Martin Spahn

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Martin Spahn (* 7. März 1875 in Marienburg in Westpreußen; † 12. Mai 1945 in Seewalchen am Attersee in Oberösterreich) war ein deutscher Historiker, Politiker und Publizist. In der Weimarer Republik wandelte er sich vom Reformkatholiken zum nationalkonservationen Rechtskatholiken. Berühmt wurde er 1901 durch den so genannten „Fall Spahn“.

Leben

Martin Spahn, ältester Sohn des späteren Fraktionschef des Zentrums Peter Spahn, studierte Geschichte in Bonn, in Berlin beim Protestanten Max Lenz und in Innsbruck beim Ultramontanisten Ludwig Pastor. Er wurde im Alter von 21 Jahren promoviert und habilitierte sich zwei Jahre darauf mit einer Arbeit über Johannes Cochläus. 1901 wurde er außerordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Bonn und erhielt im Herbst desselben Jahres einen Ruf an die Universität Straßburg. Die Berufung eines 26-Jährigen, dazu noch Katholiken, war auch in dieser Zeit ein ungewöhnlicher Vorgang. Seine Übernahme des Ordinariats für Neuere Geschichte führte im so genannten „Fall Spahn“ zu einer monatelangen öffentlichen Diskussion. 1920 erhielt er eine Professur für Neuere Geschichte an der neu gegründeten Universität Köln. Nach seiner Wahl in den Reichstag 1924 kam er seinen Verpflichtungen an der Hochschule aber nicht mehr nach.

Politische Tätigkeit

Spahn saß von 1908 bis 1918 im Straßburger Gemeinderat, seit 1912 für das Zentrum. Von 1910 bis 1912 war er Reichstagsabgeordneter für diese christlich geprägte Partei. Spahn wird zu den Reformkatholiken gerechnet, die nach dem Kulturkampf im Gegensatz zu den Ultramontanen den Anschluss der Katholiken an das protestantisch geprägte Reich auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet anstrebten. Zu diesem Zweck publizierte Spahn eine Reihe von Aufsätzen in der katholischen Kulturzeitschrift Hochland. 1921 wechselte Spahn zur DNVP, für die er von 1924 bis 1933 dem Reichstag angehörte. Nach der Machtübernahme trat er am 9. Juni 1933 der NSDAP bei, für die er bis Kriegsende im Reichstag saß. Spahns Gesinnungswechsel während der Weimarer Republik wird als Übergang zum Rechtskatholizismus gewertet.

Der „Fall Spahn“

Martin Spahn wurde 1901 auf spektakuläre Art durch den so genannten „Fall Spahn“ bekannt. Es war der seinerzeit prominenteste Höhepunkt des akademischen Kulturkampfs, der öffentlichen Diskussion um das Verhältnis von Staat und Kirche, sowie um das Verhältnis eines selbstbewussten Staates und einer autonomen Wissenschaft. Als die Berliner Reichsregierung an der Universität Straßburg einen zweiten Lehrstuhl für Geschichte einrichtete und mit Martin Spahn einen Katholiken berufen wollte, kam es zu einem Sturm der Entrüstung des liberalprotestantischen Lagers. Theodor Mommsen startete in Zeitungsartikeln eine Kampagne, weil er die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr sah. Spahns Ernennung durch ein Telegramm Kaiser Wilhelms II. fand ein außergewöhnlich starkes Echo in der Presse. Der „Fall Spahn“ führte zu monatelangen Auseinandersetzungen über die Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft. Dabei vermischten sich wissenschafts-, konfessions- und parteipolitische Argumentationen.

Der Berliner Historiker Mommsen hatte im November 1901 in den Münchner Neuesten Nachrichten kritisiert, ein katholischer Wissenschaftler wie Spahn könne dem Ziel einer „voraussetzungslosen Wissenschaft“ nicht nachkommen, da er konfessionell gebunden sei. Diese Erklärung wurde wesentlich vom Münchener Wirtschaftswissenschaftler Lujo Brentano initiiert, der eine Protestaktion aller liberalprotestantischen Professoren gegen Spahns Berufung anstieß. Mommsens Stellungnahme im Namen der voraussetzungslosen Wissenschaft ist berühmt geworden. Von fast allen deutschen Universitäten erhielt er Zustimmungsschreiben, die allerdings schon im Vorhinein als Vordruck versandt worden waren. Brentano und Mommsen ging es in erster Linie jedoch um die Wahrung des Status quo: der protestantischen Vorherrschaft an den deutschen Universitäten. Für die reformkatholische Seite reagiert ebenfalls in einem Zeitungsartikel der Zentrumspolitiker Georg Hertling. Für ihn war eine voraussetzungslose Wissenschaft ein illusorisches Postulat, das wegen der sozialen Prägung eines Wissenschaftlers nicht existieren könne. Weiterhin bestand für Hertling kein Widerspruch zwischen Glauben und Wissen, zwischen göttlicher Offenbarung und wissenschaftlichem Forschen. Auch wehrte er sich gegen Mommsens impliziten Vorwurf der Unwahrhaftigkeit katholischer Wissenschaftler.

Hinter Spahns Berufung verbargen sich aber auch politische Motive der Berliner Reichsregierung: Sie wollte an der Universität Straßburg eine eigene katholisch-theologische Fakultät errichten, um die Ausbildung der katholischen Theologen, die bislang vom bischöflichen Seminar durchgeführt wurde, unter ihre Kontrolle zu bringen. Um den Vatikan in den Verhandlungen für die Fakultät milde zu stimmen, sei die Berufung katholischer Professoren an die Straßburger Universität notwendig, urteilte der maßgebliche Ministerialbeamte im preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff. Spahn sei ein gemäßigter Katholik und deswegen der richtige Kandidat für die neue Stelle. Nach außen begründete Althoff seine Motivation zur Berufung eines Katholiken jedoch damit, dass er den Forderungen nach paritätischer Beteiligung der Katholiken im Hochschulwesen nachkommen wolle. Bei 80 Prozent katholischer Bevölkerung im Elsass könne es nicht sein, dass unter 20 Ordinarien der Philosophischen Fakultät kein einziger Katholik sei. Die Straßburger Universität fühlte sich durch das von Berlin bestimmte Berufungsverfahren übergangen und versuchte vergeblich, sich gegen Spahns Berufung zu wehren.

Die Diskussion um den „Fall Spahn“ war nach wenigen Monaten wieder abgeflaut. Mommsens und Brentanos Versuch war durchschaut worden und gereichte speziell Mommsen zum Nachteil. In der Folge kam es nach Geheimverhandlungen von Hertling mit der Kurie 1903 zur Zusage des Vatikans an Berlin, eine katholisch-theologische Fakultät in Straßburg einrichten zu dürfen. Die Reichsregierung zielte beim „Fall Spahn“ auf eine Integration der deutschen Katholiken ab, allerdings, um Kontrolle über sie ausüben zu können. Mommsen und Brentano als Vertreter der liberalen Professorenschaft waren an einer Wahrung des Status quo und damit nicht an einer Integration der Katholiken ins Reich interessiert. Der Reformkatholizismus um Hertling schließlich wünschte sich auch auf dem Gebiet der Wissenschaft eine Integration der Katholiken, um ihre Stellung im Reich insgesamt zu verbessern.

Literatur

  • Gabriele Clemens: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 37), Mainz 1983.
  • Elmar Gasten: Ein Historiker in Köln - Martin Spahn (1875 - 1945), in: Geschichte in Köln 15 (1984), S. 144-156.
  • Rudolf Morsey: Martin Spahn (1875-1945), in: Jürgen Aretz, Rudolf Morsey u. Anton Rauscher (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 4, Mainz 1980, S. 143-158.
  • Christoph Weber: Der "Fall Spahn" (1901). Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Kulturdiskussion im ausgehenden 19. Jahrhundert, Rom 1980.
  • Leo Just: Briefe an Hermann Cardauns, Paul Fridolin Kehr, Aloys Schulte, Heinrich Finke, Albert Brackmann und Martin Spahn 1923-1944. Hrsg., eingeleitet und kommentiert von Michael F. Feldkamp, Frankfurt am Main, u. a. 2002.

Weblinks