Gicht

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Betroffenes Ellbogengelenk
Klassifikation nach ICD-10
M10 Gicht
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Gicht (Urikopathie) ist eine Purin-Stoffwechselerkrankung, die in Schüben verläuft und (bei unzureichender Behandlung) durch Ablagerungen von Harnsäurekristallen (Urat) in verschiedenen peripheren Gelenken und Geweben zu einer gelenknahen Knochenresorption und Knorpelveränderungen sowie durch langfristige Schädigung des Ausscheidungsorgans Niere letztlich zur Niereninsuffizienz führt.

Eine veraltende Bezeichnung für die Fußgicht ist „Zipperlein“.

Symptome

Akut

Akuter Podagra

Akute Symptome sind plötzliche starke Schmerzen in einem Gelenk und heftige Schmerzen bei Berührung. Das Gelenk ist gerötet, stark geschwollen und überwärmt – außerdem allgemeine Entzündungszeichen wie Fieber, vermehrte weiße Blutkörperchen und erhöhte Harnsäurewerte (letzteres ist im akuten Gichtanfall jedoch nicht zwingend), selten auch Kopfschmerzen. Ein Gelenk wird ohne eine Verletzung oder eine andere nachvollziehbare Ursache hochschmerzhaft, geschwollen und heiß. Oft ist das Großzehengrundgelenk betroffen, man nennt das Podagra (wörtlich: „Steigbügel“, da ein Podagra-Betroffener nicht ohne Schmerzen in einen Steigbügel hineinkommt). Chiragra sind gichtbedingte Schmerzen im Handgelenk. Der Gichtanfall hält unbehandelt in der Regel drei Tage an, die Dauer der Anfälle kann im Krankheitsverlauf zunehmen.

Chronisch

Gicht im Röntgenbild des Fußes. Typische (Haupt-)Lokalisation am Großzehengrundgelenk. Beachte auch die Weichteilschwellung lateral am Fußrand.

Wenn mehrere Anfälle abgelaufen sind, entwickelt sich eine Arthritis urica. Das Gelenk wird zerstört, charakteristisch sind im Röntgenbild gelenknahe Stanzdefekte in der Spongiosa, der Gelenkkopf weist deutliche Defekte auf. Die Folgen sind häufigere Schmerzattacken, Harnsäurekristallablagerungen in Gelenken, Gelenkdeformation, Nierensteine, Nierenversagen.

Hyperurikämie

Man unterscheidet zwei Ursachen der Hyperurikämie: die primäre und die sekundäre Form:

  • Die primäre Form ist eine Störung des Purinstoffwechsels. Sie entsteht durch eine Ausscheidungsstörung der Niere. In sehr seltenen Fällen kann auch eine Überproduktion von Harnsäure die Ursache sein. Die primäre Form tritt häufiger auf als die sekundäre.
  • Bei der sekundären Form verursachen verschiedene Begleiterkrankungen den erhöhten Harnsäurespiegel.

Ursachen

In 95 Prozent aller Fälle liegt der Hyperurikämie eine Nierenfunktionsstörung zugrunde. Ursache hierfür kann ein Diabetes mellitus sein, da über längere Zeit ein zu hoher Blutzuckerspiegel die Blutgefäße schädigt, wodurch die Nierenfunktion beeinträchtigt wird. Außerdem schadet ein übermäßiger Alkoholkonsum, da Carbonsäuren mit der Harnsäure im Ausscheidungsmechanismus der Niere konkurrieren. Zudem liefert Bier durch die noch enthaltenen Hefereste zusätzlich harnsäurepflichtige Purine.

Weiter kann eine Störung des Purinstoffwechsels vorliegen. Meist liegt eine Störung des HGPRT (Enzym) in der Wiederverwertung der Purinbasen vor. Bei völligem Fehlen dieses Enzyms führt dies zum Lesch-Nyhan-Syndrom.

Wichtige Stationen des Purinstoffwechsels

Diagnostik

Ein erhöhter Harnsäurespiegel lässt sich im Blut nachweisen. Dabei sollte man aber bedenken, dass der Blutspiegel, abhängig von dem, was gegessen oder getrunken wurde, recht schnell schwanken kann. Kommt es zu einem Gichtanfall, dann kann der Harnsäurespiegel im Blut schon lange wieder im Normbereich liegen, wenn der Arzt Blut abnimmt. Ein normaler Harnsäurespiegel in einem einzigen Laborbefund beweist nicht, dass keine Gicht vorliegt.

Labor:

Uratkristalle in Gelenkflüssigkeit

Bei einem Anstieg der Harnsäure auf > 8 mg/dl erleiden 25 % der Patienten, bei einem Anstieg auf > 9 mg/dl erleidet nahezu jeder Patient einen Gichtanfall.

Neuere Studien berichten, dass sich nur bei etwa fünf Prozent der Patienten mit hohen Harnsäurewerten tatsächlich eine Gicht entwickelt. Andererseits gibt es Gicht auch bei völlig normalen Werten.

Außerdem lassen sich bei chronischem Verlauf der Erkrankung typische Veränderungen der Knochen im Röntgenbild nachweisen (z. B. Gelenkzerstörung und gelenknahe Usuren). In der Urografie dient die indirekte Darstellung einzelner Uratsteine der Diagnosestellung (sind im Röntgenbild nicht darstellbar). Schließlich kann bei Unklarheit auch eine direkte Gelenkpunktion bei Vorliegen von Uratkristallen in der Synovialanalyse die Diagnose sichern.

Therapiemöglichkeiten

Akuter Gichtanfall

NSAR
Hemmt die Teile der Synthese von Prostaglandinen durch Hemmung eines Enzyms des Entzündungsstoffwechsels (Cyclooxygenase), was eine Schmerzsenkung und Entzündungshemmung zur Folge hat. Am besten dokumentiert ist Indometacin, das jedoch häufig Nebenwirkungen verursacht. Für die Gichttherapie nicht geeignet ist Acetylsalicylsäure, da sie die Harnsäureausscheidung verlangsamen kann.
Colchicin
Hindert Leukozyten (besonders Makrophagen) daran, Harnsäurekristalle (Urat) aufzunehmen, und mindert so die von diesen Zellen und ihren abgegebenen Cytokinen unterhaltene Entzündungsreaktion. Die Anwendung des Giftes der Herbstzeitlosen ist so alt wie die Medizin, aufgrund der hohen Toxizität kommt Colchicin heute jedoch nur noch selten zur Anwendung. Nachdem Colchicin lange Zeit in hoher Dosierung verabreicht worden war, wird heute – rein empirisch – eine niedrigere Dosierung empfohlen. Niereninsuffizienz ist eine Kontraindikation.
Cortisol
Körpereigenes Hormon, das stark entzündungshemmende Wirkungen hat. Kortikosteroide, intraartikulär und/oder systemisch verabreicht, haben in den letzten Jahren einen größeren Stellenwert in der Gichttherapie erhalten, ohne dass ihre Wirkung in aussagekräftigen Studien untersucht worden wäre. Steroide sind bei Niereninsuffizienz nicht kontraindiziert.

All diese Medikamente bekämpfen nur die Symptome.

Chronische Gicht

Ernährungsumstellung
Aufnahme von purinreicher Nahrung vermeiden, möglichst Alkoholabstinenz und Normalisierung des Körpergewichts. Regelmäßige Kontrollen des Harnsäurespiegels.
Urikosurika
Hemmen Rückresorption der Harnsäure in die Nieren und fördern damit deren Ausscheidung.
Das sind im Einzelnen:
Urikostatika
Hemmer der Xanthinoxidase führen zu einer verminderten Harnsäurebildung durch kompetitive Hemmung der Xanthinoxidase, die Hypoxanthin in Xanthin und weiter in Harnsäure oxidiert. Zusätzlich bewirkt die dadurch erhöhte Hypoxanthinkonzentration eine Hemmung der Purinsynthese. Wirkstoffe sind Allopurinol und Febuxostat.[1]

Harnsäurebildung durch Lebensmittel (Auswahl)

  • hohe Harnsäurekonzentration (über 200 mg/100 g): Forelle, Hering, Sprotten, Grillhähnchen, Leber, Niere, Kalbsbries, Kernfleisch, Fleischbrühe, Suppenwürfel und Bäckerhefe[2]
  • mittlere Harnsäuremenge (80–150 mg/100 g): Schollenfilet, Bierschinken, Muskelfleisch (Rind, Schwein, Huhn, Wild), Hülsenfrüchte und Erdnüsse[3]
  • keine/wenig Harnsäure (0–50 mg/100 g): Milch, Joghurt, Ei, Kürbis, Paprika, Kartoffel, Apfel, Vollkornbrot, Weißbrot und Käse[4] Allerdings sind Milchprodukte häufig mit Fructose angereichert. Bei der Umwandlung nach dem Verzehr fällt IMP an, das über den Purinabbau die Konzentration der Harnsäure im Körper ansteigen lässt.[5]
  • Bei Getränken sind vorrangig Bier (10–23 mg pro 100 g) und Cola (10 mg pro 100 g) Purinquellen (aus: Nepomuk Zöllner, Diät bei Gicht und Harnsäuresteinen, Falken Verlag)

Die in Kaffee, schwarzem Tee und Kakao enthaltenen Purine werden nicht zu Harnsäure abgebaut, können also weiterhin konsumiert werden.

Literatur

Zur Geschichte der Gicht

  • Gerhard Eis: „Erhard Knabs Gichtregimen (1469)“, Medizinische Monatsschrift 7 (1953), S. 523–527

Einzelnachweise

  1. Becker MA, Schumacher HR, Wortmann RL, et al.: Febuxostat compared with allopurinol in patients with hyperuricemia and gout. In: The New England Journal of Medicine. 353. Jahrgang, Nr. 23, Dezember 2005, S. 2450–2461, doi:10.1056/NEJMoa050373, PMID 16339094.
  2. Bayerisches Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz: Tabelle der Lebensmittel mit hohem Harnsäuregehalt.
  3. Bayerisches Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz: Tabelle der Lebensmittel mit mittlerem Harnsäuregehalt.
  4. Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz:Tabelle der Lebensmittel mit sehr geringem Harnsäuregehalt.
  5. Duk-Hee Kang, Richard J. Johnson: Hyperuricemia, Gout, and the Kidney. In: Robert W. Schrier: Diseases of the kidney & urinary tract. 8. Auflage, Lippincott Williams & Wilkins, 2007, ISBN 978-0-7817-9307-0, S. 1986–1988.
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