„Johanna Catharina Höhn“ – Versionsunterschied

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Kontroverse ab 1990er
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=== Schwangerschaft und Kindsmord ===
=== Schwangerschaft und Kindsmord ===
1782 wurde Johanna Höhn schwanger, über die Umstände und den Vater ist nichts bekannt. Anscheinend verdrängte sie ihre Schwangerschaft und bereitete sich nicht auf die Geburt und das Kind vor.<ref name=":1" /> Allerdings zeigte sie ihren Schwangerschaftsbauch eine Woche vor der Geburt ihrer Dienstherrin, die aber auch kein Vorkehrungen traf.<ref name=":2">Urteil des Jenaer Schöppenstuhls vom 25. September 1783. Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 98-101.</ref> Da das Verheimlichen einer Schwangerschaft unter Strafe stand, war dies durchaus relevant.<ref>Wahl 2004, S. 11-12.</ref>
1782 wurde Johanna Höhn schwanger, über die Umstände und den Vater ist nichts bekannt. Anscheinend verdrängte sie ihre Schwangerschaft und bereitete sich nicht auf die Geburt und das Kind vor.<ref name=":1" /> Allerdings zeigte sie ihren Schwangerschaftsbauch eine Woche vor der Geburt ihrer Dienstherrin, die aber auch kein Vorkehrungen traf.<ref name=":2">Urteil des Jenaer Schöppenstuhls vom 25. September 1783. Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 98-101.</ref> Da das Verheimlichen einer Schwangerschaft unter Strafe stand, war dies relevant.<ref>Wahl 2004, S. 11-12.</ref>


Nach acht Monaten Schwangerschaft Höhn gebar am 11. April 1783 um die Mittagszeit das Baby in ihrer Kammer. Sie war allein. Sie nabelte es erst nach einer Viertelstunde ab, stach das Kind dreimal mit einem Messer in den Hals und begrub es im Stroh ihres Bettes. Stunden später wurde die Hebamme geholt - wohl von der Dienstfrau und ihrer Schwester -, der Höhn auf Nachfrage zeigte, wo das tote Kind verborgen war.<ref name=":2" /> Höhn wurde inhaftiert und das Weimarer Justizamt untersuchte den Fall.
Nach acht Monaten Schwangerschaft gebar Höhn am 11. April 1783 um die Mittagszeit das Baby in ihrer Kammer. Sie war allein. Sie nabelte es erst nach einer Viertelstunde ab, stach das Kind dreimal mit einem Messer in den Hals und begrub es im Stroh ihres Bettes. Stunden später wurde die Hebamme geholt - wohl von der Dienstfrau und ihrer Schwester -, der Höhn auf Nachfrage zeigte, wo das tote Kind verborgen war.<ref name=":2" /> Höhn wurde inhaftiert und das Weimarer Justizamt untersuchte den Fall.


=== Frühere Kindsmordsfälle im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und Reformdebatte ===
=== Frühere Kindsmordsfälle im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und Reformdebatte ===
Beim weiteren Verfahren verknüpften sich der konkrete Fall mit der damaligen Reformdebatte um die Strafen für uneheliche Geburten und Kindsmorde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts galt noch immer die [[Constitutio Criminalis Carolina|Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.]] aus dem Jahr 1532, wonach Kindsmörderinnen lebendig begraben, gepfählt oder ertränkt werden sollten.<ref>Wahl 2004, S. 11.</ref> Zum Zeitpunkt des Falls Höhn lag die letzte Hinrichtung einer Kindsmörderin in Weimar zwei Jahrzehnte zurück (1753 Maria Gertraude Schmidtin).<ref>Wahl 2004, S. 12.</ref> 1774/75, noch während der Regentschaft von Herzogin Anna Amalia, war das Todesurteil einer Kindsmörderin in eine Zuchthausstrafe abgeändert worden (Fall Catharina Elisabetha Warzin).<ref>Wahl 2004, S. 13.</ref>
Beim weiteren Verfahren verknüpften sich der konkrete Fall mit der damaligen Reformdebatte um die Strafen für uneheliche Geburten ([[Kirchenbuße]]) und Kindsmorde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts galt noch immer die [[Constitutio Criminalis Carolina|Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.]] aus dem Jahr 1532, wonach Kindsmörderinnen lebendig begraben, gepfählt oder ertränkt werden sollten.<ref>Wahl 2004, S. 11.</ref> Zum Zeitpunkt des Falls Höhn lag die letzte Hinrichtung einer Kindsmörderin in Weimar zwei Jahrzehnte zurück (1753 Maria Gertraude Schmidtin).<ref>Wahl 2004, S. 12.</ref> 1774/75, noch während der Regentschaft von Herzogin [[Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel|Anna Amalia]], war das Todesurteil einer Kindsmörderin in eine Zuchthausstrafe abgeändert worden (Fall Catharina Elisabetha Warzin).<ref>Wahl 2004, S. 13.</ref>


Generell wurde die Reform der Strafgesetze für Kindesmörderinnen in der damaligen Zeit lebhaft diskutiert. 1780 wurde die Preisfrage "Welches sind die besten ausführbaren Mittel dem Kindermord Einhalt zu thun?" ausgeschrieben, auf die etwa 400 Aufsätze eingereicht und etliche außerhalb des Preisausschreibens veröffentlicht wurden. Dazu gehörte auch ein 1781 anonym veröffentlichter Beitrag von [[Christian Gottlob von Voigt|Christian Gottlob Voigt]] (1743-1819) aus Weimar. Voigt war zur ersten Fassung des Aufsatzes durch den den am 11. Februar 1781 von [[Dorothea Altwein]] in Weimar verübten Kindsmord veranlasst worden. Noch vor dem Abdruck bekam Goethe diesen Aufsatz zur Kenntnis.<ref>Wahl 2004, S. 21-25.</ref>
Generell wurde die Reform der Strafgesetze für Kindesmörderinnen in der damaligen Zeit in den Ländern des Deutschen Reichs lebhaft diskutiert. 1780 wurde die Preisfrage "Welches sind die besten ausführbaren Mittel dem Kindermord Einhalt zu thun?" ausgeschrieben, für die etwa 400 Aufsätze eingereicht und etliche außerhalb des Preisausschreibens veröffentlicht wurden. Dazu gehörte auch ein 1781 anonym veröffentlichter Beitrag von [[Christian Gottlob von Voigt|Christian Gottlob Voigt]] (1743-1819) aus Weimar. Voigt war zur ersten Fassung des Aufsatzes durch den den am 11. Februar 1781 von [[Dorothea Altwein]] in Weimar verübten Kindsmord veranlasst worden. Noch vor dem Abdruck bekam Goethe diesen Aufsatz zur Kenntnis.<ref>Wahl 2004, S. 21-25.</ref>


Der von Dorothea Altwein verübte Kindsmord war der Auslöser für einen ersten Reformversuch von Herzog Carl August. Altwein wurde zum Tod durch Ertränken verurteilt, was der Herzog in eine lebenslange Zuchthausstrafe umwandelte (sie wurde 1798 begnadigt). Der Herzog beauftragte die Weimarer Regierung, die Regelungen für die Verheimlichung von Schwangerschaften und die Kirchenbuße bei unehelichen Geburten zu überarbeiten. Diese Reformen verliefen zu diesem Zeitpunkt aber im Sande.<ref>Wahl 2004, S. 26-31.</ref>
Der von Dorothea Altwein verübte Kindsmord war der Auslöser für einen ersten Reformversuch von Herzog Carl August. Altwein wurde zum Tod durch Ertränken verurteilt, was der Herzog in eine lebenslange Zuchthausstrafe umwandelte (sie wurde 1798 begnadigt). Der Herzog beauftragte die Weimarer Regierung, die Regelungen für die Verheimlichung von Schwangerschaften und die Kirchenbuße bei unehelichen Geburten zu überarbeiten. Diese Reformen verliefen zu diesem Zeitpunkt aber im Sande.<ref>Wahl 2004, S. 26-31.</ref>
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Die erste Vernehmung hatte bereits gezeigt, dass die Tat vorsätzlich erfolgte, womit sich die Todesstrafe schon früh abzeichnete. Beeinflusst von der aktuellen Reformdiskussion um die Bestrafung von Kindsmorden warf der Herzog bei dieser Gelegenheit die Frage auf, ob die Todesstrafe bei Kindsmord nicht durch eine wirksamere, weil abschreckendere, Bestrafung ersetzt werden könnte: Abschneiden des Haupthaares zur dauernden Schande, Stellung an den Pranger und öffentliche Geißelung, lebenslängliches Zuchthaus mit harter Arbeit, Wiederholung des Prangers und der öffentlichen Geißelung für Lebenszeit oder wenigstens eine Anzahl Jahre ein- oder mehrmals jährlich, insbesondere am Jahrestag des Kindsmordes. Die Regierung in Weimar wurde aufgefordert, zu dieser Idee Stellung zu nehmen. Die Entscheidung zur Spezialinquisition wurde derweil vertagt.<ref>Wahl 2004, S. 31-32.</ref>
Die erste Vernehmung hatte bereits gezeigt, dass die Tat vorsätzlich erfolgte, womit sich die Todesstrafe schon früh abzeichnete. Beeinflusst von der aktuellen Reformdiskussion um die Bestrafung von Kindsmorden warf der Herzog bei dieser Gelegenheit die Frage auf, ob die Todesstrafe bei Kindsmord nicht durch eine wirksamere, weil abschreckendere, Bestrafung ersetzt werden könnte: Abschneiden des Haupthaares zur dauernden Schande, Stellung an den Pranger und öffentliche Geißelung, lebenslängliches Zuchthaus mit harter Arbeit, Wiederholung des Prangers und der öffentlichen Geißelung für Lebenszeit oder wenigstens eine Anzahl Jahre ein- oder mehrmals jährlich, insbesondere am Jahrestag des Kindsmordes. Die Regierung in Weimar wurde aufgefordert, zu dieser Idee Stellung zu nehmen. Die Entscheidung zur Spezialinquisition wurde derweil vertagt.<ref>Wahl 2004, S. 31-32.</ref>


Diese Stellungnahme wurde als Einzelgutachten der Regierungsmitglieder am 26. Mai vorgelegt, die sich nicht erhalten haben, doch wird angenommen, dass die Regierungsmitglieder die Vorschläge des Herzogs mehrheitlich ablehnten.<ref>Wahl 2004, S. 33.</ref> Die Stellungnahme der Regierung wurde vom Herzog am 3. Juni 1783 mit den Räten seines Geheimen Consiliums erörtert. Carl August ordnete nun die Spezialinquisition, d. h. eine detaillierte Befragung, die aber im Fall Höhn ohne Folter erfolgte, und die Bestellung eines Verteidigers an. Die Akten mit den Verhörergebnissen sowie der Verteidigungsschrift gingen dann am 16. September an den Schöppenstuhl an der Universität in Jena. Die Mitglieder des Schöppenstuhls befassten sich am 19. September mit den Akten. Am 25. September lag das schriftliche Urteil - Tod durch Enthauptung mit dem Schwert - mit Begründung vor, das die Regierung wiederum am 9. Oktober dem Herzog zur "Konfirmation" (Bestätigung oder Abänderung) übersandte.<ref>Wahl 2004, S. 34.</ref>
Die Stellungnahme wurde als Einzelgutachten der Regierungsmitglieder am 26. Mai vorgelegt, die sich nicht erhalten haben, doch wird angenommen, dass die Regierungsmitglieder die Vorschläge des Herzogs mehrheitlich ablehnten.<ref>Wahl 2004, S. 33.</ref> Die Stellungnahme der Regierung wurde vom Herzog am 3. Juni mit den Räten seines Geheimen Consiliums erörtert. Carl August ordnete nun die Spezialinquisition, d. h. eine detaillierte Befragung, an, die aber im Fall Höhn ohne Folter erfolgte, und die Bestellung eines Verteidigers. Die Akten mit den Verhörergebnissen sowie der Verteidigungsschrift gingen am 16. September an den [[Schöppenstuhl]] an der [[Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität in Jena]]. Die Mitglieder des Schöppenstuhls befassten sich am 19. September mit den Akten. Am 25. September lag das schriftliche Urteil - Tod durch [[Enthauptung]] mit dem Schwert - mit Begründung vor, das die Regierung wiederum am 9. Oktober dem Herzog zur "Konfirmation" (Bestätigung oder Abänderung) übersandte.<ref>Wahl 2004, S. 34.</ref>


Der Herzog ließ nun noch die Räte des Geheimen Consiliums zur Frage der Abänderung der Strafe bei Kindesmord Stellung beziehen, eine ungewöhnliche Maßnahme, da das Geheime Consilium normalerweise keine Rechtsgutachten zu Fragen des "peinlichen Rechts" erstellte. Von Fritsch und Schnauß sprachen sich am 25. und 26. Oktober beide, allerdings unterschiedlich deutlich, gegen die Änderungsvorschläge des Herzogs aus. Von Fritsch argumentierte, dass die Todesstrafe zum einen angemessen, die vorgeschlagene alternative Strafe zudem noch härter als die Todesstrafe sei. Für Schnauß war die Todesstrafe die wirksamste Strafe, um Frauen vom Kindsmord abzuschrecken. Goethe gab sein Votum im Form eines Aufsatzes mit Verzögerung am 4. November ab. Während die Gutachten von Fritsch und Schnauß sich erhalten haben, wurde nur das amtliche Votum Goethes zu den Akten genommen:<ref>Wahl 2004, S. 34-38.</ref> <blockquote>"Da das Resultat meines unterthänigst eingereichten Aufsatzes mit beyden vorliegenden gründlichen Votis völlig übereinstimmt; so kann ich um so weniger zweifeln selbigen in allen Stücken beizutreten und zu erklären daß auch nach meiner Meinung rähtlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten."<ref>Wahl 2004, S. 38.</ref></blockquote>Da die Voten sowohl der Regierungsmitglieder als auch der Räte des Geheimen Consiliums sich für die gewöhnliche Todesstrafe ausgesprochen hatten, sah der Herzog von der Umwandlung der Todesstrafe für Höhn in ein anderes Strafmaß ab. Er bestätigte das Urteil am 4. November und wies die Regierung an, es zu vollstrecken.<ref>Wahl 2004, S. 38.</ref>
Der Herzog ließ nun noch die Räte des Geheimen Consiliums zur Frage der Abänderung der Strafe bei Kindesmord Stellung beziehen, eine ungewöhnliche Maßnahme, da das Geheime Consilium normalerweise keine Rechtsgutachten zu Fragen des "peinlichen Rechts" erstellte. Von Fritsch und Schnauß sprachen sich am 25. und 26. Oktober beide, allerdings unterschiedlich deutlich, gegen die Änderungsvorschläge des Herzogs aus. Von Fritsch argumentierte, dass die Todesstrafe zum einen angemessen, die vorgeschlagene alternative Strafe zudem noch härter als die Todesstrafe sei. Für Schnauß war die Todesstrafe die wirksamste Strafe, um Frauen vom Kindsmord abzuschrecken. Goethe gab seine Stellungnahme mit Verzögerung im Form eines (nicht erhaltenen) Aufsatzes am 4. November ab. Während die Gutachten von Fritsch und Schnauß sich erhalten haben, wurde von Goethe nur das amtliche Votum zu den Akten genommen:<ref>Wahl 2004, S. 34-38.</ref> <blockquote>"Da das Resultat meines unterthänigst eingereichten Aufsatzes mit beyden vorliegenden gründlichen Votis völlig übereinstimmt; so kann ich um so weniger zweifeln selbigen in allen Stücken beizutreten und zu erklären daß auch nach meiner Meinung rähtlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten."<ref>Wahl 2004, S. 38.</ref></blockquote>Da die Voten sowohl der Regierungsmitglieder als auch der Räte des Geheimen Consiliums sich für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen hatten, sah der Herzog von der Umwandlung der Todesstrafe für Höhn in ein anderes Strafmaß ab. Er bestätigte das Urteil am 4. November und wies die Regierung an, es zu vollstrecken.<ref>Wahl 2004, S. 38.</ref>


=== Hinrichtung ===
=== Hinrichtung ===
Das Todesurteil wurde am 25. November 1783 auf dem Markt in Weimar vollstreckt. Vor der Hinrichtung wurde ein zeremonielles Gerichtsverfahren, ein Schauprozess des [[Blutgerichtsbarkeit|Hochnotpeinlichen Halsgericht]]<nowiki/>s, abgehalten. Das Dokument mit der Handlungsanweisung dazu wurde 2008 entdeckt und veröffentlicht.<ref>{{Literatur |Autor=W. Daniel Wilson |Titel=The ‘Halsgericht’ for the Execution of Johanna Höhn in Weimar, 28 November 1783 |Hrsg= |Sammelwerk=German Life and Letters |Band=61 |Nummer=1 |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2008-01-01 |Seiten=33–45 |ISBN= |ISSN= |DOI=10.1111/j.1468-0483.2007.00409.x |Online= |Abruf=}}</ref>
Das Todesurteil wurde am 25. November 1783 auf dem Markt in Weimar vollstreckt. Vor der Hinrichtung wurde ein zeremonielles Gerichtsverfahren, ein Schauprozess des [[Blutgerichtsbarkeit|Hochnotpeinlichen Halsgericht]]<nowiki/>s, abgehalten. Das Dokument mit der Handlungsanweisung dazu wurde 2008 entdeckt und veröffentlicht.<ref>{{Literatur |Autor=W. Daniel Wilson |Titel=The ‘Halsgericht’ for the Execution of Johanna Höhn in Weimar, 28 November 1783 |Hrsg= |Sammelwerk=German Life and Letters |Band=61 |Nummer=1 |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2008-01-01 |Seiten=33–45 |ISBN= |ISSN= |DOI=10.1111/j.1468-0483.2007.00409.x |Online= |Abruf=}}</ref>


Der Herzog selbst hatte Weimar am Hinrichtungstag gezielt verlassen. Auch der Schriftsteller [[Johann Joachim Christoph Bode]] reiste an dem Tag von Weimar nach Erfurt, um - wie er in einem Brief am Vortag schrieb - "einer hiesigen Köpferey einer Kindermördering aus zu weichen, indem es mir nicht als eine Strafe, sondern als ein Staatsmord vorkommt."<ref>Wahl 2004, S. 40.</ref>
Der Herzog selbst hatte Weimar am Hinrichtungstag gezielt verlassen. Auch der Schriftsteller [[Johann Joachim Christoph Bode]] reiste an dem Tag von Weimar nach Erfurt, um - wie er in einem Brief am Vortag schrieb - "einer hiesigen Köpferey einer Kindermörderinn aus zu weichen, indem es mir nicht als eine Strafe, sondern als ein Staatsmord vorkommt."<ref>Wahl 2004, S. 40.</ref>


Höhns Leichnam wurde in die Anatomie der Medizinischen Fakultät der Universität übergeben, das übliche Vorgehen mit Hingerichteten. Der Chef der Anatomie beschwerte sich darüber, dass Höhn im Gefängnis zu gut genährt wurde, so dass sie zu Demonstrationen weniger gut brauchbar war.<ref>Scholz 2005, S. 18.</ref>
Höhns Leichnam wurde in die Anatomie der Medizinischen Fakultät der Universität übergeben, das übliche Vorgehen mit Hingerichteten. Der Chef der Anatomie beschwerte sich darüber, dass Höhn im Gefängnis zu gut genährt wurde, so dass sie zu Demonstrationen weniger gut brauchbar wäre.<ref>Scholz 2005, S. 18.</ref>


=== Weitere Kindsmordsfälle 1783 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach ===
=== Weitere Kindsmordsfälle 1783 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach ===
Parallel zum langwierigen Verfahren der Johanna Höhn mussten sich die Behörden mit einem weiteren Kindsmord in Weimar beschäftigen. Am 4. April 1783 tötete die ledige Dienstmagd [[Maria Rost]] ihre neugeborenes Kind, dass sie nach der Tat versteckte. Sie wurde am 8. Mai verhaftet, der Leichnam am 10. Mai gefunden. Anders als Höhn getand Rust die Tat nicht, Carl Augusts genehmigte keine Befragung unter Folter. So entschied Carl August in ihrem Fall am 19. Dezember für eine lebenslange Zuchthausstrafe. Nach fünf Jahren wurde sie wegen guter Führung entlassen.<ref>Wahl 2004, S. 42-43.</ref>
Parallel zum langwierigen Verfahren der Johanna Höhn mussten sich die Behörden mit einem weiteren Kindsmord in Weimar beschäftigen. Am 4. April 1783 tötete die ledige Dienstmagd [[Maria Rost]] ihr neugeborenes Kind, dass sie nach der Tat versteckte. Sie wurde am 8. Mai verhaftet, der Leichnam am 10. Mai gefunden. Anders als Höhn getand Rust die Tat nicht, Carl Augusts genehmigte keine Befragung unter Folter. So entschied Carl August in ihrem Fall am 19. Dezember für eine lebenslange Zuchthausstrafe. Nach fünf Jahren wurde sie wegen guter Führung entlassen.<ref>Wahl 2004, S. 42-43.</ref>


In einem weiteren Fall im Herzogtum im gleichen Jahr liegen nur unvollständige Akten vor. Sophia Catharina Seyfarth gebar am 21. Mai im Gebiet des Amts Ilmenau ein Kind, das nach ihren Angaben tot zur Welt kam. In ihrem Fall entschied der Herzog gegen die Folter. Der weitere Verlauf des Verfahrens ist nicht bekannt, doch kann eine Todesstrafe ausgeschlossen werden, da sonst der Herzog wegen der "Konfirmation" angesprochen worden wäre.<ref>Wahl 2004, S. 43-44.</ref>
In einem weiteren Fall im Herzogtum im gleichen Jahr liegen nur unvollständige Akten vor. Sophia Catharina Seyfarth gebar am 21. Mai im Gebiet des Amts Ilmenau ein Kind, das nach ihren Angaben tot zur Welt kam. In ihrem Fall entschied der Herzog gegen die Folter. Der weitere Verlauf des Verfahrens ist nicht bekannt, doch kann eine Todesstrafe ausgeschlossen werden, da sonst der Herzog wegen der "Konfirmation" angesprochen worden wäre.<ref>Wahl 2004, S. 43-44.</ref>


== Rezeption ==
== Rezeption ==
Goethe hatte der vergleichbare Fall der [[Susanna Margaretha Brandt|Susanna Brandt]] von 1772 dazu bewogen, die [[Tragödie]] um die Kindesmörderin Gretchen als zentrales Motiv in den [[Urfaust]] aufzunehmen, was früh erwähnt und aufbereitet wurde.<ref>Scholz 2005, S. 5.</ref> Goethes "vermeintlich inkriminierende Äußerungen"<ref name=":0">Wahl 2004, S. 1.</ref> zur Todesstrafe bei Kindsmord im Rahmen des Verfahrens um Höhn wurde aber erst im Laufe der 1920er Jahre bekannt. Zu Beginn der 1930er Jahre kam es deswegen zu einer ersten Kontroverse. Veröffentlichungen von Sigrid Damm und Daniel W. Wilson im Laufe der 1990er Jahre rückten die Geschehnisse wieder ins öffentliche Bewusstsein, was letztendlich dazu führte, dass Bundespräsident Roman Herzog in einer Ansprache zum 200. Todestag von Goethe darauf Bezug nahm. Die Kontroverse führte dazu, dass 2004 und 2005 zwei Editionen mit Dokumenten um die Weimarer Kindsmordfälle und Goethes Beteiligung am Fall Höhn erschienen.
Goethe hatte der vergleichbare Fall der [[Susanna Margaretha Brandt|Susanna Brandt]] von 1772 dazu bewogen, die [[Tragödie]] um die Kindesmörderin [[Gretchentragödie|Gretchen]] als zentrales Motiv in den [[Urfaust]] aufzunehmen, was früh erwähnt und aufbereitet wurde.<ref>Scholz 2005, S. 5.</ref> Goethes "vermeintlich inkriminierende Äußerungen"<ref name=":0">Wahl 2004, S. 1.</ref> zur Todesstrafe bei Kindsmord im Rahmen des Verfahrens um Höhn wurde aber erst im Laufe der 1920er Jahre bekannt. Zu Beginn der 1930er Jahre kam es deswegen zu einer ersten Kontroverse. Veröffentlichungen von [[Sigrid Damm]] und [[W. Daniel Wilson]] im Laufe der 1990er Jahre rückten die Geschehnisse wieder ins öffentliche Bewusstsein, was letztendlich dazu führte, dass Bundespräsident [[Roman Herzog]] in einer Ansprache zum 250. Geburtstag von Goethe darauf Bezug nahm. Die Kontroverse führte dazu, dass 2004 und 2005 zwei Editionen mit Dokumenten um die Weimarer Kindsmordfälle und Goethes Beteiligung am Fall Höhn erschienen.<ref>{{Literatur |Autor= |Titel="Das Kind in meinem Leib". Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Eine Quellenedition, 1777-1786 |Hrsg=Volker Wahl |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Böhlau |Ort=Weimar |Datum=2004 |Seiten= |ISBN=9783740012137 |OCLC= |Online=}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Rüdiger Scholz |Titel=Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn. Kindesmorde und Kindesmörderinnen im Weimar Carl Augusts und Goethes : die Akten zu den Fällen Johanna Catharina Höhn, Maria Sophia Rost und Margarethe Dorothea Altwein |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Königshausen & Neumann |Ort=Würzburg |Datum=2004 |Seiten= |ISBN=9783826029899 |OCLC= |Online=}}</ref>


=== Kontroverse in den 1930er Jahren ===
=== Kontroverse in den 1930er Jahren ===
Bis in die 1920er Jahre war nur wenig über Goethes amtliche Tätigkeiten bekannt. Entsprechend wurde Goethes Ansichten zur Todesstrafe bei Kindsmord aus seinen fiktionalen Schriften abgeleitet. So argumentierte Julius Zeitler 1918 in einem Beitrag zur Todesstrafe im ''Goethe-Jahrbuch'', dass Goethe für eine Milderung des strengen Rechts bei Kindesmörderinnen eingetreten sei. Erst Fritz Hartung zitierte 1923 Goethes Votum aus den Akten, ohne den Bezug zum Fall Höhn zu erwähnen. 1929 wurde Friedrich-Wilhelm Lucht in seiner Abhandlung zur Strafrechtspflege in Sachsen-Weimar-Eisenach deutlicher und stellte den Zusammenhang her.<ref>Scholz 2005, S. 40.</ref>
Bis in die 1920er Jahre war nur wenig über Goethes amtliche Tätigkeiten bekannt. Entsprechend wurde Goethes Ansichten zur Todesstrafe bei Kindsmord aus seinen fiktionalen Schriften abgeleitet. So argumentierte [[Julius Zeitler]] 1918 in einem Beitrag zur Todesstrafe im ''Goethe-Jahrbuch'', dass Goethe für eine Milderung des strengen Rechts bei Kindesmörderinnen eingetreten sei. Erst [[Fritz Hartung (Jurist)|Fritz Hartung]] zitierte 1923 Goethes Votum aus den Akten, ohne den Bezug zum Fall Höhn zu erwähnen. 1929 wurde Friedrich-Wilhelm Lucht in seiner Abhandlung zur Strafrechtspflege in Sachsen-Weimar-Eisenach deutlicher und stellte den Zusammenhang her.<ref>Scholz 2005, S. 40.</ref>


Erst mit einem Artikel von Karl Maria Finkelnburg im Berliner Tagblatt wurde Goethes Votum allgemein bekannt.<ref>Erneut abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 227-231.</ref> Allerdings verstand er ein Zitat bei Lucht falsch und kritisierte, dass Goethes Votum nur aus den beiden Worten "auch ich" bestanden hätte, was "formelhaft, ohne eine Silbe individualisierenden Eingehens auf den Fall" gewesen sei. Zudem betonte er, dass Carl August reformfreudiger als Goethe sowie menschlicher gewesen sei. Das Goethe-Bild müsste korrigiert werden.<ref>Scholz 2004, S. 41.</ref> Bei seiner Gedenkrede zum 100. Todestag Goethes am 18. März 1932 zeigte sich [[Thomas Mann]] erschüttert von Goethes Haltung gegenüber dem Höhnschen Todesurteil und konstruierte eine Divergenz zwischen der dem Reich des "Ewigen" zugeordneten Dichtung und dem irdischen Leben.<ref>Baerlocher 2004, S. 464; Scholz 2005, S. 41-42.</ref> Ein Gegenartikel von Erich Wulffen<ref>Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 232-238.</ref> folgte, der auf Finkelnburgs "Auch ich"-Missverständnis hinwiesund den vollen Text von Goethes Votum veröffentlichte. Auch Wulffen argumentierte mit der "bürgerlichen Trennung von dichterischer und materieller Wirklichkeit". Goethes Entwicklung als Dichter hätte gelitten, wenn er sich stärker für die Humanisierung des Strafrechts eingesetzt hätte.<ref>Scholz 2004, S. 42.</ref>
Erst mit einem Artikel von Karl Maria Finkelnburg im Berliner Tagblatt wurde Goethes Votum allgemein bekannt.<ref>Erneut abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 227-231.</ref> Allerdings verstand er ein Zitat bei Lucht falsch und kritisierte, dass Goethes Votum nur aus den beiden Worten "auch ich" bestanden hätte, was "formelhaft, ohne eine Silbe individualisierenden Eingehens auf den Fall" gewesen sei. Zudem betonte er, dass Carl August reformfreudiger als Goethe sowie menschlicher gewesen sei. Das Goethe-Bild müsste korrigiert werden.<ref>Scholz 2004, S. 41.</ref> Bei seiner Gedenkrede zum 100. Todestag Goethes am 18. März 1932 zeigte sich [[Thomas Mann]] erschüttert von Goethes Haltung gegenüber dem Höhnschen Todesurteil und konstruierte eine Divergenz zwischen der dem Reich des "Ewigen" zugeordneten Dichtung und dem irdischen Leben.<ref>Baerlocher 2004, S. 464; Scholz 2005, S. 41-42.</ref> Ein Gegenartikel von Erich Wulffen<ref>Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 232-238.</ref> wies auf Finkelnburgs "Auch ich"-Missverständnis hin und veröffentlichte den vollen Text von Goethes Votum. Auch Wulffen argumentierte mit der "bürgerlichen Trennung von dichterischer und materieller Wirklichkeit". Goethes Entwicklung als Dichter hätte gelitten, wenn er sich stärker für die Humanisierung des Strafrechts eingesetzt hätte.<ref>Scholz 2004, S. 42.</ref>


Die Goethe-Gesellschaft reagierte 1936 mit einer Sammlung von Antworten auf häufige Anfragen an Goethe-Institute. Ihre Verteidigungslinie war dabei die Gültigkeit der Halsgerichtsordnung Karls V. und dass der Schöppenstuhl das Todesurteil aussprach.<ref>Scholz 2004, S. 44.</ref> Lion Feuchtwanger griff in seinem Exilroman ''Exil'' (1940) die Spaltung Goethes in den humanen Dichter und in den Politiker auf.<ref>Scholz 2004, S. 45-46.</ref>
Die [[Goethe-Gesellschaft]] reagierte 1936 mit einer Sammlung von Antworten auf häufige Anfragen an [[Goethe-Institut|Goethe-Institute]]. Ihre Verteidigungslinie war dabei die Gültigkeit der Halsgerichtsordnung Karls V. und dass der Schöppenstuhl (nicht Goethe) das Todesurteil aussprach.<ref>Scholz 2004, S. 44.</ref> [[Lion Feuchtwanger]] griff in seinem Exilroman ''Exil'' (1940) die Spaltung Goethes in den humanen Dichter und in den Politiker auf.<ref>Scholz 2004, S. 45-46.</ref>


=== Kontroverse ab den 1990er Jahren ===
=== Kontroverse ab den 1990er Jahren ===
In den folgenden Jahrzehnten wurde Goethes Verhalten immer wieder erörtert,<ref>Siehe hierzu Baerlocher 2004, S. 470-488; Scholz 2005, S. 46-49.</ref> doch mit Veröffentlichungen von Sigrid Damm 1998 und Daniel W. Wilson 1999 wurde die Kontroverse wieder für die allgemeine Öffentlichkeit sichtbar. In ihrer Paarbiographie ''Christiane und Goethe'' wertete Damm die Akten zum Fall Höhn aus und konstatierte, dass Goethe für sich eine "Doppelexistenz" definierte, Geist und Macht trennte und sich der "Illusion" hingab, "Dichter und Politiker [...] zugleich sein zu können."<ref>Damm 1998, S. 94.</ref> Daniel W. Wilson monierte, dass die ''Faust''-Forschung, den Fall Höhn lange ignorierte, obwohl sie für Teile der ''Gretchen''-Tragödie, die nach dem ''Urfaust'' verfasst wurde, relevant sein könnten.<ref>Wilson 1999, S. 7-8.</ref> Eine Kritik, die der Freiburger Literaturwissenschaftler Rüdiger Scholz 2003 weiter ausführte: "Es geht darum, zu erklären, wie Goethes Verhalten zustande kam, welche Folgen es hatte und wie das Verhältnis zu den diskursiven und fiktionalen Werken zu verstehen ist."<ref>Scholz 2003, S. 331.</ref>
In den folgenden Jahrzehnten wurde Goethes Verhalten immer wieder erörtert,<ref>Siehe hierzu Baerlocher 2004, S. 470-488; Scholz 2005, S. 46-49.</ref> doch mit Veröffentlichungen von Sigrid Damm 1998 und W. Daniel Wilson 1999 wurde die Kontroverse wieder für die allgemeine Öffentlichkeit sichtbar. In ihrer Paarbiographie ''Christiane und Goethe'' wertete Damm die Akten zum Fall Höhn aus und konstatierte, dass Goethe für sich eine "Doppelexistenz" definierte, Geist und Macht trennte und sich der "Illusion" hingab, "Dichter und Politiker [...] zugleich sein zu können."<ref>Damm 1998, S. 94.</ref> W. Daniel Wilson monierte, dass die ''Faust''-Forschung, den Fall Höhn lange ignorierte, obwohl sie für Teile der ''Gretchen''-Tragödie, die nach dem ''Urfaust'' verfasst wurde, relevant sein könnten.<ref>Wilson 1999, S. 7-8.</ref> Eine Kritik, die der Freiburger Germanist Rüdiger Scholz 2003 weiter ausführte: "Es geht darum, zu erklären, wie Goethes Verhalten zustande kam, welche Folgen es hatte und wie das Verhältnis zu den diskursiven und fiktionalen Werken zu verstehen ist."<ref>Scholz 2003, S. 331.</ref>


In seiner Ansprache zum 200. Todestags Goethe am 14. April 1999 wies der Bundespräsident Roman Herzog auf Goethes Votum hin und warnte vor einer Idealisierung Goethes: "Fragwürdig ist manches, was über sein Leben nun deutlicher in den Blick gerät."<ref>zitiert nach Scholz 2004, S. 56.</ref>
In seiner Ansprache zum 250. Geburtstag Goethes am 14. April 1999 wies der Bundespräsident Roman Herzog auf Goethes Votum hin und warnte vor einer Idealisierung Goethes: "Fragwürdig ist manches, was über sein Leben nun deutlicher in den Blick gerät."<ref>zitiert nach Scholz 2004, S. 56.</ref>


Damm, Wilson und Scholz wurden wiederum kritisiert, weil sie Goethes Einfluss auf das Urteil überbewerten. Damm hätte Goethes Votum zum "Zünglein an der Waage" stilisiert,<ref>Damm 1998, S. 89.</ref> doch die Entscheidung traf der Herzog, wobei Goethe nur eine Stellungnahme von vielen beigetragen hätte.<ref>Wittkowski 2002, S. 69.</ref> Die Stellungnahmen hätten sich zudem auch nicht auf das Urteil, sondern auf die generelle Änderung des Strafmaßes bezogen. René Jacques Baerlocher und Wolfgang Wittkowski argumentierten zudem, dass Goethe sich mit der Todesstrafe im Vergleich zu Carl Augusts Alternativvorschlag für die mildere Strafe entschied.<ref>Baerlocher 2002, S. 216; Wittkowski 2002, S. 88.</ref> Auf die Frage der Integration des Höhnschen Falls in die Faust-Forschung gingen die "Verteidiger" Goethes nicht ein.
Damm, Wilson und Scholz wurden wiederum kritisiert, weil sie Goethes Einfluss auf das Urteil überbewerten. Damm hätte Goethes Votum zum "Zünglein an der Waage" stilisiert,<ref>Damm 1998, S. 89.</ref> doch die Entscheidung hätte der Herzog getroffen, wobei Goethe nur eine Stellungnahme von vielen beigetragen hätte.<ref>Wittkowski 2002, S. 69.</ref> Die Stellungnahmen hätten sich zudem auch nicht auf das Urteil, sondern auf die generelle Änderung des Strafmaßes bezogen. René Jacques Baerlocher und Wolfgang Wittkowski argumentierten zudem, dass Goethe sich mit der Todesstrafe im Vergleich zu Carl Augusts Alternativvorschlag für die mildere Strafe entschied.<ref>Baerlocher 2002, S. 216; Wittkowski 2002, S. 88.</ref> Auf die Frage der Integration des Höhnschen Falls in die Faust-Forschung gingen die [[Apologet|Apologeten]] Goethes nicht ein.


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Version vom 24. März 2018, 22:46 Uhr

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Johanna Catharina Höhn (* 15. April 1759 in Kottendorf;[1]28. November 1783 Weimar) war eine ledige Magd in Weimar, die ihr neugeborenes Kind tötete und dafür hingerichtet wurde. die Goethe als Vorbild für die Gretchentragödie in seinem Faust diente. Sie tötete ihr neugeborenes Kind und wurde dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Leben

Der Vater von Johanna Catharina Höhn, Johann Friedrich Höhn (1723-1798), stammte aus einer alteingesessenen Tannrodaer Familie und war Hofmeister zu Kottendorf. 1751 heiratete er Christiana Sophie Leudolph. Das Paar hatte fünf Kinder, von denen nur drei, darunter Johanna, das Erwachsenenalter erreichten. Nach dem Tod von Christiana Höhn heiratete der Vater noch zwei weitere Male. Aus diesen Ehen stammten sechs Halbgeschwister von Johanna.[2]

Johanna Catharina Höhn arbeitete als Magd in der Niedermühle in Weimar, eventuell bereits ab ihrem 14. Lebensjahr.[2] Die Niedermühle (ab 1854 Karlsmühle genannt) war eine Getreide- und Ölmühle.[3]

Schwangerschaft und Kindsmord

1782 wurde Johanna Höhn schwanger, über die Umstände und den Vater ist nichts bekannt. Anscheinend verdrängte sie ihre Schwangerschaft und bereitete sich nicht auf die Geburt und das Kind vor.[2] Allerdings zeigte sie ihren Schwangerschaftsbauch eine Woche vor der Geburt ihrer Dienstherrin, die aber auch kein Vorkehrungen traf.[4] Da das Verheimlichen einer Schwangerschaft unter Strafe stand, war dies relevant.[5]

Nach acht Monaten Schwangerschaft gebar Höhn am 11. April 1783 um die Mittagszeit das Baby in ihrer Kammer. Sie war allein. Sie nabelte es erst nach einer Viertelstunde ab, stach das Kind dreimal mit einem Messer in den Hals und begrub es im Stroh ihres Bettes. Stunden später wurde die Hebamme geholt - wohl von der Dienstfrau und ihrer Schwester -, der Höhn auf Nachfrage zeigte, wo das tote Kind verborgen war.[4] Höhn wurde inhaftiert und das Weimarer Justizamt untersuchte den Fall.

Frühere Kindsmordsfälle im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und Reformdebatte

Beim weiteren Verfahren verknüpften sich der konkrete Fall mit der damaligen Reformdebatte um die Strafen für uneheliche Geburten (Kirchenbuße) und Kindsmorde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts galt noch immer die Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. aus dem Jahr 1532, wonach Kindsmörderinnen lebendig begraben, gepfählt oder ertränkt werden sollten.[6] Zum Zeitpunkt des Falls Höhn lag die letzte Hinrichtung einer Kindsmörderin in Weimar zwei Jahrzehnte zurück (1753 Maria Gertraude Schmidtin).[7] 1774/75, noch während der Regentschaft von Herzogin Anna Amalia, war das Todesurteil einer Kindsmörderin in eine Zuchthausstrafe abgeändert worden (Fall Catharina Elisabetha Warzin).[8]

Generell wurde die Reform der Strafgesetze für Kindesmörderinnen in der damaligen Zeit in den Ländern des Deutschen Reichs lebhaft diskutiert. 1780 wurde die Preisfrage "Welches sind die besten ausführbaren Mittel dem Kindermord Einhalt zu thun?" ausgeschrieben, für die etwa 400 Aufsätze eingereicht und etliche außerhalb des Preisausschreibens veröffentlicht wurden. Dazu gehörte auch ein 1781 anonym veröffentlichter Beitrag von Christian Gottlob Voigt (1743-1819) aus Weimar. Voigt war zur ersten Fassung des Aufsatzes durch den den am 11. Februar 1781 von Dorothea Altwein in Weimar verübten Kindsmord veranlasst worden. Noch vor dem Abdruck bekam Goethe diesen Aufsatz zur Kenntnis.[9]

Der von Dorothea Altwein verübte Kindsmord war der Auslöser für einen ersten Reformversuch von Herzog Carl August. Altwein wurde zum Tod durch Ertränken verurteilt, was der Herzog in eine lebenslange Zuchthausstrafe umwandelte (sie wurde 1798 begnadigt). Der Herzog beauftragte die Weimarer Regierung, die Regelungen für die Verheimlichung von Schwangerschaften und die Kirchenbuße bei unehelichen Geburten zu überarbeiten. Diese Reformen verliefen zu diesem Zeitpunkt aber im Sande.[10]

Verfahren gegen Johanna Catharina Höhn

Nachdem sie Höhn nach der Inhaftierung verhört hatten, übergab das Justizamt das Ergebnis an die Regierung in Weimar, die am 2. Mai den Landesherrn, Herzog Carl August, informierte. Die Regierung ersuchte den Herzog um die Entscheidung, ob die Spezialinquisition durchgeführt werden sollte. Hierzu beriet sich Carl August am 13. Mai mit dem Geheimen Consiliums,[11] einem seit 1756 bestehendes Gremium, dass den Landesherrn bei allen ihm zur Entscheidung vorgelegten oder ihm ausschließlich vorbehaltenen Angelegenheiten beratend unterstützte.[12] Dem Geheimen Consilium gehörten die Geheimen Räte Jacob Friedrich Freiherr von Fritsch, Christian Friedrich Schnauß und - als jüngstes Mitglied - Johann Wolfgang Goethe an.

Die erste Vernehmung hatte bereits gezeigt, dass die Tat vorsätzlich erfolgte, womit sich die Todesstrafe schon früh abzeichnete. Beeinflusst von der aktuellen Reformdiskussion um die Bestrafung von Kindsmorden warf der Herzog bei dieser Gelegenheit die Frage auf, ob die Todesstrafe bei Kindsmord nicht durch eine wirksamere, weil abschreckendere, Bestrafung ersetzt werden könnte: Abschneiden des Haupthaares zur dauernden Schande, Stellung an den Pranger und öffentliche Geißelung, lebenslängliches Zuchthaus mit harter Arbeit, Wiederholung des Prangers und der öffentlichen Geißelung für Lebenszeit oder wenigstens eine Anzahl Jahre ein- oder mehrmals jährlich, insbesondere am Jahrestag des Kindsmordes. Die Regierung in Weimar wurde aufgefordert, zu dieser Idee Stellung zu nehmen. Die Entscheidung zur Spezialinquisition wurde derweil vertagt.[13]

Die Stellungnahme wurde als Einzelgutachten der Regierungsmitglieder am 26. Mai vorgelegt, die sich nicht erhalten haben, doch wird angenommen, dass die Regierungsmitglieder die Vorschläge des Herzogs mehrheitlich ablehnten.[14] Die Stellungnahme der Regierung wurde vom Herzog am 3. Juni mit den Räten seines Geheimen Consiliums erörtert. Carl August ordnete nun die Spezialinquisition, d. h. eine detaillierte Befragung, an, die aber im Fall Höhn ohne Folter erfolgte, und die Bestellung eines Verteidigers. Die Akten mit den Verhörergebnissen sowie der Verteidigungsschrift gingen am 16. September an den Schöppenstuhl an der Universität in Jena. Die Mitglieder des Schöppenstuhls befassten sich am 19. September mit den Akten. Am 25. September lag das schriftliche Urteil - Tod durch Enthauptung mit dem Schwert - mit Begründung vor, das die Regierung wiederum am 9. Oktober dem Herzog zur "Konfirmation" (Bestätigung oder Abänderung) übersandte.[15]

Der Herzog ließ nun noch die Räte des Geheimen Consiliums zur Frage der Abänderung der Strafe bei Kindesmord Stellung beziehen, eine ungewöhnliche Maßnahme, da das Geheime Consilium normalerweise keine Rechtsgutachten zu Fragen des "peinlichen Rechts" erstellte. Von Fritsch und Schnauß sprachen sich am 25. und 26. Oktober beide, allerdings unterschiedlich deutlich, gegen die Änderungsvorschläge des Herzogs aus. Von Fritsch argumentierte, dass die Todesstrafe zum einen angemessen, die vorgeschlagene alternative Strafe zudem noch härter als die Todesstrafe sei. Für Schnauß war die Todesstrafe die wirksamste Strafe, um Frauen vom Kindsmord abzuschrecken. Goethe gab seine Stellungnahme mit Verzögerung im Form eines (nicht erhaltenen) Aufsatzes am 4. November ab. Während die Gutachten von Fritsch und Schnauß sich erhalten haben, wurde von Goethe nur das amtliche Votum zu den Akten genommen:[16]

"Da das Resultat meines unterthänigst eingereichten Aufsatzes mit beyden vorliegenden gründlichen Votis völlig übereinstimmt; so kann ich um so weniger zweifeln selbigen in allen Stücken beizutreten und zu erklären daß auch nach meiner Meinung rähtlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten."[17]

Da die Voten sowohl der Regierungsmitglieder als auch der Räte des Geheimen Consiliums sich für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen hatten, sah der Herzog von der Umwandlung der Todesstrafe für Höhn in ein anderes Strafmaß ab. Er bestätigte das Urteil am 4. November und wies die Regierung an, es zu vollstrecken.[18]

Hinrichtung

Das Todesurteil wurde am 25. November 1783 auf dem Markt in Weimar vollstreckt. Vor der Hinrichtung wurde ein zeremonielles Gerichtsverfahren, ein Schauprozess des Hochnotpeinlichen Halsgerichts, abgehalten. Das Dokument mit der Handlungsanweisung dazu wurde 2008 entdeckt und veröffentlicht.[19]

Der Herzog selbst hatte Weimar am Hinrichtungstag gezielt verlassen. Auch der Schriftsteller Johann Joachim Christoph Bode reiste an dem Tag von Weimar nach Erfurt, um - wie er in einem Brief am Vortag schrieb - "einer hiesigen Köpferey einer Kindermörderinn aus zu weichen, indem es mir nicht als eine Strafe, sondern als ein Staatsmord vorkommt."[20]

Höhns Leichnam wurde in die Anatomie der Medizinischen Fakultät der Universität übergeben, das übliche Vorgehen mit Hingerichteten. Der Chef der Anatomie beschwerte sich darüber, dass Höhn im Gefängnis zu gut genährt wurde, so dass sie zu Demonstrationen weniger gut brauchbar wäre.[21]

Weitere Kindsmordsfälle 1783 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach

Parallel zum langwierigen Verfahren der Johanna Höhn mussten sich die Behörden mit einem weiteren Kindsmord in Weimar beschäftigen. Am 4. April 1783 tötete die ledige Dienstmagd Maria Rost ihr neugeborenes Kind, dass sie nach der Tat versteckte. Sie wurde am 8. Mai verhaftet, der Leichnam am 10. Mai gefunden. Anders als Höhn getand Rust die Tat nicht, Carl Augusts genehmigte keine Befragung unter Folter. So entschied Carl August in ihrem Fall am 19. Dezember für eine lebenslange Zuchthausstrafe. Nach fünf Jahren wurde sie wegen guter Führung entlassen.[22]

In einem weiteren Fall im Herzogtum im gleichen Jahr liegen nur unvollständige Akten vor. Sophia Catharina Seyfarth gebar am 21. Mai im Gebiet des Amts Ilmenau ein Kind, das nach ihren Angaben tot zur Welt kam. In ihrem Fall entschied der Herzog gegen die Folter. Der weitere Verlauf des Verfahrens ist nicht bekannt, doch kann eine Todesstrafe ausgeschlossen werden, da sonst der Herzog wegen der "Konfirmation" angesprochen worden wäre.[23]

Rezeption

Goethe hatte der vergleichbare Fall der Susanna Brandt von 1772 dazu bewogen, die Tragödie um die Kindesmörderin Gretchen als zentrales Motiv in den Urfaust aufzunehmen, was früh erwähnt und aufbereitet wurde.[24] Goethes "vermeintlich inkriminierende Äußerungen"[25] zur Todesstrafe bei Kindsmord im Rahmen des Verfahrens um Höhn wurde aber erst im Laufe der 1920er Jahre bekannt. Zu Beginn der 1930er Jahre kam es deswegen zu einer ersten Kontroverse. Veröffentlichungen von Sigrid Damm und W. Daniel Wilson im Laufe der 1990er Jahre rückten die Geschehnisse wieder ins öffentliche Bewusstsein, was letztendlich dazu führte, dass Bundespräsident Roman Herzog in einer Ansprache zum 250. Geburtstag von Goethe darauf Bezug nahm. Die Kontroverse führte dazu, dass 2004 und 2005 zwei Editionen mit Dokumenten um die Weimarer Kindsmordfälle und Goethes Beteiligung am Fall Höhn erschienen.[26][27]

Kontroverse in den 1930er Jahren

Bis in die 1920er Jahre war nur wenig über Goethes amtliche Tätigkeiten bekannt. Entsprechend wurde Goethes Ansichten zur Todesstrafe bei Kindsmord aus seinen fiktionalen Schriften abgeleitet. So argumentierte Julius Zeitler 1918 in einem Beitrag zur Todesstrafe im Goethe-Jahrbuch, dass Goethe für eine Milderung des strengen Rechts bei Kindesmörderinnen eingetreten sei. Erst Fritz Hartung zitierte 1923 Goethes Votum aus den Akten, ohne den Bezug zum Fall Höhn zu erwähnen. 1929 wurde Friedrich-Wilhelm Lucht in seiner Abhandlung zur Strafrechtspflege in Sachsen-Weimar-Eisenach deutlicher und stellte den Zusammenhang her.[28]

Erst mit einem Artikel von Karl Maria Finkelnburg im Berliner Tagblatt wurde Goethes Votum allgemein bekannt.[29] Allerdings verstand er ein Zitat bei Lucht falsch und kritisierte, dass Goethes Votum nur aus den beiden Worten "auch ich" bestanden hätte, was "formelhaft, ohne eine Silbe individualisierenden Eingehens auf den Fall" gewesen sei. Zudem betonte er, dass Carl August reformfreudiger als Goethe sowie menschlicher gewesen sei. Das Goethe-Bild müsste korrigiert werden.[30] Bei seiner Gedenkrede zum 100. Todestag Goethes am 18. März 1932 zeigte sich Thomas Mann erschüttert von Goethes Haltung gegenüber dem Höhnschen Todesurteil und konstruierte eine Divergenz zwischen der dem Reich des "Ewigen" zugeordneten Dichtung und dem irdischen Leben.[31] Ein Gegenartikel von Erich Wulffen[32] wies auf Finkelnburgs "Auch ich"-Missverständnis hin und veröffentlichte den vollen Text von Goethes Votum. Auch Wulffen argumentierte mit der "bürgerlichen Trennung von dichterischer und materieller Wirklichkeit". Goethes Entwicklung als Dichter hätte gelitten, wenn er sich stärker für die Humanisierung des Strafrechts eingesetzt hätte.[33]

Die Goethe-Gesellschaft reagierte 1936 mit einer Sammlung von Antworten auf häufige Anfragen an Goethe-Institute. Ihre Verteidigungslinie war dabei die Gültigkeit der Halsgerichtsordnung Karls V. und dass der Schöppenstuhl (nicht Goethe) das Todesurteil aussprach.[34] Lion Feuchtwanger griff in seinem Exilroman Exil (1940) die Spaltung Goethes in den humanen Dichter und in den Politiker auf.[35]

Kontroverse ab den 1990er Jahren

In den folgenden Jahrzehnten wurde Goethes Verhalten immer wieder erörtert,[36] doch mit Veröffentlichungen von Sigrid Damm 1998 und W. Daniel Wilson 1999 wurde die Kontroverse wieder für die allgemeine Öffentlichkeit sichtbar. In ihrer Paarbiographie Christiane und Goethe wertete Damm die Akten zum Fall Höhn aus und konstatierte, dass Goethe für sich eine "Doppelexistenz" definierte, Geist und Macht trennte und sich der "Illusion" hingab, "Dichter und Politiker [...] zugleich sein zu können."[37] W. Daniel Wilson monierte, dass die Faust-Forschung, den Fall Höhn lange ignorierte, obwohl sie für Teile der Gretchen-Tragödie, die nach dem Urfaust verfasst wurde, relevant sein könnten.[38] Eine Kritik, die der Freiburger Germanist Rüdiger Scholz 2003 weiter ausführte: "Es geht darum, zu erklären, wie Goethes Verhalten zustande kam, welche Folgen es hatte und wie das Verhältnis zu den diskursiven und fiktionalen Werken zu verstehen ist."[39]

In seiner Ansprache zum 250. Geburtstag Goethes am 14. April 1999 wies der Bundespräsident Roman Herzog auf Goethes Votum hin und warnte vor einer Idealisierung Goethes: "Fragwürdig ist manches, was über sein Leben nun deutlicher in den Blick gerät."[40]

Damm, Wilson und Scholz wurden wiederum kritisiert, weil sie Goethes Einfluss auf das Urteil überbewerten. Damm hätte Goethes Votum zum "Zünglein an der Waage" stilisiert,[41] doch die Entscheidung hätte der Herzog getroffen, wobei Goethe nur eine Stellungnahme von vielen beigetragen hätte.[42] Die Stellungnahmen hätten sich zudem auch nicht auf das Urteil, sondern auf die generelle Änderung des Strafmaßes bezogen. René Jacques Baerlocher und Wolfgang Wittkowski argumentierten zudem, dass Goethe sich mit der Todesstrafe im Vergleich zu Carl Augusts Alternativvorschlag für die mildere Strafe entschied.[43] Auf die Frage der Integration des Höhnschen Falls in die Faust-Forschung gingen die Apologeten Goethes nicht ein.

"gespaltene Persönlichkeit zwischen Dichter und Richter"[25]

Weitere Rezeption des Todesurteils

Literatur

Allgemein

  • Susan Geißler (2012): “Nach bosen Wercken folgt boser Lohn” – Das Weimarer Richtschwert von 1623. In: Weimar-Jena: Die große Stadt - Das kulturhistorische Archiv 5 (3). S. 191–199.
  • Susanne Kord (2009): Murderesses in German writing, 1720-1860: heroines of horror. Cambridge studies in German. New York : Cambridge University Press. Insbesondere Kapitel Shame: Child killers (S. 121-153) und The end: the etiquette of execution (S. 187-219).
  • Susanne Kord (2011): Etikette oder Theater? Kindsmörderinnen auf dem Schafott. In: Gaby Pailer / Franziska Schössler (Hrsg.): GeschlechterSpielRäume. Dramatik, Theater, Performance und Gender. Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik Bd. 78. Amsterdam : Rodopi.
  • W. Daniel Wilson (2007): The ‘Halsgericht’ for the Execution of Johanna Höhn in Weimar, 28 November 1783. In: German Life and Letters 61 (1). S. 33–45.

Beiträge zur Kontroverse in den 1930ern (chronologisch)

  • Fritz Hartung (1923): Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775-1828. Weimar : Böhlau. Insbesondere Kapitel Die Rechtspflege (S. 105-120).
  • Friedrich-Wilhelm Lucht (1929): Die Strafrechtspflege in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Beiträge zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege Bd. 1. Berlin : Gruyter. Insbesondere Kapitel Das materielle und formelle Strafrecht (S. 30-50).
  • Karl Maria Finkelnburg (1931): "AUCH ICH...". Kindesmordjustiz und Strafrecht unter Goethe. In: Berliner Tagblatt 5. April 1931 (1. Beiblatt).
  • Thomas Mann
  • Erich Wulffen (1932): Bekanntes und Unbekanntes über Goethe als Kriminalisten. In: Dresdner Anzeige. Wissenschaftliche Beilage vom 29. März 1932.
  • Alfred Wieruszowski (1932): Goethe und die Todesstrafe. In: Juristische Wochenschrift (12). S. 842-845.
  • Willi Flach (1934): Goethe und der Kindesmord. In: Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat 3. S. 599-606.
  • Hans Wahl (1936): Antworten auf häufige Anfragen bei den Goethe-Instituten. In: Goethe. Vierteljahresschrift der Goethe-Gesellschaft Neue Folge 1. S. 74-75.

Beiträge zur Kontroverse ab den 1990ern (chronologisch)

  • W. Daniel Wilson (1994): Zum Dichten geboren, zum Spitzeln bestellt. In: Die Zeit 30. Dezember 1994. S. 28.
  • Sigrid Damm (1998): Christiane und Goethe. Eine Recherche. Insel : Frankfurt am Main 1998. S. 81-97.
  • W. Daniel Wilson (1999): Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München : Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 7-8.
  • Hans-Jürgen Schings (1999): Anschwellende Kaderakte für einen Klassiker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 1. April 1999. S. 49.
  • twz (1999): Goethe, so fern. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. April 1999.
  • W. Daniel Wilson (1999): Wie Weimars Geheimräte Menschenhandel trieben (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 24. April 1999. S. 49.
  • Günther Baum (1999): Für Goethes Chefankläger eine ausgemachte Sache (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 29. April1999. S. 11.
  • Katharina Mommsen (1999): Goethe und unsere Zeit. In: Goethe-Jahrbuch 116. S. 27–40.
  • René Jacques Baerlocher (2002): Anmerkungen zur Diskussion um Goethe, Todesstrafe und Kindesmord. In: Goethe-Jahrbuch 119. S. 207–217.
  • Wolfgang Wittkowski (2002): Hexenjagd auf Goethe. November 1783: Hinrichtung einer Kindsmörderin und ‘Das Göttliche’. In: Oxford German Studies 31 (1). S. 63–102.
  • Rüdiger Scholz (2003): Goethes Schuld an der Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn. In: Goethe-Jahrbuch 120. S. 324–331.
  • René Jacques Baerlocher (2003): „Goethes Schuld an der Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn“? In: Goethe-Jahrbuch 120. S. 332–339.
  • Volker Wahl (Hrsg.) (2003): Willi Flach (1903-1958). Beiträge zum Archivwesen, zur thüringischen Landesgeschichte und zur Goetheforschung. Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven Bd. 9. Weimar : Böhlau. Diese Edition druckte u. a. mehrere Veröffentlichungen Willi Flachs zu Goethe und Johanna Catharina Höhn aus den Jahren 1934 und 1948 erneut ab.
  • Günter Jerouschek (2004): Skandal um Goethe? In: Goethe-Jahrbuch 121. S. 253–260.
  • Volker Wahl (Hrsg.) (2004): „Das Kind in meinem Leib“. Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Eine Quellenedition 1777 - 1786. Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven Bd. 10. Weimar : Böhlau.
  • Günter Jerouschek (2005): Erwiderung auf Rüdiger Scholz. In: Goethe-Jahrbuch 122. S. 330–333.
  • Rüdiger Scholz (2005): Entgegnung zu Günter Jerouschek: Skandal um Goethe? In: GJb 2004, S. 253-260. In: Goethe-Jahrbuch. S. 328–329.
  • Rüdiger Scholz (Hrsg.) (2005): Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn. Kindesmorde und Kindesmörderinnen im Weimar Carl Augusts und Goethes. Die Akten zu den Fällen Johanna Catharina Höhn, Maria Sophia Rost und Margarethe Dorothea Altwein. Würzburg : Königshausen & Neumann.
  • W. Daniel Wilson (2007): Goethe, His Duke and Infanticide: New Documents and Reflections on a Controversial Execution. In: German Life and Letters 61 (1). S. 7–32.
  • Karl Otto Conrady (2007): Goethes Gedicht „Edel sei der Mensch“ im Schatten eines Todesurteils. In: Peter Hanau / Johannes Neyses (Hrsg.): Engagierte Verwaltung für die Wissenschaft: Festschrift für Johannes Neyses, Kanzler der Universität zu Köln, zum 60. Geburtstag. Köln : Universitäts- und Stadtbibliothek. S. 39–54.
  • Günter Jerouschek (2007): Skandal um Goethe? Zu Goethes Beteiligung am Todesurteil gegen die Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn. In: Neue juristische Wochenschrift 60 (10) 2007. S. 635–639.
  • Rüdiger Scholz (2008): Goethes Schuld an der Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn. In: Neue juristische Wochenschrift 61 (11). S. 711–713.
  • Alexander Košenina (2008): Staatsmord statt Strafe. Neue Dokumente zur Hinrichtung der Johanna Höhn. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 21. April 2008. S. 42.
  • Volker Wahl (2008): Souverände Entscheidung des Herzogs (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 5. April 2008. S. 10.
  • W. Daniel Wilson (2008): Goethe schwamm gegen den Strom (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 31. April 2008. S. 38.
  • Volker Wahl (2012): “Du hast gethan, was Urthel und Recht mit sich gebracht” – Das “Hochnotpeinliche Halsgericht” über die Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn. In: Weimar-Jena: Die große Stadt - Das kulturhistorische Archiv 5 (3). S. 200–219.

Einzelnachweise

{{SORTIERUNG:Höhn, Johanna Catharina}} [[Kategorie:Person (Frankfurt am Main)]] [[Kategorie:Faust (Goethe)]] [[Kategorie:Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert]] [[Kategorie:Hingerichtete Person (Heiliges Römisches Reich)]] [[Kategorie:Hingerichtete Person (18. Jahrhundert)]] [[Kategorie:Deutscher]] [[Kategorie:Geboren 1746]] [[Kategorie:Gestorben 1772]] [[Kategorie:Frau]]

  1. Wahl 2012, S. 219.
  2. a b c Scholz 2005, S. 11-12.
  3. Scholz 2005, S. 10. Wahl 2012. S. 201, 218.
  4. a b Urteil des Jenaer Schöppenstuhls vom 25. September 1783. Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 98-101.
  5. Wahl 2004, S. 11-12.
  6. Wahl 2004, S. 11.
  7. Wahl 2004, S. 12.
  8. Wahl 2004, S. 13.
  9. Wahl 2004, S. 21-25.
  10. Wahl 2004, S. 26-31.
  11. Wahl 2004, S. 32.
  12. Wahl 2004, S. 4.
  13. Wahl 2004, S. 31-32.
  14. Wahl 2004, S. 33.
  15. Wahl 2004, S. 34.
  16. Wahl 2004, S. 34-38.
  17. Wahl 2004, S. 38.
  18. Wahl 2004, S. 38.
  19. W. Daniel Wilson: The ‘Halsgericht’ for the Execution of Johanna Höhn in Weimar, 28 November 1783. In: German Life and Letters. Band 61, Nr. 1, 1. Januar 2008, S. 33–45, doi:10.1111/j.1468-0483.2007.00409.x.
  20. Wahl 2004, S. 40.
  21. Scholz 2005, S. 18.
  22. Wahl 2004, S. 42-43.
  23. Wahl 2004, S. 43-44.
  24. Scholz 2005, S. 5.
  25. a b Wahl 2004, S. 1.
  26. Volker Wahl (Hrsg.): "Das Kind in meinem Leib". Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Eine Quellenedition, 1777-1786. Böhlau, Weimar 2004, ISBN 978-3-7400-1213-7.
  27. Rüdiger Scholz: Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn. Kindesmorde und Kindesmörderinnen im Weimar Carl Augusts und Goethes : die Akten zu den Fällen Johanna Catharina Höhn, Maria Sophia Rost und Margarethe Dorothea Altwein. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 978-3-8260-2989-9.
  28. Scholz 2005, S. 40.
  29. Erneut abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 227-231.
  30. Scholz 2004, S. 41.
  31. Baerlocher 2004, S. 464; Scholz 2005, S. 41-42.
  32. Abgedruckt in Wahl (Hrsg.) 2004, S. 232-238.
  33. Scholz 2004, S. 42.
  34. Scholz 2004, S. 44.
  35. Scholz 2004, S. 45-46.
  36. Siehe hierzu Baerlocher 2004, S. 470-488; Scholz 2005, S. 46-49.
  37. Damm 1998, S. 94.
  38. Wilson 1999, S. 7-8.
  39. Scholz 2003, S. 331.
  40. zitiert nach Scholz 2004, S. 56.
  41. Damm 1998, S. 89.
  42. Wittkowski 2002, S. 69.
  43. Baerlocher 2002, S. 216; Wittkowski 2002, S. 88.