Saúl Luciano

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Saúl Luciano Lliuya (geboren 1980 oder 1981[1]) ist ein peruanischer Bergführer und Landwirt. Er wurde international bekannt, seit er im Jahr 2015 den deutschen Energiekonzern RWE einer Mitverantwortung an der globalen Erwärmung beschuldigte und ihn auf eine finanzielle Beteiligung an Schutzmaßnahmen vor erwarteten Klimafolgeschäden in seinem Heimatland verklagte.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karte mit Laguna Palcacocha (rechts oben), Cojup-Tal und Stadtgebiet von Huaraz (links, gelb)[2]

Luciano wohnt in der 120.000-Einwohner-Stadt Huaraz. Im Jahr 1941 starben dort durch einen Gletscherlauf 1800 Menschen und 1500 Familien wurden obdachlos, nachdem durch ein Erdbeben ein großes Gletscherstück in den Palcacocha-See gestürzt und ein Damm gebrochen war.[3]

In jüngerer Zeit kommt es u. a. durch höhere Temperaturen zu einer verstärkten Schmelze der Gletscher in der Cordillera Blanca. Zwischen 1987 und 2010 ist die Gletscherfläche im Einzugsgebiet des Río Quilcay um etwa 25 % zurückgegangen.[4] Auch die zu diesem Einzugsgebiet gehörenden und in den Palcacocha entwässernden Gletscher haben sich stark zurückgezogen. Das Volumen des Sees ist gegenüber dem Jahr 1970 um das 34-fache angestiegen, er enthält mit ca. 17 Mio. m3 mittlerweile mehr Wasser als vor der Katastrophe von 1941.[5] Für Huaraz stellt der See weiter ein hohes Flutrisiko dar.[6] Eine Computersimulation der Universität Texas ergab, dass es zu einer hohen Flutwelle kommen und diese Teile des Stadtgebietes von Huaraz bis zu 10 m unter Wasser setzen könnte.[3][2]

Die Bevölkerung befürchtet eine erneute Flutkatastrophe. Luciano investierte umgerechnet 6400 Euro für den Überflutungsschutz seines Hauses.[7][8]

Klage gegen RWE[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im März 2015 lenkte Saúl Luciano Lliuya das Interesse der Weltöffentlichkeit auf die Bedrohungslage am Palcacocha-See, indem er in einem offenen Schreiben RWE mitverantwortlich für die Situation machte.[9][10][11] Zusammen mit seiner Anwältin Roda Verheyen argumentiert er, dass RWE als Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken zu den weltweit größten CO2-Emittenten zähle und dadurch für den Klimawandel mitverantwortlich sei, der zum Abschmelzen des Gletschers führe. RWE sei für 0,47 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dementsprechend solle RWE auch ein halbes Prozent der notwendigen Schutzmaßnahmen in seinem Gemeindeverbund bezahlen. So forderte Luciano von RWE Ersatz für seine eigenen Aufwendungen und zusätzlich 17.000 Euro.[7][12][8] Laut der deutschen Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch bestritt der Konzern mit Schreiben von Ende April 2015, dass es eine Rechtsgrundlage für die Forderung gebe, und wies eine Verantwortung für den geschilderten Sachverhalt zurück.[13]

Am 24. November 2015 reichte Luciano beim Landgericht Essen Klage gegen RWE wegen der geforderten Summe von insgesamt 23.700 Euro ein. Er stützte sich dabei auf die Störerhaftung als Rechtsgrundlage. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich aus der Rom-II-Verordnung (2007), nach der bei Umweltschäden – hierzu gehört auch eine nachteilige Veränderung der natürlichen Ressource Wasser – der Geschädigte zwischen Handlungsort (Deutschland) und dem Ort, an dem der Schaden eintritt (Peru), wählen kann. Als größte Hürde für die Kläger gilt die Frage der Kausalität. Wissenschaftlich ist der Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und der weltweiten Gletscherschmelze zwar gut gesichert, problematisch ist jedoch die Attribution des Risikos eines Einzelereignisses zum Klimawandel und, rechtlich, die Zuschreibung zu einem einzelnen Emittenten.[14]

Trotz der vergleichsweise geringen Summe wird die Klage als brisant angesehen, da sie einen folgenschweren Präzedenzfall schaffen könnte.[8][7] Die Prozesskosten des Klägers übernahm Germanwatch, die „mit diesem Musterprozess auf die internationalen Klimaverhandlungen Einfluss nehmen“ möchte.[15]

Die RWE AG bestritt 2016 in ihrer Klageerwiderung sowohl eine eigene Verantwortung für Klimaschäden als auch das behauptete Flutrisiko. Zudem geht man bei RWE davon aus, dass eine solche Haftungsklage wegen eines globalen und vielfältig verursachten Phänomens in der deutschen Rechtsordnung nicht vorgesehen sei.[8]

Am 15. Dezember 2016 wies das Landgericht die Klage ab, weil es „keine lineare Verursachungskette zwischen der Quelle der Treibhausgase und dem Schaden“ gebe. Eine anschließende Berufung beim Oberlandesgericht Hamm war erfolgreich; das Gericht beschloss am 30. November 2017 den Eintritt in die Beweisaufnahme.[8][3] Eine Gegenvorstellung von RWE gegen diesen Beweisbeschluss wies das Gericht – nach Angaben von Germanwatch – im Februar 2018 zurück. Das Gericht habe dabei in Bezug auf die zahlreichen mutmaßlichen Verursacher des Klimawandels festgestellt: „Von dem Vorhandensein von mehreren Störern kann nicht auf die Unmöglichkeit der Störungsbeseitigung gefolgert werden.“[16][17] Im März 2018 habe das Gericht auch eine zweite Gegenvorstellung von RWE zurückgewiesen, sodass die Beweisaufnahme fortgesetzt werden könne.[18][3]

Eine 2020 veröffentlichte Arbeit stellt eine Kausalkette zwischen Treibhausgasemissionen und der in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Gefahr her, die von dem See ausgeht; sie beleuchtet auch sozioökonomische, institutionelle und kulturelle Faktoren, die in dem von der Flut bedrohten Gebiet das Schadensrisiko beeinflussen. Beispielsweise fühlen sich viele Bewohner tief mit ihrem Land verbunden, so dass sie trotz einer Flutgefahr ihren Lebensmittelpunkt nicht aufgeben wollen.[19] Anfang 2021 erschien in der Fachzeitschrift Nature Geoscience eine Attributions-Studie, nach der mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine direkte Kausalkette zwischen dem menschengemachten Klimawandel, dem Abschmelzen des Gletschers aufgrund des Klimawandels und der angestiegenen Bedrohung der Stadt Huaraz durch den Gletschersee existiert.[20] Der Studie und ähnlich gelagerten Zuordnungsarbeiten wird von Juristen und Journalisten eine Schlüsselrolle für Gerichtsverfahren zum Klimawandel zugeschrieben.[21][22][23]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. elEconomista.es: Un campesino peruano se enfrenta a los culpables del deshielo de los Andes - EcoDiario.es. 8. Dezember 2015, abgerufen am 15. September 2019 (spanisch).
  2. a b Marcelo Somos-Valenzuela, Rachel E. Chisolm, Denny S. Rivas, Cesar Portocarrero und Daene C. McKinney: Modeling a glacial lake outburst flood process chain: the case of Lake Palcacocha and Huaraz, Peru. In: Hydrology and Earth-System Sciences. Band 20, 2016, doi:10.5194/hess-20-2519-2016.
  3. a b c d Fernando Iwasaki: El ciudadano Saúl Lliuya contra el calentamiento global. El País, 29. März 2018.
  4. A. Juřicová und S. Fratianni: Climate change and its relation to the fluctuation in glacier mass balance in the Cordillera Blanca, Peru: a review. In: AUC Geographica. Band 53, Nr. 1, Juni 2018, doi:10.14712/23361980.2018.10.
  5. Adam Emmer: Glacier Retreat and Glacial Lake Outburst Floods (GLOFs). In: Oxford Research Encyclopedia of Natural Hazard Science. 2017, doi:10.1093/acrefore/9780199389407.013.275.
  6. Adam Emmer, Jan Klime, Martin Mergili, Vít Vilímek und Alejo Cochachin: 882 lakes of the Cordillera Blanca: An inventory, classification, evolution and assessment of susceptibility to outburst floods. In: Catena. Nr. 147, 2016, doi:10.1016/j.catena.2016.07.032.
  7. a b c Peruanischer Bauer erringt Teilerfolg gegen RWE. Zeit Online, 13. November 2017.
  8. a b c d e Chris Köhler, Ivo Maruczyk: RWE wehrt sich gegen Klimaklage – Gericht muss erneut Stellung nehmen (Memento vom 17. Juli 2018 im Internet Archive). br.de, 1. Februar 2018.
  9. Peruvian farmer demands climate compensation from German company. In: The Guardian, 16. März 2015.
  10. Peruano reclama a empresa alemana por desglaciación en Huaraz. In: La Republica, 16. März 2015.
  11. Schäden durch Klimawandel Peruanischer Bauer droht mit Klage gegen RWE. In: Handelsblatt, 16. März 2015.
  12. Christoph Seidler: – Klage gegen deutschen Energiekonzern Jetzt zahl mal, RWE. Spiegel Online, 8. Dezember 2015.
  13. Andreas Mihm: Peruaner verklagt RWE wegen Klimaschadens. In: faz.net. 24. November 2015, abgerufen am 18. Mai 2018.
  14. Anne Kling: Die Klimaklage gegen RWE – Die Geltendmachung von Klimafolgeschäden auf dem Privatrechtsweg. In: KJ – Kritische Justiz. Band 51, Nr. 2, 2018, S. 215, doi:10.5771/0023-4834-2018-2-213.
  15. Klage gegen RWE – „Wir wollen auf die Klimaverhandlungen Einfluss nehmen“. Spiegel Online, 10. November 2017.
  16. Gericht stellt klar: Unternehmen können für Klimafolgen zur Verantwortung gezogen werden. Pressemeldung von Germanwatch, 15. Februar 2018.
  17. Gericht bestätigt: Firmen für Klimafolgen haftbar (amerika21 17. Februar 2018)
  18. „Klimaklage“: RWE scheitert erneut mit Versuch, Beweisaufnahme abzuwenden. Pressemitteilung Germanwatch vom 14. März 2018.
  19. Christian Huggel1, Mark Carey, Adam Emmer, Holger Frey, Noah Walker-Crawford, Ivo Wallimann-Helmer: Anthropogenic climate change and glacier lake outburst flood risk: local and global drivers and responsibilities for the case of lake Palcacocha, Peru. In: Natural Hazards and Earth System Sciences. August 2020, doi:10.5194/nhess-20-2175-2020.
  20. R.F. Stuart-Smith et al.: Increased outburst flood hazard from Lake Palcacocha due to human-induced glacier retreat. In: Nature Geoscience. Band 14, 2021, S. 85–90, doi:10.1038/s41561-021-00686-4.
  21. Editorial: Mountains of change. In: Nature Geoscience. Band 14, 2021, doi:10.1038/s41561-021-00694-4.
  22. Beweis für Klage erbracht. In: taz, 4. Februar 2021. Abgerufen am 5. Februar 2021.
  23. Global heating to blame for threat of deadly flood in Peru, study finds. In: The Guardian, 4. Februar 2021. Abgerufen am 5. Februar 2021.
  24. Peruanischer Landwirt bekommt Kasseler Bürgerpreis. Süddeutsche Zeitung, 29. Mai 2018, abgerufen am 26. August 2020.