Carsten Curator
Carsten Curator ist eine 1878 erstmals in Westermanns Monatsheften veröffentlichte Novelle von Theodor Storm.
Handlung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In einem friesischen Hafenstädtchen lebt in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein kleinbürgerlicher, aus bescheidenen Verhältnissen stammender Mann namens Carsten Carstens mit seiner Schwester Brigitte im von den Eltern ererbten Haus in besserer Wohnlage. Carstens hat sich autodidaktisch etwas Bildung erworben und wird deshalb und aufgrund seines lauteren Charakters von seinen Mitbürgern oft um eine Art Vermögensverwaltung gebeten. Der von den Mitbürgern verliehene Beiname „Curator“ nimmt auf diese Tätigkeit Bezug.
Anlässlich eines Todesfalles, bei dem Carstens mit der Ordnung der Vermögenslage der unmündigen Erbin betraut wird, entsteht aus dem Pflegschaftsverhältnis eine engere Beziehung, die in die Ehe zwischen Carstens und der weitaus jüngeren Juliane mündet. Aus dieser Ehe geht der Sohn Heinrich hervor, der das liebe, aber leichtfertige und sorglose, unstete Wesen seiner Mutter hat. Juliane stirbt im Kindbett und kann somit auf die weitere Erziehung des Sohnes keinen Einfluss nehmen. Mutterstelle vertritt Brigitte, die ein kleines Wollgeschäft für ihren Bruder führt. Heinrich wächst zusammen mit einem Mündel Carstens’ auf – dessen Ziehtochter Anna. Diese ist nicht nur von berückender Schönheit, Storm zeichnet sie auch als liebevoll, treu und selbstlos.
Carstens versucht unentwegt, die Wege seines Sohnes in ein solides Berufsleben mit dem Ziel einer gesicherten Existenz zu ebnen. Er wird von der Angst verfolgt, Heinrich könne sich nicht von den Erbanlagen seiner Mutter und ihrem Hang zum Unsteten lösen. Tatsächlich setzt Heinrich das Erreichte immer wieder aufs Spiel, indem er mal anvertraute Gelder beim Glücksspiel veruntreut, mal gewagte Spekulationen abschließt, die sich nach anfänglichen kleinen Erfolgen als verlustreich erweisen. Mehr als einmal muss ihn der Vater unter Hinzuziehung des eigenen Vermögens aus desolater Lage befreien.
Als wieder einmal die Geschäftslage den Sohn an den Rand des Ruins treibt, rettet ihn die Heirat mit Anna, deren nicht unerhebliches Vermögen Carstens bislang verwaltete. Dennoch behält der Alte einen Teil von Annas Guthaben in Wahrnehmung seiner Treuepflicht zur Grundsicherung seiner Schwiegertochter und des bald nach der Heirat geborenen Enkelsohnes ein.
Heinrichs riskanter Lebenswandel führen den jungen Mann aber erneut in den drohenden Bankrott. Sowohl seiner Schwiegertochter als auch seinem Sohn schlägt Carstens die Herausgabe der Sicherheitsreserve ab. Daraufhin flieht Heinrich während einer tosenden Novembersturmflut offensichtlich in den Tod.
Carstens Familienhaus als auch das von Annas Geld erworbene kleine Ladengeschäft am anderen Ortsende kommen unter den Hammer. Der jahrzehntelang im Ort geachtete Carstens muss mit seiner Schwiegertochter und dem Enkel in die Armeleutegegend des Ortes ziehen, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Dort erlebt er, von den Folgen eines Schlaganfalls in dem Novembersturm gezeichnet und umsorgt von seiner Schwiegertochter, doch noch ein bescheidenes Glück.
Dramatik und Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter dem Eindruck seines in Würzburg Medizin studierenden, verbummelten und der Trunksucht verfallenen Sohnes Hans schreibt sich der sechzigjährige Storm 1877 seinen Kummer mit unerhörter literarischer Wucht von der Seele. Dass Hans Storms Lebenswandel einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Sujet und die Behandlung des Themas gehabt hat, belegt ein Zitat aus der Feder Storms, Hans betreffend: „Es ist keine Sorge mehr, es ist ein Entsetzen, das mir das Blut vergiftet.“ In der Schlussszene von „Carsten Curator“ beschreibt er denn auch die letzte Konfrontation des alten Vaters mit seinem Heinrich: „‚Betrunken!‘ schrie er (der Vater, Anm. Bajun)‚ du bist betrunken!“ Mit dieser Erkenntnis verschließt sich der Vater nunmehr völlig und wortwörtlich gegen den um Hilfe bettelnden Sohn, den er doch abgöttisch liebte.
Die Handlung arbeitet stets und zielgerichtet auf das katastrophale Ende zu, wobei Storm selbst die Natur, sowohl ihre Schönheit als auch den Aspekt ihrer zerstörerischen Gewalt illustrierend zur Hilfe nimmt. Charaktere werden teilweise deutlich überzeichnet, so der als schmierig beschriebene und aufdringliche Makler Jaspers, dem ein diabolischer Zug anhaftet. Dem gegenübergestellt werden die makellosen Figuren Carstens, Brigitte und Anna, die für absolute moralische Solidität stehen. In dieses Spannungsfeld hinein werden Juliane und ihr Sohn Heinrich gestellt, die ungefestigt immer wieder kurzsichtig und rücksichtslos ihren Vorteil suchen und in einem kindlichen Verhaltensschema begriffen jede Form von Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein ablehnen.
Die Statik der Figuren ist für den Fortgang des Dramas entscheidend. Die Gespräche zwischen den Figuren bleiben unfruchtbar und ohne Gewinn, gegenseitiges Verständnis wird nicht erreicht. Die Kommunikation findet nur dem Schein nach statt, was an den Dialogen zwischen Carstens und Brigitte („Carsten fühlte wohl, dass er nur mit sich selbst gesprochen habe und daß er nach wie vor alleine sei“), Carsten und Anna („Was geht nicht, Kind?“ „Das da, Ohm, das mit den vielen Talern“). Heinrichs Redebeiträge dienen ausschließlich der Verdunkelung von Sachverhalten oder der Darstellung seines momentanen Gefühlszustandes, der sich allerdings in Sekundenschnelle veränderten Bedingungen anpasst („Nein; denn ich habe nur noch zwei Wege: entweder hier in den Brunnen oder zum Büttel ins Gefängnis.“ „Ich verzins' es dir, ich stelle dir einen Schuldschein aus; du sollst keinen Schaden bei mir leiden … Mannshand oben!“). Gesprächsinitiatorin ist häufig Anna, während Carstens die Kommunikation am häufigsten beendet. Durch die eingefahrene Redesituation bleibt die geistige Entwicklung der Figuren aus, die notwendig wäre, um die Situation zu meistern.
In konservativer Sicht der Dinge beschreibt Storm den Untergang einer alten, scheinbar in sich gefestigten Welt im Austausch gegen eine schnelllebige und riskanten Geschäften zugeneigte, die Menschen einander entfremdende Epoche, wie sie mit der Industrialisierung des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr an Präsenz gewann. Immer wieder stellt der Autor den Gegensatz zwischen der verlockenden und mit der Zusicherung von Anonymität verführenden Metropole Hamburg und der soziale Kontrolle aber auch Geborgenheit und Fürsorge verheißenden Inselidylle gegenüber. Letzten Endes lässt er die Ära der Romantik gegen das Haifischbecken des anbrechenden Frühkapitalismus scheitern und bekennt sich damit zu einer realistisch-nüchternen Beurteilung der unvermeidlichen gesellschaftlichen Entwicklung.
Das Hauptthema der romantischen Literatur, die alle Fährnisse und Herausforderungen bezwingende Liebe, wird mit Storms „Carsten Curator“ deutlich in Frage gestellt. Zwar lässt er die positiv belegten Personen Carstens und Anna nicht völlig an der Unzulänglichkeit des Heinrich Carstens scheitern, dennoch stellt sich deren unverdienter sozialer Abstieg als ein durch nichts belohnter Opfergang dar, dessen realistische Zeichnung in seiner Trostlosigkeit geradezu erschütternd wirkt.
Hörspiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die ARD-Hörspieldatenbank verzeichnet zwei für den Funk bearbeitete Versionen, die ebenfalls unter dem Titel Carsten Curator erschienen und die beide noch erhalten sind.
Bei der im Jahre 1962 beim NDR entstandenen Produktion handelt es sich um ein Mundart-Hörspiel in niederdeutscher Sprache. Die Bearbeitung stammte von Walther Bullerdiek.
Unter der Regie von Hans Mahler sprachen:
- Otto Lüthje: Carsten Curator
- Heidi Kabel: Brigitte, seine Schwester
- Ruth Rastedt: Juliane, seine Frau
- Jochen Schenck: Heinrich, sein Sohn
- Gisela Wessel: Anna, sein Mündel
- Karl-Heinz Kreienbaum: Bürgermeister
- Hartwig Sievers: Jaspers, Makler
- Heini Kaufeld: Amtsschreiber
- Günther Siegmund: Christian
- Heinz Lanker: Nachtwächter
- Ernst Grabbe: Nachbar Reimers
Die Abspieldauer beträgt 54'30 Minuten.
Die zweite Aufnahme entstand 1976 beim SFB in hochdeutscher Sprache. Für die Bearbeitung zeichnete hier Claus B. Maier verantwortlich.
Hier sprachen unter der Regie von Siegfried Niemann unter anderen:
- Ernst Wilhelm Borchert: Erzähler
- Bernhard Minetti: Carsten Carstens
- Horst Bollmann: Makler Jaspers
- Ursula Krieg: Brigitte
- Beate Menner: Juliane
- Christian Brückner: Heinrich
- Uta Hallant: Anna
- Max Grothusen: Bürgermeister
- Heinz Rabe: Nachbar
Die Abspieldauer beträgt 91'50 Minuten.
Hörbücher
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1976 hat der Schauspieler Hans Goguel Carsten Curator ungekürzt für den Saarländischen Rundfunk eingelesen (Regie: Friedrich Otto Scholz); 2017 erschien die Lesung als SR2 online Edition, ISBN 978-3-95615-951-0[1][2]
Ausgaben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Theodor Storm: Carsten Curator. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig, 1919, mit einem Vorwort von Dr. Walther Herrmann
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Carsten Curator bei Zeno.org.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Theodor Storm: Carsten Curator. In: vorleser shop – Literatur hören. Abgerufen am 23. Juli 2022.
- ↑ Carsten Curator – Audible Logo Audible Audiobook – Unabridged. amazon, abgerufen am 27. Juli 2022.