„Civic Education“ – Versionsunterschied

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'''Civic Education''' (ins Deutsche übertragen: ''Bürgerschaftliche Erziehung'') bzw. '''Civics''' ist ein im angloamerikanischen Sprachraum entstandenes pädagogisches Modell mit dem Ziel, durch lebenslanges [[sozial]]es und [[Multikulturelle Gesellschaft|multikulturelles]] [[Lernen]] [[Demokratie|demokratisches]] [[Handeln]] und [[Denken]] einzuüben und dadurch sicherzustellen, dass Demokratie und [[Zivilgesellschaft]] in der Praxis funktionieren.<ref>Susanne Frank: ''“Civic education” was ist das?'' In: Demokratie-Baustein „Civic education – was ist das?“, www.blk-demokratie.de, BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“, 25. Mai 2005 {{Webarchiv |url=http://www.blk-demokratie.de/fileadmin/public/dokumente/Bausteine/bausteine_komplett/Civic_education.pdf |text=(pdf; 67&nbsp;kB) |wayback=20070928020234 }}</ref> Im weiteren Sinn entspricht ihr die [[Politische Bildung]] im deutschsprachigen Raum, ebenso die '''Citizenship Education''' als Schulfach in vielen europäischen Staaten. Im speziellen Sinn bildet sie ein ausdifferenziertes Modell der [[Demokratiebildung]]. Träger und Mittler dieses Ansatzes war vor allem das 2002 bis 2008 bestehende [[Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung|BLK-Programm]] ''Demokratie lernen & leben'', für das [[Wolfgang Edelstein]] und [[Peter Fauser]] die Grundlage gaben.<ref>{{Internetquelle |url=http://blk-demokratie.de/ |titel=BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: BLK |abruf=2021-02-01}}</ref>
'''Civic Education''' (ins Deutsche übertragen: ''Bürgerschaftliche Erziehung'') bzw. '''Civics''' ist ein im angloamerikanischen Sprachraum entstandenes pädagogisches Modell mit dem Ziel, durch lebenslanges [[sozial]]es und [[Multikulturelle Gesellschaft|multikulturelles]] [[Lernen]] [[Demokratie|demokratisches]] [[Handeln]] und [[Denken]] einzuüben und dadurch sicherzustellen, dass Demokratie und [[Zivilgesellschaft]] in der Praxis funktionieren.<ref name=":0">{{Internetquelle |autor=Susanne Frank |url=https://www.pedocs.de/volltexte/2008/291/pdf/Civic_education.pdf |titel=Demokratiebaustein: "Civic education" - was ist das? |werk= |hrsg=Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung |datum=2005 |seiten=1-2 |abruf=2021-02-03 |format=PDF |sprache=}}</ref> Im weiteren Sinn entspricht ihr die [[Politische Bildung]] im deutschsprachigen Raum, ebenso die '''Citizenship Education''' als Schulfach in vielen europäischen Staaten. Im speziellen Sinn bildet sie ein ausdifferenziertes Modell der [[Demokratiebildung]]. Träger und Mittler dieses Ansatzes war vor allem das 2002 bis 2008 bestehende [[Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung|BLK-Programm]] ''Demokratie lernen & leben''<ref>{{Internetquelle |url=http://blk-demokratie.de/ |titel=BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: BLK |abruf=2021-02-03}}</ref>, für das [[Wolfgang Edelstein]] und [[Peter Fauser]] die Grundlage gaben.<ref name=":1">{{Internetquelle |autor=Wolfgang Edelstein, Peter Fauser |url=http://blk-demokratie.de/fileadmin/public/dokumente/Expertise.pdf |titel=Demokratie lernen & leben. Gutachten zum Programm |werk= |hrsg=BLK für Bildungsplanung und Forschungsförderung |datum=2001 |seiten=8ff |abruf=2021-02-01 |format=PDF}}</ref>


== Entstehung und Ansätze in den USA ==
== Entstehung und Ansätze in den USA ==
{{Belege fehlen|}}In der [[Einwanderungsland|Einwanderergesellschaft]] der USA benötigte die Gesellschaft ein normatives Gerüst so genannter „liberal virtues“, Tugenden des Zusammenlebens, die unabhängig von der kulturellen Herkunft der Bürger akzeptiert werden (W. Galston 1991<ref>''Liberal Purposes – Goods, Virtues and Diversity in the Liberal State''. Cambridge: Cambridge University Press 1991</ref>). Der Aufbau dieser Tugenden ist Ziel einer schulischen „civic education“.
{{Belege fehlen|}}In der [[Einwanderungsland|Einwanderergesellschaft]] der USA benötigte die Gesellschaft ein normatives Gerüst so genannter „liberal virtues“, Tugenden des Zusammenlebens, die unabhängig von der kulturellen Herkunft der Bürger akzeptiert werden (W. Galston 1991<ref>''Liberal Purposes – Goods, Virtues and Diversity in the Liberal State''. Cambridge: Cambridge University Press 1991</ref>). Der Aufbau dieser Tugenden ist Ziel einer schulischen „civic education“.


''Civic Education'' beruht unter anderem historisch auf der pädagogischen Theorie von [[John Dewey]] und der Philosophie des [[Pragmatismus]]. Diese setzt eine hohe Priorität auf lernendes Handeln im Vergleich zur bloßen Rezeption von Inhalten.
''Civic Education'' beruht unter anderem historisch auf der pädagogischen Theorie von [[John Dewey]] und der Philosophie des [[Pragmatismus]]. Diese setzt eine hohe Priorität auf lernendes Handeln im Vergleich zur bloßen Rezeption von Inhalten.<ref>{{Literatur |Autor=Anne Sliwka |Titel=Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde |Hrsg=BLK |Sammelwerk= |Ort= |Datum=2004 |Seiten=6 |Online=https://www.pedocs.de/volltexte/2008/258/pdf/Sliwka.pdf |Format=PDF}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Anne Sliwka, Susanne Frank |Titel=Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde ; [mit Kopiervorlagen] |Verlag=Beltz |Datum=2004 |ISBN=978-3-407-62518-2 |Online=https://books.google.de/books/about/Service_Learning.html?id=ofpQ4e1UUkQC&redir_esc=y |Abruf=2021-02-03}}</ref>


Innerhalb der US-amerikanischen ''Civic Education'' sind zwei Ansätze hervorgetreten. Der erste Ansatz (nach [[John Rawls]], [[Ronald Dworkin]], [[Bruce Ackerman]]) betont die Aufgabe (der Schule), die [[Theorie des kommunikativen Handelns|kommunikative]] [[Kompetenz (Pädagogik)|Kompetenz]] der Bürger (Schüler) zu fördern und nicht [[normativ]]e Vorgaben des guten Lebens zu vermitteln. Dahinter steht die alte liberale [[Vertragstheorie]] des Staates, die sich an den Interessen des Individuums orientiert.
Innerhalb der US-amerikanischen ''Civic Education'' sind zwei Ansätze hervorgetreten.<ref name=":0" /> Der erste Ansatz (nach [[John Rawls]], [[Ronald Dworkin]], [[Bruce Ackerman]]) betont die Aufgabe (der Schule), die [[Theorie des kommunikativen Handelns|kommunikative]] [[Kompetenz (Pädagogik)|Kompetenz]] der Bürger (Schüler) zu fördern und nicht [[normativ]]e Vorgaben des guten Lebens zu vermitteln. Dahinter steht die alte liberale [[Vertragstheorie]] des Staates, die sich an den Interessen des Individuums orientiert.


Der zweite Ansatz ([[Benjamin R. Barber]] 1984) betont weniger die Förderung der kommunikativen Kompetenz, sondern die aktive Gestaltung der [[Lebenswelt]]. Schule soll hier normative Tugenden vermitteln und diese sollen dann in der [[Öffentlichkeit]] angewendet werden, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Eine „starke Demokratie“ soll das „gute Leben“ umsetzen. Dahinter steht eine [[Politik (Aristoteles)|aristotelische]] Staatstheorie.
Der zweite Ansatz ([[Benjamin R. Barber]] 1984) betont weniger die Förderung der kommunikativen Kompetenz, sondern die aktive Gestaltung der [[Lebenswelt]]. Schule soll hier normative Tugenden vermitteln und diese sollen dann in der [[Öffentlichkeit]] angewendet werden, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Eine „starke Demokratie“ soll das „gute Leben“ umsetzen. Dahinter steht eine [[Politik (Aristoteles)|aristotelische]] Staatstheorie.
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In einem speziellen, in Deutschland von Edelstein/Fauser 2001 aufgenommenen Ansatz kann ''Civic Education'' (auch '''Citizenship Education''') als „'''Lernen für Demokratie und Zivilgesellschaft'''“ übersetzt werden. Dabei geht es um die Gestaltbarkeit der Gesellschaft im Sinne einer künftig demokratischen, [[gerecht]]en und [[Weltfrieden|friedlichen Welt]]. Sie soll zum einen politisches [[Anstrengung|Engagement]] und [[soziale Kompetenz]] fördern und zum anderen helfen, fundamentale [[Demokratie|demokratische]] Prinzipien zu verstehen und sich für diese einzusetzen.
In einem speziellen, in Deutschland von Edelstein/Fauser 2001 aufgenommenen Ansatz kann ''Civic Education'' (auch '''Citizenship Education''') als „'''Lernen für Demokratie und Zivilgesellschaft'''“ übersetzt werden. Dabei geht es um die Gestaltbarkeit der Gesellschaft im Sinne einer künftig demokratischen, [[gerecht]]en und [[Weltfrieden|friedlichen Welt]]. Sie soll zum einen politisches [[Anstrengung|Engagement]] und [[soziale Kompetenz]] fördern und zum anderen helfen, fundamentale [[Demokratie|demokratische]] Prinzipien zu verstehen und sich für diese einzusetzen.


''Civic Education'' wird als eine Reaktion gesehen auf spezifische gesellschaftliche Probleme ([[Einwanderung]], [[Rassismus]], [[Toleranz|Intoleranz]], [[Globalisierung]], [[Kulturverlust]]) und Aufgaben ([[Gender-Mainstreaming]], [[Ethik]]) und die Notwendigkeit, dass auch die [[Jugend]] aktiv die [[Demokratie]] und [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] mitgestalten sollte. Kommunikativer Unterricht, [[soziales Lernen]] sowie [[Demokratiekompetenz|demokratische Kompetenzen]] stehen dabei im Mittelpunkt. CE arbeitet grundsätzlich team- und projektorientiert. Nach dieser [[Erziehungsmethode]] soll nicht nur Toleranz geübt werden; Ziel ist vielmehr eine bewusste Förderung divergenten Denkens. Sie soll die Jugend an die Aufgabe heranführen, die Gesellschaft bewusst und aktiv mitzugestalten. Durch Angebote und neue Perspektiven soll eine [[humanistisch]]e Prägung erfolgen, die schließlich [[Zivilcourage]] hervorbringt. CE ist seit dem „[[Mauerfall]]“ 1989, der die Aufgabe einer Demokratisierung Ostdeutschlands nach sich zog, aufgrund vielfältiger sozialer Probleme in den Blickpunkt gerückt. CE ist ein wichtiger Aspekt des [[Lebenslanges Lernen|lebenslangen Lernens]].
''Civic Education'' wird als eine Reaktion gesehen auf spezifische gesellschaftliche Probleme ([[Einwanderung]], [[Rassismus]], [[Toleranz|Intoleranz]], [[Globalisierung]], [[Kulturverlust]]) und Aufgaben ([[Gender-Mainstreaming]], [[Ethik]]) und die Notwendigkeit, dass auch die [[Jugend]] aktiv die [[Demokratie]] und [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] mitgestalten sollte. Kommunikativer Unterricht, [[soziales Lernen]] sowie [[Demokratiekompetenz|demokratische Kompetenzen]] stehen dabei im Mittelpunkt. CE arbeitet grundsätzlich team- und projektorientiert. Nach dieser [[Erziehungsmethode]] soll nicht nur Toleranz geübt werden; Ziel ist vielmehr eine bewusste Förderung divergenten Denkens. Sie soll die Jugend an die Aufgabe heranführen, die Gesellschaft bewusst und aktiv mitzugestalten. Durch Angebote und neue Perspektiven soll eine [[humanistisch]]e Prägung erfolgen, die schließlich [[Zivilcourage]] hervorbringt. CE ist seit dem „[[Mauerfall]]“ 1989, der die Aufgabe einer Demokratisierung Ostdeutschlands nach sich zog, aufgrund vielfältiger sozialer Probleme in den Blickpunkt gerückt.<ref name=":1" /> CE ist ein wichtiger Aspekt des [[Lebenslanges Lernen|lebenslangen Lernens]].


''Civic Education'' bietet Lernsituationen an, in denen im ''demokratischen Sprechen'' und in der Übernahme von Verantwortung im ''demokratischen Handeln'' Erfahrungen zu machen sind. (s. u.)
''Civic Education'' bietet Lernsituationen an, in denen im ''demokratischen Sprechen'' und in der Übernahme von Verantwortung im ''demokratischen Handeln'' Erfahrungen zu machen sind.<ref>{{Literatur |Autor=Anne Sliwka |Titel=Demokratiepädagogik in der Schule |Hrsg= |Sammelwerk=Grundbegriffe Ganztagsbildung: Das Handbuch |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=VS Verlag für Sozialwissenschaften |Ort=Wiesbaden |Datum=2008 |ISBN=978-3-531-91161-8 |DOI=10.1007/978-3-531-91161-8_69 |Seiten=694–703}}</ref> (s. u.)


''Civic education'' ist nach Sliwka auch eine Reaktion auf das [[Böckenförde-Diktum]] von 1964 „''Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.'' Das ist das große Wagnis, dass er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Wenn die Individuen in der [[Säkularisierung|säkularen]] Gesellschaft aus den [[Religion]]en kein [[soziales Kapital]] mehr erwerben können, dann könnte dieser Ansatz dem abhelfen. Ob ein politisches Prinzip oder Erziehung eine ähnliche Stärke wie eine Religion entfalten kann, ist allerdings umstritten.
''Civic education'' ist nach Sliwka auch eine Reaktion auf das [[Böckenförde-Diktum]] von 1964 „''Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.'' Das ist das große Wagnis, dass er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Wenn die Individuen in der [[Säkularisierung|säkularen]] Gesellschaft aus den [[Religion]]en kein [[soziales Kapital]] mehr erwerben können, dann könnte dieser Ansatz dem abhelfen.<ref name=":0" /> Ob ein politisches Prinzip oder Erziehung eine ähnliche Stärke wie eine Religion entfalten kann, ist allerdings umstritten.


=== Abgrenzung zur Politischen Bildung ===
=== Abgrenzung zur Politischen Bildung ===
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=== [[Lernen durch Handeln]] ===
=== [[Lernen durch Handeln]] ===
* [[Soziales Lernen]]
* [[Soziales Lernen]]
* [[Service Learning]]<ref>{{Literatur |Autor=Anne Sliwky |Titel=Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde |Hrsg=BLK |Sammelwerk= |Verlag= |Ort=Berlin |Datum=2004 |ISBN= |Online=https://www.pedocs.de/volltexte/2008/258/pdf/Sliwka.pdf |Format=PDF}}</ref>
* [[Service Learning]]
* [[Youth Leadership]]
* [[Youth Leadership]]


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== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Anne Sliwka]]: ''Demokratie lernen und leben: Gutachten und Empfehlungen.'' Freudenberg Stiftung, Weinheim 2001. (beide Bände können bei der Stiftung kostenlos angefordert werden)
* [[Anne Sliwka]]: ''Demokratie lernen und leben: Gutachten und Empfehlungen.'' Freudenberg Stiftung, Weinheim 2001.
** Bd. 1. ''Probleme, Voraussetzungen, Möglichkeiten''
** Bd. 1. ''Probleme, Voraussetzungen, Möglichkeiten''
** Bd. 2. ''Das anglo-amerikanische Beispiel.''
** Bd. 2. ''Das anglo-amerikanische Beispiel.''

Version vom 3. Februar 2021, 11:46 Uhr

Civic Education (ins Deutsche übertragen: Bürgerschaftliche Erziehung) bzw. Civics ist ein im angloamerikanischen Sprachraum entstandenes pädagogisches Modell mit dem Ziel, durch lebenslanges soziales und multikulturelles Lernen demokratisches Handeln und Denken einzuüben und dadurch sicherzustellen, dass Demokratie und Zivilgesellschaft in der Praxis funktionieren.[1] Im weiteren Sinn entspricht ihr die Politische Bildung im deutschsprachigen Raum, ebenso die Citizenship Education als Schulfach in vielen europäischen Staaten. Im speziellen Sinn bildet sie ein ausdifferenziertes Modell der Demokratiebildung. Träger und Mittler dieses Ansatzes war vor allem das 2002 bis 2008 bestehende BLK-Programm Demokratie lernen & leben[2], für das Wolfgang Edelstein und Peter Fauser die Grundlage gaben.[3]

Entstehung und Ansätze in den USA

In der Einwanderergesellschaft der USA benötigte die Gesellschaft ein normatives Gerüst so genannter „liberal virtues“, Tugenden des Zusammenlebens, die unabhängig von der kulturellen Herkunft der Bürger akzeptiert werden (W. Galston 1991[4]). Der Aufbau dieser Tugenden ist Ziel einer schulischen „civic education“.

Civic Education beruht unter anderem historisch auf der pädagogischen Theorie von John Dewey und der Philosophie des Pragmatismus. Diese setzt eine hohe Priorität auf lernendes Handeln im Vergleich zur bloßen Rezeption von Inhalten.[5][6]

Innerhalb der US-amerikanischen Civic Education sind zwei Ansätze hervorgetreten.[1] Der erste Ansatz (nach John Rawls, Ronald Dworkin, Bruce Ackerman) betont die Aufgabe (der Schule), die kommunikative Kompetenz der Bürger (Schüler) zu fördern und nicht normative Vorgaben des guten Lebens zu vermitteln. Dahinter steht die alte liberale Vertragstheorie des Staates, die sich an den Interessen des Individuums orientiert.

Der zweite Ansatz (Benjamin R. Barber 1984) betont weniger die Förderung der kommunikativen Kompetenz, sondern die aktive Gestaltung der Lebenswelt. Schule soll hier normative Tugenden vermitteln und diese sollen dann in der Öffentlichkeit angewendet werden, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Eine „starke Demokratie“ soll das „gute Leben“ umsetzen. Dahinter steht eine aristotelische Staatstheorie.

BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“

In einem speziellen, in Deutschland von Edelstein/Fauser 2001 aufgenommenen Ansatz kann Civic Education (auch Citizenship Education) als „Lernen für Demokratie und Zivilgesellschaft“ übersetzt werden. Dabei geht es um die Gestaltbarkeit der Gesellschaft im Sinne einer künftig demokratischen, gerechten und friedlichen Welt. Sie soll zum einen politisches Engagement und soziale Kompetenz fördern und zum anderen helfen, fundamentale demokratische Prinzipien zu verstehen und sich für diese einzusetzen.

Civic Education wird als eine Reaktion gesehen auf spezifische gesellschaftliche Probleme (Einwanderung, Rassismus, Intoleranz, Globalisierung, Kulturverlust) und Aufgaben (Gender-Mainstreaming, Ethik) und die Notwendigkeit, dass auch die Jugend aktiv die Demokratie und Gesellschaft mitgestalten sollte. Kommunikativer Unterricht, soziales Lernen sowie demokratische Kompetenzen stehen dabei im Mittelpunkt. CE arbeitet grundsätzlich team- und projektorientiert. Nach dieser Erziehungsmethode soll nicht nur Toleranz geübt werden; Ziel ist vielmehr eine bewusste Förderung divergenten Denkens. Sie soll die Jugend an die Aufgabe heranführen, die Gesellschaft bewusst und aktiv mitzugestalten. Durch Angebote und neue Perspektiven soll eine humanistische Prägung erfolgen, die schließlich Zivilcourage hervorbringt. CE ist seit dem „Mauerfall“ 1989, der die Aufgabe einer Demokratisierung Ostdeutschlands nach sich zog, aufgrund vielfältiger sozialer Probleme in den Blickpunkt gerückt.[3] CE ist ein wichtiger Aspekt des lebenslangen Lernens.

Civic Education bietet Lernsituationen an, in denen im demokratischen Sprechen und in der Übernahme von Verantwortung im demokratischen Handeln Erfahrungen zu machen sind.[7] (s. u.)

Civic education ist nach Sliwka auch eine Reaktion auf das Böckenförde-Diktum von 1964 „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, dass er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Wenn die Individuen in der säkularen Gesellschaft aus den Religionen kein soziales Kapital mehr erwerben können, dann könnte dieser Ansatz dem abhelfen.[1] Ob ein politisches Prinzip oder Erziehung eine ähnliche Stärke wie eine Religion entfalten kann, ist allerdings umstritten.

Abgrenzung zur Politischen Bildung

Im Unterschied zur „Politischen Bildung“ beanspruchen die Demokratiepädagogik allgemein und die Civic Education die Verwendung eines erweiterten Begriffs von Demokratielernen, der sich nicht nur mit Politik, Geschichte, Wirtschaft und Recht auseinandersetzt, sondern mit dem ganzen Menschen und seiner Umwelt, seiner Herkunft und Zukunft genauso wie mit seiner Biologie und Kultur.

Im klassischen Verständnis ist Politische Bildung:[8]

  • stärker fachwissenschaftlich zentriert
  • mehr auf Wissen und weniger auf Können und Handeln angelegt
  • stärker auf systematische und staatliche Ebene, auf Regierung und Herrschaft ausgerichtet

Aus Sicht der CE bildet Demokratiepädagogik den Dachbegriff für die Aufgabe, die mit Erhalt und Erneuerung von Demokratie verbunden ist, eine übergreifende Kategorie, der sich politische Bildung, demokratische Erziehung und demokratisches Handeln als Teilaspekte zuordnen lassen. Sie

  • hat stärker die übergreifende Aufgabe der Erziehung im Blick
  • betrachtet Schule insgesamt – über den Unterricht hinaus
  • ist mehr auf Kompetenz und Handeln ausgelegt
  • ist primär im Sinne eines Menschenrechts-Universalismus angelegt
  • fasst mehr das Ganze der Kultur auf und thematisiert Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform

Kritik

Die Civic Education und Demokratiepädagogik wurden in der Fachwissenschaft breit debattiert und auch kritisiert. Im Kern lässt sich die Kritik auf folgende Punkte eingrenzen.

  • Die CE vernachlässige kognitives Lernen, da komplexe politische Inhalte nur dabei ausreichend durchdrungen werden können.[9] Ein Komplex wie die Finanzkrise 2007 und die Auseinandersetzung um politische Lösungsansätze ließe sich nicht allein erfahrungsbasiert erfassen.
  • Der Fokus auf die Lebenswelt und damit auf das Soziale bzw. Zwischenmenschliche verstelle den Blick auf strukturelle Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Der Lebensweltbezug, welcher auch in der Politischen Bildung essenziell ist, dürfe nicht dazu führen, dass strukturell sehr unterschiedliche politische Ebenen gleichgesetzt werden. Diverse Studien legen nahe, dass Erfahrungen aus dem sozialen Nahbereich keinen Transfer des Gelernten auf andere politische Ebene garantieren. Engagement in der Nachbarschaft, wie z. B. im Ansatz des Service Learnings, erweitern die politische Handlungskompetenz bei der Auseinandersetzung um größere gesellschaftliche Fragen (z. B. im Konflikt um die Nutzung von Atomkraft) also eher nicht.[10]
  • Die CE geht von einem allgemeinen interessenausgleichenden Gemeinwohlbegriff aus, was das Ziel von Politik sei. Dies wurde teilweise als zu einseitiger Politikbegriff verstanden, der strukturelle Konflikte unbetrachtet lässt bzw. als destruktiv versteht. Diese Kritik basiert auf einem Konflikt, der schon früher in der Politischen Bildung um den Gemeinwohlbegriff geführt wurde.[11]

Allgemein lässt sich sagen, dass sich CE und Politische Bildung im Verlaufe der Debatte angenähert haben. Während in der Praxis der CE die Reflexion und kognitives Lernen einen höheren Stellenwert erlangt haben, wurde auch die Politische Bildung von der CE beeinflusst. Erfahrungsbasiertes Lernen und neue Ansätze, wie die Betrachtung des Zusammenhangs von Emotionen und Politischer Bildung, machen auch hier Veränderungen deutlich.

Schulfach in Europa

Die Europäische Union hat die Citizenship Education als besonders wichtig erklärt (Eurydike-Bericht).[12]

England

Citizenship Education ist seit 2001 im englischen National Curriculum ein Pflichtfach für alle Schüler von 11 bis 16 Jahren. Die Einführung folgte dem Crick-Report von 1998[13], den die New Labour-Regierung veranlasst hatte. Die politische Kultur sollte in Richtung aktiver Bürger verändert werden, weshalb das neue Fach obligatorisch wurde.

Das Studienprogramm wurde 2014 eingeführt mit vier Schlüsselgebieten (auch nach der Überarbeitung 2007/08 mit Schlüsselbegriffen und Schlüsselprozessen):

  • Politik: Parlamentarische Demokratie in Großbritannien, Parlament, Wahlen, politische Parteien; Bürgereinfluss über demokraische Prozesse; andere Regierungssysteme, Europa, Commonwealth, globale Probleme
  • Finanzielle Skills: Funktion und Gebrauch von Geld, Ausgaben- und Geldmanagement, Löhne, Steuern, Kredit, Finanzdienste
  • Freiwillige Dienste: Wege, wie ein Bürger zur Verbesserung der Gemeinschaft beitragen kann, aktive Partizipation
  • Recht: Freiheiten der britischen Bürger, Regeln und Gesetze, Straf- und Zivilrecht; Justizsystem; Diversität in Großbritannien – gegenseitiger Respekt und Verständnis

Nach dem konservativen Wahlsieg 2010 wurde das Curriculum zwar nicht abgeschafft, aber in Richtung mehr Wissen statt Skills überarbeitet. Die Lehrerfortbildung fiel weg.

2018 veröffentlichte das Oberhaus The Ties That Bind: Citizenship and Civic Engagement in the 21st Century.[14] Das Dokument kritisierte den Zustand des Faches, sprach sich für eine Verlegung an das Ende der Schulzeit aus und forderte eine Inspektion durch die Schulaufsicht Ofsted.[15] Auch sollten endlich Fachlehrkräfte ausgebildet und das Curriculum modernisiert werden.

Durch die Akademisierung des englischen Schulsystems ist das Fach stark bedroht. Academies, die inzwischen ¾ der Sekundarschulen ausmachen, müssen nicht dem National Curriculum folgen. Die Konzentration auf Kernfächer lässt den Unterricht in Citizenship Education als eigenes Fach zurückgehen. Die Fokussierung auf die Examensergebnisse stellt Kursarbeit und experimentelles Lernen infrage.

Frankreich

Im Bildungssystem in Frankreich ist Citizenship Education als ECJS (éducation civique, juridique et sociale) bekannt, auch einfach als éducation civique im Collège und in der Grundschule. Als Antwort auf die Terrorattacken 2015 kündigte die Regierung einen neuen Plan für das Fach an, um die Autorität der Lehrkräfte wiederherzustellen, die Werte der Republik zu stärken und Gemeinschaftswerte und -dienste zu stärken. Dazu gehört auch ein jährlicher Tag des Laizismus am 9. Dezember, dem Tag, als 1905 das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat (Frankreich) erlassen wurde.[16]

Methoden der Civic Education

Methoden der Civic Education sind u. a.:

Lernen durch Sprechen

Es wird angenommen, dass die Fähigkeit eines Menschen zur Argumentation, zur Abwägung und dann zur Entscheidung eines Problems die zentrale Tugend ist, um eine Demokratie aufrechtzuerhalten bzw. weiterzuentwickeln. Zum Lernen durch Sprechen gehören:
Deliberieren ist vernunftgeleitetes und freies Sprechen. Das Ziel ist eine grundsätzliche Verständigung über ein Problem. Deliberieren führt nicht zu einer abschließenden Abstimmung wie beim Debating. Die Teilnehmer müssen sich hier auf die Inhalte des Diskurses konzentrieren. Hier steht also nicht die Form, das rhetorische Geschick oder die Schlagfertigkeit im Vordergrund, sondern der Verständigungsprozess über ein Problem, um zu kreativen Lösungen zu kommen.
Die Teilnehmer eines Diskurses sitzen in einem Kreis, ohne Führung und fester Tagesordnung. Es wird völlig frei nacheinander laut gedacht. Die Teilnehmer müssen hier die Umwelt – alte Konflikte, Machtspiele, … - zurückstellen, um sich partnerschaftlich zu verständigen.[17]

Siehe auch

Literatur

  • Anne Sliwka: Demokratie lernen und leben: Gutachten und Empfehlungen. Freudenberg Stiftung, Weinheim 2001.
    • Bd. 1. Probleme, Voraussetzungen, Möglichkeiten
    • Bd. 2. Das anglo-amerikanische Beispiel.

Einzelnachweise

  1. a b c Susanne Frank: Demokratiebaustein: "Civic education" - was ist das? (PDF) Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, 2005, S. 1-2, abgerufen am 3. Februar 2021.
  2. BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: BLK. Abgerufen am 3. Februar 2021.
  3. a b Wolfgang Edelstein, Peter Fauser: Demokratie lernen & leben. Gutachten zum Programm. (PDF) BLK für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 2001, S. 8ff, abgerufen am 1. Februar 2021.
  4. Liberal Purposes – Goods, Virtues and Diversity in the Liberal State. Cambridge: Cambridge University Press 1991
  5. Anne Sliwka: Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde. Hrsg.: BLK. 2004, S. 6 (pedocs.de [PDF]).
  6. Anne Sliwka, Susanne Frank: Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde ; [mit Kopiervorlagen]. Beltz, 2004, ISBN 978-3-407-62518-2 (google.de [abgerufen am 3. Februar 2021]).
  7. Anne Sliwka: Demokratiepädagogik in der Schule. In: Grundbegriffe Ganztagsbildung: Das Handbuch. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-91161-8, S. 694–703, doi:10.1007/978-3-531-91161-8_69.
  8. Demokratiepädagogik, Zusammenstellung nach Peter Fauser – Universität Jena (MS PowerPoint; 2,4 MB)
  9. Gotthard Breit: Demokratiepädagogik und Politikdidaktik — Gemeinsamkeiten und Unterschiede. In: Georg Weißeno (Hrsg.): Politik besser verstehen. ISBN 978-3-531-14671-3, S. 43–61.
  10. Sibylle Reinhardt: Was leistet Demokratie-Lernen für die politische Bildung? Gibt es empirische Indizien zum Transfer von Partizipation im Nahraum auf Demokratie-Kompetenz im Staat? Ende einer Illusion und neue Fragen. In: Dirk Lange, Gerhard Himmelmann (Hrsg.): Demokratiedidaktik - Impulse für die Politische Bildung. ISBN 978-3-531-17116-6, S. 125–141.
  11. Rainer-Olaf Schultze: Gemeinwohl. In: Dieter Nohlen, Florian Grotz (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik. S. 211–215.
  12. Publications Office of the European Union: Bürgererziehung an den Schulen in Europa : 2017. 1. Oktober 2018, abgerufen am 31. Januar 2021 (englisch).
  13. B. Crick: Education for Citizenship and the Teaching of Democracy in Schools: Final Report of the Advisory Group on Citizenship. London 1998
  14. The Ties that Bind: Citizenship and Civic Engagement in the 21st Century. (PDF) House of Lords, 21. April 2018, abgerufen am 31. Januar 2021 (englisch).
  15. Equality and diversity. Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills, abgerufen am 1. Februar 2021 (englisch).
  16. Enseignement moral et civique - Éduscol. eduscol.education.fr, 13. Dezember 2016, abgerufen am 31. Januar 2021 (französisch).
  17. Anne Sliwka, Silvia Lauble, Susanne Frank: Das Deliberationsforum als neue Lernform. Wissen-, Meinungs- und Konsensfindung zu gesellschaftspolitischen Themen verstehen und gestalten. Baden-Württemberg 2006. (PDF; 621 kB (Memento vom 18. Dezember 2007 im Internet Archive))
  18. Anne Sliwky: Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde. Hrsg.: BLK. Berlin 2004 (pedocs.de [PDF]).