Exhibitionismus

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Gerda Wegener: Les Delassements d’Eros (1925) – künstlerische Darstellung einer exhibitionistischen Handlung

Exhibitionismus ist eine Sexualpräferenz, bei der die betreffende Person es als lustvoll erlebt, von anderen (meist fremden) Personen nackt oder bei sexuellen Aktivitäten beobachtet zu werden. Er stellt damit das Gegenstück zum Voyeurismus dar.

Bewertungen

Der Begriff wird im medizinischen, juristischen und umgangssprachlichen Kontext jeweils unterschiedlich verwendet.

  • In den ersten beiden Bereichen enthält der Begriff dabei eine Abwertung, d. h. die Neigung wird als krankhaft bzw. schuldhaft gewertet.
  • Andererseits gibt es auch Menschen, insbesondere in der Swinger-Szene, die exhibitionistische Aspekte ihrer Sexualität in einem Rahmen, in dem das Prinzip des Einvernehmens gegeben ist, ohne einen (medizinisch relevanten) Leidensdruck oder eine (strafrechtlich relevante) Belästigung anderer ausleben.
  • Bei der Produktion von Pornografie gilt eine exhibitionistische Neigung als wünschenswerte Qualifikation einer Darstellerin oder eines Darstellers.
  • Wertneutral ist die im frühen Kindesalter zu beobachtende Zeigelust zu sehen, die auf eine gewisse exhibitionistische Grundveranlagung des Menschen schließen lässt und die der Sexualforscher Ernest Borneman als kindliche Form des Exhibitionismus bezeichnet.[1]

Medizin/Psychologie

Klassifikation nach ICD-10
F65.2 Exhibitionismus
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Nach ICD-10 ist der Exhibitionismus eine Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung in Form einer Störung der Sexualpräferenz (Schlüssel F65.2), die als wiederkehrende bzw. anhaltende Neigung beschrieben wird, die eigenen Genitalien vor meistens gegengeschlechtlichen Fremden in der Öffentlichkeit zu entblößen, ohne dass ein näherer Kontakt eingefordert oder gewünscht würde. Ob es sich um eine Störung der Sexualpräferenz handelt oder lediglich um eine Abweichung von inzwischen allgemein akzeptierten Sexualpräferenzen, ist heftig umstritten. Die Entblößung kann auch vor gleichgeschlechtlichen Fremden erfolgen, die Art ist im Wesentlichen von der eigenen sexuellen Ausrichtung abhängig (heterosexuell, homosexuell etc.).

Das Entblößen führt beim Exhibitionisten zu einer persönlichen Genugtuung, häufig auch zu sexueller Erregung. Im Falle der sexuellen Erregung kann eine Masturbation nachfolgen. Exhibitionismus kommt bei Männern häufiger vor als bei Frauen.

Rechtswissenschaften

Tatbestand

Werden die exhibitionistischen Handlungen vor Kindern vollzogen, kann es sich in Deutschland um sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 4 StGB handeln,[2] bei Minderjährigen um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 StGB. In allen übrigen Fällen kommt eine Strafbarkeit nach § 183 Abs. 1 StGB – exhibitionistische Handlungen – in Betracht. Täter einer Straftat nach § 183 StGB kann nur ein Mann sein; verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich daraus nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht.[3] Grund für die Beschränkung auf Männer ist laut den Gesetzgebungsmaterialien, dass exhibitionistische Handlungen von Frauen extrem selten seien.[4] Exhibitionismus einer Frau kann aber nach § 183aErregung öffentlichen Ärgernisses – strafbar sein. Unterhalb der Strafbarkeitsschwelle kann eine Ordnungswidrigkeit in Gestalt einer Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) vorliegen.

Elementar für den Straftatbestand ist die Belästigung einer anderen Person durch die exhibitionistische Handlung. Dazu muss die Handlung eine Person nicht unerheblich in ihrem Empfinden beeinträchtigen, z. B. indem sie Gefühle von Ekel, Schock oder Schrecken verursacht oder das Schamgefühl verletzt.[5] Die Belästigung ist nicht gegeben, wenn die Reaktion des oder der Betroffenen Interesse, Verwunderung oder Mitleid ist.[5] Die Straftat wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Sofern es sich um exhibitionistische Handlungen vor Kindern handelt, kann die Tat mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Schuldfähigkeit des Täters muss besonders geprüft werden, da der Exhibitionismus (sofern er dem Muster der Schlüsselnummer F65.2 der ICD-10 entspricht) als „andere schwere seelische Abartigkeit“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB eingestuft werden kann.[6]

Nach einem Urteil des BayObLG aus dem Jahr 1998[7] ist der Tatbestand des Exhibitionismus nur dann erfüllt, wenn die Entblößung der sexuellen Befriedigung dient. Nacktheit und damit auch Nacktsport in der Öffentlichkeit allein ist daher in Deutschland (und der Schweiz) nicht strafbar. Nacktjoggen kann in Deutschland aber als Ordnungswidrigkeit nach § 118 OWiG verfolgt werden;[8] in der Schweiz ist Nacktwandern im Kanton Appenzell Innerrhoden seit 2009 ein Offizialdelikt.[9]

Kriminologie

Wegen exhibitionistischer Handlungen wurden in Deutschland im Jahr 2008 751, im Jahr 2007 841 und im Jahr 2006 748 Männer verurteilt. Wegen Taten nach § 176 Abs. 4 StGB, unter die auch exhibitionistische Handlungen vor Kindern fallen, wurden 2008 456, 2007 390 und 2006 321 Personen bestraft.[10] Verurteilungen wegen exhibitionistischer Handlungen stellen damit ca. 12–14 % aller Verurteilungen wegen eines Sexualdelikts dar.[10] Jährlich werden in etwa 7000 Fälle von Exhibitionismus angezeigt, wie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) mitteilte. Für das Jahr 2014 weist die polizeiliche Kriminalstatistik 7007 Fälle von Exhibitionismus aus. Zahlen zu Verurteilungen liegen zuletzt für das Jahr 2013 vor: Es handelt sich um 740 Verurteilungen.

Begriffserweiterung im allgemeinen Sprachgebrauch

Allgemein gebraucht bedeutet der Begriff eine übertrieben intime Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, etwa im Rahmen von Talkshows oder im Internet. Diese Selbstdarstellung ist dabei nicht auf den rein körperlichen Aspekt beschränkt.

In der Umgangssprache spricht man dann oft davon, dass jemand „exhibitionistisch veranlagt“ sei. Dies kann sich ohne jeden sexuellen Kontext auf Handlungsweisen bestimmter Personen (wie Schauspieler oder Politiker) beziehen; aber es können auch Menschen gemeint sein, die sich gerne knapp bekleidet oder nackt zeigen (z. B. beim Sonnenbaden/FKK).

Flitzer

Exhibitionisten können sich auch als sogenannte Flitzer darstellen. Dabei zeigen sie sich bei öffentlichen Anlässen, indem sie z. B. während einer laufenden Sportveranstaltung über das Spielfeld rennen. Viele Flitzer haben bei diesem Tun allerdings keine erotische Motivation.

Nude in Public

Nude in Public – Personen feiern nackt auf einem Festival

Nude in Public (engl. für Nackt in der Öffentlichkeit), häufig auch NIP abgekürzt, ist eine besondere Variante des Exhibitionismus, bei der das unvorhergesehene, spontane Zurschaustellen von primären oder sekundären Geschlechtsteilen in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht.

Die sich entblößenden Personen erfreuen sich dabei an den Reaktionen der anderen und mögen den Reiz des ungewöhnlichen, gesellschaftlich anstößigen Verhaltens. Viele ziehen daraus eine Bestätigung für sich, da sie den Mut dazu aufbringen, oder für ihren Körper, da er die Blicke anderer auf sich zieht.

Eine extreme Form von Nude in Public sind sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit, bei denen bewusst in Kauf genommen oder sogar gewünscht wird, dass Zuschauer vorhanden sind. Während in Pornofilmen meistens Statisten engagiert werden, können im privaten Bereich auch unwissende Personen Augenzeuge sexueller Handlungen werden. Die Sexualpraktik steht dabei meistens in Zusammenhang mit dem ausgewählten Ort.

Flashing

Das „Flashen“ (engl. flash für „Blitz“ oder „Blitzen“) oder „Blankziehen“[11] bezeichnet das öffentliche Entblößen der weiblichen Brüste durch Hochziehen der Oberbekleidung. Flashing wird oftmals vor Partyfotografen in Diskotheken oder Konzerten praktiziert. Das Phänomen gilt in den USA als verbreiteter.[12]

Literatur

Zum Thema Exhibitionismus sind Bücher erschienen. Alfred Esser, Vorsitzender von Deutschlands erster und bislang einziger deutschen Selbsthilfegruppe für Exhibitionisten[13] schrieb das Buch „Zeigen verboten! Exhibitionismus – ein verkanntes Problem“. Es ist ein Taschenbuch, erschienen 1996. Auch Norman Schulz veröffentlichte ein Buch zum Thema Exhibitionismus. Unter dem Titel „Tagebuch eines Exhibitionisten – sich vor unfreiwilligem Publikum zu entblößen“ brachte Schulz seine Erlebnisse mit Frauen, der Polizei und der Justiz zu Papier. Zudem behandelt er kuriose Gerichtsurteile, Exhibitionisten-Witze und Zeitungsartikel in seinem Buch. In dem Buch gibt er Ratschläge, wie sich Frauen gegenüber einem „Entblößer“ verhalten sollten. Erschienen 2016, ebenfalls ein Taschenbuch.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Exhibitionismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ernest Bornemann: Ullstein Enzyklopädie der Sexualität. Ullstein, 1990, ISBN 3-550-06447-0, S. 877.
  2. Thomas Fischer: Strafgesetzbuch, 61. Aufl. 2014, § 183 Rn. 4
  3. Bundesverfassungsgericht 2 BvR 398/99 vom 11. August 1993.
  4. Fischer: Strafgesetzbuch, 61. Aufl. 2014, § 183 Rn. 4 unter Verweis auf die Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, S. 900
  5. a b Fischer: Strafgesetzbuch, 61. Aufl. 2014, § 183 Rn. 6
  6. Fischer: Strafgesetzbuch, 61. Aufl. 2014, § 183 Rn. 8
  7. BayObLG (2. Strafsenat), Urteil vom 16. Juni 1998 – 2 St RR 86/98, NJW 1999, 72
  8. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Mai 2000 – 2 Ss 166/99, NStZ-RR 2000, 309
  9. NZZ vom 29. April 2009: Nacktwandern verboten
  10. a b Münchener Kommentar zum StGB – Hoernle, 2. Auflage 2012, § 183 Rn. 4
  11. Busen-Ausstellung: Der Droschkenfahrer, für den die Frauen blankziehen. Bericht im Berliner Kurier vom 25. September 2012, abgerufen am 10. September 2016.
  12. Flashing – Der neue Trend aus Amerika
  13. Unglaubliches Hochgefühl – Exhibitionisten gründeten eine Selbsthilfegruppe