Benutzer:Arne List/Apostasie im Islam

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Apostasie im Islam, meist Ridda (ردة) oder Irtidad (ارتداد) genannt, bezeichnet den „Abfall vom Islam“ und gilt als eine schwere Sünde.

Sie ist nach islamischem Recht (der Schari'a) in einigen Ländern mit der Todesstrafe bedroht.[1] In Ländern, deren staatliche Rechtsordnung sich an der Schari'a orientiert, die aber keine islamischen Gerichtshöfe mehr haben, kann der bekundete „Abfall vom islamischen Glauben“ zivilrechtliche (Erbrecht, Eherecht) und strafrechtliche Konsequenzen haben.

Islamische Gegenpositionen betonen das Prinzip Kein Zwang im Glauben (Koran 2:256) und verweisen darauf, dass der Koran keine irdische Strafe für den Abfall vom Glauben vorsieht (2:217, 3:91, 4:115, 5:5, 16:106, 18:29). So steht auch „Kein Zwang im Glauben“ im Kontext:

„Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem unrichtigen. Wer nun an die Götzen nicht glaubt, an Allah aber glaubt, der hat gewiss den sichersten Halt ergriffen, bei dem es kein Zerreißen gibt. Und Allah ist Allhörend, Allwissend.
Allah ist der Beschützer derjenigen, die glauben. Er führt sie aus den Finsternissen ins Licht. Diejenigen aber - die ungläubig sind, deren Freunde sind die Götzen. Sie führen sie aus dem Licht in die Finsternisse. Sie werden die Bewohner des Feuers sein, darin werden sie ewig bleiben.“

Koran 2:256-257: Übersetzung von Rasul

Historische Bedeutung der Ridda[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der frühislamischen Geschichte bezeichnete die Ridda das Abfallen der arabischen Stämme Zentralarabiens vom Islam, die unmittelbar mit der Verweigerung der Zakat-Zahlungen an den ersten Kalifen Abu Bakr nach dem Tod des Propheten Mohammed verbunden war. Sie fühlten sich nicht mehr dem Pakt mit Mohammed verpflichtet.

Die abgefallenen Stämme wurden daraufhin in den sogenannten Ridda-Kriegen gezwungen, zum Islam zurück zu kehren. In diesem Zusammenhang wurde der Prophetenspruch „tötet denjenigen, der seine Religion wechselt“ angewendet.

In jener Zeit waren auch einige nach der islamischen Tradition „falsche Propheten“ in Zentralarabien aktiv. Für die historische Bedeutung der Ridda spricht die Tatsache, dass islamische Historiographen des 8. Jahrhunderts diese Ereignisse in den sog. Ridda-Büchern (kutub al-ridda) nach älteren, überwiegend mündlichen Überlieferungen verarbeitet haben.

Islamisches Recht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Traditionelle Lehrmeinung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Derjenige, der vom Islam abgefallen ist, wird Murtadd (Apostat) genannt. Nach dem klassischen islamischen Recht ist die Todesstrafe die allgemein anerkannte und in der Sunna des Propheten verankerte Höchststrafe für Apostaten. Dabei beziehen sich die verschiedenen Rechtsschulen auf überlieferte Aussagen (hadith) des Propheten Mohammed, wie: „tötet denjenigen, der seine Religion wechselt“. Nach weit verbreiteter Auffassung ist diese Anweisung des Propheten für die Verurteilung von Apostaten maßgeblich. Sie wird schon im Muwatta' des Malik ibn Anas im 8. Jahrhundert und in den kanonischen Hadithsammlungen der Traditionswissenschaft einstimmig überliefert.

Der oben genannte Prophetenspruch bezieht sich ausschließlich auf den Abfall vom Islam, denn die Schari'a kümmert sich naturgemäß nicht um den Religionswechsel der Angehörigen der anderen monotheistischen Religionen.

Mit Ausnahme der hanafitischen Rechtsschule war nach historischer Rechtsauffassung auch die Apostatin zu töten; Schwangere aber erst nach der Niederkunft. Für Frauen war bei den Hanafiten lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen.

Arten der Apostasie im islamischen Recht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das islamische Recht zählt, auch in seinem zeitgenössischen Verständnis, vier Arten der Apostasie – im folgenden nach dem islamischen Begriff „Ridda“ genannt – auf: [2]

  • Ridda in Glaubensfragen
  • Ridda durch Aussagen
    • die Leugnung von Gottes Attributen; Gott andere Wesen (wie Gottessohn) zuschreiben;
    • den Koran oder Teile davon leugnen;
    • Mohammed der Lüge bezichtigen;
    • Verbotenes (haram: wie „Unzucht“ (zina’), Alkoholgenuss oder ähnliches) für erlaubt (halal) erklären;
    • Gotteslästerung, sei es aus Überzeugung, aus Spaß, oder durch Verspottung; denn im Koran steht: „Und wenn du sie fragst (und wegen ihrer spöttischen Bemerkungen zur Rechenschaft ziehst), sagen sie: ‚Wir haben nur geplaudert und gescherzt (w. gespielt).‘ Sag: Wie konntet ihr euch über Gott und seine Zeichen (oder: Verse) und seinen Gesandten lustig machen? Ihr braucht keine Entschuldigungen vorzubringen. Ihr seid ungläubig geworden, nachdem ihr gläubig waret […]“ (Sure 9:65-66)
    • Verspottung oder Beleidigung des Propheten. Es herrscht Übereinstimmung unter den Gelehrten aller Rechtsschulen darüber, dass die Verspottung Mohammeds, seiner Abstammung, die Leugnung seiner Sendung Ridda ist. Denn in einem solchen Fall liegt Religionswechsel vor und konnte somit genauso bestraft werden wie jeder Apostat: so die Hanafiten und Hanbaliten. Der Lehre der Schafiiten nach ist dieses Vergehen mehr als nur Ridda: derjenige, der den Propheten verspottet, beleidigt oder verleugnet, ist zum einen ein kafir, zum anderen ein Lästerer über den Propheten.
  • Ridda durch Taten
    • Die Missachtung des Korans dadurch, dass man ihn oder Teile davon wegwirft: das gilt als Missachtung von Gottes Wort und somit der Tatbestand der Ridda als erfüllt.
    • Die Verehrung von Götzenbildern, der Sonne oder dem Mond ist „Unglaube“ (kufr) und somit Ridda des Muslims, der sie praktiziert.
  • Ridda durch Unterlassung
    • Die Unterlassung des Gebets aus Überzeugung gilt als Ridda. Die Unterlassung des Gebets aus Faulheit wird nach den überlieferten Aussagen vieler Prophetengefährten in der Lehre der Malikiten, Hanbaliten und Schafiiten als Ridda geahndet. Nach den Hanafiten ist eine solche Person ein Frevler/Sünder; er konnte so lange eingesperrt werden, bis er die vorgeschriebenen fünf Gebete wieder verrichtete. [3]

Die dargestellten vier Arten der Apostasie gelten nicht etwa nur als Indizien des Glaubensabfalls, auch nicht als bloße gesetzliche Vermutungen, sondern erfüllen in der islamischen Jurisprudenz jeweils für sich schon den vollendeten Tatbestand der Apostasie.

Die Bestrafung des Apostaten obliegt dem Herrscher; tötet ihn aber ein anderer Muslim, so wird dieser dafür lediglich getadelt (ta'zir), da er durch seine Tat die dem Herrscher vorbehaltenen Rechte, die Todesstrafe zu verhängen, ignoriert hatte.

Straffreiheit bei Apostasie im islamischen Recht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Apostasie ist schari’arechtlich nicht strafbar im Falle von:

  • Geisteskrankheit
  • Trunkenheit (Die Hanbaliten und die Schafi’iten sind nach der klassischen Auffassung ihrer Rechtsschulen der Meinung, dass der Tatbestand der Apostasie auch in diesem Falle vorläge.)
  • Zwangslage gemäß Sure 16:106:

„Diejenigen, die an Gott nicht glauben, nachdem sie gläubig waren – außer wenn einer (äußerlich zum Unglauben) gezwungen wird, während sein Herz (endgültig) im Glauben Ruhe gefunden hat – nein, diejenigen die (frei und ungezwungen) dem Unglauben in sich Raum geben, über die kommt Gottes Zorn, und sie haben (dereinst) eine gewaltige Strafe zu erwarten.“

  • Minderjährigkeit – die Todesstrafe ist auch bei Volljährigkeit der Person muslimischer Eltern nicht zu verhängen, wenn er weiterhin den Islam ablehnt. Vielmehr wird er zum islamischen Glauben gezwungen, aber nicht getötet. Diese Rechtsfrage hat Asch-Schafii in seinem grundlegenden Rechtswerk seiner Schule, im Kitab al-Umm, mit Hinweis auf Präzedenzfälle abgehandelt. [4]


Beispiele aus neuerer Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Selbst in Fällen, in denen der Abfall vom Islam keine strafrechtlichen Konsequenzen hat, drohen in einigen islamischen Ländern zivilrechtliche Folgen, die dort mit dem klassischen islamischen Recht begründet werden. Strafen können sein:

  • die Ehe zwischen dem Apostaten und dem muslimischen Ehepartner wird aufgelöst (z.B. Nasr Hamid Abu Zaid in Ägypten),
  • die gemeinsamen Kinder bleiben Muslime und sind vom muslimischen Elternteil zu erziehen,
  • erbrechtliche Ansprüche eines Apostaten/einer Apostatin sind islamrechtlich erloschen,
  • das Vermögen des Apostaten wird vom Staat eingezogen.

Im Sudan (StGB aus dem Jahre 1991, Art. 126), Jemen und Iran sowie in Saudi-Arabien, Qatar, Pakistan, Afghanistan, Somalia und in Mauretanien (StGB aus dem Jahre 1984, Art. 306) kann Abfall vom Islam noch heute mit dem Tode bestraft werden, und es werden sehr vereinzelt auch Hinrichtungen durchgeführt.

Auch in anderen islamisch geprägten Ländern, in denen heute nicht mehr offiziell der Tod auf den Abfall vom Islam steht, wird der Mord an einem Murtadd oft nicht geahndet, da solch ein Mord von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt wird.

Sudan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der muslimische Reformer Mahmud Muhammad Taha (1909/1911-1985) wurde im Sudan am 18. Januar 1985 inoffiziell wegen „erwiesener Apostasie“ hingerichtet, nachdem er sich gegen die Fiqh-Gesetze von Präsident Numeiri eingesetzt hatte.

Mahmud Taha sollte einer der ganz wenigen bekannten Fälle von Menschen im 20. Jahrhundert bleiben, die unter dem Vorwurf der Apostasie tatsächlich hingerichtet wurden.

Marokko[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach marrokanischem Recht ist derjenige, der öffentlich vom Islam abschwört, zivilrechtlich tot. Falls er verheiratet ist, wird seine Ehe aufgelöst und sein eventuelles Vermögen fällt seinen rechtmäßigen Erben zu. Wer Muslime vom Islam abbrigen will, wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft.

1962 gab es einen ungewöhnlichen Vorfall in Nador. Einige Lehrer, die zum Bahai-Glauben konvertiert waren, wurden wegen Aufruhr und Bandenkriminalität und Störung der religiösen Ordnung angeklagt. Das Urteil des Gerichts wurde dann in höherer Instanz in Rabat wegen unzureichender Beweise hinsichtlich der Ordnungsstörung kassiert. Damit wurden sie auch nicht für ihren Religionswechsel bestraft.

Pakistan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der pakistanische Gelehrte Sayyid Abul Ala Maududi (1903-1979) betonte zwar, dass man niemanden zum Islam zwingen kann, aber hielt an der Todesstrafe für Abfall vom Islam fest.

Pakistan plant im Jahre 2007 die Einführung eines Gesetzes, das die Todesstrafe für männlicher Apostaten und lebenslange Haft für weibliche vorsieht. Zwei muslimische Zeugen sollen für eine Veruteilung ausreichen. [5]

Iran[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Muslime im Iran, die zu einer anderen Religion konvertieren, gelten als der Apostasie schuldig und werden strafrechtlich verfolgt, wobei die Verhängung der Todesstrafe möglich ist. Frauen werden eher mit lebenslanger Haft bestraft. [6][7]

Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Apostasie und Blasphemie „verurteilte“ der iranische Staatschef Khomeini den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie mittels einer „Fatwa“ am 14. Februar 1989 zum Tode und rief alle Muslime dazu auf, die Strafe zu vollstrecken. Ferner wurde ein Kopfgeld von drei Millionen US-Dollar ausgesetzt. Viele Muslime bestreiten allerdings die Gültigkeit dieses „Urteils“.

Im Jahre 2002 wurde der Hochschullehrer Haschem Aghadschari im Iran wegen Apostasie zum Tode verurteilt, weil er gesagt hatte, die Muslime sollten islamischen Geistlichen nicht „wie Affen“ folgen. [8] Diese Strafe wurde in Mai 2004 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Wenige Monate später wurde die Strafe in fünf Jahre Haft umgewandelt, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die bürgerlichen Rechte wurden ihm für ebenfalls fünf Jahre entzogen.

Ägypten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einem Verfassungsentwurf für Ägypten aus dem Jahr 1978 proklamierten islamistische Gelehrte der Al-Azhar-Universität die Erhebung der Apostasie, vergeblich und entgegen traditioneller Rechtsauffassung, zur hadd-Strafe. Damit wäre dem Richter und politischen Stellen jede Intervention bezüglich eines Todesurteils versagt. Anlass hierzu waren Kopten die zwecks Heirat zum Islam konvertierten, und die, als die Ehe auseinander ging, wieder zum Christentum zurück kehrten.

Des Weiteren erklärte der Gelehrte Mohammed Al-Ghazali die Tötung von Apostaten anlässlich der Ermordung des Publizisten Faradsch Fauda zur individuellen Pflicht der Muslime, falls staatliche Stellen dem nicht nachkämen. Freilich wurden die Mörder Faudas gemäß Strafgesetzbuch der Arabischen Republik Ägypten dennoch hingerichtet.

Außerdem benutzte die Muslimbruderschaft in Ägypten den Apostasiebegriff, um Gegner ihrer politischen Forderungen einzuschüchtern.[9]

2005 wurde in Ägypten ein Mann, der zum Christentum übertrat, zwangsweise in die psychiatrische Anstalt eingewiesen und später auch von der Polizei gefoltert. [10]

Afghanistan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2006 drohte in Afghanistan Abdul Rahman wegen Konversion zum Christentum die Todesstrafe, bis das Verfahren – laut offiziellen Angaben wegen Verfahrensmängeln − vor der Prozesseröffnung eingestellt wurde. Er wurde für geisteskrank erklärt und bekam von Silvio Berlusconi in Italien Asyl.

Libyen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Libyen wird ein Abfall vom Islam mit dem sofortigen Verlust der Staatsbürgerschaft sanktioniert.

Algerien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Algerien wird dejenige, der versucht, einen Moslem vom Islam abzubringen, mit einener Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. [11]

Malaysia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Verfassung Malaysias sind per Dekret alle ethnischen Malaien von Geburt an Muslime. Ein Abfall vom Islam ist nach den neusten Urteilen nicht mehr möglich, da Scharia-Gerichte den Übertritt absegnen müssten. Die Scharia-Gerichte tun dies jedoch nicht, da nach der Scharia ein Abfall vom Islam nicht geduldet werden kann. [12] Davor war er nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich und erforderte viel Zeit und Geduld. Dazu war ein Borang Keluar Islam (Formular zum Austritt aus dem Islam) auszufüllen und über einen längeren Zeitraum der Beweis anzutreten, wirklich nicht mehr zum Islam zurückkehren zu wollen (i.A. ca. zwei Jahre). Hierzu fanden regelmäßig Gespräche mit einem Imam statt. Die Verfassung verbrieft zwar Religionsfreiheit, de facto ist aber der Weg, den Islam zu verlassen verbaut.

Soziale Auswirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Apostaten vom Islam müssen selbst in Europa vereinzelt mit Morddrohungen rechnen.[13] Menschen, die sich in der islamischen Welt tatsächlich oder vermeintlich vom Islam abwenden, müssen manchmal mit sozialer Ächtung, Verlust des Arbeitsplatzes, Drohungen und Übergriffen durch Dritte rechnen. Es sind Fälle bekannt, in denen Menschen unter dem Vorwurf der Apostasie ermordet wurden.[14]

Abweichende Meinungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Modifizierte Meinungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zuge des islamischen Modernismus modifizierten manche Gelehrte die traditionelle Rechtsmeinung zum Glaubensabfall. Muhammad Abduh, Raschid Rida und Mahmud Schaltut differenzierten zwischen individuellem Abfall vom Glauben und einem Apostaten, der aktiv die Gemeinschaft bekämpfe, oder versuche vom Glauben abzubringen. Letzterer sei mit dem Tod zu bestrafen, während ersterer straffrei ausgehen sollte. Die gleiche Ansicht findet sich auch in den Schriften von Yusuf al-Qaradawi; dieser betont zudem, dass die Verfolgung der Apostasie nur durch staatliche Stellen und nicht durch private Aktionen erfolgen solle. Der Gelehrte Mohammad Salim al-Awwa zog eine apologetische Parallele zwischen der westlichen Hochverratsgesetzgebung in Kriegszeiten und den Gesetzen zur Apostasie. Trotzdem betonte er, dass ein rein privater und damit nicht bestrafbarer Glaubensabfall nur in den seltensten Fällen von Apostasie gegeben sein könne. [15]


Ablehnende Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat sich mehrfach von solchen Drohungen distanziert. Im Zusammenhang mit dem befürchteten Todesurteil für den Konvertiten Abdul Rahman in Afghanistan nahm er wie folgt Stellung:

Keine Todesstrafe für afghanischen Konvertiten
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) bedauert zwar zutiefst jeden Fall eines Abfalls vom Islam – wir akzeptieren aber auch das Recht, die Religion zu wechseln. Der Koran untersagt jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.
Außerdem bietet das islamische Recht einen breiten Spielraum für andere Lösungen in derartigen Fällen. In diesem Sinne bittet der ZMD die afghanische Justiz, von einer Bestrafung des zum Christentum übergetretenen Abdur-Rahman abzusehen.“

Zentralrat der Muslime in Deutschland: Eschweiler, 22. März 2006 [16]

Im Paragraph 11 der Islamischen Charta formuliert der ZMD im gleichen Sinne:

Muslime bejahen die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung
Ob deutsche Staatsbürger oder nicht, bejahen die im Zentralrat vertretenen Muslime daher die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit. Daher akzeptieren sie auch das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.“

Zentralrat der Muslime in Deutschland: Eschweiler, 20. Februar 2002 [17]

Dabei liegt dieser Auffassung u.a. die Überzeugung zu Grunde, dass das islamische Recht Muslime verpflichte, sich dem Recht des jeweiligen Landes anzupassen, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen könnten. [18]


Das Deutsche Islamforum (Zentralrat der Muslime in Deutschland, DITIB, etc.) lehnte 2006 in einer Grundsatzerklärung zur Scharia jedwede Bestrafung von Apostaten ab. [19] Die Ahmadiyya Muslim Dschamaat, [20] lehnt jedwede Bestrafung seit ihrer Gründung ab.

Die pakistanischen Ulama Javed Ahmad Ghamidi und Khalid Zaheer lehnen die Todesstrafe für Apostasie ebenfalls vollkommen ab. Ghamidi begründet seine Ansicht dadurch, dass das traditionelle Rechtsdenken den Koran und die Sunna in diesem Fall außerhalb ihres Kontextes interpretieren würden. Beide argumentieren, die Todesstrafe sei nur zur Wirkungszeit Muhammads selbst gerechtfertigt gewesen. [21]

Auch einflussreiche muslimische Persönlichkeiten in Europa, wie Tariq Ramadan, lehnen jedwede Bestrafung von Apostasie ab. [22]

Der islamische Theologe Yaşar Nuri Öztürk, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Ankara, hält es für den größten Irrtum, der in der islamischen Rechtslehre begangen worden sei, die Todesstrafe für Apostaten zum religiösen Dogma zu erheben. Auch die Bewertung der Apostasie als Akt des Hochverrats lehnt Öztürk ab. Der Apostasievorwurf sei in jüngster Zeit zum Kampfbegriff eines politisierten und ideologisierten Islam geworden. Dies bezeichnet Öztürk als „islamische Inquisition“.[23]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Frank Griffel: Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazâlîs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktion der Philosophen. Brill, Leiden 2000, ISBN 9004115668
  • R. Peters, G.J.J. de Vries: Apostasy in Islam. In: Die Welt des Islams. 17/1976–1977, S. 1–25
  • Yohanan Friedmann: Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0521827035
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 7, S. 635 (murtadd); Supplement. Fasc.9-10. S. 692-695, Brill, Leiden 2004, ISBN 90-04-13214-7

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Werner Ende und Udo Steinbach (Hrsg.): Der Islam in der Gegenwart. München 1989, S. 190
  2. Nach: Die Enzyklopädie des islamischen Rechts (al-mausūʿa al-fiqhiyya); Kuwait: Ministerium für religiöse Angelegenheiten und fromme Stiftungen (waqf), Bd. 22; S. 180ff; Kuwait 2003.
  3. Auf folgender türkischsprachiger Webseite werden Einsperren und Todesstrafe als Sanktionen für das Unterlassen des Gebets bestätigt: Ist jemand, der sein Gebet nicht verrichtet, Muslim?
  4. Die Enzyklopädie des islamischen Rechts (al-mausūʿa al-fiqhiyya); Kuwait: Ministerium für religiöse Angelegenheiten und fromme Stiftungen (waqf), Bd. 22; S. 181-182; Kuwait 2003. Nach den allgemein anerkannten Grundwerken der sunnitischen Rechtsschulen bis in das 19. Jh.
  5. Asia News vom 9.5.2007
  6. Asylgutachten Amnesty International Deutschland Deutschland
  7. Spiegel online vom 5. Juni 2006
  8. Profile: Hashem Aghajari, BBC, July 9, 2003
  9. Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik, Baden-Baden, 1999 S. 151-157
  10. Meldung, IGFM, 5. Juli 2005
  11. Algerien schränkt Versammlungsfreiheit für Nicht-Muslime ein
  12. NZZ vom 31.5.2007
  13. http://www.welt.de/print-welt/article353296/Darauf_steht_die_Todesstrafe.html "Darauf steht die Todesstrafe"] Artikel in der WELT ONLINE vom 18. November 2004
  14. Christine Schirrmacher zu Folgen der Apostasie
  15. Patrick Bannerman: Islam in Perspective, London 1988, S. 140; Albert Hourani: Arabic thought in the Liberal Age 1798 – 1939, Cambridge 1983, S. 237; Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik, Baden-Baden 1999, S. 151-157
  16. Quelle im Netz
  17. Quelle im Netz
  18. vgl. Paragraph 10 der Islamischen Charta
  19. Islam.de: http://islam.de/7395.php (dort: Scharia des Islamforums als PDF-Download)
  20. AMJ: Tod dem Ketzer? Über Eiferer und Abtrünnige im Islam; in: Weißes Minarett, Januar 1998, S. 20
    AMJ: Punishment for Apostasy (alislam.org)
  21. Javed Ahmad Ghamidi: The Penal Shari'ah of Islam; Lahore, 2004; S. 36ff, abgerufen am 17. Juni 2007 20:52; Aussage Khalid Zaheers auf seiner persönlichen Webseite (abgerufen am 27.06.2007 13:13); Artikel von Shehzad Saleem in einer Ghamidi nahestehender Zeitschrift (abgerufen am 27. Juni 2007 13:13)
  22. A confident, modern Islam must challenge the victim mentality of western Muslims and a crisis of authority across the faith, says Tariq Ramadan. But can you be a gay Muslim?; 24. Juli 2006
  23. Yaşar Nuri Öztürk: Der verfälschte Islam, Düsseldorf 2007, S. 93 - 96

[[Kategorie:Islam]] [[Kategorie:Islamisches Recht]]