Judith N. Shklar

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Judith Nisse Shklar (* 24. September 1928 in Riga, Lettland; † 17. September 1992 in Cambridge (Massachusetts)) war eine amerikanische Politologin und Professorin an der Harvard Universität.

Leben und wissenschaftliche Laufbahn

Judita Nisse war die Tochter eines wohlhabenden lettischen Unternehmers und einer Kinderärztin, beide stammten aus jüdischen Familien, waren aber selbst nicht praktizierende Juden. Ihr Vater war Zionist, Dita und ihre Schwestern gehörten dem jüdischen Sportbund Maccabi an, die Mutter war Atheistin und erzog die Kinder gemäß ihrem eigenen Aufenthalt in einem Schweizer Mädchenpensionat zu Pflichterfüllung und Selbstbeherrschung. Dita besuchte die jüdische Ezra-Schule, die 1936 neugegründet werden musste, da die Juden vom Besuch des deutschen Gymnasiums in Riga ausgeschlossen wurden, die defacto Unterrichtssprache war deutsch, offiziell lettisch und hebräisch.

Juditas Familie floh 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen vor der drohenden sowjetischen Okkupation Lettlands nach Stockholm. Als auch Schweden vor den Deutschen Eroberungen nicht mehr sicher erschien, flohen sie mit falschen Pässen durch die Sowjetunion nach Japan und gerieten in Seattle als illegale Einwanderer in Internierungshaft. Schließlich gelangten sie nach Kanada, wo Judith eine protestantische Schule besuchte.[1]

Shklar studierte an der McGill University in Montreal und, nachdem sie dort den Bachelor und den Master of Arts (1949/50) erlangt hatte, an der Harvard University, wo sie das Studium 1955 unter Carl Joachim Friedrich mit den Ph.D. abschloss. Danach lehrte sie in Harvard bis sie in den Ruhestand ging. Sie war die erste Frau, die im Government Department der Universität eine Festanstellung hatte. Sie war die Vorsitzende der American Society for Political and Legal Philosophy und der American Political Science Association.

Als Hochschullehrerin und als Beraterin erwarb sie hohes Ansehen. Viele ihrer Schüler trugen zu einer Festschrift für Judith Shklar mit dem Titel Liberalism Without Illusions, herausgegeben von Bernard Yack, bei.

1970 wurde Shklar in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 1984 war sie MacArthur Fellow.

Das Werk

Shklar ist historisch als Ideengeschichtlerin und systematisch als Theoretikerin des Liberalismus hervorgetreten. Ihr historisches Interesse bezog sich vor allem auf die europäische Aufklärung (Montesquieu, Rousseau) und auf die amerikanische Staatstheorie seit der Frühphase der Republik.

Ganz normale Laster (1984) und Der Liberalismus der Furcht (1989)

Im Mittelpunkt ihrer systematischen Überlegungen zum Wesen des Liberalismus steht vor allem der Gedanke, dass Grausamkeit das größte aller Übel (summum malum) sei. Dieses Thema berührt sie zunächst in Grausamkeit an erste Stelle setzen und Schlechte Charaktere für gute Liberale (dem ersten bzw. letzten Kapitel ihres Buches Ganz normale Laster). Wiederaufgegriffen hat sie diese Überlegung in ihrer inzwischen kanonischen wichtigsten Schrift[2], Der Liberalismus der Furcht.[3] Hier begründet sie erneut die Auffassung, dass Grausamkeit das größte aller Übel sei und dass Regierungen dazu neigen, die "unvermeidbare Machtverteilung", die sich aus der politischen Organisation ergibt, auszunutzen. Sie befürwortet daher eine liberale konstitutionelle Demokratie, die zwar unvollkommen sein mag, jedoch immer noch die denkbar beste Form der Regierung ist, da sie die Menschen vor den Mächtigen schützt, indem die Macht der Regierenden beschränkt wird und ferner die Macht auf eine Vielzahl von politisch tätigen Gruppen verteilt wird.

Shklar ging davon aus, dass "jeder Erwachsene die Möglichkeit haben sollte, zu jedem Lebensbereich so viele Entscheidungen ohne Furcht und ohne Begünstigung zu fällen, wie es mit der entsprechenden Freiheit der anderen Erwachsenen vereinbar ist." Für sie war das "die ursprüngliche und einzig vertretbare Bedeutung von Liberalismus." (The Liberalism of Fear)

Rechte sind für sie weniger absolute Freiheit in Bezug auf Moral, vielmehr Handlungsmöglichkeiten, die die Bürger haben müssen, um sich vor Machtmissbrauch zu schützen.

Über Ungerechtigkeit (1991)

Shklars Interesse galt zudem der Ungerechtigkeit und den Übeln in der Politik. Sie war der Auffassung, dass die Philosophie der Ungerechtigkeit nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkt. In der Vergangenheit hätten die meisten Philosophen das Problem der Ungerechtigkeit ignoriert und stattdessen nur über Gerechtigkeit gesprochen, so wie sie das Laster ignoriert und nur über die Tugend gesprochen hätten. Nach Ganz normale Laster versucht Shklar in Über Ungerechtigkeit, diese Lücke im philosophischen Denken zu schließen. Sie stützt sich auf Literatur und Philosophie, um aufzuzeigen dass Ungerechtigkeit und das Gefühl für Ungerechtigkeit zeitübergreifend und kulturübergreifend vorhanden und von großer Bedeutung für die moderne politische und philosophische Theorie sind.

Schriften

Shklar schrieb zahlreiche Bücher und Artikel auf dem Gebiet der Politikwissenschaft, unter anderem:

  • After Utopia: The Decline of Political Faith, Princeton University Press, Princeton, N.J. 1957.
  • Legalism: Law, Morals, and Political Trials, Harvard University Press 1964, ISBN 0-674-52351-2.
  • Men and Citizens: A Study of Rousseau's Social Theory 1969, Nachdruck: Cambridge University Press, Cambridge, Mass. 1987, ISBN 0-521-31640-5.
  • Freedom and Independence: A Study of the Political Ideas of Hegel's Phenomenology of Mind, University Press, Cambridge 1976, ISBN 0-521-21025-9.
  • Ordinary Vices, Belknap Press, Cambridge, Mass. 1984, ISBN 0-674-64175-2.
    • deutsch: Ganz normale Laster, aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hannes Bajohr, Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2014, ISBN 978-3-88221-389-8.
  • Montesquieu, Oxford University Press, Oxford 1987, ISBN 0-19-287649-X.
  • The Liberalism of Fear in: Nancy L. Rosenblum, Liberalism and the Moral Life, Cambridge/London 1989, S. 21-38 und 255-256.
  • The Faces of Injustice, Yale University Press, New Haven 1990, ISBN 0-300-05670-2.
    • deutsch: Über Ungerechtigkeit. Erkundungen zu einem moralischen Gefühl. Aus dem Amerikanischen von Christiane Goldmann, Rotbuch-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-88022-780-2; Fischer, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-596-13614-8.
  • American Citizenship: The Quest for Inclusion 1991, Nachdruck: Harvard University Press, Cambridge, Mass. (u.a.) 1995, ISBN 0-674-02216-5.

Verschiedene Essays wurden posthum veröffentlicht, darunter:

Sekundärliteratur:

  • Hannes Bajohr: Judith N. Shklar (1928-1992). Eine werkbiografische Skizze, in: Judith N. Shklar, Ganz normale Laster, Berlin: Matthes und Seitz 2014, S. 277-319 (auch separat als E-Book, ISBN 978-3-95757-060-4).
  • Andreas Hess: The Political Theory of Judith N. Shklar. Exile from Exile, Basinstoke: Palgrave Macmillan 2014, ISBN 978-113703-249-2.

Einzelnachweise

  1. Hannes Bajohr: Judith N. Shklar (1928-1992). Eine werkbiografische Skizze, in: Judith N. Shklar, Ganz normale Laster, Berlin: Matthes und Seitz 2014, S. 277-319.
  2. Jan-Werner Müller: Furcht ist eine gute Ratgeberin, in: NZZ, 8. Oktober 2013, S. 45
  3. zustimmend z.B. Bernard Williams in Toleranz: eine politische oder moralische Frage?, enthalten in Toleranz: philosophische und gesellschaftliche Grundlagen einer umstrittenen Tugend, Rainer Forst (Hrsg.), Campus,. Frankfurt am Main 2000