Schweizerischer Vaterländischer Verband

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Der Schweizerische Vaterländische Verband (SVV) war ein Verein rechtsbürgerlicher Kräfte mit dem Ziel, die aus ihrer Sicht drohende Gefahr eines sozialistischen Umsturzes in der Schweiz abzuwenden. Er war in Funktion und Entwicklung ein helvetisches Pendant zu den frühfaschistischen Organisationen Italiens und Deutschlands der 1920er-Jahre.

Entstehung und Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Verband entstand im April 1919 als Zusammenschluss von im Landesstreik (November 1918) gebildeten paramilitärischen Bürgerwehren und anderen konservativ-militärischen Bünden. Diese Bürgerwehren waren überwiegend von rechtsbürgerlichen und bäuerlich-ländlichen Kreisen als militärisch geführte Freiwilligenorganisationen zur Aufrechterhaltung der verfassungsmässigen Sicherheit, Ruhe und Ordnung aufgebaut worden, wohl aus der Furcht heraus, dass die Milizarmee gegen die revoltierenden Arbeiter in den Städten zu wenig energisch durchgreifen würde. Die privatrechtlich organisierten Bürgerwehren wurden hauptsächlich von Banken, Versicherungen und Industriebetrieben finanziert, aber aus den Arsenalen des Bundes und teilweise durch Schmuggel aus Deutschland bewaffnet. Sie hatten eine staatspolitisch hochproblematische Zwitterposition zwischen Hilfspolizei und ideologischem Paramilitär. Eine führende Figur der Bürgerwehren war der Aargauer Arzt, Offizier, BGB-Politiker, Gründer der Aargauischen Vaterländischen Vereinigung und SVV-Präsident Eugen Bircher, welcher enge Beziehungen zu deutschen Freikorps und rechtsextremen Exponenten wie Waldemar Pabst und Erich Ludendorff pflegte.

Im Kanton Bern wurden Bürgerwehren in diesen Krisenjahren oft parallel zur Gründung von Sektionen der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) – der Vorläuferin der Schweizerischen Volkspartei – gebildet. Die BGB etablierte sich nach dem Landesstreik als eine Art parlamentarischer Arm des im Verborgenen wirkenden Vaterländischen Verbands. Aus diesem Dunstkreis stammten in den 1920er-Jahren die ersten faschistischen Gruppierungen der Schweiz und zu Beginn der 1930er-Jahre Sympathisanten der Frontenbewegung und des Nationalsozialismus.

In den 1920er-Jahren entdeckte der Vaterländische Verband ein Aufgabengebiet im Werksdienst, indem er für lebenswichtige Einrichtungen der Wirtschaft (so auch für die Schweizerischen Bundesbahnen) eine Streikabwehr organisierte. Seinen politischen Einfluss setzte der SVV ein, um bei Wahlen und Abstimmungen die bürgerlichen Kräfte zu koordinieren und so die Wahl von Sozialdemokraten in wichtige Ämter zu verhindern.

Nach einer Nachrichtendienst-Bestechungsaffäre, bei der die Verbandsleitung Polizeibeamte bestach, stellte der SVV 1948 seine Aktivitäten ein.[1] Einige SVV-Sektionen existierten aber weiter, am längsten im Kanton Aargau bis 2019.

Bewertung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Schweizerische Vaterländische Verband bildete laut dem Historiker Hans Ulrich Jost «ein im bürgerlichen Untergrund wirkendes Informationsnetz, dessen Auswirkung auf die Politik und die öffentliche Meinung nicht zu unterschätzen war». Gemäss dem Historiker Hans von Greyerz war der SVV «aus Bürgerwehrelementen und Ku-Klux-Klan-Geist gemischt».

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Werner Baumann: Bauernstand und Bürgerblock: Ernst Laur und der Schweizerische Bauernverband 1897–1918. Zürich 1993.
  • Willi Gautschi: Der Landesstreik 1918. Zürich 1968.
  • Thomas Greminger: Ordnungstruppen in Zürich: Der Einsatz von Armee, Polizei und Stadtwehr Ende November 1918 bis August 1919. Basel etc. 1990.
  • Sébastien Guex: A propos des gardes civiques et de leur financement à l’issue de la Première Guerre mondiale, in: Jean Batou, et al. (Hg.): Pour une histoire des gens sans Histoire. Ouvriers, excluEs et rebelles en Suisse, 19e–20e siècles, Lausanne, 1995, S. 255–264.
  • Daniel Hagmann: Bürger putzen Basel. Stadt.Geschichte.Basel 2019.
  • Charles Heimberg: La garde civique genevoise et la grève générale de 1918: Un sursaut disciplinaire et conservateur, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 44 (1997). S. 424–435.
  • Daniel Heller: Eugen Bircher. Arzt, Militär, Politiker. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1988, ISBN 3-85823-195-9.
  • Hans Ulrich Jost: Bedrohung und Enge. In: Ulrich Im Hof (Hrsg.): Geschichte der Schweiz und der Schweizer. 2. Auflage. Basel 2004, S. 731–819 (Zitat S. 784)
  • Christian Koller: »Red Scare« in zwei Schwesterrepubliken: Revolutionsfurcht und Antisozialismus im schweizerisch-amerikanischen Vergleich, 1917–1920, in: Hans Rudolf Fuhrer (Hg.): Innere Sicherheit – Ordnungsdienst, Teil II: Der Generalstreik im November 1918. Zürich 2018. S. 84–114.
  • Christian Koller: Vor 100 Jahren: Die Paramilitarisierung Europas und die Schweiz, in: Sozialarchiv Info 3 (2019).
  • Hans-Rudolf Kurz: Militärische Grundbegriffe: Die Bürgerwehren, in: Schweizer Soldat 56/8 (1981). S. 5–7.
  • Renato Morosoli: „… Der roten Flut entgegentreten“: Zuger Bürgerwehren und antibolschewistische Einwohnervereine 1918–1921, in: Tugium 34 (2018). S. 189–192.
  • Roman Rossfeld: «Heraus zum Kampf ihr bürgerlichen Brüder». Wie das Bürgertum 1918 mit einer Politik der Angst auf das Kriegsende und den Landesstreik reagierte. In: Neue Zürcher Zeitung, 25. September 2018.
  • Hanspeter Schmid: Krieg der Bürger: Das Bürgertum im Kampf gegen den Generalstreik 1919 in Basel. Zürich 1980.
  • Oliver Schneider: Von Knüppelgardisten, Revolutionshelden und Radaubrüdern: Die Luzerner Bürgerwehr nach dem Landesstreik 1918, in: Geschichte Kultur Gesellschaft. Historische Gesellschaft Luzern Jahrbuch 31 (2013). S. 63–84.
  • Andreas Thürer: Der Schweizerische Vaterländische Verband 1919–1930/31. Dissertation, Universität Basel, Basel 2010; Inhaltsverzeichnis (PDF).
  • Andreas Thürer: Der Schweizerische Vaterländische Verband (SVV): ein antisozialistischer Schutzwall (1919–1930/31), In: Michel Caillat, Stéphanie Roulet, Mauro Cerutti, Jean-François Fayet (Hg.), Histoire(s) de l'anticommunisme en Suisse, Zürich 2009, S. 133–146.
  • Carola Togni: Les gardes civiques en Suisse romande: Dossier de sources. Univ. Lausanne 2000.
  • Joanna Vanay: Les gardes civiques de Sierre (1918–1919), in: Annales valaisannes 2004. S. 93–129.
  • Dorothe Zimmermann: Den Landesstreik erinnern. Antikommunistische Aktivitäten des Schweizerischen Vaterländischen Verbandes 1919–1948, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 2013, Nr. 3, S. 479–504; doi:10.5169/seals-358027.
  • Dorothe Zimmermann: Schweizerischer Vaterländischer Verband, in: Daniel, Ute, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer und Bill Nasson (Hrsg.): 1914-1918-online: International Encyclopedia of the First World War, 16. Dezember 2015.
  • Dorothe Zimmermann: Den Staat schützen: Mit Bürgerwehren und Spitzeln gegen die Arbeiterschaft, in: Rossfeld, Roman et al. (Hg.): Der Landesstreik: Die Schweiz im November 1918. Baden 2018. S. 127–151.
  • Dorothe Zimmermann: Antikommunisten als Staatsschützer: Der Schweizerische Vaterländische Verband, 1930–1948, Zürich 2019.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Flurin Condrau: Die Heusser Saga. Wie die Vaterländischen mit dem Roten Zürich umsprangen, in: Komitee Schluss mit dem Schnüffelstaat (Hg.), Schnüffelstaat Schweiz. Hundert Jahre sind genug, Zürich: Limmat 1990, S. 28–35.