljarny usw.) und im Pazifik (Pawlowski-Bucht usw.).

Erst nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass die Nordmeerflotte ausrangierte Atom-U-Boote versenkt sowie Atommüll im Meer verklappt hat. Wichtige Informationen zu der Problematik lieferten der frühere Konteradmiral Nikolai Mormul, der 1983 wegen seiner internen Kritik an dieser Praxis degradiert und inhaftiert worden war, sowie der frühere Marineoffizier Alexander Nikitin, den der Inlandsgeheimdienst FSB wegen seiner Zusammenarbeit mit der norwegischen Umweltgruppe Bellona verhaftete.[2]

Versenken und Sinken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Explosion beschädigtes Raketensilo der K-219

Viele außer Dienst gestellte Schiffe lässt man zunächst in den Marinestützpunkten liegen. In der Sajda-Bucht lagen im Jahre 2000 etwa 120 ausgemusterte Atom-U-Boote vertäut.[3]

Brennstäbe und Ähnliches aus dem Betrieb und aus der Entsorgung werden in einer Reihe von Anlagen zwischengelagert (Andrejewa-Bucht usw.).[4]

Der Jablokow-Report von 1993 von Alexei Wladimirowitsch Jablokow wies aus, dass die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt Müll mit einer radioaktiven Aktivität von insgesamt 2,4 Millionen Curie (89 PBq = Billiarden = 1015 Becquerel) versenkt hatte, darunter 18 Reaktoren aus U-Booten bzw. aus einem Eisbrecher:[5]

Der Bericht enthielt eine Reihe von weiteren Beispielen.[6]

Neben der Entsorgungsproblematik gibt es auch Probleme durch Unfälle:

  • 1986 sank die atomreaktorgetriebene K-219 mit Reaktoren und 30 Atomsprengköpfen auf den Meeresgrund.
  • 1989 sank die atomgetriebene K-278 Komsomolez, von den Sprengköpfen fand man Spuren von Plutonium freigesetzt.
  • 2003 sank die K-159 mit zwei stillgelegten Atomreaktoren.

Problematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der entlassene Admiral Mormul hatte besonders auf die Kontaminierung des Meeres um die Doppelinsel Nowaja Semlja hingewiesen.[7] Auch wurde bekannt, dass die Motowski-Bucht durch Radioaktivität spürbar belastet ist.[8][9]

Das Magazin Report Mainz berichtete Ende September 2012, dass Beamte des russischen Umweltministeriums eine nicht kontrollierbare Kettenreaktion in der K-27 erwarten, bei denen die Brennstäbe zerstört werden und den Kernbrennstoff freigeben. Laut einem nicht veröffentlichten Entwurf für einen Staatsratsbericht muss die K-27 bis 2014 gehoben werden, um dieses Szenario zu vermeiden. Auch die K-159 muss demnach bis 2014 gehoben werden, da ihre Schutzbarrieren nicht ausreichen.[10]

Laut dem Staatlichen Russischen Instituts für Strahlenschutz (IBRAE) entweichen aus der K-27 seit ihrem Untergang jährlich 851 Millionen Becquerel Radioaktivität.[10] Unterwasseraufnahmen zeigen, dass die Schiffe Löcher haben.[11]

Lösungsversuche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die G8-Staaten verabschiedeten auf dem Gipfel 2002 ein 20-Milliarden-Dollar-Programm gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien. Der größte Teil davon fließt nach Russland.[1][12]

In der Sajda-Bucht entstand 2006 unter Beteiligung der G8 ein Langzeitzwischenlager für Atommüll der Nordflotte.[13]

Ab 2014 sollen die radioaktiven Abfälle zur Anlage Majak transportiert werden.[14]

Trotz der Bemühungen der letzten Jahre liegen noch immer alte Reaktorsektionen (Abschnitte von Schiffsrümpfen) von ausgemusterten U-Booten in den russischen Häfen. Beispielsweise:

Nach Angaben der Bellona Foundation bekam die Bergung der beiden versenkten U-Boote sowie des weiteren Atommülls im Bereich der Arktis bei der russischen Regierung vor allem aufgrund der Pläne zur Exploration arktischer Erdgas- und Erdölvorkommen und der Gefahr, die durch die Reaktoren und Atommüllvorkommen ausgeht, in den letzten Jahren eine höhere Priorität und führte zum Plan der vollständigen Entfernung durch die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands (Rosatom). Speziell im Fall der K-27 wird dabei befürchtet, dass es bei der Bergung zu einer unkontrollierten Kettenreaktion und einer Explosion kommen könnte.[15] Im Januar 2016 wurde angekündigt, dass das in Italien hergestellte Bergungsschiff Itarus für die Bergung der U-Boote und der Atommüllcontainer genutzt werden soll.[16][17]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Endlager für Atom-U-Boote: Die strahlenden Reste russischer Rüstung. In: Stern, 8. April 2010
  2. Katastrofy pod wodoj Bellona Report 2008.
  3. Andreas Knudsen: Deutsch-Russische Atom-U-Boot-Entsorgung. MarineForum - Zeitschrift für maritime Fragen, (Archivversion online)
  4. Hannes Gamillscheg: Im Polarmeer droht ein neues Tschernobyl. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 1. Juni 2007 (online (Memento vom 18. April 2008 im Internet Archive))
  5. Russians describe extensive dumping of nuclear waste. In: New York Times, 27. April 1993 (online)
  6. Tschernobyl unter Wasser. Report an Boris Jelzin enthüllt gigantisches Ausmaß der atomaren Verseuchung der Meere. In: Focus 17. Mai 1993 (online)
  7. Katastrofy pod wodoj Bellona Report 2008.
  8. Genady G. Matishov, Dmitry G. Matishov u. a.: Anthropogenic radionuclides in Kola and Motovsky Bays of the Barents Sea, Russia. In: Journal of Environmental Radioactivity. 43, 1999, S. 77, doi:10.1016/S0265-931X(98)00096-4.
  9. Genady G. Matishov, Dimitry G. Matishov u. a.: Discharges of nuclear waste into the Kola Bay and its impact on human radiological doses. In: Journal of Environmental Radioactivity. 48, 2000, S. 5, doi:10.1016/S0265-931X(99)00049-1.
  10. a b Russische Beamte erwarten nicht kontrollierbare Kernreaktion. Report Mainz, 25. September 2012, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 26. September 2012.@1@2Vorlage:Toter Link/www.swr.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  11. Thomas Reutter: Arktis droht Atomkatastrophe. tagesschau, 26. September 2012, archiviert vom Original am 27. September 2012; abgerufen am 26. September 2012.
  12. Statement by G8 Leaders (Memento vom 4. Juni 2013 im Internet Archive).
  13. BMWI: Langzeitlager und Nukleares Entsorgungszentrum in der Sajda-Bucht. 2006 (online (Memento vom 3. Juli 2007 im Internet Archive); PDF; 484 kB)
  14. Andreev bay: creating the infrastructure for radwaste and spent fuel management. In: Environmental Safety 3/2008. S. 60–63 (online)
  15. Anna Kireeva: Raising sunken nuclear subs finally taking center stage. Bellona Foundation, 22. April 2015.
  16. Charles Digges: Russia receiving ship capable of lifting nuclear waste from Arctic waters from Italy Bellona Foundation, 24. Juli 2015.
  17. Charles Digges: Italy sending Russia a new nuclear waste transport vessel to haul submarine reactors Bellona Foundation, 19. Februar 2016.