„Polykonvexe Funktion“ – Versionsunterschied

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Version vom 6. Dezember 2015, 23:06 Uhr

Eine polykonvexe Funktion nach John M. Ball ist in der Mathematik eine Funktion des Deformationsgradienten, seines Kofaktors und seiner Determinante, die in allen drei Argumenten eine konvexe Funktion ist. In dieser Definition wurde ein dreidimensionaler Raum voraus gesetzt und dieser anschauliche und wichtige Fall wird auch im Folgenden betrachtet.

Ein reales hyperelastisches Material deformiert sich unter Krafteinwirkung so, dass seine Formänderungsenergie minimiert wird. Eine konvexe spezifische Formänderungsenergiefunktion widerspricht physikalischen Erfahrungen über Materialverhalten, weswegen Konvexität eine unhaltbare Forderung an die spezifische Formänderungsenergie ist. Die Polykonvexität vermeidet diesen Widerspruch und wenn die spezifische Formänderungsenergie eine polykonvexe, koerzitive Funktion der Deformation ist, dann garantiert das die Existenz einer die Formänderungsenergie minimierenden Deformation. Für isotrope Hyperelastizität liegen eine Reihe von spezifischen Formänderungsenergiefunktionen vor, die polykonvex und koerzitiv sind.

Für den Fall anisotroper Hyperelastizität stellte J. M. Ball die Frage: „Are there ways of verifying polyconvexity [. . .] for a useful class of anisotropic stored-energy functions?“ (zu Deutsch: „Gibt es Wege die Polykonvexität [. . .] für eine nützliche Klasse von anisotropen Formänderungsenergiefunktionen nachzuweisen?“)[L 1] Die Suche nach der Antwort auf diese Frage ist noch im einundzwanzigsten Jahrhundert Gegenstand reger Forschungsaktiviät.

Definition

Gegeben sei die Menge L(V,V) der Tensoren zweiter Stufe, die Vektoren aus dem dreidimensionalen euklidischen Vektorraum V linear aufeinander abbilden. Sei P die Menge der Tensoren mit positiver Determinante. Eine Funktion ist polykonvex, wenn es eine in jedem ihrer Argumente konvexe Funktion

gibt, für die gilt

Der Kofaktor eines Tensors mit positiver Determinante ist die transponierte Adjunkte: Das Superskript steht für die Transposition und -1 für die Inverse.

Anmerkungen:

  1. Die Summe zweier polykonvexer Funktionen ist wieder polykonvex.
  2. Der Deformationsgradient (übliches Formelzeichen F) ist ein Tensor zweiter Stufe mit positiver Determinante.
  3. Die konvexe Hülle der Menge P der Tensoren mit positiver Determinante ist die Menge L aller Tensoren.[F 1] Darauf aufbauend kann gezeigt werden, dass die Menge die konvexe Hülle der Menge ist.[L 2]

Hooke’sche, isotrope, lineare Elastizität

Die spezifische Formänderungsenergie im Hooke’schen Gesetz lautet bei Isotropie

Sie wird mit dem Green-Lagrange’schen Verzerrungstensor E gebildet und enthält nur zwei Materialparameter λ und μ, die die erste bzw. zweite Lamé-Konstante darstellen. Bei großen Deformationen ist diese spezifische Formänderungsenergie nicht polykonvex, was angesichts des physikalisch unsinnigen Verhaltens bei großen Deformationen nicht verwundert, siehe das Beispiel. Allerdings können in einer Funktion

die Parameter so angepasst werden, dass

polykonvex ist. Der Betrag eines Tensors ist hier seine Frobeniusnorm die mit dem Frobenius-Skalarprodukt „:“ zweier Tensoren A und B definiert ist:

Der Operator Sp bildet die Spur seines Argumentes, die Funktion ln ist der natürliche Logarithmus und das Landau Symbol steht für Werte, die x in mindestens dritter Ordnung enthalten und bei vernachlässigt werden können.

Mit einer beliebigen Wahl von x aus dem offenen Intervall ]0,1[ lauten die Parameter:

Mit diesen Parametern erfüllt die Funktion Ŵ auch die Koerzitivitätsbedingung[L 3]

Beispiele polykonvexer Funktionen

Determinante

Der Spezialfall

zeigt, dass die Determinante keine konvexe Funktion ist. Nichtsdestotrotz ist die Funktion polykonvex, weil W(x)=x eine konvexe Funktion von x ist und dem tut auch x=det(F) keinen Abbruch.

Betrag eines Tensors

Die Funktion ist polykonvex, weil das Betragsquadrat wegen

eine konvexe Funktion ist. Hier wurde ausgenutzt, dass in konvexen Funktionen gilt und hier[F 2]

einzusetzen ist. Als Konsequenz hieraus ist die Funktion

mit und einer konvexen Funktion polyconvex.[L 4]

Invarianten des rechten Cauchy-Green Tensors

Der rechte Cauchy-Green Tensor C=F·F bildet sich aus dem Deformationsgradienten F und besitzt die Hauptinvarianten

Die Hauptinvarianten des rechten Cauchy-Green Tensors geben die Maße der Linien-, Flächen- und Volumenelemente bei einer Deformation an und sind – wie gezeigt – polykonvexe Funktionen.

Ogden-Modell

Die Funktion

die mit den sämtlich positiven Eigenwerten des rechten Strecktensors gebildet wird, ist polykonvex, wenn die Koeffizienten ai und bj positiv sind, die Exponenten γi und δj größer oder gleich eins sind und k(x) für positive Argumente x eine konvexe Funktion ist. Die Konstante w ist so anzupassen, dass Ŵ(I) verschwindet. Dann genügt Ŵ auch der Koerzitivitätsbedingung

Die Funktion eines Tensors, beispielsweise seine Wurzel, berechnet sich mit der Hauptachsentransformation des Tensors, Bildung der Funktionswerte der Diagonalglieder und Rücktransformation. Mit dem rechten Strecktensor schreibt sich obige Funktion

Diese spezifische Formänderungsenergie definiert das Ogden-Modell.[L 5]

Neo-Hooke Modell mit Kompressibilität

Die spezifische Formänderungsenergie

ist polykonvex. Die Konstante w ist so anzupassen, dass Ŵ(I) verschwindet. Das Betragsquadrat des Deformationsgradienten ist – wie bereits oben ausgenutzt – die erste Hauptinvariante (Spur) des rechten Cauchy-Green Tensors.[L 6]

Mooney-Rivlin Modell mit Kompressibilität

Die spezifische Formänderungsenergie

ist polykonvex. Die Konstante w ist so anzupassen, dass Ŵ(I) verschwindet. Das Betragsquadrat des Deformationsgradienten und seines Kofaktors sind – wie bereits oben ausgenutzt – die erste und zweite Hauptinvariante des rechten Cauchy-Green Tensors.[L 7]

Beispiel

Ein homogener Zylinder mit Länge L, Querschnittsfläche A und Volumen V=AL aus einem hyperelastischen Material wird auf einachsialen Zug belastet. Wegen der Achsensymmetrie werden Zylinderkoordinaten R und Z benutzt. Der Zusammenhang zwischen den ursprünglichen Koordinaten eines materiellen Punktes (R, Z) und den aktuellen (r, z) lautet mit den Streckungen α in z-Richtung und β in radialer Richtung:

Die Arbeit der äußeren Kräfte ist das Produkt der Kraft F an der Stirnfläche des Zylinders bei Z=L multipliziert mit dem Weg u:

Die Kraft zählt hier immer in positiver z-Richtung, ist bei Druck also negativ. Der Deformationsgradient und der Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor ergeben sich zu

Die Matrizendarstellungen beziehen sich auf das Basissystem Beim Hooke’schen Gesetz lautet der Spannungstensor im einachsialen Zug

Die radiale Normalspannung verschwindet mit der Konsequenz

und die achsiale Normalspannung ergibt sich zu

Die Zusammenhänge zwischen den elastischen Konstanten λ, μ, ν und E kann bei den Lamé-Konstanten nachgeschlagen werden. Die Formänderungsarbeit ist das Volumenintegral über die im Volumen konstante spezifische Formänderungsenergie:

Kraft-Streckungs-Diagramm bei einem Zylinder aus linear elastischem Material

Im Gleichgewicht ist die Arbeit der äußeren Kraft gleich der Formänderungsenergie, siehe Bild:

Im Zugbereich I und im Druckbereich II findet sich zu jeder Kraft eine Streckung α, so dass das System im Gleichgewicht ist. Im Bereich III ist das System instabil: Bei einer Streckung in diesem Bereich würde der Stab (sein mathematisches Modell) auf null Länge kollabieren, was natürlich unphysikalisch ist.

Kraft-Streckungs-Diagramm bei einem Zylinder aus Neo-Hooke’schem Material

Im Neo–Hooke Modell lautet der erste Piola-Kirchhoff’sche Spannungstensor P und der Cauchy’sche Spannungstensor , wenn a=E und

Weil die radialen Spannungen verschwinden ergibt sich für die radiale Streckung β:

Der Parameter w in der Formänderungsenergie wird so angepasst, dass die Formänderungsenergie im undeformierten Ausgangszustand bei F=I verschwindet:

Die Formänderungsenergie berechnet sich damit zu:

\

und Gleichgewicht mit der Einzelkraft F erbringt, siehe Bild rechts:

Hier findet sich also zu jedem Kraftniveau eine dazugehörende Streckung und das Material ist in allen Bereichen stabil.

Fußnoten

  1. Um das zu zeigen, ist zunächst festzustellen, dass der negative Einheitstensor Element der konvexen Hülle ist, beispielsweise anhand von
    Weiterhin ist die Determinante des Tensors B:=λI+2A für einen beliebigen Tensor A ein Polynom dritten Grades in λ, weswegen ein positives λ so gefunden werden kann, dass det(B) > 0 ist und B dann auch in der konvexen Hülle liegt. Das gleiche gilt dann aber auch für den beliebig wählbarenTensor A:
  2. Die Fréchet-Ableitung einer skalaren Funktion nach einem Tensor ist der Tensor für den - sofern er existiert - gilt:
    Darin ist und ":" das Frobenius-Skalarprodukt. Dann wird auch
    geschrieben.

Einzelnachweise

  1. Paul Newton, Philip Holmes (Hrsg.): Geometry, Mechanics and Dynamics. Springer, 2002, ISBN 978-0-387-95518-6, S. 3–59 (Der Beitrag von J. M. Ball hat den Titel englisch Some open problems in elasticity Einige offene Probleme in der Elastizität).
  2. Ciarlet (1988), S. 162.
  3. Ciarlet (1988), S. 185ff.
  4. Ciarlet (1988), S. 176
  5. Ciarlet (1988), S. 181ff
  6. Ciarlet (1988), S. 189
  7. Ciarlet (1988), S. 189

Literatur

  • J. M. Ball: Convexity conditions and existence theorems in non-linear elasticity. In: Archive for Rational Mechanics and Analysis. Band 63, 1977, S. 337–403.
  • P. G. Ciarlet: Mathematical Elasticity - Volume I: Three-Dimensional Elasticity. North-Holland, 1988, ISBN 0-444-70259-8.