Indikator echten Fortschritts

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Der Genuine Progress Indicator (GPI) (zu deutsch etwa Indikator echten Fortschritts) ist ein Wirtschaftsindikator, der das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ersetzen und an dessen Stelle eine "echtere" Einschätzung der Leistung von Volkswirtschaften erlauben soll. Er ist aus dem früheren Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) hervorgegangen.

Der GPI misst, ob das wirtschaftliche Wachstum eines Landes und die damit verbundene Mehrproduktion von Gütern und Dienstleistungen tatsächlich zu steigendem Wohlstand beziehungsweise Wohlbefinden führt. Der Unterschied zwischen dem BIP und dem GPI lässt sich mit dem Unterschied zwischen der Brutto- und der Nettobilanz eines Unternehmens vergleichen, wobei nur Letztere für die Zukunftsfähigkeit einer Firma entscheidend ist. Entsprechend liegt das Wachstum des GPI bei Null, wenn das gemessene Wachstum des BIP durch offene oder verdeckte Kosten wie Umweltschäden, Kriminalität oder abnehmende Gesundheit erzeugt worden ist.

Zahlreiche hochentwickelte Länder (insbesondere die Staaten der EU und Kanada) versuchen seit einigen Jahren gemeinsame Kriterien für die Ermittlung eines vergleichbaren und objektiven GPI zu entwickeln. Der GPI darf also nicht als ein fest definierter und allgemein akzeptierter Index zur Wohlstandsmessung betrachtet werden. Er stellt vielmehr einen Versuch dar, die Schwächen des BIP zu überwinden und unterliegt zurzeit noch regelmäßigen Veränderungen.

Motivation für das Erstellen des GPI

In der Ökonomie wird Fortschritt für gewöhnlich in Geldwert gemessen. Das BIP misst alle produzierten Werte und stellt damit die Gesamtsumme der Wirtschaft eines Landes dar. Unter diesen Bedingungen werden auch Schadens"werte" subsumiert, das heißt Autounfälle, Tankerunglücke oder Todesfälle können das BIP erhöhen.

Selbst seine Erfinder geben an, dass das BIP keineswegs als Indikator für Wohlbefinden gedacht gewesen ist. Es war auch nicht geplant, dessen Werte als Argument für oder gegen bestimmte politische Maßnahmen einzusetzen, wie es mittlerweile üblich geworden ist.

Der GPI hingegen umfasst die Verfügbarkeit von Ökosystemdienstleistungen und deren Schädigung durch menschliche Aktivitäten. Damit umrandet der GPI eine weiter gefasste Vorstellung von Fortschritt, und er bezieht auch die Nachhaltigkeit mit ein. Die Ernte von Agrarprodukten beispielsweise erzielt einen höheren GPI-Wert, wenn das benötigte Wasser aus der natürlicherweise stattfindenden Wiederauffüllung von Grundwasser oder Flüssen genommen wird, jedoch einen deutlich geringeren, wenn zum Bewässern nicht erneuerbares, fossiles Wasser aus Aquiferen gepumpt wird. Ist die Erntemenge dieselbe, hat der Unterschied zwischen beiden Verfahren hingegen auf das BIP keinerlei Auswirkung.

Einige Ökonomen, darunter Herman Daly, John B. Cobb und Philip Lawn, nehmen an, dass das Wachstum einer Volkswirtschaft durch ausgeweitete Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowohl Nutzen als auch Kosten mit sich führt – und nicht nur Nutzen, wie das BIP suggeriert. In einigen Situationen schädigen die erweiterte Produktion und anderen Marktaktivitäten Gesundheit, Kultur und Wohlfahrt, was von Ökonomen oft ignoriert werde. Insbesondere wird hierfür zurückgegriffen auf die "Grenzhypothese" (threshold hypothesis) von Manfred Max-Neef, die unterstellt, dass ab einem gewissen Schwellenwert in einem makroökonomischen System der zusätzlich erzeugte Nutzen durch einen dabei entstehenden Schaden überwogen wird.

Philip Lawn hat in einem "echten Fortschrittsindikator" einen theoretischen Rahmen für die Bestimmung der "Kosten" ökonomischer Aktivitäten und ihre Abwägung gegenüber ihrem "Nutzen" entwickelt. Damit soll erkennbar werden, ob die stattfindende wirtschaftliche Entwicklung die Lebenssituation von Menschen verbessert oder vielmehr erschwert. Lawns Modell zufolge bestimmen die Kosten ökonomischer Aktivität die folgenden potenziell schädlichen Elemente:

(Quelle: Lawn 2003, S. 108, Tabelle 1)

Theoretische Fundierung des GPI

Der Bedarf nach einem echten Fortschrittsindikator, der vorbelastete Indikatoren wie das BIP ersetzen sollte, wurde in einer Studie über unwirtschaftliches Wachstum in den 1980er Jahren von Marilyn Waring dargelegt, die Voreingenommenheiten im UN-System nationaler statistischer Daten untersucht hatte.

In den frühen 1990er Jahren hatte sich in Entwicklungstheorie und ökologischer Ökonomie ein Konsens herausgebildet, nach dem eine wachsende Geldmenge faktisch mit sinkendem Wohlbefinden einhergehe. Essenzielle natürliche und soziale Dienstleistungen wurden in bar bezahlt, was die Ökonomie expandieren ließ, aber die Lebensqualität verschlechterte.

Das Thema bleibt umstritten, da insbesondere für neoklassische Ökonomen das BIP ein idealer Indikator für wirtschaftlichen Fortschritt darstellt. Für diese ist es zunächst kein Problem, wenn steigende Gesundheitskosten oder die Notwendigkeit, abgefülltes Wasser teuer zu kaufen, zu einem Anstieg des BIP führen. Der GPI hingegen würde beides als Problem, nicht als Fortschritt identifizieren.

Ergebnisse

Mindestens elf Länder (u.a. Deutschland, England, Österreich und Schweden) haben ihren Wohlstand gemäß vorläufigen GPI-Methoden neu berechnet. Die Daten für die Europäischen Länder und die USA zeigen, dass die Wohlstandsentwicklung vor allem in den letzten Jahrzehnten deutlich hinter der Entwicklung des BIP zurückblieb. In einigen Ländern suggerieren GPI-Berechnungen sogar einen deutlichen Wohlstandsrückgang. Während das BIP für die USA eine Verdopplung des Wohlstands im Zeitraum 1950 bis 1995 suggeriert, zeigt der GPI insbesondere im Zeitraum 1975 bis 1995 einen starken Rückgang von 45 Prozent.[1] Der Wohlstand Chiles stagnierte im selben Zeitraum laut dem sehr ähnlich berechneten Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW).[2] Österreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Schweden und Australien konnten dagegen einen Wohlstandsgewinn verzeichnen, wenngleich dieser im Vergleich zur BIP-Entwicklung relativ bescheiden ausfällt.[2]

Weiterentwicklung durch die EU

Im November 2007 organisierte die Europäische Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament, dem Club of Rome, der OECD und dem WWF unter dem Motto "Beyond GDP" eine internationale Konferenz, mit dem Ziel die geeignetsten Indikatoren zur Messung des Wohlstands herauszuarbeiten.[3] Zum Abschluss der Konferenz versprach der Kommissar für Umwelt, Stavros Dimas, die Erarbeitung eines Nachhaltigkeitsscoreboards und kündigte weitere Schritte an.[4] Am 20. August 2009 veröffentlichte die EU-Kommission unter dem Titel "Das BIP und mehr: die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel" ein Strategiepapier, in dem sie "fünf Maßnahmen zur besseren Messung des Fortschritts" vorschlägt.[5][6]

Die fünf Handlungsfelder umfassen:[7]

  1. Erarbeiten eines umfassenden Umweltindex und verbesserter sozialer Indikatoren
  2. Aktuellere Informationsbereitstellung für Entscheidungsträger
  3. Genauere Berichterstattung über Verteilung und Ungleichheiten
  4. Entwicklung einer europäischen "Anzeigetafel" (Scoreboard) für nachhaltige Entwicklung
  5. Einbeziehung von ökologischen und soziale Anliegen in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

In der Folge wurden mehr als 20 Indikatoren präsentiert - darunter auch der GPI - die in den neuen Wohlstandsindikator einfließen könnten.[8]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. REAL WEALTH, Linda Baker, Highbeam Research, 1. Mai 1999
  2. a b International examples, Friends of the Earth, 28. November 2008
  3. ABOUT BEYOND GDP, Beyond GDP, measuring progress, true wealth and the well-being of nations
  4. Beyond GDP: Summary notes from the Beyond GDP conference, Beyond GDP, November 2007
  5. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Das BIP und mehr : die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel, EURLex, 20. August 2009
  6. GDP and beyond: Measuring progress in a changing world, Europäische Kommission, 20. August 2009
  7. Beyond GDP - EU Roadmap 2009
  8. Beyond GDP - Indikatorenausstellung