Eva Mamlok

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Stolperstein für Eva Mamlok in Kreuzberg Neuenburger Straße 1
Stolperstein für Eva Mamlok in Kreuzberg Neuenburger Straße 1

Eva Mamlok (geboren am 6. Mai 1918 in Berlin-Kreuzberg, gestorben am 23. Dezember 1944 im KZ Stutthof) war eine deutsche Antifaschistin und jüdische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eva wurde als zweite Tochter des Weinhändlers Albert Mamlok (1878–1936) und dessen Frau Martha geborene Peiser (1884–1942) geboren. Ihre ältere Schwester Hildegard starb an Lungentuberkulose (1912–1941).

Widerstand und Haft als Jugendliche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kaufhaus Hertie am Belle-Alliance-Platz 1–3, Berlin-Kreuzberg

Eva Mamlok war vierzehn Jahre alt, als sie 1933 in der Nähe ihrer Wohnung auf das Dach vom Hertie Kaufhaus am Belle-Alliance-Platz in Berlin-Kreuzberg kletterte. Mit weißer Farbe pinselte sie darauf die Parole „Nieder mit Hitler!“. Sie wurde verhaftet, aber wegen ihres Alters nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Aktenkundig wurde sie erst wieder, als sie am 24. November 1934 Blumensträuße auf die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht niederlegte. Sie wurde noch auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde verhaftet. Die wenig später ausgestellte Anordnung der Schutzhaft registrierte diese Tat als „staatsfeindlich“. Bis Mai 1935 wurde Eva Mamlok im niedersächsischen KZ Moringen inhaftiert. Aber auch nach ihrer Freilassung kämpfte sie weiter. Sie war höchstwahrscheinlich der Kopf einer antifaschistischen jüdischen Frauen- und Mädchengruppe, die Flugblätter druckte und verteilte, sowie heimlich von den Nazis verbotene Literatur zirkulieren ließ.

Erinnerungen Pieter Siemsen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1934 traf sie über einen gemeinsamen Bekannten Pieter Siemsen (geb. am 17. Juni 1914 in Osnabrück, gest. am 1. Mai 2004 in Berlin), einen Sohn von August Siemsen, der SPD-Reichstagsabgeordneter war und bereits 1933 nach der Machtergreifung durch die Nazis über die Schweiz nach Argentinien emigriert war. Sie war sechzehn Jahre alt, er zwanzig. Siemsen wurde 1934 aus der Schweiz nach Deutschland abgeschoben und musste Reichsarbeits- und Militärdienst leisten.

Er schrieb später in seiner Autobiographie über Eva, sie sei nicht aus der Arbeiterbewegung gekommen und habe keinen politischen Hintergrund gehabt: „Aber sie war aus vollem Herzen gegen die Nazis und wurde mit der Zeit auch politisch bewusst.“[2] Laut anderer Quellen war Eva Mamlok jedoch Mitglied in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), die im Juni 1933 zerschlagen wurde. Seitdem war sie im illegalen Widerstand aktiv.

Siemsen gehörte zu einer losen antifaschistischen Gruppe, die sich gelegentlich traf, um über Politik zu diskutieren. Er beschreibt eine prägnante Szene mit Eva folgendermaßen:

Die beiden hatten sich verliebt und gingen häufig in Neumeiers Milchbar in der Nähe vom Bahnhof Zoo. Weil dort bekanntermaßen Leute ein- und ausgingen, „die mit den Nazis nichts am Hut hatten“, wurde das Lokal vermutlich besonders gründlich von der Gestapo überwacht. Pieter Siemsen dazu: „Da war einer, der uns die ganze Zeit unverschämt anglotzte. Ich wollte ihn zur Rede stellen und fragen, warum er uns so anstarrte. Ich war sehr impulsiv, manchmal auch leichtsinnig. Eva sagte, ich solle Ruhe geben. Es war eine gefährliche Situation, sie war Jüdin, ich trug Uniform. Wir konnten uns keinen Aufruhr leisten. Aber ich wollte aufspringen und auf den Mann zugehen. Da haute sie mir plötzlich eine runter. In diesem Moment wurde mir klar, in welcher Gefahr wir uns befanden. Sie ging raus, ich hinterher, und wir rannten zusammen weg.“

Pieter Siemsen konnte im Herbst 1937 nach Argentinien auswandern. Zuvor kauften sich Siemsen und Mamlok bei Woolworth „Eheringe für 90 Pfennig das Paar“. Nach Siemsens Erinnerung schrieben sie sich noch mindestens bis Kriegsausbruch zahlreiche Briefe.[3]

Tod des Vaters, Ende der Weinhandlung, Geburt der Tochter Tana[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 10. November 1936 starb Evas Vater Albert Mamlok im Alter von 58 Jahren in Berlin-Wedding im Jüdischen Krankenhaus Berlin, er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee bestattet.

Martha Mamlok betrieb in der Neuenburger Straße 3 in einem Ladengeschäft von 1932 bis 1938 die „Wein- und Spirituosenhandlung Martha Mamlok“.[4] Nach den Novemberpogromen 1938 wurde Juden durch die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen mit Wirkung zum Jahresende 1938 untersagt. Ob das Geschäft bei den Novemberpogromen geplündert wurde, ist nicht bekannt, die wirtschaftliche Existenz der Familie wurde aber dadurch zerstört.

Eva lebte im Mai 1939 mit ihrer Mutter Martha Mamlok[5] und ihrer Schwester Hildegard[6] zusammen in der elterlichen Wohnung in der Neuenburger Straße 3 in Kreuzberg.

Evas uneheliche Tochter Tana wurde am 3. September 1939 im Jüdischen Krankenhaus geboren.[7] Der Vater des Kindes ist unbekannt und kann aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs nicht Pieter Siemsen sein. In Tanas Geburtseintrag beim Standesamt Berlin-Wedding wird Evas Beruf mit 'Hausangestellte' angegeben. Seit August 1938 waren für jüdische Kinder nur noch wenige Vornamen gestattet, darunter Tana.[8] Nach der Erinnerung ihrer späteren Arbeitskollegin Inge Berner war der Vater des Kindes selbst nicht jüdisch, doch um ihn vor dem „Rassenschande“-Paragraphen der Nürnberger Gesetze zu schützen, habe Eva stets angegeben, der Vater sei ein ausgewanderter Jude.[9]

Zwangsarbeit in Berlin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eva Mamlok musste Zwangsarbeit in der Fabrik der F. Butzke Schrauben-Industrie und Fassondreherei GmbH in der Brandenburgstraße 72–75 (heute Lobeckstraße 76) in Kreuzberg leisten. Hier lernte sie im April 1941 Inge Berner, geborene Gerson (1922–2012), kennen. Berner schloss sich Evas Gruppe an. Mehrfach legte Berner, offenbar die einzige Überlebende der Gruppe, später in den USA Zeugnis von deren Aktivitäten ab. Von ihr wurde überliefert, dass Eva Mamlok voller Tatendrang und eine lebensfrohe junge Frau war. An der Drehmaschine in der Fabrik sang sie am liebsten die „Dreigroschenoper“: „She was very beautiful, full of fun, and always singing.“[10].

Erneute Verhaftung und Deportation nach Riga[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im September 1941 wurden Eva Mamlok, Inge Berner und Inge Levinson, eine weitere Zwangsarbeiterin aus Butzkes Schraubenfabrik, verhaftet. Nach Inge Berners Erinnerung waren es die am Arbeitsplatz verliehenen verbotenen Bücher, die der Gestapo gemeldet wurden und leichtsinniger Weise ihr Ex Libris enthielten. Zugleich hatte sich ein Kontaktmann ihrer Widerstandsgruppe das Leben genommen und vermutlich belastendes Material hinterlassen, das die Gestapo fand. Die drei Frauen wurden in das Polizeigefängnis am Alexanderplatz gebracht. Wegen „Zersetzung der Wehrkraft des deutschen Volkes“ wurden sie zum Tode verurteilt. Später wurde das Urteil in lebenslange KZ-Haft umgewandelt. Nach der Überlieferung Inge Berners gelang dies durch Bestechung und die Intervention eines nichtjüdischen Verwandten aus Berners Familie.

Evas Schwester Hildegard Mamlok starb am 11. Dezember 1941 im Alter von 29 Jahren an Tuberkulose in der Wohnung Neuenburger Straße 3, während Eva in Haft war. Hildegard wurde neben ihrem Vater ohne Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee beerdigt.

Am 13. Januar 1942 wurde Eva Mamlok, Inge Berner und die dritte Mitgefangene mit dem „8. Osttransport“ ins Ghetto von Riga deportiert.[11] Eva wurde in Arbeitskommandos nahe der lettischen Hauptstadt eingesetzt, u. a. beim Bau des Flugplatzes Riga-Spilwe.

Widerstand in Riga[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Inge Berner war Eva Mamlok auch in Riga weiterhin aktiv im Widerstand. Auf der Baustelle des Flugplatzes hatte Berner (damals Inge Gerson) einen deutschen Ingenieur kennengelernt, der für sie Post an ihre mit einem nichtjüdischen Mann verheirateten Tante in Berlin schickte, die schließlich (ohne es zu wissen) eine in einem Kuchen eingebackene Minikamera von Berlin nach Riga schickte: „And Eva, who was with me at the construction site, with some Latvians, she had taken up some connection again with the resistance group. ... She was a very courageous girl. And they told her that my aunt should contact such-and-such, and they would give her a cake and she should send the cake to me. Which she did, not knowing what was with the cake or anything. Well, in the cake was a miniature camera. And Eva gave that to someone, I don't know to whom. But there were pictures taken with it, and some appeared in books, these pictures.“[12]

Diese heimlichen Fotos aus Riga konnten bisher nicht eindeutig identifiziert werden.

Deportation von Mutter und Tochter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Evas Mutter Martha Mamlok wurde am 19. Oktober 1942 aus Berlin ebenfalls nach Riga deportiert und dort gleich nach der Ankunft am 22. Oktober 1942 ermordet. Im 21. „Osttransport“ vom 19. Oktober 1942 mit 959 Menschen befanden sich außer Martha Mamlok auch fast 60 Kinder zwischen zwei und 16 Jahren aus dem Baruch Auerbach’schen Waisenhaus im Prenzlauer Berg in der Schönhauser Allee 162 und drei ihrer Betreuerinnen. Tana Mamlok, ihre dreijährige Tochter, verblieb spätestens nach der Deportation der Großmutter alleine in Berlin im Jüdischen Waisenhaus in der Schönhauser Allee 162, ihre letzte bekannte Anschrift vor der Deportation war die Alte Schönhauser Straße 4. Nach der zwangsweisen Auflösung des Waisenhauses wurde Tana am 29. November 1942 von dort in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. Im 23. „Osttransport“ vom 29. November 1942 befanden sich 998 Personen, darunter 75 Kinder, überwiegend aus dem Jüdischen Waisenhaus in der Schönhauser Allee 162 im Alter von 10 Monaten bis 16 Jahren. Warum Tana alleine und getrennt von ihrer Großmutter deportiert wurde, ist nicht bekannt. In der für sie ausgefüllten Vermögenserklärung wird sie als „Waisenkind“ mit unbekanntem Geburtsort bezeichnet.

Haft und Tod in Stutthof 1944[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf Anordnung der Sicherheitspolizei Riga wurde Eva Mamlok am 1. Oktober 1944 ins Konzentrationslager Stutthof gebracht, wo sie die Häftlingsnummer 94020 bekam.[13] Gründe für diese Überstellung sind nicht überliefert; sie wird vermutlich auf die Auflösung des KZ Riga-Kaiserwald zurückgehen.

Am 23. Dezember 1944 um 8.35 Uhr starb Eva Mamlok nach offiziellen Angaben im Block 21 des KZ Stutthof an „allgemeiner Körperschwäche“.[14] Inge Berner ging in ihren Erinnerungen 1991 noch davon aus, dass Eva bereits 1943 in Spilwe aufgrund von Mangelernährung, extrem harter Arbeit und allgemeiner Mängelsituation an einer Sepsis gestorben sei. Berner selbst gelang nur einen Monat später im Januar 1945 gemeinsam mit Charlotte Arpadi die Flucht aus einem Außenlager von Stutthof.[15] Sie überlebte, kehrte nach Berlin zurück und emigrierte mit ihrem Mann Wolf Berner später in die USA.

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 10. Oktober 2011 wurde für Eva Mamlok in der Neuenburger Straße 1 (ehem. Neuenburger Straße 3) ein Stolperstein in Berlin-Kreuzberg verlegt.[16]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Inge Berner: The Death Sentence. In: Gertrude Schneider (Hrsg.): The Unfinished Road. Jewish Survivors of Latvia Look Back. Praeger Verlag, 1991, ISBN 978-0-275-94093-5
  • Inge Berner, Interview 31206. Visual History Archive, USC Shoah Foundation, 1997. Accessed 20 July 2023.
  • Kim Wünschmann: Before Auschwitz Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps. Harvard University Press, 2015, ISBN 978-0-674-42558-3
  • Kim Wünschmann: Gewaltsam aus der „Volksgemeinschaft“ ausgestoßen. Jüdische Häftlinge in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936/37. In: Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hrsg.): »... der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert« Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933–1936/37. Campus Verlag, 2017, ISBN 978-3-593-50702-6, S. 197–220.
  • Achim Doerfer: „Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen“. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2021, ISBN 978-3-462-31813-5

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Eva Mamlok – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mamlok, Eva. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv.
  2. “Der Lebensanfänger. Erinnerungen eines anderen Deutschen – Stationen eines politischen Lebens: Weimarer Republik – Nazi-Deutschland – Argentinien – DDR – BRD” Pieter Siemsen, trafo verlag 2000, 247 S., ISBN 3-89626-286-6
  3. Siemsen, Lebensanfänger, S. 28.
  4. Weinhandlung Martha Mamlok in: Datenbank Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930–1945
  5. Mamlok, Martha. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv.
  6. Hildegard Mamlok auf mappingthelives.org
  7. Mamlok, Tana. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv.
  8. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938
  9. Inge Berner, The Death Sentence; in: The Unfinished Road. Jewish Survivors of Latvia Look Back, Hrsg. von Gertrude Schneider, Bloomsbury 1991, S. 88.
  10. Berner, The Death Sentence, S. 88.
  11. DocID: 127187334 Transportliste Welle 8 - 8. Osttransport nach Riga, 13. Januar 1942 in: Arolsen Archives
  12. Inge Berner, Interview 31206. Visual History Archive, USC Shoah Foundation, 1997. Accessed 20 July 2023, Tape 3, 00:27:39
  13. DocID: 4562190 (EVA MAMLOK) Häftlings-Personal-Karte in: Arolsen Archives
  14. DocID: 4562189 (EVA MAMLOK) Todesbescheinigung in: Arolsen Archives
  15. Berner, The Death Sentence, S. 96f.
  16. Ein Stolperstein für Eva Mamlok auf vimeo.com