Dom zu Verden
Der Dom St. Maria und Cäcilia war die Kathedrale des ehemaligen römisch-katholischen Bistums Verden, nach Einführung der Reformation in Verden 1568 bis zum Westfälischen Frieden 1648 Sitz der lutherischen Fürstbischöfe von Verden. Heute beherbergt er die evangelisch-lutherische Domgemeinde in Verden.
Baugeschichte
An der Stelle des heutigen Doms bestand zuvor bereits eine um 814 errichtete Kirche, die 849 Sitz des Bischofs Walter wurde. Nach einem Brand dieser karolingischen Kirche ließ Bischof Amelung einen ebenfalls hölzernen Neubau aufführen. Beide Vorgängerbauten wurden 1966/67 durch Grabungen im Bereich des heutigen Mittelschiffs lokalisiert. Bischof Bernhard II. setzte um 1000 (Thietmar von Merseburg zufolge) vor das hölzerne Schiff allerdings schon einen Steinturm. Als dann der aus Stein gebaute ottonische (frühromanische) Nachfolgebau 1028 den heiligen Maria und Cäcilia geweiht wurde, ging das bisherige Andreas-Patrozinium an die südlich benachbarte Pfarrkirche über. In der Mitte des 12. Jahrhunderts begann man die ottonische Bischofskirche umzubauen und dabei den südwestlichen, romanische Glockenturm zu errichten. Der ist heute der älteste sichtbare Teil des Doms, denn auch der romanische Bau fiel einem Brand zum Opfer, 1268 mitsamt der Süderstadt.
Die erste Bauphase des gotischen Doms dauerte von 1290 bis 1323[1]. In dieser Zeit entstanden der Hallen-Umgangschor, das Querhaus und das erste Langhausjoch. Nach langer Bauunterbrechung wurden 1473 die übrigen drei Langhausjoche auf den zur Planung des 13. Jahrhunderts gehörenden Fundamenten begonnen und 1490 fertiggestellt. Mit dem Anbau der Mandelslohkapelle im Westen verzichtete man endgültig auf den Nordturm und damit auf eine Doppelturmfassade. 1567 wurde das Domkapitel lutherisch, 1651 löste es sich auf.
Bei einer Renovierung 1829 unter der Leitung des Baumeisters Leo Bergmann wurden die Ausstattungsteile der Renaissance und des Barock beseitigt und der Dom im romantischen Geist regotisiert.
Architektur
Außenbau
Die in Stein ausgeführten Untergeschosse des Turms sind die ältesten sichtbar erhaltenen Teile des romanischen Baus. Die fünf oberen Geschosse sind in Backstein ausgeführt, ein besonders frühes Beispiel dieser Mauertechnik in Norddeutschland. Auf der Westseite des Turms ist der Backstein seit 1583 durch eine Quaderverblendung verdeckt. Dreiecksgiebel und ein spitzer Turmhelm wurden entfernt, sodass der heutige in Form einer flachen Pyramide das Kirchendach kaum überragt.
Die Konstruktion des Inneren ist an der 38 m hohen, schmucklos glatten, provisorisch wirkenden, aber mächtigen Westwand nicht abzulesen. Die Backsteinfassaden der nur wenig vorspringenden Querhäuser sind schmuckhafter gestaltet: Das Südportal besitzt zwar kein Tympanon, doch ist die Kämpferzone mit plastischen Fabeltieren belebt. Der Giebel zeigt Blendbögen im dekorativen Wechsel von Putz und Backstein. Das Maßwerk des fünfbahnigen Fensters könnte von dem des Mindener Doms angeregt sein.[2] Ein Strebepfeiler zeigt die Skulptur eines Diakons mit Sonnenuhr. Davon abweichendes, strengeres Maßwerk gliedert den Nordquerhausgiebel. Rechts vom polygonalen Treppenturm ist am Wechsel von Haustein zu Backstein ("Baunaht") im Bereich des ersten Langhausjoch der Anschluss des gotischen Baus an den ehemaligen romanischen Bau zu erkennen. Die Außenansicht der Fenster ist von den Restaurierungen des 19. Jahrhunderts geprägt.
Inneres
Das Langhaus ist eine dreischiffige Halle mit vier Jochen. Der Chor ist mit einem gleich hohen Umgang versehen. Das Querschiff ist kurz, die Vierung quadratisch. Chor- und Langhauswände sind durch große Maßwerkfenster und Strebepfeiler gegliedert. Das weiträumig und licht anmutende Innere wird von kantonierten Rundpfeilern mit kräftigen Gurtbögen und dünnen Diensten unterteilt. Die Grundrissdisposition folgt damit dem Muster der hochgotischen Kathedralarchitektur Frankreichs (Reims und Amiens). Die Farbigkeit der Gewölbe ist eine Zutat der 1960er Jahre.
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Das Innere mit Blick nach Osten
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Blick in den Hallenchor mit Altar
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Blick in das Gewölbe des Hallenchors
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Laubornamente an den Rundpfeilern
Bedeutung
Die Gesamterscheinung des Baus ist trotz der langen Bauzeit einheitlich. "Die Sprache dieses Baus ist in hohem Maße rational. Da ist nichts überflüssig. Alles an diesem frühesten Hallenumgangschor der deutschen Baukunst ist bis zur Kargheit gestrafft" [3]. Architektonisch angelehnt ist der Dom an die Kathedrale von Reims und den Dom zu Minden. Er selbst war auch Vorbild für verschiedene Kirchen, unter anderem für die Johanniskirche in Lüneburg und den Chor des Lübecker Doms.
Ausstattung
Die Strenge und Nüchternheit des Inneren ist allerdings auch Folge der Beseitigung aller Inventarstücke, die nicht dem Ideal der um 1830 angestrebten frühgotischen Einheitlichkeit entsprachen. Für die Zeit um 1500 muss man sich 40 Altäre im Dom vorstellen.[4] Weitgehend verloren ging auch die ursprüngliche Materialität eines um 1323 entstandenen Retabels, das durch den heutigen Hochaltar ersetzt wurde, aber in seiner heutigen Gestalt wesentliche formale Elemente des ursprünglichen bewahrt. Sein zur Predella reduzierter schreinartiger Unterbau und die Arkadenreihe ist durch eine Beschreibung von 1826 gesichert und das Gesprenge wurde 1829 von Bergmann wiederverwandt. Allerdings wurden die Flügel des zuvor als Wandelaltar ausgebildeten Retabels nicht erneuert und die Ikonografie gründlich abgewandelt.[5] Der ornamental geschmückte, auf vier Säulen ruhende Taufstein stammt wohl noch aus spätromanischer Zeit.
Zur neugotischen Ausstattung Bergmanns stammt auch der Entwurf zur Kanzel sowie der Treppenaufgang und die Chorschranken aus Gusseisen.
Dreisitz
Zum Zeitpunkt der Weihe des gotischen Doms 1323 oder nur wenig später dürfte der Levitenstuhl geschaffen worden sein.[6] Liturgische Möbel dieses Typs sind selten und das Verdener Exemplar ist eines der qualitätvollsten. In dem sich eng an reale Architektur anlehnenden Aufbau mit seinen Maßwerkformen und Blattkapitellen spiegelt sich die Strenge und Klarheit des klassisch-hochgotischen Stils des Chorbaus. Die dreisitzige, mit Wimpergen und Fialen gekrönte Bank aus Eiche wird seitlich von Wangen abgeschlossen, die in ihrem durchbrochen gearbeiteten Rankenwerk auf der einen Seite vier Paare aus dem Alten Testament, gegenüber Darstellungen der Stände zeigen. Die Halbfiguren und Brustbilder sind bei aller Plastizität des Körperlichen auffallend hart und scharflinig durchgezeichnet.
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Sarkophag des Fürstbischofs Philipp-Sigismund
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Bronzegrabplatte des Verdener Bischofs Berthold von Landsberg
Grabmäler
Alle Grabdenkmäler stehen nicht mehr am ursprünglichen Platz.
- Grabplatte des Bischofs Berthold von Landsberg, † 1502, Bronzerelief des Verstorbenen in vollem Ornat.
- Doppeltumba der Administratoren Christoph († 1558, zugleich letzter katholischer Erzbischof von Bremen) und sein Bruder und Amtsnachfolger Georg († 1566) von Braunschweig-Lüneburg, Stein, errichtet 1588.
- Grabtumba des Administrators Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel (†1623), im Stil des Niederländers Vredeman de Vries bereits 1594 angefertigt. Die Statue des knienden Herzogs und die Reliefs der Tumbenwand sind verloren.[7]
Orgeln
Neben zwei kleinen Orgelpositiven hat der Dom zu Verden drei Orgeln: Die „romantische Orgel“ auf der Westempore, die große Orgel auf der Nordempore, sowie die Chororgel.[8]
„Romantische Orgel“
Die so genannte „romantische Orgel“ auf der Westempore wurde 1916 von der Orgelbaufirma Philipp Furtwängler & Hammer (Hannover) errichtet. Das Instrument hat pneumatische Taschenladen und 51 klingende Register (3496 Pfeifen).
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- Koppeln:
- Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
- Superoktavkoppeln: III/III, III/II, II/II, III/I, II/I
- Suboktavkoppeln: III/III, II/II, III/II, II/I
- Spielhilfen: Feste Kombinationen (Tutti, Pedal pp), 2 Freie Kombinationen, diverse Absteller, Crescendowalze
Große Orgel auf der Nordempore
Die große Orgel auf der Nordempore wurde 1968 von der Orgelbaufirma Hillebrand, Altwarmbüchen (Hannover) erbaut. Das Schleifladen-Instrument hat 43 Register (2996 Pfeifen) auf drei Manualen und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch.
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- Koppeln: I/II, III/II, I/P
Chororgel
Die Chororgel wurde 1972 durch die Firma Hoffmann Orgelbau erbaut und besitzt 11 Register auf zwei Manualen und Pedal. Das rein mechanische Schleifladeninstrument hat folgende Disposition:[9]
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- Koppeln: II/I, I/P, II/P
- Spielhilfen: Tremulant (ganze Orgel)
Trivia
Das Orgelspiel im Dom sorgte in den Jahren 2009–2011 für einen Rechtsstreit über die (Un-)Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen im Umfeld des Doms. Eine unmittelbare langjährige Anwohnerin hatte auf Unterlassung geklagt. Das Oberlandesgericht Celle hat das klageabweisende erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Verden bestätigt. Die festgestellte Lärmimmission wurde als „unwesentliche“ Lärmbeeinträchtigung eingestuft, die „nach dem Empfinden eines Durchschnittsmenschen“ und „auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise (...) zumutbar“ sei. Die Entscheidung ist rechtskräftig.[10]
Persönlichkeiten, die hier wirkten
Heinrich Rimphoff, Pastor primarius, war ab 1638 am Dom zu Verden. Unter der dänischen Administration wurde er 1642 zum Superintendenten über das Bistum Verden, unter den Schweden 1651 zum Konsistorialrat über das Herzogtum Verden ernannt.
Literatur
- Urs Boeck u.a.: Der Dom zu Verden. (DKV-Kunstführer 394) Deutscher Kunstverlag, München 2001
- Adolf E. Hofmeister: 500 Jahre gotischer Dom zu Verden. Dokumente zur Geschichte des Verdener Domes. Domgemeinde, Verden 1990
- Ernst Andreas Friedrich: Der Dom zu Verden. In: Wenn Steine reden könnten, Band III, Landbuch-Verlag, Hannover 1995, ISBN 3-7842-0515-1, S.54-56.
- Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bremen Niedersachsen, München 1992, S. 1298—1304.
Einzelnachweise
- ↑ Nicht wie bei H.-J. Kunst "1313". Vgl. Urs Boeck: Das Retabel des ehemaligen Hochaltars im Dom von Verden (Aller). In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 10, München/Berlin 1971, S. 111, Anm. 1.
- ↑ Dehio, S. 1302
- ↑ Hoffmann, S. 198
- ↑ Hoffmann, S. 198
- ↑ Urs Boeck: Das Retabel des ehemaligen Hochaltars im Dom von Verden (Aller). In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 10, München/Berlin 1971, S. 103—112.
- ↑ Horst Appuhn: Meisterwerke der niedersächsischen Kunst des Mittelalters, Bad Honnef o. J. [1963], S. 116.
- ↑ Rainer Figur: Der Sarkophag des Bischofs Philipp Sigismund im Dom zu Verden, in: Hans-Herbert Möller (Hrsg.): Restaurierung von Kulturdenkmalen. Beispiele aus der niedersächsischen Denkmalpflege (= Berichte zur Denkmalpflege, Beiheft 2), Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Institut für Denkmalpflege, Hameln: Niemeyer, 1989, ISBN 3-87585-152-8, S. 89f.
- ↑ Zur Geschichte der Domorgeln
- ↑ Informationen über die Chororgel
- ↑ Zum Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 29. Juni 2011 - 4 U 199/09.
Weblinks
Koordinaten: 52° 55′ 1,2″ N, 9° 13′ 44″ O