„Australopithecus afarensis“ – Versionsunterschied

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Einer 2005 veröffentlichten Studie zufolge belegen die Fußspuren von Laetoli, dass sich ''Australopithecus afarensis'' mit einer Geschwindigkeit von 0,6 bis 1,3 [[Meter pro Sekunde|m/s]] vollständig aufrecht fortbewegte. Die Berechnung wurde anhand der Abmessungen von ''Lucy'' und der Spuren mittels Modellsimulation durchgeführt.<ref>William I. Sellers: ''Stride lengths, speed and energy costs in walking of Australopithecus afarensis: using evolutionary robotics to predict locomotion of early human ancestors.'' In: ''Journal of the Royal Society Interface'', Band 2, Nr. 5, 2005, S. 431–441, {{doi|10.1098/​rsif.2005.0060}}</ref>
Einer 2005 veröffentlichten Studie zufolge belegen die Fußspuren von Laetoli, dass sich ''Australopithecus afarensis'' mit einer Geschwindigkeit von 0,6 bis 1,3 [[Meter pro Sekunde|m/s]] vollständig aufrecht fortbewegte. Die Berechnung wurde anhand der Abmessungen von ''Lucy'' und der Spuren mittels Modellsimulation durchgeführt.<ref>William I. Sellers: ''Stride lengths, speed and energy costs in walking of Australopithecus afarensis: using evolutionary robotics to predict locomotion of early human ancestors.'' In: ''Journal of the Royal Society Interface'', Band 2, Nr. 5, 2005, S. 431–441, {{doi|10.1098/​rsif.2005.0060}}</ref>

2010 erbrachte ein biomechanisches Experiment zudem den Nachweis, dass die versteinerten Fußspuren ein Abdruckprofil konserviert haben, das weitgehend dem der modernen Menschen gleicht: Beim aufrechten Gehen ist die Abdrucktiefe von [[Zehe (Fuß)|Zehen]] und [[Ferse]] annähernd gleich; beim schimpansen-artigen Gehen drücken sich die Zehen tiefer in den Boden als die Ferse.<ref>David A. Raichlen u. a.: ''Laetoli footprints preserve earliest direct evidence of human-like bipedal biomechanics. In: ''[[Public Library of Science|PLoS ONE]]'' 5(3): e9769. 2010; {{DOI|10.1371/journal.pone.0009769}} <br /> [http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/310563.html wissenschaft.de] vom 20. März 2010: „Vormensch mit durchgedrücktem Kreuz. Stammesverwandte des Menschen gingen vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht.“</ref> Demnach hatte sich ein – hinsichtlich der [[Bewegungsablauf|Bewegungsabläufe]] und der [[Energieeffizienz]] – menschenähnlicher aufrechter Gang bereits lange vor dem Entstehen der Gattung ''[[Homo]]'' entwickelt.


== Tiere und Lebensraum ==
== Tiere und Lebensraum ==

Version vom 18. August 2010, 10:49 Uhr

Australopithecus afarensis

Nachbildung des Skeletts von Lucy im Museo Nacional de Antropología in Mexiko-Stadt

Zeitliches Auftreten
Pliozän
4,0 bis 2,9 Mio. Jahre
Fundorte
Systematik
Altweltaffen (Catarrhini)
Menschenartige (Hominoidea)
Menschenaffen (Hominidae)
Hominini
Australopithecus
Australopithecus afarensis
Wissenschaftlicher Name
Australopithecus afarensis
Johanson, White & Coppens, 1978

Australopithecus afarensis (lateinisch australis ‚südlich‘, Vorlage:GrS ‚Affe‘ → Südaffe von Afar) ist die bekannteste Art der ausgestorbenen Gattung Australopithecus. Sie lebte vor etwa 4 bis 2,9 Millionen Jahren im Pliozän Ostafrikas. Die Art wurde 1978 durch Donald Johanson, Tim White und Yves Coppens erstmals wissenschaftlich beschrieben;[1] zuvor waren die Funde der Art Meganthropus africanus zugeordnet worden. Als Holotyp wurde der 3,6 bis 3,8 Millionen Jahre alte Unterkiefer mit dem Kürzel L.H. 4 (Laetoli Hominid 4) definiert.[1] Das Fossil war 1974 von M. Mubuila in Laetoli (Tansania) gefunden worden.

Stammesgeschichtlich wird Australopithecus afarensis in die Nähe der Entwicklungslinie zur Gattung Homo gestellt.

Forschungsgeschichte

Erster „Entdecker“ eines Fossils von Australopithecus afarensis war Ludwig Kohl-Larsen, der bereits 1939 in Tansania (damals Tanganjika) auf der Suche nach dem Urmenschen ein kleines Oberkieferfragment G.H. 1 (Garusi Hominid 1) fand,[2][3] ohne ein neues Taxon zu vergeben.[4] Das hohe Alter des Fossils, das in einem Sandsteinblock des Garusi-Tals verbacken war, wurde jedoch bereits erkannt.[2] Wolfgang Abel lehnte in einer schriftlichen Mitteilung des Jahres 1940 die Ähnlichkeit mit dem von Hans Weinert gefundenen und viel jüngeren Africanthropus-Schädel“ (Africanthropus Weinert, 1938)[5] ab und stellte den Fund korrekterweise in die Nähe der kurz zuvor von Robert Broom entdeckten Fossilien des Australopithecus Transvaalensis (heute Australopithecus africanus).[2] Abel hatte zuvor den Kinderschädel von Taung untersucht und war sich der Diversität verschiedener Australopithecinenfunde bewusst.[6] Erstmals 1948 von Edwin Hennig (Taxon „Praeanthropus“)[7] und ab den frühen 50-er Jahren wurde Abels Zuordnung zu Australopithecus von anderen Paläoanthropologen gestützt, ohne jedoch dem Garusi-Fragment den Status als Holotyp einer neuen Art zuzusprechen.[8] Die Bedeutung des Garusi-Oberkiefers liegt trotz der ausgebliebenen Artbeschreibung in der Erkenntnis, dass Australopithecinen diesem Fund zufolge nicht nur auf Südafrika beschränkt sein konnten, da es der forschungsgeschichtlich erste Fund in Ostafrika war.

Individuen der Art Australopithecus afarensis sind einer im Jahr 2010 publizierten Studie zufolge die ältesten bisher bekannten Vertreter der Hominini, die – ausweislich von Schnittspuren an zwei Tierknochen – Steinwerkzeuge benutzten.[9]

„Lucy“

Bekanntestes Fossil der Art ist „Lucy“ (AL 288-1; AL = „Afar Locality“), benannt nach dem Beatles-Song „Lucy in the sky with diamonds“, der am Tage der Entdeckung im Forschercamp laufend per Tonband abgespielt wurde. Das Skelett der zierlichen, nur 105 cm großen Lucy wurde in Hadar, im Afar-Dreieck in Äthiopien, am 30. November 1974 von Donald Johanson gefunden. Das Skelett gehört wahrscheinlich zu einem weiblichen Australopithecus afarensis, der im Alter von etwa 25 Jahren vor ungefähr 3,2 Mio. Jahren starb. Diese Interpretation des zu den besterhaltenen Skeletten eines zu den unmittelbaren Vorfahren des Menschen (Hominini) zählenden Fundes rührt von Überlegungen zum Größenverhältnis der Geschlechter (Geschlechtsdimorphismus) bei Australopithecinen her. Etwa 20 Prozent des Skeletts wurden gefunden (bleiben Hand- und Fußknochen unberücksichtigt, die etwa die Hälfte der Knochenzahl des Skeletts ausmachen, sind es 40 Prozent), darunter Oberschenkel und Schienbein, Teile des Beckens, der Wirbelsäule, des Schädels und des Armskeletts. Der Skelettbau zeigt eindeutige Anpassungen an den aufrechten Gang.

Aufrechter Gang

Der aufrechte Gang von Australopithecus afarensis ist durch fossile Fußspuren belegt, die ein Mitarbeiter von Mary Leakey in der zu Gestein gewordenen vulkanischen Asche von Laetoli in Tansania fand. Kurze Zeit nach dem Ausbruch des Vulkans Sadiman vor 3,6 Millionen Jahren gingen zwei Australopithecus afarensis über die feuchte Asche, die kurz darauf aushärtete und ihre Fährten konservierte. Die Plausibilität der Zuschreibung dieser Fußspuren zu Australopithecus afarensis wurde im Rahmen des Dikika Research Projects durch den äthiopischen Paläoanthropologen Zeresenay Alemseged bestätigt, der das Fossil DIK 1-1 („Selam“) untersuchte und ihm ebenfalls die Fähigkeit zum aufrechten Gehen zuschrieb. Aus diesem sehr gut erhaltenen fossilen Skelett eines jugendlichen, weiblichen Australopithecus afarensis ließ sich aber auch ableiten, dass zumindest junge Australopithecinen noch gut im Geäst der Bäume hangeln konnten, vergleichbar den modernen Schimpansen.

Im Unterschied zu DIK 1-1 und der nur knapp über einen Meter großen Lucy steht ein 2010 von Yohannes Haile-Selassie wissenschaftlich beschriebenes, 3.58 Millionen Jahre altes Skelett von der Fundstelle Woranso-Mille (Afar-Dreieck, Äthiopien) für ein möglicherweise fast zwei Meter großes, ausgewachsenes Individuum. Erhalten geblieben sind unter anderem Teile des Schulterblatts, des Beckens sowie aussagekräftige Teile der Röhrenknochen von Ober- und Unterschenkel einschließlich ihrer Endstücke im Bereich des Kniegelenks. Auch aus diesem Fund konnte abgeleitet werden, dass die Fähigkeit zum aufrechten Gehen bei Australopithecus afarensis weit fortgeschritten („highly evolved“) war.[10] Die Rekonstruktion der Körpergröße ist allerdings umstritten.[11]

Einer 2005 veröffentlichten Studie zufolge belegen die Fußspuren von Laetoli, dass sich Australopithecus afarensis mit einer Geschwindigkeit von 0,6 bis 1,3 m/s vollständig aufrecht fortbewegte. Die Berechnung wurde anhand der Abmessungen von Lucy und der Spuren mittels Modellsimulation durchgeführt.[12]

2010 erbrachte ein biomechanisches Experiment zudem den Nachweis, dass die versteinerten Fußspuren ein Abdruckprofil konserviert haben, das weitgehend dem der modernen Menschen gleicht: Beim aufrechten Gehen ist die Abdrucktiefe von Zehen und Ferse annähernd gleich; beim schimpansen-artigen Gehen drücken sich die Zehen tiefer in den Boden als die Ferse.[13] Demnach hatte sich ein – hinsichtlich der Bewegungsabläufe und der Energieeffizienz – menschenähnlicher aufrechter Gang bereits lange vor dem Entstehen der Gattung Homo entwickelt.

Tiere und Lebensraum

In Hadar wurden im Zusammenhang mit Australopithecus afarensis die Überreste von zahlreichen fossilen Tierarten geborgen, darunter urtümliche Paviane (Parapaio), Fleckenhyänen (Percrocuta), Hyänen (Chasmoporthetes), Säbelzahnkatzen (Meganteron und Homotherium), Mäuse (Saidomys), Kurzhalsgiraffen (Sivatherium) sowie Verwandte der heutigen Gnus (Damalops) und der Antilopen (Praedamalis); es wurden nur wenige reine Waldbewohner entdeckt. Die Artenzusammensetzung ist demnach „typisch für Mosaiklandschaften mit Grasflächen, Gehölzen sowie geschlossenen Busch- und Baumbeständen an Wasserläufen und in Gebirgstälern.“[14] Die Region von Hadar war zur Zeit des Australopithecus afarensis – in einer Höhe von 2400 Metern – deutlich kühler als in Laetoli und wies vermutlich auch Wälder auf.

Siehe auch

Literatur

  • D. C. Johanson und Maitland Edey: Lucy – Die Anfänge der Menschheit. (Dt. Ausgabe), R.Piper & Co. München 1982, ISBN 3-492-02738-5
  • Yves Coppens: Lucys Knie – Die prähistorische Schöne und die Geschichte der Paläontologie, München, 2002
Commons: Australopithecus afarensis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Donald Johanson, Tim White und Yves Coppens: A New Species of the Genus Australopithecus (Primates: Hominidae) from the Pliocene of Eastern Africa. Kirtlandia 28 (1978), S. 1-14
  2. a b c L. Kohl-Larsen: Auf den Spuren des Vormenschen. Strecker und Schröder, Stuttgart (1943), Bd. 2, S. 379–381
  3. Im Originaltext wird der Fluss Garussi genannt, was auf ein scharfes „s“ hindeutet, das später in der englischen Transliteration verloren gegangen ist.
  4. Pierre-François Puecha, François Cianfaranic and Helga Roth: Reconstruction of the maxillary dental arcade of Garusi Hominid 1. Journal of Human Evolution 15/5, July 1986, S. 325-332,doi:10.1016/S0047-2484(86)80015-X
  5. Hans Weinert: Africanthropus njarasensis. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie, Band 38, Heft 2, 1939, Stuttgart (E. Schweizerbart), S. 252-308
  6. Wolfgang Abel: Kritische Untersuchungen über Australopithecus africanus Dart. Morph. Jahrbuch, 65 (4), 1931, S. 539-640.
  7. E. Hennig: Quartarfaunen und Urgeschichte Ostafrikas. Naturwissenschaftliche Rundschau Jahrg. 1, Heft 5, 1948, S. 212-217
  8. Phillip Tobias: Australopithecus, Homo Habilis, Tool-Using and Tool-Making. The South African Archaeological Bulletin, Vol. 20, No. 80 (Dec. 1965), S 167-192 (zur Forschungsgeschichte speziell S. 169)
  9. Shannon P. McPherron u. a.: Evidence for stone-tool-assisted consumption of animal tissues before 3.39 million years ago at Dikika. In: Nature, Band 466, 2010, S. 857–860, doi:10.1038/nature09248
  10. Yohannes Haile-Selassie u. a.: An early Australopithecus afarensis postcranium from Woranso-Mille, Ethiopia. In: PNAS, Band 107, Nr. 27, 2010, S. 12121–12126, doi:10.1073/pnas.1004527107
    Eine Abbildung des Skeletts ist zu finden auf der Website von Nature: Rex Dalton: Africa's next top hominid. Ancient human relative could walk upright. doi:10.1038/news.2010.305
  11. Ann Gibbons: Lucy's 'Big Brother' Reveals New Facets of Her Species. In: Science, Band 328, Nr. 5986, 2010, S. 1619, doi:10.1126/science.328.5986.1619
  12. William I. Sellers: Stride lengths, speed and energy costs in walking of Australopithecus afarensis: using evolutionary robotics to predict locomotion of early human ancestors. In: Journal of the Royal Society Interface, Band 2, Nr. 5, 2005, S. 431–441,
  13. David A. Raichlen u. a.: Laetoli footprints preserve earliest direct evidence of human-like bipedal biomechanics. In: PLoS ONE 5(3): e9769. 2010; doi:10.1371/journal.pone.0009769
    wissenschaft.de vom 20. März 2010: „Vormensch mit durchgedrücktem Kreuz. Stammesverwandte des Menschen gingen vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht.“
  14. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2008, S. 42