Natascha A. Brunswick

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Natascha Artin Brunswick, geborene Jasny (* 11. Juni 1909 in St. Petersburg; † 3. Februar 2003 in Princeton) war eine deutsch-amerikanische Mathematikerin und Fotografin.

Von St. Petersburg nach Hamburg

Natascha A. Brunswick war die Tochter von Naum Jasny, einem aus Charkow stammendem russischen Juden, der als Nationalökonom arbeitete. Ihre Mutter, eine russische Adelige, war studierte Zahnärztin und gehörte der russisch-orthodoxen Kirche an. Da seinerzeit in Russland Ehen zwischen Russisch-Orthodoxen und Juden verboten waren, wechselte sie zum Protestantismus. Das Paar heiratete in Finnland.

Naum Jasny arbeitete bei den Menschewisten mit und floh nach der Oktoberrevolution 1917 nach Tiflis. Natascha A. Brunswick folgte dem Vater 1920 gemeinsam mit ihrer Mutter und der Schwester. Nachdem die Bolschewiken Georgien übernommen hatten lebte die Familie von 1922 bis 1924 in Österreich, 1924 kurzzeitig in Berlin und ging von dort nach Hamburg, wo sie bis 1937 am Willersweg in Langenhorn lebte. Natascha Jasny besuchte dort die liberale Lichtwark-Schule. Schon als Schülerin fotografierte sie mit einer einfachen Box und entwickelte ihre Bilder ohne Anleitung in dem zeitweise zur Dunkelkammer umfunktionierten häuslichen Badezimmer.

Nach dem Abitur 1928 beabsichtigte sie, ein Architekturstudium am Bauhaus Dessau aufzunehmen, was jedoch aufgrund der finanziellen Situation der Familie nicht möglich war. Stattdessen studierte sie Mathematik an der Universität Hamburg und besuchte zusätzlich Vorlesungen der Kunsthistoriker Aby Warburg und Erwin Panofsky. Das Studium schloss sie 1930 mit einem Magisterexamen ab.

Am 29. August 1929 heiratete sie ihren Mathematikprofessor Emil Artin, der seit 1923 in Hamburg lehrte.[1] Das Paar zog zunächst in eine Wohnung am Kleekamp 1–5 in Fuhlsbüttel und kurze Zeit später in eine Wohnung im Willersweg 9 in Langenhorn. Das Paar bekam 1933 die Tochter Karin, sowie 1934 einen Sohn, Michael Artin.

1937 wurde Emil Artin von den Nationalsozialisten wegen der jüdischen Herkunft seiner Frau auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Lehrtätigkeit entzogen. Emil Artin hatte am 27. September 1934 eine Erklärung abgeben müssen, dass seine Ehefrau nicht „arischer“ Abstammung sei.[2] Der Familie gelang es, in die USA zu emigrieren. Aufgrund des Verbots, größere Geldmengen auszuführen, ließ die Familie den gesamten modernen und einem neusachlichen Lebensgefühl entsprechenden Hausstand verschiffen. Sie standen zu dieser Zeit in Kontakt mit anderen Exilanten aus Deutschland und Österreich.

Leben in den USA

In den USA erhielt ihr Mann zunächst einen Lehrstuhl an der University of Notre Dame und ab 1938 an der Indiana University in Bloomington. Dort wurde das dritte Kind des Ehepaars, Thomas (Tom), geboren. Während des Zweiten Weltkriegs galt Natasha Artin aufgrund ihrer Herkunft als Enemy Alien. Die Amerikanische Armee beauftragte sie 1942 trotzdem damit, Soldaten russischen Sprachunterricht im Rahmen des „Army Specialized Training Program“ an der Universität in Bloomington zu erteilen.

1946 zog die Familie nach New Jersey, wo Emil Artin an der Universität Princeton lehrte. 1958 ließ sich das Ehepaar scheiden, woraufhin Emil Artin nach Hamburg zurückkehrte. Natasha Artin heiratete 1960 in zweiter Ehe den Komponisten und Musikprofessor Mark Brunswick.

1998 kehrte sie anlässlich des 100. Geburtstag von Emil Artin nach Hamburg zurück. Hier war sie Gast der Hansestadt im Rahmen des Programms zur „Pflege der Beziehungen zu jüdischen ehemaligen Mitbürgerinnen und Mitbürger Hamburgs“. Bis zu ihrem Tod 2003 lebte sie in Princeton.

Wirken als Mathematikerin

Natascha Artin arbeitete nach der Ankunft in New York an der mathematischen Fakultät der New York University unter der Leitung von Richard Courant. 1957 gründete sie am Courant Institute of Mathematics die mathematische Zeitschrift „Communications On Pure and Applied Mathematics“, die sie bis zu ihrem 80. Lebensjahr 1989 redigierte.

Sie war für mehr als 50 Jahre Ehrenmitglied der American Mathematical Society.

Wirken als Fotografin

Als professionelle Fotografin hat sich Natascha Brunswick nie verstanden: „es war eine private Leidenschaft“, erklärte sie, „aber es war auch etwas mehr als knipsen.“[3]

Nach der Hochzeit schenkte ihr Emil Artin, der ebenfalls begeisterter Fotograf war, 1929 in Hamburg eine Leica A Kamera. Heinrich Stegemann, ein Freund der Familie, ermutigte sie zum Fotografieren. Zunächst hielt sie Familienmitglieder, Freunde, Landschaften im Bild fest. Später zog sie mit der Kamera auf Motivsuche durch Hamburg, vom Hafen zum Junfernstieg, vom Nikolaifleet zum Hauptbahnhof. Ihr besonderes Interesse galt der Welt der Architektur. Ihre Bilder suchten nicht das Spektakuläre, sie liebte helle, klare Linien, sie war beeinflusst von den Reformideen der Bauhausarchitektur. Ihre Fotos begleiteten sie auf dem Weg in die Emigration.

Während des Zweiten Weltkriegs galt Natasha Artin als Enemy Alien. Aufgrund der allgegenwärtigen Spionagefurcht konfiszierte die Polizei 1942 daher ihre Kamera. Als sie ihr nach Jahren verstaubt wieder ausgehändigt wurde, hatte Natascha Brunswick die Freude an der Fotografie verloren.

Rund vierzig Jahre später entdeckte ihr Sohn Tom Artin, ein Jazzmusiker und Fotograf, die säuberlich auf Barytpapier vergrößerten Fotos in einem Schrank. Er erkannte die Bedeutung und nahm Kontakt zu Hamburger Galerien auf. In der Galerie Kunstgenuss von Petra von Schmude in Hamburg-Eppendorf wurden die Fotos im Jahr 1999 erstmals ausgestellt und fanden große Resonanz. Das Museum für Kunst und Gewerbe präsentierte die 227 Originalfotografien 2001 in einer eigenen Ausstellung mit dem Titel: Hamburg − wie ich es sah. Photographien aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Trotz ihres hohen Alters von damals 91 Jahren reiste Natascha Brunswick zur Ausstellungseröffnung aus New York an. Das Museum bewahrt rund 230 Originalabzüge der Bilder auf; die Negative sind im Besitz der Familie Artin.

Literatur

  • Gabriele Betancourt Nuñez: Brunswick, Natascha A. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 3. Wallstein, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0081-4, S. 64–66.
  • Claudia Gabriele Philip (Redaktion), Tom Artin (Katalogbearbeitung): Natascha A. Brunswick, Hamburg – wie ich es sah: Photographien aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Hrsg.: Gabriele Betancourt Nunñez, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg 2001. ISBN 3-923859-51-1.
  • Bettina Salomon: Warum diese Fotos im Schrank nichts verloren haben. „Hamburg – wie ich es sah“ : Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt historische Aufnahmen von Natascha Brunswick. Die Welt vom 17. Juli 2001.
  • Isabelle Hoffmann: Die Fotografinnen Natascha Brunswick und Angelika Platen im MKG „Bilder vergangener Zeiten“. Hamburger Morgenpost 12. Juli 2001.

Einzelnachweise

  1. Zum Gedenken an Emil Artin. Hamburger Universitätsreden, Neue Folge 9, S. 31
  2. Zum Gedenken an Emil Artin. Hamburger Universitätsreden, Neue Folge 9, S. 30
  3. Bettina Salomon: Warum diese Fotos im Schrank nichts verloren haben. „Hamburg – wie ich es sah“: Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt historische Aufnahmen von Natascha Brunswick in Die Welt vom 17. Juli 2001