Neosozialismus

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Der Neosozialismus (französisch Néo-socialisme) war eine politische Doktrin, die an der Wende von den 1920er zu den 1930er Jahren im Frankreich der Dritten Republik und in Belgien entstand und eine Erneuerung des sozialistischen Denkens anstrebte. Er lehnte sowohl die marxistische Revolution als auch den stückweisen Reformismus ab und befürwortete eine „konstruktive Revolution“, die vom Staat und von Technikern (Ingenieuren, Gewerkschaftern usw.) durch Planung, Lenkung der Wirtschaft usw. durchgeführt werden sollte. Die Suche nach neuen Lösungen führte dazu, dass ein Teil der Anhänger den Faschismus wohlwollend betrachtete und während der Besatzungszeit Teil der Kollaboration wurde. Andere hingegen, die sich für die Résistance entschieden hatten, wurden nach dem Krieg in Frankreich zu Förderern der großen Reformen der Vierten und Fünften Republik.

Wichtigste Gruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Belgien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der planerische Ansatz war in den Jahren 1933–1934 in der belgischen Arbeiterpartei sehr erfolgreich, wo er mit Unterstützung des rechten (De Man) und linken Flügels (Paul-Henri Spaak) der Partei zur offiziellen Politik wurde, auch wenn der Enthusiasmus 1935 nachließ. Diese Ideen beeinflussten auch die nonkonformistische Bewegung der französischen Rechten.[3]

Entstehung in Frankreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die SFIO spaltete sich 1933 über die Debatte der Regierungsbeteiligung.[4] Sie hatte ab 1924 (Kabinett Herriot I) bis 1926 (Kabinett Herriot II) alle Regierungen im Rahmen des Cartel des gauches gestützt, sich aber personell nicht beteiligt. Eine weitere Regierungsbeteiligung wäre erst nach den Wahlen von 1932 wieder möglich gewesen, die das Cartel gewann. Die SFIO entschied sich allerdings gegen eine vom Cartel geführte Regierung. Dem widersetzten sich Politiker wie Marcel Déat und Adrien Marquet.

Am 6. November 1933 stellt der Nationalrat der SFIO fest (3.046 Mandate gegen 843), dass sich sieben Abgeordnete außerhalb der Partei gestellt hätten: Déat, Cayrel[5], Marquet, Renaudel, Deschizeaux[6], Lafont[7] und Montagnon[8]. Im Dezember wurde die neue Partei von etwa 40 Abgeordneten Parti socialiste de France-Union Jean Jaurès gegründet, deren Vorsitzender Max Bonnafous[9] war.

Die neue Partei existierte nur kurze Zeit (in der sie allerdings in drei Kabinetten vertreten war) und ab 1936 gab die SFIO ihre Haltung auf, indem sie die Volksfrontregierung bildete.

Historische Einordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Historikern werden die Neosozialisten oft mit den Faschisten gleichgesetzt, vor allem wegen Marcel Déat, der das Rassemblement National Populaire gründete, das kollaborationsfreudiger war als die Vichy-Regierung. Für den Geist der späteren Kollaboration war jedoch die Spaltung in „Münchner und Antimünchner“ von größerer Bedeutung. Der Historiker Serge Berstein spricht in seiner Analyse der Geschichte der SFIO in der Zwischenkriegszeit von einem Generationenkonflikt. Tatsächlich verteilten sich die Neosozialisten in der Folge auf das gesamte Spektrum der französischen Politik:

  • Marcel Déat kollaborierte uneingeschränkt und wurde nach dem Krieg in Abwesenheit zum Tode verurteilt;
  • Paul Faure, ein bekannter „Münchner“, sagte im Prozess von Riom gegen Léon Blum aus;
  • Adrien Marquet war Innenminister unter Pétain bis zum 6. September 1940;
  • Max Bonnafous war Minister unter Pétain, half aber der Résistance[10];
  • Barthélemy Montagnon schloss sich Marcel Déats Rassemblement national populaire an;
  • Henry Hauck, Louis Vallon und Max Hymans waren Résistance-Kämpfer;
  • Paul Ramadier stimmte mit den 80 gegen die verfassungsmäßigen Vollmachten für Pétain und schloss sich sofort der Résistance an.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Serge Berstein: Léon Blum. Fayard, 2006, ISBN 2-213-63042-9 (openedition.org).
  • Simon Epstein: Un paradoxe français : antiracistes dans la Collaboration, antisémites dans la Résistance. Albin Michel, 2008, ISBN 978-2-226-17915-9.
  • Richard Griffiths: Fascism and the Planned Economy: 'Neo-Socialism' and 'Planisme' in France and Belgium in the 1930s. In: Science and Society. 2005, S. 580–593, doi:10.1521/siso.2005.69.4.580.
  • Zeev Sternhell: Ni droite ni gauche : l’idéologie fasciste en France (= Folio histoire. Band 203). Gallimard, 2003, ISBN 978-2-07-044382-6 (persee.fr).
  • M. Van Haegendoren: Le parti socialiste belge de 1914 à 1940. Vie ouvrière, 1995.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Der Planismus war eine Wirtschaftstheorie, die in den 1930er Jahren entwickelt wurde und davon ausging, dass ein Plan die Gesellschaft grundlegend verändern oder zumindest den „perversen Effekten“ und der „Kurzsichtigkeit“ des Marktes entgegenwirken könnte.
  2. Der Linksgaullismus oder Sozialgaullismus ist eine französische Denkrichtung der Arbeiterbewegung, die sich auf linke Überzeugungen innerhalb der Anhängerschaft General de Gaulles beruft. Die Gründer dieser Strömung sind zumeist ehemalige Sozialisten, Radikale und andere Sozialdemokraten aus dem Freien Frankreich und der Résistance und stellen eine reformistische Minderheit innerhalb der gaullistischen Bewegungen der verschiedenen Epochen dar. Eine ausführliche Darstellung findet sich unter „Gaullisme de gauche“ in der französischsprachigen Wikipédia.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jean Maitron: BELIN René, Joseph, Jean-Baptiste. In: Maitron. Abgerufen am 23. März 2024 (französisch).
  2. Louis Vallon. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 23. März 2024 (französisch).
  3. Van Haegendoren 1995
  4. Berstein 2006
  5. Antoine, Georges, Hubert Cayrel. In: Assemblée. Abgerufen am 24. März 2024 (französisch).
  6. Louis, Georges Deschizeaux. In: Assemblée. Abgerufen am 24. März 2024 (französisch).
  7. Ernest, Louis Lafont. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  8. Barthelémy, Marius Montagnon. In: Assemblée. Abgerufen am 24. März 2024 (französisch).
  9. Angaben zu Max Bonnafous in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  10. Epstein 2008, S. 50–51