Chaha (Sprache)
Chaha | ||
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Gesprochen in |
Äthiopien | |
Sprecher | 440 000 | |
Linguistische Klassifikation |
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Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
– | |
ISO 639-2 |
sem | |
ISO 639-3 |
Chaha (auf Chaha und Amharisch: čehā oder čexā) ist eine äthiosemitische Sprache, die in der Gurage-Zone in der Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker gesprochen wird.
Das Chaha ist unter Phonologen und Morphologen für seine sehr komplexe Morphonologie bekannt.
Klassifikation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Chaha gehört zur Sebat-Bet-Gurage-Sprachfamilie (SBG) und ist laut Ethnologue[1] einer der sieben Dialekte, von denen manche aber auch als eigenständige Sprachen betrachtet werden.[2] Dieser Artikel konzentriert sich auf den Chahadialekt, der besser erforscht ist als die anderen Dialekte der Sebat-Bet-Gurage-Sprachfamilie. Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind alle Beispiele Chaha.
Laute und Schreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Konsonanten und Vokale
Die Dialekte der Sebat-Bet-Gurage-Sprachfamilie haben ein ziemlich typisches Phonemset für äthiosemitische Sprachen. Es gibt sowohl die gewöhnlichen ejektiven wie auch einfache stimmlose und stimmhafte Konsonanten. Allerdings hat die Sprache mehr palatalisierte und labialisierte Konsonanten als die meisten anderen äthiosemitischen Sprachen. Außer den sieben für diese Sprachen typischen Vokalen haben die Dialekte den halboffenen Vorder- (ɛ) und Hinterzungenvokal (ɔ). Einige Dialekte haben kurze und lange Vokal-Phoneme und manche haben nasalisierte Vokale.
Die Tabellen unten zeigen die Laute des Chahadialekts in IPA-Symbolen. Dabei stehen die Symbole der äthiopischen Umschrift in Klammern. Wie viele Phoneme es genau gibt, ist wegen der komplexen Morphonologie der SBG-Sprachen umstritten.[3]
labial | dental | postalveolar | palatal | velar | glottal | ||||
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normal | gerundet | normal | gerundet | ||||||
Plosive | stimmlos | p | t | c | k | ||||
stimmhaft | b | d | ɟ (gʸ) | g | |||||
Ejektiv | (ṭ) | (ḳ) | (ḳʸ) | (ḳʷ) | |||||
Affrikate | stimmlos | [t͡ʃ] (č) | |||||||
stimmhaft | d͡ʒ (ǧ) | ||||||||
Ejektiv | (č̣) | ||||||||
Frikativ | stimmlos | f | s | ʃ (š) | ç (xʸ) | x | h | ||
stimmhaft | z | ʒ (ž) | |||||||
Nasale | m | n | |||||||
Approximant | (β) | w | l | j (y) | |||||
Flap | r |
vorne | zentral | hinten | |
---|---|---|---|
geschlossen | i | ɨ | u |
halbgeschlossen | e | o | |
halboffen | ɛ (ə) | ɐ (ä) | |
offen | a |
Im Folgenden werden die Zeichen der äthiopischen Umschrift statt der IPA-Zeichen verwendet.
Morphonologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zusätzlich zu der Komplexität der Verbenmorphologie, die für alle semitischen Sprachen charakteristisch ist, hat SBG noch einen Level von Komplexität wegen der besonderen Beziehung zwischen dem Konsonantenset in einer Verbwurzel und deren Realisation in einer Form dieses Verbs oder einem abgeleiteten Nomen. Zum Beispiel hat das Verb „öffnen“ eine Wurzel die (wie in den meisten äthiosemitischen Sprachen) aus den Konsonanten {kft} besteht. Manche Formen enthalten all diese Konsonanten. Zum Beispiel ist die dritte Person Singular Maskulinum Vergangenheit, also „er öffnete“, käfätä-m. Wenn aber das Passiv verwendet wird, also etwa „er wurde geöffnet“, ändern sich zwei der Stammkonsonanten: käfʷäč-i-m. Mindestens drei verschiedene phonologische Prozesse spielen in der SBG-Morphonologie eine Rolle.
Entstimmung und Gemination
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den meisten äthiosemitischen Sprachen wird Gemination, also Konsonantenlängung, in der Grammatik von Verben verwendet und um Worte zu unterscheiden. Zum Beispiel wird im Amharischen der zweite Konsonant einer drei-Konsonanten Verbwurzel verdoppelt, um das Perfekt anzuzeigen: {sdb} „beleidigen“, säddäbä „er beleidigte“. In Chaha und einigen anderen SBG-Dialekten wird die Gemination durch Entstimmung ersetzt. Zum Beispiel ist die Verbwurzel für „beleidigen“ in SBG dieselbe wie im Amharischen (mit β statt b), aber im Perfekt wird der zweite Konsonant in den nicht geminierenden Dialekten zu t: sätäβä-m „er beleidigte“. Nur stimmhafte Konsonanten können entstimmt werden: b/β → p, d → t, g → k, bʷ → pʷ, ǧ → č, gʸ → ḳʸ, gʷ → kʷ, z → s, ž → š. Die entstimmte/geminierte Form von r ist n. Andere stimmhafte Konsonanten werden nicht entstimmt.
Labialisierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einige morphologische Prozesse führen zur Labialisierung (Rundung) von Konsonanten. Zum Beispiel ist das von der dreikonsonantigen Verbwurzel {gkr} „gerade sein“ abgeleitete Adjektiv gʷəkʷər „gerade“. Labiale und velare Konsonanten können labialisiert werden: p → pʷ, b → bʷ, β → w, f → fʷ, k → kʷ, ḳ → ḳʷ, g → gʷ, x → xʷ.
Palatalisierung, Depalatalisierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch einige morphologische Prozesse werden Konsonanten patalisiert. Zum Beispiel in der zweiten Person Feminin Einzahl von Verben im Imperfekt und Jussiv/Imperativ palatalisiert man einen der Wurzel Konsonanten (wenn möglich): {kft} „öffnen“, təkäft „du öffnest“ (maskulin), təkäfč „du öffnest“ (feminin). Dentale und velare Konsonanten können palatalisiert werden: t → č, ṭ → č̣, d → ǧ, s → š, z → ž, k → kʸ, ḳ → ḳʸ, g → ɟ, x → xʸ. r wird zu y patalisiert. In einer morphologischen Umgebung geschieht der umgekehrte Prozess. In der Befehlsform einer Klasse von Verben wird der erste Konsonant der Wurzel wenn möglich entpalatalisiert. Das Verb „zurückgeben“ hat eigentlich die Stammkonsonanten {žpr}, zum Beispiel žäpärä-m „er hat zurückgegeben“, aber das ž wird zu z entpalatalisiert im Imperativ zäpǝr „Gib das zurück!“ (an einen Mann).
Allophone
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Verhältnis zwischen n, r, und l ist komplex. Wenigstens innerhalb des Wortstamms kann man [n] und [r] wie Allophone eines einzelnen Phonems behandeln. Der Konsonant wird als [n] am Wortanfang ausgesprochen, wenn er von r geminiert wurde oder wenn er die vorletzte Silbe des Wortes beendet, sonst ist es ein [r].
- nämädä-m „er mochte“, tä-rämädä-m „er wurde gemocht“
- yǝ-βära „er isst“, bäna-m „er aß“ (geminiert)
- sǝräpätä-m „er verbrachte Zeit“, wä-sämbǝt „Zeit verbringen“ (wegen des folgenden b wird das n zu m)
Banksira nennt auch k als Allophon von x und b als Allophon von β[4]
Schrift
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]SBG schreibt man im äthiopischen Alphabet, das ursprünglich für die Altäthiopische Sprache entwickelt wurde und heute durch seine Verwendung für das Amharische und das Tigrinya bekannt ist. Obwohl es immer noch relativ wenig Texte in dieser Sprache gibt, sind drei Romane im Chahadialekt erschienen (von Sä Sǝllase und Gäbräyäsus Haylämaryam).
Um die palatalisierten Konsonanten darzustellen, die es im Altäthiopischen, Amharisch und Tigrinya nicht gibt, wurden abgewandelte Zeichen in die Schrift eingeführt, die zum Beispiel übergestellte Ecken verwenden. Diese wurden zum ersten Mal im von der äthiopischen Bibel-Gesellschaft herausgegebenen Neuen Testament verwendet, dann in der gesamten Bibel und werden inzwischen allgemein verwendet.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Sebat Bet Gurage. Ethnologue, abgerufen am 7. Februar 2019 (englisch).
- ↑ Robert Hetzron (1972). Ethiopian Semitic: studies in classification
- ↑ Banksira, Degif Petros. (2000). Sound Mutations: the Morphophonology of Chaha
- ↑ Banksira, Degif Petros. (2000). Sound Mutations: the Morphophonology of Chaha
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Banksira, Degif Petros. (2000). Sound Mutations: the Morphophonology of Chaha. Amsterdam: John Benjamins. ISBN 90-272-2564-8.[1]
- Bustorf, Dirk and Carolyn M. Ford. (2003). "Chaha Ethnography”, in: Siegbert Uhlig (Hrsg.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 1: A-C, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, p. 664.
- Cohen, Marcel (1931). Études d'éthiopien méridional. Société Asiatique, Collection d'ouvrages orientaux. Paris: Geuthner.
- Ford, Carolyn M. (2003). „Chaha language“, in: Siegbert Uhlig (Hrsg.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 1: A-C, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, p. 663f.
- Goldenberg, Gideon. (1974). „L'étude du gouragué et la comparaison chamito-sémitique“, in: Accademia Nazionale dei Lincei, Roma – Problemi attuali di Scienza e di Cultura, Quaderno N. 191 II, pp. 235–249 [=Studies in Semitic Linguistics: Selected Writings by Gideon Goldenberg, Jerusalem: The Magnes Press 1998, pp. 463–477].
- Goldenberg, Gideon. (1977). „The Semitic Languages of Ethiopia and Their Classification“, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 40, pp. 461–507 [=Selected Writings, pp. 286–332].
- Goldenberg, Gideon. (1987). „Linguistic Interest in Gurage and the Gurage Etymological Dictionary“. Review article of W. Leslau, Etymological Dictionary of Gurage (see below). in: Annali, Istituto Universitario Orientale di Napoli 47, pp. 75–98 [=Selected Writings, pp. 439–462].
- Hetzron, R. (1972). Ethiopian Semitic: studies in classification. Manchester: Manchester University Press. ISBN 0-7190-1123-X. But his conclusions are not accepted by all. Refer Etymological Dictionary of Gurage by Wolf Leslau.
- Hetzron, Robert. (1977). The Gunnän-Gurage Languages. Napoli: Istituto Orientale di Napoli.
- Hudson, Grover. (ed.) (1996). Essays on Gurage Language and Culture. Dedicated to Wolf Leslau on the occasion of his 90th birthday. Wiesbaden: Harrassowitz. ISBN 3-447-03830-6. [2]
- Leslau, W. (1950). Ethiopic Documents: Gurage. Viking Fund Publications in Anthropology, No. 14. New York: The Viking Fund.
- Leslau, Wolf. (1965). Ethiopians Speak: Studies in Cultural Background. Berkeley: University of California Press.
- Leslau, Wolf. (1979). Etymological Dictionary of Gurage (Ethiopic). 3 vols. Wiesbaden: Otto Harrassowitz. ISBN 3-447-02041-5
- Leslau, Wolf. (1981). Ethiopians Speak: Studies in Cultural Background. Part IV : Muher. Äthiopistische Forschungen, Band 11. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. ISBN 3-515-03657-1.
- Leslau, Wolf. (1983). Ethiopians Speak: Studies in Cultural Background. Part V : Chaha – Ennemor. Äthiopistische Forschungen, Band 16. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. ISBN 3-515-03965-1
- Leslau, Wolf. (1992). Gurage Studies: Collected Articles. Wiesbaden: Otto Harrassowitz. ISBN 3-447-03189-1. [3]
- Polotsky, H.J. (1938). „Études de grammaire gouragué“, in: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris 39, pp. 137–175 [=Collected Papers by H.J. Polotsky, Jerusalem: The Magnes Press 1971, pp. 477–515].
- Polotsky, H.J. (1939). „L labialisé en gouragué mouher“, in: GLECS 3, pp. 66–68 [=Collected Papers, pp. 516–518].
- Polotsky, H.J. (1951). Notes on Gurage grammar. Notes and Studies published by the Israel Oriental Society, No. 2 [=Collected Papers, pp. 519–573].
- Shack, William A. and Habte-Mariam Marcos (1974). Gods and heroes, Oral Traditions of the Gurage of Ethiopia. Oxford: Clarendon Press. ISBN 0-19-815142-X.