Entwicklung

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Entwicklung der Erdoberfläche in den letzten 250 Millionen Jahren aufgrund der Kontinentaldrift

Entwicklung – seltener Entfaltung – bezeichnet allgemein den Vorgang des Wandels von der Entstehung eines Phänomens über verschiedene Stadien der Veränderung oder auch des Verfalls bis zum gegenwärtigen oder einem vorher bestimmten Zustand (der auch in der Zukunft liegen kann). Offene Entwicklungsprozesse ohne (bekannten) Endzustand sind zeitlich unbegrenzt und meistens nicht direkt beobachtbar, sondern erst in der Rückschau zu erkennen. Je nach Gegenstand werden sie in Jahren bis Jahrmillionen beschriebenen.

Im Alltag wird der Ausdruck Entwicklung vor allem für die Lebensgeschichte von Personen, entscheidende Veränderungen in Gesellschaft und Politik und für den technischen Fortschritt verwendet.

Der Begriff Entwicklung bezeichnete ursprünglich das Entrollen bzw. Auswickeln einer Schriftrolle. Seit Ende des 16. Jahrhunderts wird das Wort mit der Vorsilbe ent- gebildet. Nach dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1859 wurde das Wort vom niederländischen ontwikkelen – „entfalten“ – entlehnt. Um 1800 schlug Joachim Heinrich Campe das Wort zur Verdeutschung von Evolution vor, die vor Darwin noch für den embryonalen Wachstumsprozess stand. Im 18. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung zu ‚etwas Verwickeltes entwirren‘ und ‚eine Konstruktion vorantreiben‘. Dieser allgemeinere Begriff wurde dann weiter abstrahiert, indem er sich nur noch auf die sprachliche Darlegung oder den Vorgang des Verstehens eines komplizierten Sachverhaltes – quasi als „gedankliche Entfaltung“ – bezog. In dieser Zeit erfolgte die Aufnahme des Begriffes in verschiedenen Wissenschaftsbereichen mit einer jeweils spezifischen Definition, die im Allgemeinen das Vorwärtsschreiten von Prozessen mit der langsamen Herausbildung neuer Zustände bezeichnete. Dieser Bedeutung entspricht heute auch der allgemeine Begriff.[1][2]

In den verschiedenen Wissenschaften wird die allgemeine Beschreibung wie folgt konkretisiert oder differenziert:

Die Verschiebung der Kontinente über Jahrmillionen und die Geologische Zeitskala, die die Geschichte der Erde nach bestimmten Merkmalen in Abschnitte unterteilt, ergibt eine typische Entwicklungsreihe.

Bekannte Entwicklungsreihe der menschlichen Evolution
Natürliche Sukzession nach Waldbrand

In den Biowissenschaften bestand von Anfang an die Notwendigkeit, verschiedene Formen von Entwicklung zu unterscheiden, die mit jeweils ganz speziellen Mechanismen zu einer bestimmten Entwicklungsform führen:

  • Die körperliche und psychische Entwicklung von Lebewesen – ihre Reifung – im Zuge des individuellen Lebens, siehe Entwicklungsbiologie und Ontogenese. Nach Heinz Werner ist dies durch eine fortschreitenden Differenzierung (z. B. Entstehung verschiedener Organe, die bestimmte Teilfunktionen übernehmen) bei gleichzeitiger Zentralisierung (Verbindung der Organe und Funktionen zu einem Gesamtwesen) gekennzeichnet.[3]
  • Die Evolution und Entfaltung der Arten (Phylogenese) wird zum Teil synonym als Entwicklung bezeichnet, verschiedentlich jedoch als Sonderform betrachtet, da sie auf ganz speziellen Entwicklungsprozessen beruht und auf eine (auf bestmögliche Anpassung) zielgerichtete Weise verläuft.[4][3]
  • Auch die von der Ökologie beschriebene natürliche Sukzession – die Wiederbelebung kahler Flächen nach immer gleichem Muster – ist eine zielgerichtete Entwicklung.

Die Entwicklung der Erdatmosphäre ist u. a. ein Forschungsbereich der Chemie, auf den die allgemeine Definition von Entwicklung zutrifft. Die chemische Evolution hingegen steht im Bezug zur biologischen Evolution als bestimmte Form einer Entwicklung.

In der materialistischen Philosophie wird Entwicklung in Verbindung mit Bewegung betrachtet, wobei eines der beiden Phänomene als grundlegende Eigenschaft der Materie angenommen wird. Entwicklung ist dabei eine zielgerichtete Form der Bewegung und Veränderung, die meistens zum Entstehen höherer Qualitäten führt.[5]

In der Kulturphilosophie, der Geschichtsphilosophie und -schreibung, in Soziologie und Sozialgeschichte steht der Begriff für alle gesetzmäßigen Prozesses der Veränderung über verschiedene Zwischenformen oder Zustände.[6]

In Bildungssprache und Musik hingegen heißt entwickeln einen bestimmten Aspekt oder eine Aussage hervorzuheben, zu betonen oder mit Argumenten zu belegen.[7]

In der Psychologie werden die drei Prinzipien Wachstum (Körper: Form, Größe, Anzahl, Lage und Position), Reifung (Reflexe, Instinkte, Emotionen) und Lernen (Prägung, Konditionierung, Mustererkennung, Erfahrung uvm.) als Grundlage der Entwicklungspsychologie von Menschen (oder Tieren) betrachtet. Wie bei der biologischen Evolution sind hier dynamische Wechselwirkungen und aufeinander aufbauende Veränderungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt entscheidend.[1]

Sozialwissenschaften

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Während etwa die demografische Entwicklung einer Gesellschaft und andere soziologische Teilaspekte der allgemeinen Entwicklungsdefinition entspricht, wird der gesamte soziale und kulturelle Wandel häufig als soziokulturelle Evolution betrachtet, der ähnlich der biologischen Evolution einer unumkehrbaren, quasi zielgerichteten Entwicklung entspricht.

Wirtschaft und Politik

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Typische Grafik für Entwicklungen im wirtschaftlichen Sinn, die eine Verbesserungs suggerieren

In Wirtschaft und Politik ist der Entwicklungsbegriff stets mit theoretischen oder politisch-ideologischen Grundhaltungen verbunden, sodass eine universell gültige Definition hier nicht möglich ist. So wird etwa der Begriff Entwicklungsland, der ursprünglich nach der Entwicklungstheorie auf eine Angleichung der Wirtschaftsleistung dieser Länder an die Industrieländer zielte, heute oftmals herabwürdigend (im Sinne von „unterentwickelt“) verstanden.[7] Seit 1990 enthält der Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen nicht nur Kennzahlen der Wirtschaft, sondern hier fließen auch Bildung und Lebenserwartung ein. Im 21. Jahrhundert wird Entwicklung politisch wesentlich weiter gefasst als dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität in Bezug auf wirtschaftliche (Güterversorgung, Arbeit, Einkommen), soziale (Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit), kulturelle (Vielfalt, Teilhabe, Freiheit), politische (Verteilungsgerechtigkeit, Mitbestimmung, Demokratie) und ökologische (Umweltschutz, Gesundheit, Lebensgrundlagen) Faktoren.[6] Die komplexen Wechselwirkungen zwischen diesen Bereichen prägen den modernen Begriff der nachhaltigen Entwicklung, der immer mehr Bedeutung beigemessen wird.

Technik und Produktion

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Auch in der Technik gibt es verschiedene Entwicklungsbegriffe:

Während der technische Fortschritt nur die Verbesserung technischer Produkte im Lauf der Zeit betrachtet, umfasst die Entwicklung von Technik die tatsächliche „Geschichte“ technischer Neuerungen einschließlich etwaiger politischer Entscheidungen oder wirtschaftlicher Zwänge, die (anders als bei der biologischen Evolution) einem weniger geeigneten Produkt den Vorrang geben.

Auf die systematische Einführung neuer Produkte von der Planung bis zur Umsetzung bezogen spricht man von Produktentwicklung.

Für die Entwicklung von nützlichen Produkten mit hoher Usability und gutem Nutzenden- oder Kundenerlebnis wird in vielen Bereichen der Human-Centered Design-Ansatz angewendet.[8]

Die älteste Begriffsverwendung bezieht sich auf die fotografische Entwicklung eines analog aufgenommenen Bildes, bei der die noch unsichtbare Fotografie durch Chemikalien sichtbar gemacht wird.[2]

Wiktionary: Entwicklung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b Werner Stangl: Stichwort: Entwicklung im Online-Lexikon für Psychologie & Pädagogik, 2023.
  2. a b Stichwort: Entwicklung im DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, online abgerufen am 7. September 2023.
  3. a b Markus Antonius Wirtz (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Online-Version, Hogrefe, Bern, online abgerufen am 7. September 2023.
  4. Gerhard Schurz: Evolution in Natur und Kultur. Eine Einführung in die verallgemeinerte Evolutionstheorie. Spektrum, Heidelberg 2011, doi:10.1007/978-3-8274-2666-6_1, ISBN 978-3-8274-2665-9, S. 3.
  5. Jan Bretschneider: Was bedeutet Entwicklung? - Definition in der Philosophie, Lexikon freien Denkens, Angelika Lenz Verlag 2001.
  6. a b Stichwort Evolution im Lexikon der Biologie auf spektrum.de, Spektrum, Heidelberg 1999, abgerufen am 1. September 2023.
  7. a b Stichwort: Entwicklung in Interdisziplinäre Begriffsgeschichte, ZfL Berlin, online abgerufen am 7. September 2023.
  8. Bessere Produkte mit human-centered Design| imm cologne Magazin | imm cologne. Abgerufen am 14. Januar 2024.