Erziehender Unterricht

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Erziehender Unterricht ist eine Art von Unterricht, bei dem nicht bloß eine reine Wissensvermittlung stattfindet, sondern vielmehr auch Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Verhalten des Lernenden genommen wird, wobei gemäß Erfahrung sich jüngere Menschen als charakterlich formbarer erweisen im Vergleich zu älteren.

Erziehender Unterricht ist ein didaktisches Konzept, das ab dem 18. Jahrhundert allmählich erarbeitet worden ist und dessen Weiterentwicklung bis heute anhält. Frühe Überlegungen zu diesem Konzept finden sich bereits bei Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) (siehe auch Abschnitt „Kurznotiz zur Historie“ weiter unten).

Unterricht nach Johann Friedrich Herbart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unterricht fördert nicht nur die Aneignung und Steigerung von Wissen, sondern auch von Normen und Wertevorstellungen. Johann Friedrich Herbart (1776–1841)[1] unterscheidet in seinen pädagogischen Ansätzen zwei Unterrichtsarten, die ergänzend nebeneinanderstehen:

  1. Der reine Erwerb von Wissen und Fertigkeiten. Ziel ist das schnelle Aneignen der erwarteten Kompetenzen,
  2. Erziehender Unterricht. Ziel ist es, eine Orientierung für humane Lebensführungen zu geben und dadurch die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung zu fördern.[2]

Im Schulalltag lassen sich die beiden Aspekte nicht exakt voneinander trennen, sodass jeder Unterricht durch die Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern zur Erziehung beiträgt.

Methodisch-Handwerkliches[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Methodisch-handwerklich gesehen, muss es den Befürwortern des erziehenden Unterrichts ein Anliegen sein, Voraussetzungen und Freiräume für ein soziales Setting von Erziehung herzustellen, das einer organisierten Auslösung, Steuerung und Kontrolle von systematisierten, methodisierten und ökonomisierten Lernprozessen förderlich ist.[3]

Lehrer sollen Unterricht so organisieren, „dass über die faktenvermittelnden hin zu kritischen und kreativen Lernprozessen fortgeschritten werden kann, die ebenso der Selbstverwirklichung des einzelnen wie den gesellschaftlichen Notwendigkeiten und Entwicklungen zu dienen vermögen“[4]. Um diese Organisation leisten zu können, setzt man voraus, dass die Lehrkräfte auch im didaktischen Bereich eine entsprechende Ausbildung erhalten haben. Didaktik wird definiert als „die wissenschaftliche Bemühung, die erforscht, wie Lehrprozesse auf Lernprozesse und Lernprozesse auf Lehrprozesse so aufeinander bezogen werden können, dass bei einem Minimum von Zwang ein Optimum von Lernerfolg erzielt werden kann, der den Wünschen des Individuums und dem Wünschenswerten, wie es die Gesellschaft vertritt, gerecht wird“.[5]

Erziehungsziele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Arbeitstugenden:
  • Soziale Eigenschaften:
    • Mitmenschen unabhängig von Äußerlichkeiten zu respektieren
    • Vorurteile zu unterlassen und kritisch zu betrachten[6]

Kurznotiz zur Historie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frühe Überlegungen zur Bedeutung von Erziehung im Unterricht sind im 18. und 19. Jahrhundert durch Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Immanuel Kant (1724–1804), August Hermann Niemeyer (1754–1828), Friedrich Schleiermacher (1768–1834) und Johann Friedrich Herbart (1776–1841) entwickelt worden.

Insbesondere Herbart hat mit seinen didaktischen Konzeptionen im 19. Jahrhundert eine intellektuelle Strömung ausgelöst, durch deren Arbeiten die Pädagogik als Wissenschaftsdisziplin etabliert wurde. Später hat sich die sogenannte Reformpädagogik (Hochphase 1890–1930) gegen den Herbartianismus gewandt: die Vertreter von Ideen beider Strömungen gerieten im Zuge dessen wiederholt aneinander.[7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Geißler, Erich E.: "Erziehender Unterricht": Walter Asmus zum 85. Geburtstag in freundschaftlicher Zuneigung. In: Pädagogische Rundschau. (ISSN 0030-9273). Band 42, Heft 2 (1988), S. 157–163.
  • Hellekamps, Stephanie: Erziehender Unterricht und Didaktik: neuere Didaktiktheorien im Horizont klassischer Begriffsbestimmungen. Dt. Studien-Verl., Weinheim 1991 [zugl. Diss. Univ. Münster 1990], ISBN 3-89271-239-5.
  • Ramseger, Jörg: Was heißt "durch Unterricht erziehen"?: Erziehender Unterricht und Schulreform. (= Studien zur Schulpädagogik und Didaktik; 5) Beltz, Weinheim 1991 [zugl. Habil.-Schr. Univ. Hamburg], ISBN 3-407-34062-1.
  • Schilmöller, Reinhard: Erziehender Unterricht als Problem und Aufgabe. In: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik. (ISSN 0507-7230). Band 70, Heft 3 (1994), S. 344–357.
  • Benner, Dietrich: Erziehender Unterricht. In: Wilhelm Wittenbruch (Hrsg.), Das pädagogische Profil der Grundschule: Impulse für die Weiterentwicklung der Grundschule. 3., erweiterte Auflage, Agentur Dieck, Heinsberg 1995, ISBN 3-88852-199-8, S. 84–100.
  • Siegenthaler, Hermann: Die erzieherische Dimension des Unterrichts: eine Einführung für Lehrkräfte aller Stufen. Verlag Pestalozzianum / Verlag Comenius, Zürich / Hitzkirch 1999, ISBN 3-907526-58-9 / ISBN 3-905286-76-9.
  • Rekus, Jürgen: Erziehender Unterricht. In: Klaus Zierer (Hrsg.): Schulische Werteerziehung: Kompendium. Schneider, Baltmannsweiler 2010, ISBN 978-3-8340-0713-1, S. 168–177.
  • Kiper, Hanna: Erziehender Unterricht. In: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online. (ISSN 2191-8325). (17. Oktober 2011), Digital Object Identifier (DOI): doi:10.3262/EEO09110174, S. 1–25.
  • Matthes, Eva: Erziehung und erziehender Unterricht. In: Wolfgang Einsiedler u. a. (Hrsg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 4., ergänzte und aktualisierte Auflage (= UTB; 8444) Julius Klinkhardt Verl., Bad Heilbrunn 2014, ISBN 978-3-8252-8577-7, S. 233–241.
  • Coriand, Rotraud: Erziehung im Unterricht – eine Kulturaufgabe. (= essentials) Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-04591-3.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Herbart, Johann Friedrich: Systematische Pädagogik. / Eingeleitet, ausgewählt und interpretiert von Dietrich Benner. (= Theoriegeschichtliche Quellentexte zur Pädagogik). Klett-Cotta Verl., Stuttgart 1986, ISBN 3-608-93345-X.
  2. Wiater, Werner: Unterrichten und lernen in der Schule. Eine Einführung in die Didaktik. Auer Verlag, Donauwörth 1997, S. 19–21.
  3. Weber, Erich: Pädagogik Die Einführung Grundfragen und Grundbegriffe. Band 1. Auer Verlag, Donauwörth 1972, S. 57.
  4. Roth, Heinrich: Schule als optimale Organisation von Lernprozessen in: ders.: Revolution der Schule? Die Lernprozesse ändern. Hannover 1969, S. 56.
  5. Roth, Heinrich: Schule als optimale Organisation von Lernprozessen, in. des.: Revolution der Schule? Lernprozesse ändern. Hannover 1969, S. 76.
  6. Rosenbach, Manfred: Erziehender Unterricht. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. Dezember 2016; abgerufen am 25. Januar 2017.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ods3.schule.de
  7. Ramseger, Jörg: Unterricht zwischen Instruktion und Eigenerfahrung. Vom wiederkehrenden Streit zwischen Herbartianismus und Reformpädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik. (ISSN 0044-3247). Bd. 39, H. 5 (1993), S. 825–836.