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Hackerzwischenfall am Klimaforschungszentrum der University of East Anglia

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Das Hubert Lamb Building an der Universität von East Anglia, in dem die Climatic Research Unit ihren Sitz hat.

Beim Hackerzwischenfall am Klimaforschungszentrum der University of East Anglia, in den Medien auch als Climategate bezeichnet[1], wurden im November 2009 Dokumente von Forschern der Climatic Research Unit (CRU) der University of East Anglia durch Hacker ins Internet gestellt. Der Vorfall und die daraufhin erhobenen Vorwürfe erregten unmittelbar im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen Aufsehen in Blogs und Erwähnung in internationalen Medien.[2] Die Dokumente, über 1.073 E-Mails und 3.485 andere Dateien, stammen aus einem Zeitraum von 1996 bis 2009 und sind laut Phil Jones, dem Direktor der CRU, echt.[3] Über die Urheber des Datendiebstahls ist bislang nichts Genaueres bekannt, die Ermittlungen werden seitens der Norfolk Constabulary geführt.[4]

E-Mails

Die University of East Anglia meldete am 20. November den Vorfall der Polizei, nachdem im Internet bereits Diskussionen stattgefunden hatten. Die bis 1996 zurückreichenden E-Mails wurden zuerst auf einen russischen Server hochgeladen und mit folgendem anonymen Kommentar versehen: We feel that climate science is too important to be kept under wraps. We hereby release a random selection of correspondence, code, and documents. Hopefully it will give some insight into the science and the people behind it.(Übersetzung: „Wir glauben, dass die Klimaforschung zu wichtig ist, um unter Verschluss gehalten zu werden. Hiermit veröffentlichen wir eine Auswahl von Briefwechseln, Codes und Dokumenten. Hoffentlich vermittelt sie Einsicht in diese Wissenschaft und die Menschen, die dahinter stehen.“)[5][6]

Einigen Wissenschaftlern, in erster Linie dem Leiter des CRU, Phil Jones, und dem an der Pennsylvania State University arbeitenden Michael E. Mann, wird aufgrund bestimmter E-Mails vorgeworfen, Daten manipuliert und geheimgehalten sowie Absprachen zur Bedrängung von Kritikern getroffen zu haben. Deren Publikationen sollten laut den Vorwürfen zum Beispiel aus dem Bericht des Weltklimarats herausgehalten und bei Peer-Review-Verfahren behindert werden. Jones wird zudem vorgeworfen, er habe Mann die Löschung von bestimmten E-Mails nahegelegt, möglicherweise um Anfragen im Rahmen des Freedom of Information Act zu konterkarieren.[7] Als juristisch relevant gelten zudem E-Mails, in denen angeblich vorgeschlagen wird, bestimmte Daten, unter anderem Rohdaten verschiedener Klima-Messreihen, am mit der Universität eng zusammenhängenden Hadley Center, zu löschen.[8][9]

Reaktionen und Stellungnahmen

Betroffene

Phil Jones wies den Verdacht einer Datenmanipulation als „kompletten Blödsinn“ zurück. Michael Mann, der ebenfalls von einer Untersuchung betroffen ist, bezeichnete die Veröffentlichung als Sabotageversuch gegenüber der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen.[10]

Offizielle Untersuchungen

Die Universität East Anglia, die Pennsylvania State University und der Weltklimarat stellten Untersuchungen in Aussicht.[11][12] Phil Jones seinerseits kündigte am 1. Dezember an, für die Dauer der Untersuchung sein Amt als Leiter des CRU ruhen zu lassen.[13] Er wird in dieser Zeit durch Peter Liss ersetzt. Die unabhängige Untersuchung wird von Muir Russell geleitet.[14] Untersucht werden soll unter anderem, inwieweit Daten, außerhalb des Rahmens wissenschaftlicher Gepflogenheiten, manipuliert oder zurückgehalten wurden und ob die Forschungspraktiken wissenschaftlichen Standards entsprachen. Die Pennsylvania State University kündigte eine Überprüfung der veröffentlichten E-Mails bzw. des Datenmaterials an. Sie wird, solang die Untersuchung läuft, jedoch nicht weiter zum Sachverhalt Stellung nehmen.[15]

Das Science and Technology Committee des britischen Parlaments befasst sich seit Februar 2010 mit dem Vorfall. Unter anderem geht es um die Integrität wissenschaftlicher Forschung im Auftrag der Politik.[16][17]. Zu einer Anhörung Ende Februar 2010 im House of Commons wurden neben Jones auch Benny Peiser und andere geladen.[18] Insbesondere das Zurückhalten von Rohdaten wurde als Verstoß gegen den Freedom of Information Act gewertet. Jones gab zu, einige ziemlich gräßliche (pretty awful) E-Mails geschrieben zu haben, aber wies Manipulationsvorwürfe zurück. Es sei zudem nicht üblich, Modelle und Rohdaten offenzulegen. [19]

Der Forschungsausschuss des britischen Unterhauses kam zu dem Ergebnis, dass den Wissenschaftlern der Climatic Research Unit kein Vorwurf zu machen sei. Es könne nicht unterstellt werden, die Wissenschaftler hätten bei der Zurückweisung von Anfragen über Forschungsergebnisse versucht, die Öffentlichkeit über Klimadaten im Unwissen zu lassen. [20]

IPCC

Der Vorsitzende des IPCC, Rajendra Pachauri, kündigte zunächst eine offizielle Untersuchung der Manipulationsvorwürfe durch das IPCC an, zog dies aber kurz darauf wieder zurück.[21][22][23]

Wissenschaftliche Kommentare

Richard Somerville, einer der Hauptautoren des Vierten Sachstandsberichts des IPCC, bezeichnete den Vorfall als Teil einer Hetzkampagne zur Sabotage der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen.[24][25] Raymond Pierrehumbert verurteilte den Datendiebstahl und verteidigte Phil Jones und Michael Mann, die lediglich ihrer Arbeit nachgehen würden. Der Vorfall repräsentiere eine neue Eskalation der Kontroverse; möglicherweise könnten Manipulationen von Daten und Modellen in Zukunft folgen.[26] Kevin Trenberth wirft den Tätern vor, nur solche Materialien veröffentlicht zu haben, die „Klimaskeptiker“ in der Kontroverse um die globale Erwärmung zu ihrem Zweck missbrauchen könnten.[27]

Die Herausgeber der Fachzeitschrift Nature sowie verschiedene Klimawissenschaftler, unter ihnen Hans von Storch und Hans Joachim Schellnhuber, sehen in den E-Mails keinerlei Anhaltspunkte für die „Verschwörungstheorien der Skeptiker“; Nature nennt eine solche Interpretation der E-Mails „paranoid“. Die Korrektheit der vom CRU erhobenen Daten zur globalen bodennahen Lufttemperatur werde durch die E-Mails nicht in Frage gestellt.[28][29][30][31][32] Der anthropogene Klimawandel sei Realität und werde künftig noch stärker in Erscheinung treten.[28] Jones schrieb in einer E-Mail davon, einen Trick zu verwenden, um die Tatsache zu kaschieren, dass Messungen an Baumringen für die letzten Jahrzehnte eine Temperaturabnahme auswiesen, obwohl die real gemessenen Temperaturen stiegen[33]: „I’ve just completed Mike’s Nature trick of adding in the real temps to each series for the last 20 years (ie from 1981 onwards) and from 1961 for Keith’s to hide the decline.“ Jones möchte das Wort als „Kniff“ ("a clever thing to do") verstanden wissen. Mehrere prominente Beobachter, unter ihnen Jochem Marotzke und Hans Joachim Schellnhuber, sehen nichts methodisch Unsauberes an dieser Vorgehensweise.[31]

Judith Curry wirft Mann und anderen eine „Wagenburg-Mentalität“ vor, die das Prinzip des offenen Austauschs in der Wissenschaft verletze.[31] Von Storch sieht in den E-Mails den Versuch, alternative Ansichten aus dem wissenschaftlichen Prozess herauszuhalten, etwa indem Daten anderen Forschern nicht zugänglich gemacht worden seien.[31][7] Insbesondere Phil Jones und Michael Mann sollten aufgrund ihres unwissenschaftlichen Verhaltens künftig von solchen Verfahren ausgeschlossen werden. Stefan Rahmstorf kritisierte hingegen diese Forderung.[34] Laut James E. Hansen habe der Vorfall zwar keinen Effekt auf die Erkenntnisse der Klimatologie, allerdings repräsentierten einzelne E-Mails schlechte Entscheidungen. Hansen empfiehlt, dass Daten öffentlich zugänglich gemacht und dem Konsens widersprechende Forschungsarbeiten nicht an der Veröffentlichung gehindert werden sollten, auch wenn sie von schlechter Qualität seien.[35]

Die American Association for the Advancement of Science, Herausgeberin des Wissenschaftsmagazins Science, befürchtet, dass die Bemühungen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, durch den Vorfall geschwächt werden.

Öffentlicher Diskurs

Ein Zeitungskommentator sprach von einem Fest für Klimaskeptiker.[36] Obwohl sich am wissenschaftlichen Sachstand durch die Veröffentlichung der E-Mails nichts geändert habe, würden Thesen einiger weniger Skeptiker deutlich breiter von den Medien thematisiert.[37]

Politik

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen wies die britische Regierung die im Zusammenhang mit dem Vorfall erhobenen Vorwürfe scharf zurück.[38] UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon erklärte ebenfalls im Vorfeld von Kopenhagen, der Vorfall habe keinen Zweifel am wissenschaftlichen Konsens über den anthropogenen Anteil an der globalen Erwärmung geweckt.[39] Bei einer Senatsanhörung Anfang 2010 wies auch US-Energieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu Zweifel an der Forschung zurück und verwies auf die umfangreiche wissenschaftliche Beweislage zum Klimawandel und dessen Folgen.[40]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der zuweilen gebrauchte Kampfbegriff Climategate benützt das seit der Watergate-Affäre bei Skandalen im englischen Sprachraum gebräuchliche Suffix -gate (vgl. Nipplegate, Zippergate).
  2. Datenklau lässt Klimaskeptiker jubeln. ARD-Tagesschau, 5. Dezember 2009.
  3. Klima-Gate nährt Klimawandelskepsis. Deutschlandfunk, 4. Dezember 2009.
  4. Emails that rocked climate change campaign leaked from Siberian 'closed city' university built by KGB In: Daily Mail 
  5. Sceptics publish climate e-mails 'stolen from East Anglia University'. The Times, 21. November 2009.
  6. Climate Emails Stoke Debate. Wall Street Journal, 23. November 2009.
  7. a b Skandal um gehackte Mails: Deutsche Klimaforscher verlangen Reformen. Der Spiegel, 5. Dezember 2009.
  8. Moore, Matthew. Climate change scientists face calls for public inquiry over data manipulation claims. The Telegraph, 24. November 2009.
  9. Met Office to re-examine 160 years of climate data, Times Online, 5 december 2009
  10. Weltklimarat kündigt Untersuchung an, Der Standard Online, 4. Dezember 2009
  11. PSU investigates 'Climategate'. The Daily Collegian, 20. November 2009.
  12. Weltklimarat kündigt Untersuchung an. Der Standard, 4. Dezember 2009.
  13. http://www.uea.ac.uk/mac/comm/media/press/2009/dec/homepagenews/CRUreview
  14. http://www.uea.ac.uk/mac/comm/media/press/2009/dec/homepagenews/CRUreview
  15. University Reviewing Recent Reports on Climate Information. Archiviert vom Original am 6. Dezember 2009;.
  16. http://www.parliament.uk/parliamentary_committees/science_technology/s_t_cru_inquiry.cfm
  17. Dokumentation des HoC, Science and Technology Committee: Uncorrected Oral Evidence, The disclosure of climate data from the Climatic Research Unit at the University of East Anglia
  18. Climategate: The Jones-Keenan Affair, GWPF, 28.2.2010, Dr. Benny Peiser
  19. Head of 'Climategate' research unit admits sending 'pretty awful emails' to hide data, von David Derbyshire, 02.3.2010, Daily Mail
  20. "Ausschuss des Parlaments gibt britischen Klimaforschern recht", Die Welt Ausschuss des Parlaments gibt britischen Klimaforschern recht, 1. April 2010, 04:00 Uhr
  21. Pretending the climate email leak isn't a crisis won't make it go away, by George Monbiot, The Guardian, 25. November 2009
  22. Matt Dempsey: Listen: Inhofe Says He Will Call for Investigation on „Climategate“ on Washington Times Americas Morning Show. In: The Inhofe EPW Press Blog. U.S. Senate Committee on Environment and Public Works, 23. November 2009, archiviert vom Original am 5. Dezember 2009;.
  23. Hickman, Leo, „Climate change champion and sceptic both call for inquiry into leaked emails“, 23.November 2009, The Guardian
  24. Hacked Climate Emails Called A „Smear Campaign“. Reuters, 26. November 2009.
  25. Schmierenkampagne für mehr Transparenz. Rheinischer Merkur, 3. Dezember 2009.
  26. Your Dot: On Science and ‘Cyber-Terrorism’. New York Times, 22. November 2009.
  27. Scientist: Hackers selective in stolen e-mails. News-Sentinel, 23. November 2009.
  28. a b Hans von Storch, Myles Allen: Reaffirming climate science, Nature, 18. Dezember 2009
  29. Hans von Storch: "Dramatisierte Darstellung", Spektrumdirekt, 30. November 2009
  30. Climatologists under pressure, Nature, 3. Dezember 2009.
  31. a b c d Nach Hacker-Angriff - Schlammschlacht um den Klimawandel, Süddeutsche Zeitung Online, 3. Dezember 2009
  32. Keine Hinweise auf die große Verschwörung, Spiegel Online, 24. November 2009]
  33. Spiegel Online "Heißer Krieg um's Klima" 5. Teil: Grabenkämpfe zwischen Wissenschaftlern, 03.05.2010
  34. Stefan Rahmstorf: Wie wäre es mit Sachargumenten? In: Spektrumdirekt. 11. Dezember 2009
  35. James Hansen: Climate Change Evidence 'Overwhelming,' Hacked E-mails 'Indicate Poor Judgement'. Newsweek, 25. November 2009.
  36. Hacker-Angriff Ein Fest für Klimaskeptiker, 24.11.2009, von Christopher Schrader, in Süddeutsche Zeitung
  37. Flut der Gerüchte, Der von Unbekannten gesäte Zweifel wird eifrig von den Medien weitergetragen und immer neu hin und her gewendet. Ein gefundenes Fressen für alle Lobbyisten, die gegen den Klimagipfel Stimmung machen, von Ulrich Schnabel 16.12.2009 - 13:56 DIE ZEIT, 17.12.2009 Nr. 52
  38. Gordon Brown attacks 'flat-earth' climate change sceptics, The Guardian, 4. Dezember 2009
  39. Reuters: Human role in climate change not in doubt: U.N.'s Ban, 8. Dezember 2009
  40. Mike Soraghan: Chu Defends U.N. Climate Science, Admin Efforts on Nuclear Waste, New York Times, 21. Januar 2010