Still-Syndrom

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Das Still-Syndrom (auch Stillsches Syndrom, Stillsche Erkrankung, Still-Krankheit, Morbus Still und Still’sche Krankheit genannt[1]) oder die juvenile rheumatoide Arthritis ist eine autoinflammatorische Systemerkrankung unbekannter Ätiologie und Pathogenese, die meist Kinder, aber auch Jugendliche und Erwachsene betreffen kann. Es handelt sich um eine schwere systemische Verlaufsform der Polyarthritis. Bei Kindern und Jugendlichen wird von der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis (SJIA) gesprochen. Die genaue Inzidenz ist unbekannt, liegt aber laut Schätzungen weltweit bei 0,4 bis 0,9 pro 100.000 und Jahr.[2] Das Krankheitsbild des Morbus Still, welches sich erst im Erwachsenenalter manifestiert, wird als Morbus Still des Erwachsenen (AoSD für englisch Adult-onset Still´s Disease) bezeichnet. AoSD erfüllt die Definition einer seltenen Krankheit, da ihre Prävalenz auf einen Betroffenen pro Million in Europa[3] bis zehn Betroffenen pro Million in Japan[4] geschätzt wird.

Eric Bywaters beschrieb AoSD erstmals in den 1970er Jahren als eine inflammatorische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter.[5] Bywaters stellte fest, dass die Erkrankung große Ähnlichkeiten mit der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis aufwies, die zuvor George Still im 19. Jahrhundert bereits beschrieben hatte.[6] In den letzten Jahren vertreten immer mehr Experten die Meinung, dass es sich bei den beiden Krankheitsformen um das gleiche Krankheitsbild handelt, lediglich mit unterschiedlichem Altersbeginn.[7][8][9] Das Krankheitsbild als rheumatische Erkrankungsform (bzw. Sonderform der chronischen Polyarthritis[10][11]) geht mit hohem Fieber über 39 °C, lachsfarbenem flüchtigem Hautausschlag (Still-Exanthemen), Gelenkdestruktionen, Muskelschmerzen, Leukozytose sowie einer Vergrößerung der Lymphknoten einher. Als Ursache der Erkrankung wird eine Überaktivität des angeborenen Immunsystems angesehen.[12][13]

Diagnose[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um schwere Folgen, z. B. Gelenkzerstörungen, zu vermeiden und mit einer effektiven Therapie beginnen zu können. Vor allem für die Behandlung von SJIA besteht die Hypothese, dass eine frühzeitige wirksame Behandlung während eines Window of Opportunity das langfristige Ergebnis grundlegend beeinflussen und insbesondere das Risiko eines chronischen Gelenkverschleißes verringern kann.[14]

Seltene Erkrankungen wie SJIA und AoSD werden meist durch eine Ausschlussdiagnostik identifiziert. Im ersten Schritt wird vor allem abgeklärt, ob naheliegende Vermutungen für die beobachteten Symptome evtl. die Ursache der Erkrankung darstellen könnten. Dies ist meist ein langwieriger Prozess. Daher sind unterstützende Diagnosekriterien hilfreich.

Die von der ILAR (englisch International League of Associations for Rheumatology) aufgestellten Klassifikationskriterien für die SJIA lauten:[15][16]

  • Fieber für mindestens zwei Wochen (≥ 39 °C für mindestens einmal am Tag mit anschließender Normalisierung auf ≤ 37 °C)
  • Arthritis in mindestens einem Gelenk (über sechs Wochen andauernd)
  • Mindestens eines der weiteren Symptome:

Die Initiative PRO-KIND („Projekte zur Klassifikation, Überwachung und Therapie in der Kinderrheumatologie“) der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, welche konsensorientierte Strategien zur Harmonisierung der diagnostischen und therapeutischen Ansätze entwickeln möchte, zeigt allerdings, dass bis zu 50 % der mit SJIA diagnostizierten Patienten in Deutschland nicht die Anforderungen der ILAR-Kriterien erfüllen. Dies liegt vor allem am Fehlen einer chronischen Arthritis. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die chronische Arthritis für die Diagnose und Behandlung von SJIA nicht obligatorisch ist.[17]

Zur Erkennung von AoSD finden die Yamaguchi Klassifikationskriterien Anwendung. Wenn fünf der aufgeführten Kriterien (mindestens zwei davon Hauptkriterien) zu beobachten sind, liegt der Verdacht einer AoSD nahe.[12]

Hauptkriterien (Major Kriterien) Nebenkriterien (Minor Kriterien)
Fieber über 39 °C, intermittierend, über eine Woche bestehend Halsschmerzen
Arthralgien / Arthritis über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen Lymphadenopathie und/oder Splenomegalie
Erythematöser Ausschlag Transaminasenerhöhung
Erhöhte Leukozytenzahl > 10.000/μl ANA- bzw. RF-Negativität

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entzündliche Gelenkveränderungen werden mit nichtsteroidalen Antirheumatika, denen im Kindesalter wegen der Nebenwirkungen von Immunsuppressiva der Vorzug gegeben wird, behandelt, die zugleich fiebersenkend wirken. Azathioprin wurde erfolgreich eingesetzt.[18] Initial werden die meisten Patienten mit Glukokortikoiden behandelt, die jedoch zunehmend (Stand 2019) durch biologische Mittel wie Interleukin-1- und Interleukin-6-Antagonisten im Rahmen einer Treat-to-Target-Strategie abgelöst werden.[17] Vor allem in der zielgerichteten Behandlung der juvenilen Form zeigte der mittels rekombinanter DNA-Technologie hergestellter humaner Interleukin-1-Rezeptorantagonist Anakinra eine hohe Wirksamkeit in der Anwendung als Erstlinien-Medikament in Monotherapie. Diese zielgerichtete Therapie erwies sich als sehr effektiv und führte zu einer frühen und anhaltenden inaktiven Erkrankung bei der Mehrheit der systemischen JIA-Patienten, reduzierte den Femurkopfnekrosen und Wachstumsstörungen beschleunigenden[19] Glukokortikoid-Einsatz stark und verhinderte die Entwicklung langfristiger krankheits- und therapiebedingter Schäden.[20]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. auch Ludwig Heilmeyer, Wolfgang Müller: Die rheumatischen Erkrankungen. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 309–351, hier: S. 331 f.
  2. R. Gurion, T. J. A. Lehman, L. N. Moorthy: Systemic Arthritis in Children: A Review of Clinical Presentation and Treatment. In: International Journal of Inflammation. Band 2012, 2012, ISSN 2090-8040, S. 1–16, doi:10.1155/2012/271569, PMID 22235382, PMC 3253447 (freier Volltext) – (hindawi.com [abgerufen am 10. Januar 2020]).
  3. G Magadur-Joly, E Billaud, J H Barrier, Y L Pennec, C Masson: Epidemiology of adult Still's disease: estimate of the incidence by a retrospective study in west France. In: Annals of the Rheumatic Diseases. Band 54, Nr. 7, 1. Juli 1995, ISSN 0003-4967, S. 587–590, doi:10.1136/ard.54.7.587, PMID 7668903, PMC 1009940 (freier Volltext).
  4. Kenji Wakai, Akihide Ohta, Akiko Tamakoshi, Yoshiyuki Ohno, Takashi Kawamura: Estimated Prevalence and Incidence of Adult Still's Disease: Findings by a Nationwide Epidemiological Survey in Japan. In: Journal of Epidemiology. Band 7, Nr. 4, 1997, ISSN 0917-5040, S. 221–225, doi:10.2188/jea.7.221.
  5. E G Bywaters: Still's disease in the adult. In: Annals of the Rheumatic Diseases. Band 30, Nr. 2, 1. März 1971, ISSN 0003-4967, S. 121–133, doi:10.1136/ard.30.2.121, PMID 5315135, PMC 1005739 (freier Volltext).
  6. George F. Still: On a Form of Chronic Joint Disease in Children. In: Medico-chirurgical transactions. Band 80, 1897, ISSN 0959-5287, S. 47–60.9, PMID 20896907, PMC 2036674 (freier Volltext) – (bmj.com [PDF; abgerufen am 10. Januar 2020]).
  7. Mathieu Gerfaud-Valentin, Yvan Jamilloux, Jean Iwaz, Pascal Sève: Adult-onset Still's disease. In: Autoimmunity Reviews. Band 13, Nr. 7, Juli 2014, S. 708–722, doi:10.1016/j.autrev.2014.01.058 (elsevier.com [abgerufen am 10. Januar 2020]).
  8. Madiha Mahfoudhi, Imen Gorsane, Rafik Shimi, Sami Turki, Taieb Ben Abdallah: Adult Onset Still’s Disease. In: International Journal of Clinical Medicine. Band 06, Nr. 10, 2015, ISSN 2158-284X, S. 716–724, doi:10.4236/ijcm.2015.610095.
  9. Eugen Feist, Stéphane Mitrovic, Bruno Fautrel: Mechanisms, biomarkers and targets for adult-onset Still’s disease. In: Nature Reviews Rheumatology. Band 14, Nr. 10, Oktober 2018, ISSN 1759-4790, S. 603–618, doi:10.1038/s41584-018-0081-x.
  10. Ludwig Heilmeyer, Wolfgang Müller: Die rheumatischen Erkrankungen. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 309–351, hier: S. 331–333 (Sonderformen der chronischen Polyarthritis).
  11. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. 2003, S. 733.
  12. a b Nataša Toplak, Štefan Blazina, Tadej Avčin: The role of IL-1 inhibition in systemic juvenile idiopathic arthritis: current status and future perspectives. 8. Juni 2018, abgerufen am 10. Januar 2020 (englisch).
  13. Clio P. Mavragani, Evangelos G. Spyridakis, Michael Koutsilieris: Adult-Onset Still’s Disease: From Pathophysiology to Targeted Therapies. In: International Journal of Inflammation. Band 2012, 2012, ISSN 2090-8040, S. 1–10, doi:10.1155/2012/879020, PMID 22792508, PMC 3390042 (freier Volltext).
  14. Sebastiaan J. Vastert, Wilco de Jager, Bo Jan Noordman, Dirk Holzinger, Wietse Kuis: Effectiveness of First-Line Treatment With Recombinant Interleukin-1 Receptor Antagonist in Steroid-Naive Patients With New-Onset Systemic Juvenile Idiopathic Arthritis: Results of a Prospective Cohort Study: First-Line Treatment With Recombinant IL-1Ra in New-Onset Systemic JIA. In: Arthritis & Rheumatology. Band 66, Nr. 4, April 2014, S. 1034–1043, doi:10.1002/art.38296.
  15. Ross E. Petty, Taunton R. Southwood, Prudence Manners, John Baum, David N. Glass: International League of Associations for Rheumatology classification of juvenile idiopathic arthritis: second revision, Edmonton, 2001. In: The Journal of Rheumatology. Band 31, Nr. 2, Februar 2004, ISSN 0315-162X, S. 390–392, PMID 14760812 (jrheum.org [abgerufen am 10. Januar 2020]).
  16. G. Horneff, I. Foeldvari, K. Minden, G. Ganser, J.-P. Haas: Zehn Jahre Erfahrung im deutschen JIA-Etanercept-Register: Lehren aus wechselnden Patientenpopulationen. In: Arthritis und Rheuma. Band 31, Nr. 05, 2011, ISSN 0176-5167, S. 334–342, doi:10.1055/s-0037-1618085.
  17. a b PRO-KIND SJIA project collaborators, Claas H. Hinze, Dirk Holzinger, Elke Lainka, Johannes-Peter Haas: Practice and consensus-based strategies in diagnosing and managing systemic juvenile idiopathic arthritis in Germany. In: Pediatric Rheumatology. Band 16, Nr. 1, Dezember 2018, ISSN 1546-0096, S. 7, doi:10.1186/s12969-018-0224-2, PMID 29357887, PMC 5778670 (freier Volltext).
  18. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. 2003, S. 733 und 736.
  19. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. 2003, S. 733.
  20. Nienke M. ter Haar, E. H. Pieter Dijkhuizen, Joost F. Swart, Annet Royen‐Kerkhof, Ayman el Idrissi: Treatment to Target Using Recombinant Interleukin‐1 Receptor Antagonist as First‐Line Monotherapy in New‐Onset Systemic Juvenile Idiopathic Arthritis: Results From a Five‐Year Follow‐Up Study. In: Arthritis & Rheumatology. Band 71, Nr. 7, Juli 2019, ISSN 2326-5191, S. 1163–1173, doi:10.1002/art.40865, PMID 30848528, PMC 6617757 (freier Volltext).