Wilhelm Rátz

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Pfarrer Wilhelm Rátz

Wilhelm Rátz (* 10. Juni 1882 in Cservenka, Komitat Bács-Bodrog, Österreich-Ungarn; † 20. Oktober 1952 in Preßburg, heute Bratislava, Tschechoslowakei) war ein evangelisch-lutherischer Prediger.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Herkunft und Studium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pfarrer Wilhelm Rátz wurde als mittlerer Sohn eines deutschen Volksschullehrers geboren. Er hatte zwei Brüder. Der ältere Bruder Karl (* 1875) war viele Jahre evangelischer Pfarrer in Großlomnitz und nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges diente er als Miltärkaplan in Bikács[1], Komitat Tolna. Der jüngere Bruder Josef[2] war Lehrer an der deutschen evangelischen Volksschule und Hauptorganist an der evangelischen Kirche in Leutschau.

Nachdem Wilhelm Rátz in seiner engeren Heimat die Volks- und Mittelschule besucht hatte, kam er an das Evangelische Lyzeum nach Ödenburg (Sopron), wo er am 29. Juni 1900 seine Abiturientenprüfung mit Auszeichnung ablegte. Seine theologischen Studien absolvierte er an der Theologischen Akademie in Preßburg, sowie an der Universität Halle a.d. Saale. Am 25. Mai 1904 wurde er zum Pfarrer ordiniert. Zunächst wirkte er vom 1. April 1904 bis 30. Juni 1909 als Kaplan in Kisker, Neusatz und Bratislava. Wegen seiner hervorragenden wissenschaftlichen Befähigung kam er als Privatdozent an die damalige Theologische Akademie nach Bratislava.

Pfarrer in der Gemeinde in Bratislava[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem Pfarrer Gustav Ebner (1848–1923) – nach zwanzigjähriger Pfarrtätigkeit in der Deutschen Gemeinde in Preßburg (heute Bratislava) – im Jahre 1910 in den Ruhestand entlassen worden war, wurde die dritte deutsche Pfarrstelle vakant. Unter mehreren Bewerbern wurde Pfarrer Rátz von der überwiegenden Mehrheit der Gemeindeglieder zum dritten Gemeindepfarrer des Pfarrkollegiums gewählt. Am 16. Januar 1910 wurde er von Senior Carl Eugen Schmidt feierlich in sein geistliches Amt eingeführt.

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie (1918) und der Entstehung der Tschechoslowakei wurde die alte Ungarländische Evangelische Kirche A.B. in der die deutschen, ungarischen und slowakischen Gemeinden zusammengeschlossen waren aufgelöst.[3] Neben der alteingesessenen deutschen Kirchengemeinde entstand eine selbständige slowakische Kirchengemeinde[4]. Da die Trennung der neuen slowakischen von der deutsch-ungarischen Gemeinde in Preßburg ohne Teilung des sich überwiegend in deutschen Händen befindenden Kirchenvermögens nicht durchführbar schien, kam es zwischen den beiden Gemeinden zu erheblichen Spannungen. Der Weisheit, Großzügigkeit und Einsicht von Pfarrer Rátz war es zu verdanken, dass zwischen den beiden Gemeinden eine befriedigende Einigung herbeigeführt werden konnte.[5]

Neben seiner eigentlichen Haupttätigkeit als Pfarrer nahm Wilhelm Rátz weitere Aufgaben und Ämter auf sich. Seit 1921 war er Herausgeber des Kreuzkalenders,[6] welcher ab dem Jahre 1939 seine Fortsetzung als Gustav-Adolf-Kalender fand. Der Kreuzkalender enthält viele wertvolle Beiträge zur Geschichte der Kirche, der Gemeinde und der Mission. Auch das von ihm redigierte und herausgegebene Evangelische Gemeindeblatt stand im Dienste der Gemeinde.

Außer seiner pastoralen und publizistischen Tätigkeit war Rátz auch pädagogisch und wissenschaftlich tätig. Ab 1. Oktober 1935 wurde er vom damaligen Minister für Kultus und Unterricht zum vortragenden Lehrer für die praktischen Fächer (homiletische und liturgische Vorlesungen in deutscher Sprache) an der Evangelischen Theologischen Fakultät Bratislava ernannt. In der Bibliothek der Bratislavas Kirchengemeinde entdeckte er die „Septemberbibel“ aus dem Jahre 1522. Hierbei handelte es sich um die bei Melchior Lotter in Wittenberg gedruckte Erstausgabe des Neuen Testamentes Martin Luthers, die nur in sehr geringer Stückzahl gedruckt wurde.

Die Zeit nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 hat die autarke Deutsche Evangelische Kirchengemeinde A.B. in Bratislava zu existieren aufgehört. Das Deutsche Gotteshaus auf der Nonnenbahn in Bratislava wurde von den slowakischen Glaubensbrüdern übernommen. Das Kirchenvermögen wurde beschlagnahmt und ging in den Besitz der Slowakischen Evangelischen Kirche über.

In dieser politisch äußerst schwierigen Zeit entschloss sich Rátz bei der in Bratislava verbliebenen kleinen deutschen Restgemeinde auszuharren. Mit seinem Amtsbruder, (dem fast erblindeten) Heinrich Pröhle, durfte er bald wieder deutsche Gottesdienste, nunmehr in der Kleinen (ehemals Slowakisch-Ungarischen) Kirche auf der Nonnenbahn, feiern.

Das Grab von Pfarrer Wilhelm Rátz am Gaistor-Friedhof zu Preßburg (Zustand Februar 2009)

Bei der Aufrechterhaltung des Kirchenlebens wirkten seine Ehefrau Hermine geb. Polster (* 5. Juli 1891 in Oberschützen / Burgenland; † 3. November 1972 in Budapest) sowie die ebenfalls in Bratislava verbliebene (ehemalige) Oberin des Evangelischen Diakonissenmutterhauses, Mathilde Billnitzer, tatkräftig mit. Nachdem Heinrich Pröhle 1950 verstarb, betreute Pfarrer Rátz alleine die deutschen (und auch die ungarischen) Glaubensgenossen bis zu seinem Tode am 20. Oktober 1952.

Die Slowakische Evangelische Kirche A.B. hat Pfarrer Rátz ein würdiges Begräbnis gehalten. Er wurde – als letzter deutscher lutherischer Pfarrer Bratislavas – vor dem Altar der (ehemaligen) Deutschen Großen Kirche auf der Nonnenbahn aufgebahrt und von der slowakischen Pfarrerschaft feierlich eingesegnet. Nach dem Trauergottesdienst mit einer in Deutsch gehaltenen Predigt von Pfarrer Juraj Holčík wurde der Verstorbene unter großer Anteilnahme der evangelischen Bevölkerung Bratislavas zur letzten Ruhestätte auf den Gaistor-Friedhof beigesetzt.

Mit Pfarrer Wilhelm Rátz endet die im Jahre 1606 mit Andreas Reuß beginnende Reihe deutscher evangelisch-lutherischer Pfarrer in Bratislava/Preßburg. Er war der letzte der 62 deutschen Pfarrer, die in Bratislava wirkten.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde A.B. zu Preßburg, 2 Bände, Pozsony / Preßburg 1906
  • Carl Eugen Schmidt: Fünfundzwanzig Jahre (Zum 25. Dienstjubiläum von Pfr. Rátz), Evangelisches Gemeindeblatt, Preßburg, Jg. 1935, Nr. 1 / 2, S. 18
  • Evangelisches Gemeindeblatt Preßburg, Jg. 1935, Nr. 7/8, S. 28
  • Treumund R. (Pseudonym von Prof. Dr. Roland Steinacker).: Pfarrer Wilhelm Rátz gestorben. In: Karpatenpost / Evangelischer Glaubensbote Stuttgart, Jg. 1952, Heft 12, Dezember 1952
  • Adalbert Hudak: Die Kirche unserer Väter, Hilfskomitee für die Evang-Luth. Slowakeideutschen, Stuttgart 1953
  • Roland Steinacker / Alexy Dezidier: 350 Jahre Evangelische Kirche in Preßburg, Hilfskomitee für die Evang.-Luth. Slowakeideutschen, Stuttgart 1956
  • Adalbert Hudak: Die evangelischen Karpatendeutschen aus der Slowakei. In: Die Unverlierbarkeit evangelischen Kirchentums aus dem Osten´ Band 2/Heft 2, Verlag „Unser Weg“ Düsseldorf 1972
  • Die letzte deutsche Pfarrfrau von Preßburg (Nekrolog zum Ableben von Hermine Rátz) in Karpatenpost / Evangelischer Glaubensbote Stuttgart, Jg. 1972
  • Anton Klipp: In memoriam Juraj Holčík in Karpatenpost / Evangelischer Glaubensbote Stuttgart, Jg. 45, Heft 6, Juni 1994
  • 50 Jahre Hilfskomitee für die Evangelisch-Lutherischen Slowakeideutschen, Stuttgart 1996
  • Andrej Kvas: Viliam Rátz (1882–1952). In: Evanjelická Bratislava, Bratislava (Slowakisch)
  • Anton Klipp: Der letzte deutsche evangelische Pfarrer zu Preßburg (120. Geburtstag und 50. Todestag von Pfarrer Wilhelm Rátz). In: Karpatenjahrbuch 2002, Stuttgart 2001, Jg. 53, ISBN 80-88903-24-6, Seite 215 ff
  • Andreas Metzl (und Mitarbeiter): Arbeiter in Gottes Weinberg; Lebensbilder deutscher evangelischer Pfarrer in und aus der Slowakei im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004. ISBN 80-88903-63-7, S. 214f

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Wilhelm Rátz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bikács (dt. Wiekatsch) ist eine kleine Ortschaft in Südungarn mit 381 Einwohnern (2023)
  2. Josef Rátz (* 25. November 1884 in Cservenka, Komitat Bács-Bodrog, Österreich-Ungarn, † 15. Oktober 1964 in Leutschau) als Organist war er ein herausragender Interpret der Werke Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels. Als Dirigent des Leutschauer Kirchenchors komponierte er auch mehrere Chorwerke anlässlich der Reformation. (zitiert nach 'Ein herausragender Lehrer, Organist und Komponist' in "Karpatenblatt, Magazin der Deutschen in der Slowakei", 23. August 2023)
  3. Nach Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 wurde die Organisation der ‚Ungarländischen Evangelischen Kirche A.B.‘ zerstört, eine Neuorganisation musste gefunden werden. Eine Reihe maßgebender evangelischer Slowaken, die gleichzeitig glühende slowakische Patrioten waren, wollten möglichst schnell neue Strukturen schaffen. Deshalb baten sie den damals maßgebenden „Minister mit Vollmacht für die Verwaltung der Slowakei“ Vavro Šrobár, die Neuorganisation von Staats wegen in die Hand zu nehmen. Dieser setzte durch die Verordnungen vom 30. Januar und 7. Februar 1919 die bisherige Autonomie außer Kraft, indem er die höheren Presbyterien und Kirchenkonvente auflöste, Bischöfe, Inspektoren und Senioren ihrer Ämter entsetzte, zwei Kirchendistrikte organisierte und einen Generalkirchenrat einsetzte, der nur aus Slowaken bestand. Dieser ernannte am 2. April 1919 die Distriktualkirchenräte, bischöfliche Amtsverweser und Inspektoren sowie die Senioren. (siehe auch Artikel Deutsche Evangelische Kirchengemeinde A. B. zu Preßburg)
  4. Die Slowaken haben sich von der Mutterkirche mit Hauptsitz in Budapest getrennt; siehe auch Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakei
  5. nach Andreas Metzl: Arbeiter in Weinberg Gottes, S. 214 (siehe Literatur)
  6. Der Kreuzkalender erschien ab 1921 als erster deutscher Buch-Kalender in der Slowakei (innerhalb der neu gegründeten Tschechoslowakei). Er ging auf die Initiative der drei deutschen Preßburger evangelischen Pfarrer Senior Carl Eugen Schmidt, D. Heinrich Pröhle und Wilhelm Rátz zurück, der auch die Schriftleitung des Kalenders übernahm. Der Kalender zerfiel in drei Teile: einen kalendarischen, einen redaktionellen mit Aufsätzen, Erzählungen und Gedichten und einen praktischen mit Hinweisen auf Märkte und sonstige Ereignisse in der Slowakei. Im Jahre 1939 wurde er in 'Gustav-Adollf-Kalender' umbenannt. Sein Erscheinen musste er nach dem Ende ds Zweiten Weltkrieges einstellen. Der Kreuzkalender gehörte zu der beliebtesten Lektüre der deutschen evangelischen Bevölkerung in der Slowakei in der Zwischenkriegszeit. (zit. nach Ruprecht Steinacker: Der Kreuzkalender in Karpatenjahrbuch 1996, Stuttgart 1995 Jg. 47)