„Begrenzte Rationalität“ – Versionsunterschied

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'''Begrenzte Rationalität''' (englisch bounded rationality, auch eingeschränkte Rationalität) bezeichnet eine aus der [[Verhaltensökonomik]] und der [[Psychologie]] stammende Weiterentwicklung des Modells der [[Rationalität|vollständigen bzw. uneingeschränkten Rationalität.]]
'''Begrenzte Rationalität''' (oder '''eingeschränkte Rationalität''') bezeichnet in den Verhaltenswissenschaften einen Modus der Handlungsentscheidung (und damit im übertragenen Sinn auch eine Eigenschaft der aus einer solchen Entscheidung folgenden Handlung), der einerseits abgegrenzt wird von ''unbeschränkter [[Rationalität]]'' und ''Optimierung unter Nebenbedingungen'', andererseits aber auch von ''Irrationalität''. Der Begriff hat große Bedeutung im Rahmen des [[Paradigma]]s der [[Neue Institutionenökonomie|Neuen Institutionenökonomie]].


Rationalität wird in den [[Wirtschaftswissenschaft|Wirtschaftswissenschaften]] häufig als Grundannahme verwendet, um sowohl das Denken, Verhalten und Handeln von [[Wirtschaftseinheit|Wirtschaftssubjekten]] zu erklären, als auch die [[Formalisierung]] von vereinfachenden Modellen und [[Theorie|Theorien]] zu ermöglichen.<ref name=":0">{{Literatur|Autor=Hanno Beck|Titel=Behavioral Economics - Springer|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=|Seiten=1|ISBN=|DOI=10.1007/978-3-658-03367-5|Online=http://link.springer.com/10.1007/978-3-658-03367-5|Abruf=2017-05-02}}</ref> Vollständige bzw. uneingeschränkte Rationalität erfordert unbegrenzte kognitive Fähigkeiten, womit alle mathematischen Probleme und Informationen in einem Bruchteil einer Sekunde und ohne Kosten verarbeitet werden können. In einem Entscheidungsproblem ist Verhalten dann rational, wenn eine Handlungsalternative gewählt wird, die den größten Nutzen für das entscheidende Individuum erbringt.<ref>{{Literatur|Autor=Reinhard Selten|Titel=What is Bounded Rationality?|Hrsg=Universität Bonn|Sammelwerk=Discussion Paper Serie B|Band=|Nummer=B-454|Auflage=|Verlag=|Ort=Bonn|Datum=1999-05|Seiten=3|ISBN=}}</ref>
Wenn sich Entscheidungsträger rational unter Abwägung aller Informationen verhalten wollen, jedoch ihrer [[Rationalität]] durch [[Information]]sbeschaffungskosten, [[Unsicherheit]] und [[Ungewissheit]] Grenzen gesetzt sind, liegt Optimierung unter Nebenbedingungen, also ''rationales Verhalten'' vor.


Begrenzt rationales Verhalten beschreibt auf der einen Seite eine Absicht der [[Nutzenmaximierung]] eines handelnden Individuums unter bestimmten Einschränkungen. Diese bestehen aus begrenzten kognitiven Fähigkeiten und Rückgriff auf [[Heuristik|Heuristiken]].<ref name=":1">{{Literatur|Autor=Herbert A. Simon|Titel=Theories of Decision-Making in Economics and Behavioral Science|Hrsg=|Sammelwerk=The American Economics Review|Band=49|Nummer=3|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=1959-01-01|Seiten=253-283|ISBN=}}</ref><ref name=":2">{{Literatur|Autor=Justus Haucap|Titel=Eingeschränkte Rationalität in der Wettbewerbsökonomie|Hrsg=Düsseldorf Institute for Competition Economics|Sammelwerk=DICE Ordnungspolitische Perspektiven|Band=08|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=Düsseldorf|Datum=2010|Seiten=2|ISBN=}}</ref> Auf der anderen Seite ist Verhalten auch dann eingeschränkt rational, wenn ein Individuum abwägen muss, wann die [[Informationskosten|Kosten zusätzlicher Informationsbeschaffung]] in einer Entscheidungssituation den Nutzen dieser hinzugewonnenen Information übersteigen und es somit eine [[Entscheidung unter Ungewissheit]] treffen muss.<ref name=":1" /> Das Individuum sucht dann so lange nach Handlungsalternativen, bis eine davon ein gewünschtes Nutzenniveau erreicht [[Satisficing|(Satisficing)]] unabhänig davon, ob es noch weitere Handlungsalternativen gäbe, die einen höheren Nutzen erzielen würden.<ref name=":1" /> 
Als ''irrational'' bezeichnet man z. B. eine Entscheidung, wenn eine Person, ohne darüber nachzudenken und ohne jede vernünftige Entscheidungsgrundlage zu kennen und zu bewerten, dennoch mit Sicherheit das Optimum zu kennen meint. ''Irrational'' ist es auch, wenn man eine Präferenz für ein Gut ''A'' gegenüber einem Gut ''B'' hat, eine Präferenz für Gut ''B'' gegenüber Gut ''C'', aber dennoch eine Präferenz von Gut ''C'' gegenüber Gut ''A''.


Abzugrenzen ist begrenzte Rationalität von dem Begriff der [[Irrationalität]]. Irrationalität bezeichnet einen bewussten Verstoß gegen die Vernunft. Im ökonomischen Kontext kann irrationales Verhalten beispielsweise bedeuten, dass man eine nutzenstiftende Handlung B einer anderen Handlung A vorzieht, obwohl A mehr Nutzen erbringen würde, also A > B gelten würde (Arnswald, Schütt, S.5).<ref>{{Literatur|Autor=Ulrich Arnswald|Titel=Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften|Hrsg=Hans-Peter Schütt|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=VS Verlag|Ort=|Datum=2011|Seiten=|ISBN=978-3-531-18269-8}}</ref> 
''Eingeschränkt rationales'' Verhalten kann z. B. entstehen, wenn Akteure kognitiven Beschränkungen ausgesetzt sind. Selbst wenn sie ihren Nutzen maximieren möchten, können sie es nicht. Stattdessen wägen sie zwischen den Kosten für weitere Optimierungsbemühungen und dem daraus vermutlich resultierenden zusätzlichen Nutzen ab. In einem solchen Fall kann nicht mehr von reiner Nutzenmaximierung ausgegangen werden. Vielmehr ist der Nutzen eine Nebenbedingung, die zu einem gewissen Grad erreicht werden soll. So bezeichnet [[Herbert A. Simon]] ein Verhalten als ''beschränkt rational'', wenn die Suche nach Alternativen beendet wird, wenn eine Lösung gefunden ist, mit der der Entscheider zufrieden ist ([[Satisficing|satisficing]]), ungeachtet dessen, dass es eine noch bessere Option geben könnte. Da die Suche nach einem Maximum aufgegeben wird, ist ''beschränkte Rationalität'' von der "maximierenden" Rationalitätsauffassung zu unterscheiden.

Als ''eingeschränkte Rationalität'' gilt es auch, wenn Entscheidungen mithilfe der Verwendung einfacher und schneller [[Heuristik]]en getroffen werden, die nicht alle Informationen verwenden, die zur Verfügung stehen. Dennoch können auf diese Weise unter Umständen hervorragende Ergebnisse erzielt werden.


== Geschichte ==
== Geschichte ==
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Für ihre Forschungen dazu, welche Formen eingeschränkter Rationalität unter welchen Bedingungen zu erwarten sind, haben [[Daniel Kahneman]] und [[Vernon L. Smith]] im Jahre [[2002]] den [[Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften|Wirtschaftsnobelpreis]] erhalten (ihr langjähriger Kollege [[Amos Tversky]] war zum Zeitpunkt der Verleihung verstorben und wurde daher nicht ebenso geehrt).
Für ihre Forschungen dazu, welche Formen eingeschränkter Rationalität unter welchen Bedingungen zu erwarten sind, haben [[Daniel Kahneman]] und [[Vernon L. Smith]] im Jahre [[2002]] den [[Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften|Wirtschaftsnobelpreis]] erhalten (ihr langjähriger Kollege [[Amos Tversky]] war zum Zeitpunkt der Verleihung verstorben und wurde daher nicht ebenso geehrt).


== Entstehung ==
== Wiedererkennungsheuristik (Recognition Heuristic) ==
Herbert Simon beschrieb 1959, dass die Theorie des vollständig rationalen Verhaltens im Bezug auf die Realität häufig an ihre Grenzen stößt. Um menschliches Verhalten in einer sich ständig ändernden Umgebung vorauszusagen, müsse man nicht nur wissen, was die Ziele eines Individuums sind (Nutzenmaximierung), sondern auch, wie das Individuum sein Verhalten an die dynamische Umgebung anpasst. Verschiedene Experimente zeigten, dass sich Individuen in einfachen Situationen zwar rational verhalten, dies jedoch mit zunehmender Komplexität der Entscheidungssituation nicht mehr tun. Er führte diese Ergebnisse auf begrenzte kognitive Fähigkeiten und Rückgriff auf Heuristiken zurück.<ref name=":1" />

Im Bezug auf [[Unternehmen]] erkannte Simon, dass diese nicht immer versuchen würden, ihren [[Gewinnmaximierung|Gewinn zu maximieren]], so wie es rationales Verhalten jedoch unterstellen würde. Es sei nicht klar, ob sie versuchen, ihren Gewinn lang- oder kurzfristig zu maximieren. Ebenso könnten Unternehmen beispielsweise auch versuchen, nicht-monetären Gewinn wie z.B. Prestige zu maximieren. Außerdem, so Simon, könnte es sein, dass Unternehmen nur einen Gewinn erzielen wollen, der zufriedenstellend (Satisficing), gleichzeitig aber nicht der höchstmögliche ist.<ref name=":1" /> In einer Studie zeigte sich, dass Unternehmen mit fallenden [[Marktanteil|Marktanteilen]] ein höheres Interesse an wachsenden Umsatzzahlen zeigten als Unternehmen, deren Marktanteil konstant oder sogar gestiegen war. Eine Möglichkeit, den Absatz eines Produktes zu erhöhen, ist die Senkung seines Preises, was einen niedrigeren Gewinn pro verkauftem Stück zur Folge hätte.<ref>{{Literatur|Autor=R.M. Cyert, J.G. March|Titel=Organizational Structure and Pricing Behavior in an Oligopolistic Market|Hrsg=|Sammelwerk=The American Economic Review|Band=45|Nummer=1|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=1955-01-01|Seiten=129–139|ISBN=|JSTOR=1811586}}</ref>

== Ursachen ==

=== Kognitive Beschränkungen und Heuristiken ===
Aufgrund von kognitiven Beschränkungen, die das Lösen von mathematischen Problemen sowie schnelle [[Kognition|Informationsverarbeitung]] und –aufnahme erschweren, greifen Menschen auf sogenannte (Urteils-)Heuristiken zurück. Heuristiken sind einfache Problemlösungsmechanismen oder auch mentale Abkürzungen, die häufig auf einfachen Regeln basieren.<ref name=":0" /> Im Prinzip sind Heuristiken sogar ökonomisch vorteilhaft, sofern sie zu rationalen Entscheidungen führen, da sie weniger Zeit und mentale Anstrengung kosten. Allerdings können diese Heuristiken auch zu [[Antworttendenz|Verzerrungen]] des Urteils in einer Entscheidungssituation führen (sog. [[Bias|Biasses]]) und somit auch zu Fehlentscheidungen und -einschätzungen.<ref name=":0" /> Somit ist eine Handlung, die nicht nutzenmaximierend ist und mittels einer Heuristik gewählt wurde, beschränkt rational, da bei der Wahl entweder nicht jede verfügbare Information beachtet (mentale Abkürzung) oder nicht beschafft wurde. In beiden Fällen liegt unvollständige Information vor und man spricht in diesem Fall von einer Entscheidung unter Unsicherheit oder Risiko. 

==== Heuristiken ====

===== Wiedererkennungsheuristik (Recognition Heuristic) =====
{{Hauptartikel|Rekognitionsheuristik}}
{{Hauptartikel|Rekognitionsheuristik}}


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Oft sind wahre Werte des Kriteriums nicht zugänglich, sodass man sich auf einen Mediator verlassen muss. Bei der Höhe der Forschungsgelder einer Universität wäre die Anzahl der Publikationen pro Jahr ein Mediator. Ein Mediator muss mit dem Kriterium positiv korrelieren, damit er Schlüsse auf den Wert des Kriteriums zulässt. Außerdem muss der Mediator mit der Wiedererkennung korrelieren.
Oft sind wahre Werte des Kriteriums nicht zugänglich, sodass man sich auf einen Mediator verlassen muss. Bei der Höhe der Forschungsgelder einer Universität wäre die Anzahl der Publikationen pro Jahr ein Mediator. Ein Mediator muss mit dem Kriterium positiv korrelieren, damit er Schlüsse auf den Wert des Kriteriums zulässt. Außerdem muss der Mediator mit der Wiedererkennung korrelieren.
Dieses Modell der ökologischen Rationalität wird im unten aufgeführten Artikel von Goldstein und Gigerenzer genauer beschrieben.
Dieses Modell der ökologischen Rationalität wird im unten aufgeführten Artikel von Goldstein und Gigerenzer genauer beschrieben.

==== Satisficing ====
{{Hauptartikel|Satisficing}}
In der [[Klassische Nationalökonomie|klassischen ökonomischen Theorie]] ist das Ziel einer jeden Handlung die Maximierung des Nutzens, der aus ihr entsteht. Die Psychologie hingegen sagt aus, dass die [[Motivation]] zu Handeln aus einem Drang (englisch ''drive'') heraus entsteht. Findet ein Individuum eine Handlung, die diesen Drang befriedigt, wird das Suchen nach weiteren Handlungsalternativen beendet. In einer Entscheidungssituation sind häufig nicht alle Handlungsalternativen und ihre Konsequenzen gegeben, sondern müssen zunächst mit Hilfe von Informationen ausgearbeitet und berechnet werden.<ref name=":1" />

== Eingeschränkte Rationalität in der Wettbewerbspolitik ==
Eine [[Wettbewerbsbehörde]] wird in jedem Wettbewerbsverfahren mit der Frage konfrontiert, wie viel Information notwendig ist, um eine möglichst [[Wirtschaftlichkeit|effiziente]] und marktkorrigierende Entscheidung zu treffen. Dabei fallen Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungskosten an ([[Transaktionskosten]]). [[Wettbewerbspolitik]] soll effizient gestaltet werden, d.h. erwartete [[Wohlfahrtsverlust|Wohlfahrtsverluste]] einer Regel und Transaktionskosten des Verfahrens sollen minimiert werden. Ein per-se-Verbot würde demnach effizient sein, da es mit geringeren Transaktionskosten verbunden ist als eine Einzelfallbetrachtung. Jedoch wären per-se-Verbote in einigen Fällen ineffizient, wie zum Beispiel bei einem [[Bündelangebot|Bündelproduktangebot]] eines [[Marktbeherrschende Stellung|marktbeherrschenden Unternehmens]]. Eine schrittweise Ermittlungspraxis bietet sich in Wettbewerbsverfahren an, bei der beispielsweise zunächst einfach zu beschaffende Informationen, wie Marktanteilswerte, betrachtet werden. Ist noch kein sicheres und effizientes Urteil möglich, werden in den weiteren Schritten Informationen, deren Beschaffungs- und Verarbeitungskosten höher sind, für den Entscheidungsprozess herangezogen.<ref name=":2" /> In diesem Fall würde begrenzte Rationalität vorliegen, da aufgrund von Informationskosten nicht jede Information beschafft und berücksichtigt wird, dennoch aber eine möglichst rationale Handlung (das Aufstellen einer optimalen Regel) vollzogen werden soll.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Version vom 2. Mai 2017, 22:51 Uhr

Begrenzte Rationalität (englisch bounded rationality, auch eingeschränkte Rationalität) bezeichnet eine aus der Verhaltensökonomik und der Psychologie stammende Weiterentwicklung des Modells der vollständigen bzw. uneingeschränkten Rationalität.

Rationalität wird in den Wirtschaftswissenschaften häufig als Grundannahme verwendet, um sowohl das Denken, Verhalten und Handeln von Wirtschaftssubjekten zu erklären, als auch die Formalisierung von vereinfachenden Modellen und Theorien zu ermöglichen.[1] Vollständige bzw. uneingeschränkte Rationalität erfordert unbegrenzte kognitive Fähigkeiten, womit alle mathematischen Probleme und Informationen in einem Bruchteil einer Sekunde und ohne Kosten verarbeitet werden können. In einem Entscheidungsproblem ist Verhalten dann rational, wenn eine Handlungsalternative gewählt wird, die den größten Nutzen für das entscheidende Individuum erbringt.[2]

Begrenzt rationales Verhalten beschreibt auf der einen Seite eine Absicht der Nutzenmaximierung eines handelnden Individuums unter bestimmten Einschränkungen. Diese bestehen aus begrenzten kognitiven Fähigkeiten und Rückgriff auf Heuristiken.[3][4] Auf der anderen Seite ist Verhalten auch dann eingeschränkt rational, wenn ein Individuum abwägen muss, wann die Kosten zusätzlicher Informationsbeschaffung in einer Entscheidungssituation den Nutzen dieser hinzugewonnenen Information übersteigen und es somit eine Entscheidung unter Ungewissheit treffen muss.[3] Das Individuum sucht dann so lange nach Handlungsalternativen, bis eine davon ein gewünschtes Nutzenniveau erreicht (Satisficing) unabhänig davon, ob es noch weitere Handlungsalternativen gäbe, die einen höheren Nutzen erzielen würden.[3] 

Abzugrenzen ist begrenzte Rationalität von dem Begriff der Irrationalität. Irrationalität bezeichnet einen bewussten Verstoß gegen die Vernunft. Im ökonomischen Kontext kann irrationales Verhalten beispielsweise bedeuten, dass man eine nutzenstiftende Handlung B einer anderen Handlung A vorzieht, obwohl A mehr Nutzen erbringen würde, also A > B gelten würde (Arnswald, Schütt, S.5).[5] 

Geschichte

Eingeschränkte Rationalität ist ein durch den US-amerikanischen Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon[6] 1955/56 als bounded rationality eingeführter Begriff für einen bestimmten Modus der Entscheidungsfindung (Entscheidungstheorie).

Für ihre Forschungen dazu, welche Formen eingeschränkter Rationalität unter welchen Bedingungen zu erwarten sind, haben Daniel Kahneman und Vernon L. Smith im Jahre 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten (ihr langjähriger Kollege Amos Tversky war zum Zeitpunkt der Verleihung verstorben und wurde daher nicht ebenso geehrt).

Entstehung

Herbert Simon beschrieb 1959, dass die Theorie des vollständig rationalen Verhaltens im Bezug auf die Realität häufig an ihre Grenzen stößt. Um menschliches Verhalten in einer sich ständig ändernden Umgebung vorauszusagen, müsse man nicht nur wissen, was die Ziele eines Individuums sind (Nutzenmaximierung), sondern auch, wie das Individuum sein Verhalten an die dynamische Umgebung anpasst. Verschiedene Experimente zeigten, dass sich Individuen in einfachen Situationen zwar rational verhalten, dies jedoch mit zunehmender Komplexität der Entscheidungssituation nicht mehr tun. Er führte diese Ergebnisse auf begrenzte kognitive Fähigkeiten und Rückgriff auf Heuristiken zurück.[3]

Im Bezug auf Unternehmen erkannte Simon, dass diese nicht immer versuchen würden, ihren Gewinn zu maximieren, so wie es rationales Verhalten jedoch unterstellen würde. Es sei nicht klar, ob sie versuchen, ihren Gewinn lang- oder kurzfristig zu maximieren. Ebenso könnten Unternehmen beispielsweise auch versuchen, nicht-monetären Gewinn wie z.B. Prestige zu maximieren. Außerdem, so Simon, könnte es sein, dass Unternehmen nur einen Gewinn erzielen wollen, der zufriedenstellend (Satisficing), gleichzeitig aber nicht der höchstmögliche ist.[3] In einer Studie zeigte sich, dass Unternehmen mit fallenden Marktanteilen ein höheres Interesse an wachsenden Umsatzzahlen zeigten als Unternehmen, deren Marktanteil konstant oder sogar gestiegen war. Eine Möglichkeit, den Absatz eines Produktes zu erhöhen, ist die Senkung seines Preises, was einen niedrigeren Gewinn pro verkauftem Stück zur Folge hätte.[7]

Ursachen

Kognitive Beschränkungen und Heuristiken

Aufgrund von kognitiven Beschränkungen, die das Lösen von mathematischen Problemen sowie schnelle Informationsverarbeitung und –aufnahme erschweren, greifen Menschen auf sogenannte (Urteils-)Heuristiken zurück. Heuristiken sind einfache Problemlösungsmechanismen oder auch mentale Abkürzungen, die häufig auf einfachen Regeln basieren.[1] Im Prinzip sind Heuristiken sogar ökonomisch vorteilhaft, sofern sie zu rationalen Entscheidungen führen, da sie weniger Zeit und mentale Anstrengung kosten. Allerdings können diese Heuristiken auch zu Verzerrungen des Urteils in einer Entscheidungssituation führen (sog. Biasses) und somit auch zu Fehlentscheidungen und -einschätzungen.[1] Somit ist eine Handlung, die nicht nutzenmaximierend ist und mittels einer Heuristik gewählt wurde, beschränkt rational, da bei der Wahl entweder nicht jede verfügbare Information beachtet (mentale Abkürzung) oder nicht beschafft wurde. In beiden Fällen liegt unvollständige Information vor und man spricht in diesem Fall von einer Entscheidung unter Unsicherheit oder Risiko. 

Heuristiken

Wiedererkennungsheuristik (Recognition Heuristic)

Die Rekognitions- oder Wiedererkennungsheuristik ist ein Modell der Urteils- und Entscheidungsfindung bei Mangel an Informationen. Sie besagt, dass, wenn ein Objekt bekannt ist und ein anderes nicht und wenn die Bekanntheit mit dem gesuchten Kriterium positiv korreliert, das bekannte Objekt einen höheren Wert hinsichtlich des Kriteriums aufweist.

Beispiel: Welche Stadt ist größer: Berlin oder Bitterfeld?

In der Regel kennt man Berlin und nicht die andere Stadt. Die Bekanntheit der Stadt ist mit ihrer Größe positiv korreliert, sodass man die Wiedererkennungsheuristik anwenden kann.

Oft sind wahre Werte des Kriteriums nicht zugänglich, sodass man sich auf einen Mediator verlassen muss. Bei der Höhe der Forschungsgelder einer Universität wäre die Anzahl der Publikationen pro Jahr ein Mediator. Ein Mediator muss mit dem Kriterium positiv korrelieren, damit er Schlüsse auf den Wert des Kriteriums zulässt. Außerdem muss der Mediator mit der Wiedererkennung korrelieren. Dieses Modell der ökologischen Rationalität wird im unten aufgeführten Artikel von Goldstein und Gigerenzer genauer beschrieben.

Satisficing

In der klassischen ökonomischen Theorie ist das Ziel einer jeden Handlung die Maximierung des Nutzens, der aus ihr entsteht. Die Psychologie hingegen sagt aus, dass die Motivation zu Handeln aus einem Drang (englisch drive) heraus entsteht. Findet ein Individuum eine Handlung, die diesen Drang befriedigt, wird das Suchen nach weiteren Handlungsalternativen beendet. In einer Entscheidungssituation sind häufig nicht alle Handlungsalternativen und ihre Konsequenzen gegeben, sondern müssen zunächst mit Hilfe von Informationen ausgearbeitet und berechnet werden.[3]

Eingeschränkte Rationalität in der Wettbewerbspolitik

Eine Wettbewerbsbehörde wird in jedem Wettbewerbsverfahren mit der Frage konfrontiert, wie viel Information notwendig ist, um eine möglichst effiziente und marktkorrigierende Entscheidung zu treffen. Dabei fallen Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungskosten an (Transaktionskosten). Wettbewerbspolitik soll effizient gestaltet werden, d.h. erwartete Wohlfahrtsverluste einer Regel und Transaktionskosten des Verfahrens sollen minimiert werden. Ein per-se-Verbot würde demnach effizient sein, da es mit geringeren Transaktionskosten verbunden ist als eine Einzelfallbetrachtung. Jedoch wären per-se-Verbote in einigen Fällen ineffizient, wie zum Beispiel bei einem Bündelproduktangebot eines marktbeherrschenden Unternehmens. Eine schrittweise Ermittlungspraxis bietet sich in Wettbewerbsverfahren an, bei der beispielsweise zunächst einfach zu beschaffende Informationen, wie Marktanteilswerte, betrachtet werden. Ist noch kein sicheres und effizientes Urteil möglich, werden in den weiteren Schritten Informationen, deren Beschaffungs- und Verarbeitungskosten höher sind, für den Entscheidungsprozess herangezogen.[4] In diesem Fall würde begrenzte Rationalität vorliegen, da aufgrund von Informationskosten nicht jede Information beschafft und berücksichtigt wird, dennoch aber eine möglichst rationale Handlung (das Aufstellen einer optimalen Regel) vollzogen werden soll.

Siehe auch

Literatur

  • Herbert A. Simon: Theories of decision making in economics and behavioural science. In: American Economic Review. Vol. 49, No. 3, 1959, S. 253–283.
  • Gerd Gigerenzer, Peter M. Todd & The ABC Research Group (Hrsg.): Simple heuristics that make us smart. New York: Oxford University Press, New York 1999, ISBN 0195143817.
  • Gerd Gigerenzer & Reinhard Selten (Hrsg.): Bounded Rationality: The Adaptive Toolbox. MIT Press, Cambridge/London 2001, ISBN 0262571641.
  • Daniel G. Goldstein & Gerd Gigerenzer: Models of ecological rationality: The recognition heuristic. In: Psychological Review. 109, 2002, S. 75–90 (PDF).

Weblinks

Fußnoten

  1. a b c Hanno Beck: Behavioral Economics - Springer. S. 1, doi:10.1007/978-3-658-03367-5 (springer.com [abgerufen am 2. Mai 2017]).
  2. Reinhard Selten: What is Bounded Rationality? In: Universität Bonn (Hrsg.): Discussion Paper Serie B. B-454. Bonn Mai 1999, S. 3.
  3. a b c d e f Herbert A. Simon: Theories of Decision-Making in Economics and Behavioral Science. In: The American Economics Review. Band 49, Nr. 3, 1. Januar 1959, S. 253–283.
  4. a b Justus Haucap: Eingeschränkte Rationalität in der Wettbewerbsökonomie. In: Düsseldorf Institute for Competition Economics (Hrsg.): DICE Ordnungspolitische Perspektiven. Band 08. Düsseldorf 2010, S. 2.
  5. Ulrich Arnswald: Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften. Hrsg.: Hans-Peter Schütt. VS Verlag, 2011, ISBN 978-3-531-18269-8.
  6. Andrew M. Colman: Dictionary of Psychology. Oxford University Press, 2001
  7. R.M. Cyert, J.G. March: Organizational Structure and Pricing Behavior in an Oligopolistic Market. In: The American Economic Review. Band 45, Nr. 1, 1. Januar 1955, S. 129–139, JSTOR:1811586.