Erich von Holst

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Erich von Holst (Erich Walther von Holst; * 28. November 1908 in Riga; † 26. Mai 1962 in Herrsching am Ammersee) war ein deutscher Biologe, Verhaltensbiologe und Neuroethologe.

Leben

Herkunft und Ausbildung

Erich von Holst ist der Nachfahre einer Pastorenfamilie aus Basedow bei Malchin, deren Wurzeln bis ins 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Zur Familie von Holst zählt auch der Historiker Hermann Eduard von Holst (1841–1904). Erich von Holsts Eltern waren der Psychiater Dr. Walther von Holst (* 1872) und seine Ehefrau Dora, geborene Dehio (* 1882).

Geboren in Riga, verbrachte Erich von Holst seine Schulzeit in Danzig.

Er studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Universität Wien und der Humboldt-Universität zu Berlin. Unter Richard Hesse promovierte von Holst 1932 über das Thema Untersuchungen über die Funktion des Zentralnervensystems beim Regenwurm zum Dr. phil. Nach seiner Promotion ging von Holst 1933 als Stipendiat zum Humanphysiologen Albrecht Bethe, Leiter des Institut für Animalische Physiologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er vor allem seine experimentelle Methodik fortentwickelte und verfeinerte.

Beruf

1934 bis 1936 forschte er als Assistent an der Zoologischen Station Neapel auf dem Gebiet der Kinetik und Wirkung von Kräften und ihrer relativen Koordination in Bezug auf den Vogelflug und der Statolithenfunktion.

Erich von Holst wechselte 1937 als Assistent an das Zoologische Institut der Universität Berlin. In Berlin traf er am 12. Februar 1937 zum ersten Mal Konrad Lorenz[1] und überzeugte diesen im Anschluss an dessen Vortrag von der Unrichtigkeit der damals weithin akzeptierten Reflexkettentheorie – für Lorenz und die Geschichte der Verhaltensforschung ein wichtiger Meilenstein. Von Holst habilitierte sich 1938 mit dem Entwurf eines Systems der lokomotorischen Periodenbildung bei Fischen als Oberassistent am Zoologischen Institut der Georg-August-Universität Göttingen.

1946 wurde von Holst ordentlicher Professor für Zoologie und Direktor des Zoologischen Instituts der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

1949 war er Mitbegründer des späteren Max-Planck-Instituts für Meeresbiologie in Wilhelmshaven (später und nach einem Ortswechsel umbenannt in Max-Planck-Institut für Zellbiologie, 2003 geschlossen). Dort leitete er eine Abteilung, die sich der Sinnesphysiologie und dem Verhalten der Fische widmete.[2] In dieser Funktion betrieb er auch ab Herbst 1950 die Einrichtung einer Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung als Ableger des Wilhelmshavener Instituts im Wasserschloss Buldern/Westfalen, deren Leitung 1951 Konrad Lorenz übernahm.[3]

Zum 1. April 1954 wurden von Holsts Abteilung und die Forschungsstelle in Buldern zu einem eigenen Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie verschmolzen, für das ab 1955 Institutsgebäude am Eßsee bei Starnberg in Oberbayern errichtet wurden. Der neue Standort wurde Seewiesen genannt, Direktor des neuen Instituts wurde Erich von Holst mit Konrad Lorenz als Stellvertreter.[4] Im Jahr 1957 wurde von Holst zum Mitglied der Leopoldina gewählt.

Er starb 1962 im Alter von 53 Jahren an einem bereits seit der Kindheit bestehenden Herzleiden.

Privates

Erich von Holst war auch ein leidenschaftlicher Musiker. Weitgehend autodidaktisch begann er recht spät, nämlich 17–jährig, sich das Spiel auf der Viola anzueignen und zu perfektionieren. Am liebsten musizierte er im Quartett oder als Solist.

In erster Ehe war Erich von Holst seit 1936 mit Hildegard Schwaller (* 1906) verheiratet, in zweiter Ehe seit 1951 mit Eveline Grisebach (* 1922), der Tochter des Kunsthistorikers August Grisebach.

Sein Sohn Dietrich von Holst, geboren 1937 in Danzig, wurde ebenfalls ein bedeutender Biologe: Der Emeritus des Instituts für Tierphysiologie der Universität Bayreuth forschte insbesondere über den sozial bedingten Stress bei Säugetieren.

Leistungen

Verhaltensphysiologische Forschungen

Erich von Holst war ein handwerklich überaus begabter Experimentator. Auf der Suche nach Problemlösungen entwickelte er raffinierte Versuchsanordnungen und Modelle. Unübertroffen blieben seine mittels Gummimotor getriebenen Flugmodelle von Vögeln und Flugsauriern. Die umfangreichen verhaltensphysiologische Erkenntnisse, durch die von Holsts zu einem der Mitbegründer der Neuroethologie wurde, charakterisiert Hassenstein [5] in acht Punkten:

  1. Nachweis physiologischer Eigenaktivität des Zentralnervensystems,
  2. Entdeckung und Erforschung des M-Effekts[6] als zentralnervös koordinierendes Prinzip der relativen Koordination bei der Lokomotion der Wirbeltiere,
  3. Beschreibung des Zusammenwirkens von Flügelarm und Flügelhand beim Vogelflug sowie Aufklärung des Flugprinzips von Libellen,
  4. Entdeckung der Scherung als adäquater Reiz der Sinneszellen des Statolithenapparates,
  5. Entdeckung des Reafferenzprinzips (Sollwert Verstellung bei aktiver Bewegung) - gemeinsam mit Horst Mittelstaedt,
  6. Erkennen des Eigenreflexes als funktioneller Anteil eines Folgeregelkreises,
  7. Deutung optisch-geometrischer Täuschungen als Konstanzleistung im Dienste des räumlichen Sehens,
  8. Ermittlung von Funktionszusammenhängen des instinktiven Verhaltens durch Hirnreizversuche an Hühnern sowie Formulierung des Prinzips der niveau-adäquaten Terminologie.

Beiträge zu Musik- und Instrumentenkunde

Systematisch analysierte von Holst den Einfluss verschiedener Bauteile auf den Klang selbst gebauter, konzertreifer Geigen und Bratschen. Zur Lösung des sogenannten Bratschenproblems – bequem zu haltende Bratschen sind für die geforderte Stimmung zu klein – entwickelte er, dem biologischen Prinzip der Allometrie folgend, eine asymmetrische Bratsche, die erstaunlicherweise klanglich nicht von symmetrischen Instrumenten zu unterscheiden war (siehe Bratsche#Kurioses). Sein Buch Geigenkunde für Liebhaber konnte er nicht mehr vollenden.

Schriften

  • Biologische und aerodynamische Probleme des Tierfluges. In: Die Naturwissenschaften. 29. Jahrgang, Nr. 24/25, 1941, S. 348–362.
  • Untersuchungen zur Flugbiophysik, I. Messungen zur Aerodynamik kleiner schwingender Flügel. In: Biologisches Zentralblatt. Band 63, Nr. 7/8, 1943, S. 289–326.
  • mit Horst Mittelstaedt: Das Reafferenzprinzip. (Wechselwirkungen zwischen Zentralnervensystem und Peripherie). In: Die Naturwissenschaften. 37. Jahrgang, Nr. 20, 1950, S. 464 ff.
  • Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und Menschen. Gesammelte Abhandlungen in 2 Bänden. Piper Paperback, München 1969 (Band I) und 1970 (Band II), ISBN 3-492-01784-3

Literatur

  • Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser. Teil B 1928. Verlag Justus Perthes, Gotha 1928, Seite 265.
  • Bernhard Hassenstein: Erich von Holst in memoriam. In: Verband Deutscher Biologen e.V. (Hrsg.): 4. Biologisches Jahresheft 1964. S. 11–18.
  • Bernhard Hassenstein: Erich von Holst (1908–1962). In: Ilse Jahn & Michael Schmitt (Hrsg.): Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits. Band II. C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44639-6.
  • Konrad Lorenz: Zum Gedenken an die Erkenntnisse Erich von Holsts. In: Klaus Immelmann (Hrsg.): Grzimeks Tierleben. Ergänzungsband Verhaltensforschung. Kindler Verlag, Zürich 1974, Seiten XIV–XX.
  • Gerolf Steiner: Holst, Erich von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 9, Duncker & Humblot, Berlin 1972, ISBN 3-428-00190-7, S. 547 f. (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. Antal Festetics: Konrad Lorenz. Aus der Welt des großen Naturforschers. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, ISBN 3-423-11044-9, S. 15
  2. Eine Gründung in schwerer Zeit – das Kaiser-Wilhelm-Institut für Meeresbiologie in Wilhelmshaven (1947-1948). Marion Kazemi: Max-Planck Multimedial. Tätigkeitsbericht 2005
  3. Franz M. Wuketits: Konrad Lorenz. Leben und Werk eines großen Naturforschers. Piper, München 1990, ISBN 3-492-03372-5, S. 121.
  4. Franz M. Wuketits: Konrad Lorenz. Leben und Werk eines großen Naturforschers. Piper, München 1990, ISBN 3-492-03372-5, S. 123 ff.
  5. Bernhard Hassenstein: Erich von Holst (1908-1962). In: Ilse Jahn & Michael Schmitt (Hrsg.): Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits. Band II. C.H.Beck, München 2001, ISBN 3-406-44639-6, S. 416 f.
  6. Durch von Holst als Magnet-Effekt bezeichnet.