William Forsythe (Tänzer)

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William Forsythe (2012)

William Forsythe (* 30. Dezember 1949 in New York) ist ein US-amerikanischer Tänzer und Choreograf. Während seiner Zeit als Ballettdirektor des Ballett Frankfurt (1984–2004)[1] und The Forsythe Company (2005–2015) etablierte er sich als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Choreografen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach seinem Tanzstudium an der Joffrey Ballet School und der Jacksonville University in Florida tanzte er ab 1971 für das Joffrey Ballet, 1973 verpflichtete ihn John Cranko für das Stuttgarter Ballett. Schon in Stuttgart fing er an zu choreografieren und wurde 1976 zum Haus-Choreografen ernannt. Bereits in der „Vor-Frankfurt-Zeit“ wurden seine Werke in München, Den Haag, London, Basel, Berlin, Frankfurt am Main, Paris, New York, San Francisco und beim Cantiere Internazionale d’Arte aufgeführt. Von 1981 an arbeitete er als freischaffender Choreograf. Mit seiner am klassischen Ballett orientierten, streng mathematischen, aber bildhaft-sinnlichen Tanzsprache zählt er zu den wichtigsten Vertretern der Ballettmoderne.

1984 übernahm er die Position des Ballettdirektors der Frankfurter Kompanie, die er in Ballett Frankfurt umbenannte. 1999 wurde Forsythe Intendant des Balletts und des TAT. Zum Ende der Spielzeit 2003/04 wurde das Ballettensemble aufgelöst. Danach gründete er die unabhängige Forsythe Company.

Von 2005 bis 2015 leitete er The Forsythe Company mit Spielorten in Frankfurt/Main und Dresden (v. a. Festspielhaus Hellerau). Zwischen 2015 und 2021 war er Professor of Practice in Dance an der University of Southern California und Berater des choreografischen Instituts an der 2012 gestifteten Fakultät USC Glorya Kaufman School of Dance.[2][3][4]

Der Choreograf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der spätere Stuttgarter Intendant Klaus Zehelein erkannte als Chefdramaturg an den Städtischen Bühnen Frankfurt (1977–1987) bei Forsythe das entwicklungsfähige Ausnahmetalent und leitete den Ruf nach Frankfurt ein. William Forsythe trat 1984 seine erste Spielzeit als Ballettdirektor an. Die zu Beginn der fünfziger und sechziger Jahre anhaltende Wandlung des Balletts vom klassischen zum neo-klassischen war an seine Grenzen gekommen. Auf der permanenten Suche nach Neuem gelang es Forsythe, diese Stagnation zu unterbrechen und eine Zäsur zu setzen. Das Vokabular des klassischen Balletts ergänzte Forsythe, indem er die Zuordnung des Körpers, alleine zum Zuschauer hin, aufhob und plötzlich für die Seitengasse oder gar das Rückportal tanzen ließ. War es bisher vor allem das Brustbein, das zum Zuschauer zeigen sollte, so waren es nun alle Gliedmaßen und alle Richtungen, die eine wesentlich Rolle zu spielen hatten.

Daraus ergab sich eine unendliche Bewegungs- und Raumvielfalt, die dem Balletttänzer so bis dahin fremd war. Befreit von Ablenkendem hat sich so das Ballett neu konstituiert. Viele Ballette von Forsythe enthalten nur spärliches Bühnenbild (z. B. Limb’s Theorem), wodurch dem Tänzer an sich nochmals mehr Bedeutung entgegengebracht wurde. Hat sich in den frühen sechziger Jahren Wieland Wagner um die Entstaubung der Darstellung in der Oper verdient gemacht, so war es Forsythe, der begann, im Ballett mit Konventionen zu brechen. Ausgeklügeltes Licht versetzte Tänzer in eine noch nie dagewesene Silhouette. Teils scherenschnittartig, seitlich teilausgeleuchtet oder auch mal mit Bühnenarbeitslicht, erschuf er eine noch nicht gekannte Wahrnehmung getanzter Körper. Der Bruch mit dem Abonnementspublikum, die kurze Egon-Madsen-Zeit (1981–1984), hielt sich mindestens drei Jahre mit sehr starken Unmutsäußerungen. In den alten Stuttgarter Produktionen, die noch aus der Madsen-Zeit in Frankfurt im Repertoire blieben, wurde William Forsythe das eine oder andere Mal sogar als Tänzer entdeckt.

Tanz-Dokumentation, Forschung und Lehre, Vorlass[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Zusammenarbeit mit Medien-Spezialisten und Pädagogen entwickelt Forsythe neue, innovative Ansätze der Tanz-Dokumentation, -Forschung und -Lehre. Seine CD-ROM «Improvisation Technologies: A Tool for the Analytical Dance Eye», die 1994 in Zusammenarbeit mit dem ZKM / Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe entwickelt wurde, wird weltweit in professionellen Kompanien, Tanzhochschulen, Universitäten, der Postgraduierten-Ausbildung von Architekten und in Schulen eingesetzt.

2009 wurde «Synchronous Objects for One Flat Thing, reproduced» vorgestellt, eine digitale, webbasierte Partitur, die zusammen mit der Ohio State University entwickelt wurde. Sie zeigt die Organisationsprinzipien der Choreografie und führt vor, wie sie auch im Rahmen anderer Disziplinen verwendet werden können. «Synchronous Objects» stellte das Pilotprojekt im Rahmen von Forsythes „Motion Bank“ dar, einer Forschungsplattform zur Erstellung und Erforschung digitaler Tanzpartituren in Zusammenarbeit mit Gastchoreografen.

2023 übergab Forsythe seinen Vorlass – ein Konvolut von 4000 Videobändern, dazu viele Audiotapes und vierzig laufende Regalmeter voller Unterlagen – dem Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe.[5]

Hauptwerke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Backwards von William Forsythe
102 Stadtmarkierungen, 950 Jahre Groningen (Lewenborg)

1976 : Urlicht

1982 : Gänge

1983 : France/Dance

1984 : Artifact

1986 : Isabelle's Dance

1986 : Die Befragung des Robert Scott †

1987 : New Sleep

1987 : In the Middle, Somewhat Elevated

1988 : Impressing The Czar

1989 : Enemy in the Figure

1990 : Limb’s Theorem

1990 : Slingerland

1991 : The Second Detail

1991 : The Loss of Small Detail

1992 : Herman Schmerman

1992 : A L I E / N A(C)TION

1993 : Quintett

1995 : Eidos:Telos

1996 : Duo

1996 : The Vertiginous Thrill of Exactitude

1996 : Approximate Sonata

1998 : Workwithinwork

1999 : Three Atmospheric Studies

1999 : Pas/Parts

2000 : One Flat Thing, reproduced

2000 : Kammer/Kammer

2002 : N.N.N.N.

2003 : Decreation

2005 : Human Writes

2007 : I don't believe in Outer Space

2008 : Yes, We Can't

2008 : The Defenders

2009 : The Returns

2011 : Sider

2012 : Study #3

2016 : Blake Works I

2018 : Playlist (Track 1,2)

2018 : A Quiet Evening of Dance

2019 : Playlist (EP)

2020 : The Barre Project (Blake Works II)

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gaby von Rauner (Hrsg.): William Forsythe – Tanz und Sprache. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 1993, ISBN 978-3-86099-108-4.
  • Agnes Noltenius: Forsythe Detail. Éditions Complexe, 2003, ISBN 2-87027-994-9 (163 S.).
  • Gerald Siegmund (Hrsg.): William Forsythe. Denken in Bewegung. Henschel-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-89487-472-4.
  • Christiane Berger: Körper denken in Bewegung: Zur Wahrnehmung tänzerischen Sinns bei William Forsythe und Saburo Teshigawara. transcript, Bielefeld 2006, ISBN 978-3-89942-554-3.
  • Wibke Hartewig: Kinästhetische Konfrontation: Lesarten der Bewegungstexte William Forsythes. epodium Verlag, München 2007, ISBN 978-3-9808231-8-0.
  • William Forsythe, Daniel Birnbaum, Markus Weisbeck: William Forsythe: Suspense. JRP Editions SA, 2008, ISBN 978-3-905829-75-4.
  • Steven Spier: William Forsythe and the Practice of Choreography: It Starts From Any Point. Taylor & Francis Ltd, London 2011, ISBN 978-0-415-97822-4.
  • Susanne Gaensheimer: William Forsythe: The Fact of Matter. Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin, 2016, ISBN 978-3-7356-0199-5.
  • Biliana Vassileva: L'improvisation chez William Forsythe: une approche singulière. Éditions universitaires européennes, 2017, ISBN 978-3-330-87226-4.
  • Eva Respini & Louise Neri: William Forsythe: Choreographic Objects. Prestel Verlag, München 2018, ISBN 978-3-7913-5796-6.
  • Kirsten Maar: Entwürfe und Gefüge: William Forsythes choreographische Arbeiten in ihren architektonischen Konstellationen. transcript, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-2377-2.
  • Alexander H. Schwan: Schrift im Raum: Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe. transcript, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8376-3814-1.
  • Elizabeth Waterhouse: Processing Choreography: Thinking with William Forsythe's Duo. transcript, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8376-5588-9.
  • Freya Vass: William Forsythe’s Postdramatic Dance Theater: Unsettling Perception (Cognitive Studies in Literature and Performance). Palgrave Macmillan, London 2023, ISBN 978-3-031-26657-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: William Forsythe (choreographer) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ballett Frankfurt. Städtische Bühnen Frankfurt am Main, abgerufen am 13. März 2019.
  2. William Forsythe. Biography. USC, Institute of Choreography, abgerufen am 29. Oktober 2019 (englisch).
  3. USC Choreographic Institute. USC Kaufman School of Dance, abgerufen am 24. April 2020 (englisch): „the USC Choreographic Institute is the research platform of the Glorya Kaufman School of Dance at the University of Southern California“
  4. A Patron With Passion in Los Angeles. In: The New York Times. 11. Januar 2013, abgerufen am 24. April 2020 (englisch, Gespräch mit der Mäzenin).
  5. Wiebke Hüster: ZKM in Karlsruhe: Choreograf William Forsythe übergibt sein Archiv. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 19. März 2023]).
  6. Deutscher Kulturrat. In: Stiftung Brandenburger Tor. Abgerufen am 13. April 2021 (deutsch).
  7. Deutscher Theaterpreis DER FAUST 2020 – Nominierungen und Preis für das Lebenswerk (Memento vom 24. September 2020 im Internet Archive). Artikel vom 24. September 2020, abgerufen am 5. März 2024.